BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Thomasius

1655 - 1728

 

Freymüthige Lustige und Ernsthaffte iedoch

Vernunfft- und Gesetz-Mäßige Gedancken

oder Monats-Gespräche über

allerhand, fürnehmlich aber Neue

Bücher Durch alle zwölff Monate

des 1688. und 1689. Jahres durchgeführet.

 

März 1688

 

_______________________________________________________________________________

 

 

 

Ungeneigter und geneigter Leser.

Es sind bißhero von der so genanten

Gesellschafft der Müßigen

zwey Monat=Gespräche, welche

257:5 

Schertz= und ernsthaffte Gedancken

über allerhand lustige

und nützliche Bücher und Fragen genennet

worden, herausser kommen, welche zwar

mit ziemlicher Begierde gekaufft worden,

257:10 

und abgangen, aber deswegen, wie es insgemein

zu geschehen pfleget, nicht von allen

approbiret worden, sondern unterschiedene

darwider etwas zu erinnern gehabt. Etliche

haben gewünschet, daß in denenselbigen

257:15 

mehr Ernst enthalten wäre; Andere hätten

lieber gesehen, daß dieselben mit lauter

Schertz wären angefüllet gewesen. Jedoch

hat ein ieder darvor gehalten, es würden die

Verfertiger sich wenig an die Judicia derer

257:20 

Leute kehren, sondern nach ihrem Gutdüncken

darinnen fortfahren, und zum wenigsten

in vielen Jahren an kein Ende gedencken,

zumahln da sie hierzu in der Vorrede

zum Januario mit vielen etwas freyen und

257:25 

einem und dem andern verdrießlichen Worten,

258 

eine starcke mine gemacht. Nichts desto

weniger ist nichts gewissers, als daß sich

die Gesellschafft der Müßigen zerschlagen,

und wohl recht eigentlich zerschlagen, indem

258:5 

sie für ohngefehr 4. Wochen, als sie beysammen

gewesen, und vom Innhalt des Martii

mit einander Unterredung geflogen, unter

andern auch auf einen discours von dem ietzigen

Streit des Königs in Franckreich mit

258:10 

dem Pabst zu Rom wegen der Quartiers

Freyheiten gekommen, da es denn geschehen,

daß als der Cavallier des Königs in Franckreich,

der Licentiatus Juris aber des Pabsts

Parthey zu hitzig vertheidiget, sie mit einander

258:15 

von Worten zu Schlägen kommen, und

den Rentinirer, der zwar neutral seyn wollen,

und sie von einander zu scheiden gesucht,

seinen Theil auch völlig mitgetheilet, daß er

an das Sprichwort: ex utroqve Cæsar gedencken

258:20 

können, und solchergestalt ihre Gesellschafft

in statum naturalem Hobbesii resolviret

worden, und dem bello omnium

contra omnes gantz ähnlich gesehen. Ob

man sich nun gleich bemühet, sie wider zu versöhnen,

258:25 

und ihnen vorgehalten, durch ihre

Feindschafft andern Leuten nicht Ursache

zu geben, über sie zu spotten, daß sie ein nur

259 

angefangenes Werck, welches allbereit einen

ziemlichen Ruff gemacht liegen liessen; auch

bey nahe ihren Zwiespalt wieder geschlichtet;

so hat doch eine anderwärtige Furcht sie von

259:5 

der continuation abgehalten, indem sie gehöret,

daß vielen wackern vornehmen Leuten

dieses ihr angefangenes Werck höchlich mißfiele,

und sie sich also nothwendig viel Feinde

machen würden, welches doch ihre intention

259:10 

gantz nicht gewesen, massen sie vielmehr gemeinet

/ dadurch Patronos sich zu erwerben.

Diese Furcht ist nicht wenig gemehret worden,

durch den Ruff, daß zu Saltzburg vier

gelehrte und weitberühmte Leute sich allbereit

259:15 

darüber gemacht, und obgesagte beyde

Monate, absonderlich aber den Februarium

zu widerlegen beflissen wären, und rathschlagten,

wie sie die künftigen zehen Monate

dieses Jahrs gleichfalls ruiniren, und für der

259:20 

gantzen Welt zu Schanden machen könten,

auch viel re- und correlationes deßhalben

anstelleten, ob sie nicht per demonstrationes

Mathematicas & Arithmeticas ausrechnen

möchten, was doch ohngefehr von der Gesellschafft

259:25 

der Müßigen in die folgende Monate

gesetzet werden möchte. Sobald dieses die

Müßigen gemercket, haben sie geschlossen,

260 

es sey hohe Zeit, daß sie still schwiegen, und

besser, daß sie bey Zeit abzögen, als wenn sie

hernach mit Schimpf und Schande aus dem

Felde geschlagen würden. Und gewiß, haben

260:5 

sie hieran nicht unweißlich gethan. Denn ich

habe selbsten einen grossen Schnitzer wider

die principia Arithmeticæ angemerckt, daß

die guten Herrn nicht fünffe recht zehlen können,

sintemahl sie p. 158. aus drittehalb und

260:10 

anderthalb Thalern fünff Thaler gerechnet /

und dadurch einen grossen errorem in calculo

begangen. Sie haben sich zwar gegen

mich entschuldigen wollen, daß es ein error

in scribendo wäre, und solte an statt anderthalb

260:15 

Thaler gleichfalls drittehalb Thaler gesetzt

seyn, auch zu diesem Behuf fürgebracht,

daß es wahrscheinlich wäre, daß die Bauermagd

dem Münche nicht mehr wäre schuldig

geblieben seyn als sie ihm gezahlet hätte. Ich

260:20 

habe ihnen aber dagegen gemeldet, daß dieses

wohl nur eine Ausflucht wäre / und würden

sie wohl selbst erkennen, daß sie aus dieser ihrer

Ursache keinen Syllogismum apodicticum

würden zusammen bringen können.

260:25 

Doch dem sey wie ihm wolle, so ist es endlich

dahin gediehen, daß nachdem unterschiedene

gute Freunde ihr Verlangen bezeuget, daß

261 

sie gerne sehen, daß die angefangene Gedancken

continuiret würden, auch die Gesellschafft

der Müßigen gegen mich gedacht, daß

sie es könten geschehen lassen, wenn ich diese

261:5 

continuation auf mich nehmen wolte, ich

mich endlich resolviret, solches auf gewisse

Masse zu verrichten, nehmlich, daß ich zwar

den Titel behalten und diese Gedancken in

Form eines Gesprächs fortsetzen, aber dabey

261:10 

doch behalten wolte, daß so viel möglich dasjenige,

was unterschiedene an denen ersten

beyden Gesprächen getadlet, vermieden würde.

Zu dem Ende habe ich alsbald in diesen

Monat an statt derer Teutschen Nahmen denen

261:15 

Unterredenden Nahmen von frembden

Sprachen zugeleget, ob mir wohl wissend ist,

daß etliche Gelehrte solches für eine kleine Pedanterey

halten, wenn man sich nicht solcher

Nahmen bedienet, die mit der Sprache, worinnen

261:20 

ein Gespräch geschrieben wird, überein

komen: Ich habe aber hiebey mein Absehen

dahin gehabt, daß ich allerdings auch scandala

accepta vermeiden möchte, weil ich gespüret,

daß ein und ander bey den ersten beyden

261:25 

Gesprächen dafür gehalten, als wenn auch

unter denen daselbst gebrauchten, und bey

uns Teutschen üblichen Nahmen etwas sonderlichs

262 

verborgen wäre, und also dem Herrn

Augustin, Benedict u.s.w. ieden auff eine

gewisse und bekante Person wider die intention

derer Müßigen gedeutet. Auff diese

262:5 

Weise nun hat es mit denen Gesprächen derer

Müßigen fast so ein Ende genommen,

wie Anno 1684. in Holland mit dem Mercure

Scævant, der auch nur den Januarius

und Februarius continuiret wurde, an dessen

262:10 

Statt aber hernach der Herr Bayle im

Mertz seine Nouvelles de la Republiqve des

Letteres zu schreiben anfieng.

Jedoch habe ich nicht alsobald zu diesem

Vorhaben zugeplumpt, sondern zu vorhero

262:15 

wohl überleget, ob ich auch mit guten Gewissen

dieses Wercks mich unternehmen dürffte,

und ob ich nicht vielmehr hierdurch andern

vornehmen Leuten in ihrem Amt einen Eingriff

thäte. Denn es hat mir vor Augen geschwebet,

262:20 

daß der Abbt de la Roqve in der

Vorrede des 85ten Jahres von Journal des

Scavans sich über den Autor des Mercure Galant

beschweret / als dieser in seinem Mercure

etliche scriptores, die wider den Herrn Bayle

262:25 

geschrieben, referiret, er solte keinen Einfall in

das Land der Republique des Lettres thun,

263 

sondern bey seiner Galanterie bleiben, weil

dieses das Erbland des Journal des Scavans

wäre. Solcher Gestalt nun habe ich betrachtet,

daß gleichwohl allbereit in Teutschland

263:5 

von denen Herrn Collectoribus Actorum

Eruditorum dieses Amt bedienet würde, der

Gelehrten Welt vorzustellen, was von neuen

Büchern heraus käme, ja ich habe die Ungelegenheit

erwogen, die sich der gute Fourretiere

263:10 

über den Hals gezogen, als er wieder

derer Herren de l' Academie Royale ihren

Willen sich ein Frantzösisches Dictionarium

zu schreiben unterfangen, indem er seine Mühe

umsonst gehabt, und mit seiner nicht wenigen

263:15 

Beschimpffung denen Herren de l' Academie

weichen und nachgeben müssen, ob er

sich gleich die Freyheit genommen in zweyen

factums, so er heraus gegeben, denen Messieurs

von der Academie die Wahrheit ziemlich

263:20 

Deutsch (oder vielmehr Frantzösisch) zu sage.

Ich habe aber daneben auch erwogen, daß

zwischen diesem Exempeln u. dem Meinigen

ein grosser Unterscheid sey. Denn erstlich so

schreibe ich meine Gespräch nicht in Lateinischer

263:25 

sondern in Teutscher Sprach, und halte

dafür, daß de la Roqve sich nicht so unnütze

würde gemacht haben, wenn der Autor des

264 

Mercure Galant in einer andern als in Frantzös.

Sprache, von denen Gelehrten Schrifften

etwas geschrieben hätte, glaube auch festiglich,

daß der gute Fourretiere wohl von denen

264:5 

Herrn Academisten würde unangepackt

geblieben seyn, wenn er etwan des Calvisii,

Fabri oder Reyheri Lexicon hätte ausbessern

und vermehren wollen. So ist

auch für das andere meine Meinung im geringsten

264:10 

nicht, daß ich ein Journal von gelehrten

Büchern in teutscher Sprache schreiben

wolle, massen ich dawider feyerlichst protestire.

Was die Gesellschafft der Müßigen

in Willens gehabt, weiset ihre Vorrede

264:15 

vor dem Januario. Gleichwie aber ihrer

drey gewesen, und hierzu gute Musse gehabt,

also bin ich nur alleine, und habe

des Tages über meine ordentliche Verrichtungen,

daß ich kaum etliche wenige Stunden

264:20 

drauff wenden kan. Wannenhero ich

nur dann und wann von Büchern, mehrentheils

aber von gewissen materien etwas discouriren

werde. Wolte man mir nun

gleich vorwerffen, daß der Mercure Galant

264:25 

eben dieses auch als ein parergon tractiret

hätte, und dennoch von dem de la Roqve

vor einen Freybeuter gehalten worden wäre,

265 

so würde ich darauf antworten, daß

es der Autor des Mercure Galant darinnen

gröblich versehen, daß er solche Sachen, die

de la Roque in sein Journal bringen wollen,

265:5 

seinen Mercure einverleibet, da

er doch hätte bedencken sollen, daß gleichwohl

de la Roqve jure occupationis

einmahl das Recht erworben / einig und

allein das Journal zu machen / und alle andere

265:10 

davon auszuschliessen. Ich aber werde

mich in meinen Gesprächen, wo nicht

allemahl, doch meistentheils bemühen solche

Bücher zu erzehlen, die die Herrn Collectores

zu Leipzig in ihre Acta aus gewissen

265:15 

und wichtigen Ursachen nicht setzen mögen,

massen aus diesen ietzigen Monat genugsam

zu sehen ist. Derohalben halte ich

dafür, daß weil ich ihnen dißfalls die reiche

Erndte gar gerne lasse (als der ich weder

265:20 

die dazu gehörige correspondenz habe,

noch mit guten Freunden versehen bin, die

mir hierbey unter die Arme greiffen, auch

an einem Orte lebe, da der Buchführer neue

Sachen gar späte bekömmt) und zufrieden

265:25 

bin, wenn sie mir etliche wenige verzettelte

Aehren nachzulesen vergönnen, wohl gemeldte

Herrn Collectores an statt, daß sie

266 

dieses mein Vorhaben übel deuten sollten,

vielmehr mir mit denen Büchern, die sie

nicht mögen, aus Höffligkeit an die Hand

gehen würden, wenn ich solches von ihnen

266:5 

verlangete. Und also wäre dieser schwere

scrupel auch gehoben.

Im übrigen bitte ich den Leser, daß

wo es seyn kan, er sein Judicium von meinen

Gesprächen biß zu Ende dieses Jahrs

266:10 

suspendiren und sich des L. Incivile ff. de Legibus

ohnmaßgeblich zu erinnern belieben

wolle / massen er vielleicht in einem Gespräch

mehr satisfaction finden möchte, als in dem

andern. Zuförderst aber erinnere ich wohlmeinend,

266:15 

daß er mich nicht etwa vor einen

pasquillanten halten wolle, weil ich

meinen Nahmen nur mit etlichen Buchstaben

zu erkennen gegeben. Denn ich

habe solches nicht aus der Ursache gethan,

266:20 

daß ich mich scheuete das zu gestehen, was

ich, geschrieben habe, sondern, damit ich

desto eher anderer Leute Judicia von dieser

meiner Schrifft erfahren möchte. So

ist auch sonst bekannt, daß wenn zu Hoffe

266:25 

zuweilen eine Wirthschafft gespielet wird,

und die Personen durch das Looß hierzu

ausgetheilet werden, es sich offte zuträget,

daß ein vornehmer Minister einen Koch,

267 

Hauß=Knecht oder andere geringe Person

agiren muß, da man es ihme dann nicht vor

übel hält, wenn er seinen character ein

wenig beyseite legt, und in dem Koch=Habit

267:5 

seine Person nach der qualität eines Kochs

agiret, und sich also, so zu sagen, ob man

ihn gleichwohl kennet, in denen Kleidern als

incognito auffhält; aber ohne Zweiffel

ausgelacht werden würde, wenn er in seinen

267:10 

gewöhnlichen Kleidern die ihm auffgetragene

Person vorstellen wolte. Ich bin

gleicher Gestalt, Vorhabens in diesen

Gesprächen unterschiedene Personen auff

das tapet zu bringen, und werde also auch

267:15 

nach dererselben character meine Redens=Arten

abwechseln müssen. Derohalben

hat es sich auch in diesem Ansehen nicht

wohl schicken wollen, daß ich meinen Nahmen

ausgedruckt. Damit aber der Leser nur

267:20 

einen kleinen concept von meiner Person

fassen, und also zum Theil abnehmen möge,

was er ins künfftige von diesen Gesprächen

zu hoffen habe, will ich ihm nur etwas

weniges von meiner profession melden.

267:25 

Wenn ich demjenigen Glauben beymessen

wolte, was ich vernommen, daß auch

meine Feinde mir nachsagten, wolte ich sprechen,

268 

ich wäre ein Gelehrter. Aber ob gleich

sonsten die Zeugnisse derer, die uns zuwider

sind, in Sachen, so zu unserm Vortheil gedeutet

werden könten, für sehr gültig gehalten

268:5 

werden, so wird mir doch iedermann

leichte Beyfall geben, daß ich selbsten am

besten wissen müste ob ich gelehrt sey oder

nicht. Ja ich getraue mir augenscheinlich

darzuthun, daß ich dieses prædicats gantz

268:10 

nicht fähig bin, weil ich zu keiner Facultät

gebracht werden kan. Ich bin kein Theologus,

denn ich kan nicht predigen, vielweniger

mit denen Ketzern disputiren. Kein

Juriste bin ich auch nicht, dieweil ich durch

268:15 

die auream praxi die Zeit meines Lebens

nicht viel erworben / auch die wunderliche

persuasion und Einbildung habe, daß die

meisten Theile der Jurisprudenz von Triboniano,

und denen alten Glossatoribus

268:20 

nebst denen Pragmaticis so verhuntzt worden,

daß nunmehro ohnmöglich ist, dieselbige

in formam artis zu redigiren, und man

sich solchergestalt gantz nicht wundern darff,

wie es doch komme, daß heut zu Tage ein

268:25 

Rabula ja so leichte in diesem studio fortkommet,

als ein geelehrter Mann. Viel weniger

bin ich ein Medicus, denn ich habe mich

269 

von Jugend auff gehütet, daß ich mit anderer

Leute Schaden klug werden möchte, und

halte von einem Trunck Rhein=Wein mehr,

als von der besten Perl=Essenz; Ja ich habe

269:5 

mich auch noch nicht resolviren können,

ob ich es mit dem Galeno oder Hippocrate,

oder Theophrasto, oder mit einem von denen

Neotericis halten solte. Am allerwenigsten

aber bin ich ein Philosophus. Denn

269:10 

erstlich glaube ich in der Logica nicht, daß

fünff Prædicabilia, zehen Prædicamenta und

drey figuræ Sillogismorum seyn. Ich halte

dafür daß die Logic, die wir in Schulen

und Academien lernen, zu Erforschung der

269:15 

Wahrheit ja so viel helffe, als wenn ich mit

einem Stroh=Halm ein Schiff=Pfund auffheben

wolte. Von der Metaphysic habe ich

mir eine widerwärtige Impression gemacht,

indem ich mir eingebildet, daß die darinnen

269:20 

enthaltenen Grillen fähig sind, einen gesunden

Menschen solchergestalt zu verderben,

daß ihme Würmer in Gehirne wachsen, und

daß dadurch der meiste Zwiespalt in Religions=Sachen

entstanden, auch noch erhalten

269:25 

werde. Die Mathesin habe ich

leider! nicht gelernet, weil dieses höchstnützliche

studium auff Academien so wohl culpâ

270 

docentium als discentium gemeiniglich

verachtet und negligiret wird. Mit der

Physic ist es mir sehr unglücklich gangen.

Denn als ich gemeinet, ich hätte in denen

270:5 

Collegiis, so ich darüber gehalten, vortreffliche

profectus erlanget, und meine privat

repetitiones deßhalben angestellet, bin ich

so tumm gewesen, daß ich nicht verstehen

können, was das heisse, daß die Natura principium

270:10 

motus & qvietis sey, ia ob mir gleich

meine Præceptores noch so deutlich vorgesagt,

quod anima fit tota in toto corpore,

& tota in qualibet parte corporis, ich auch einen

gantzen Tag zugebracht in Auffsuchung

270:15 

derer Physicorum, und befunden, daß diese

thesis so klar sey, daß niemahls ein rechtschaffener

Philosophus dran gezweiffelt, so hat

mir es doch gantz nicht in Kopf gewolt, daß

meine Seele zu einer Zeit, wenn sie gantz

270:20 

und gar mit Haut und Haar in der kleinen

Fuß=Zehe sässe, und zugleich in Ohr=Läppgen

seyn solte. Eben so ist es auch mit der herrlichen

materia prima bey mir abgelauffen,

welche doch der wahrhafftige lapis Philosorum

270:25 

ist. Am allerschlimmesten aber ist

mir es mit denen qvalitatibus occultis gegangen.

Denn als ich versuchen wollen, ob

271 

es mir vielleicht besser von statten gehen wolte,

wenn ich selber etwas de meo erfände,

und zu dem Ende auf eine definitionem qualitatis

occultæ bedacht gewesen, habe ich nach

271:5 

dreytägiger meditation, da ich zwey Buch

Papier verschmieret und ein halb Schock Federn

verschrieben, anders nichts heraus bringen

können, als: Qualitas oculta est vocabulum eleganter

sonans, cujus vi Physicus ignoratiam suam

271:10 

obvelare, et in cautam juventutem occulte

pecunia emungere potest. Aber ich bin mit dieser

definition ankommen, daß ich bald darüber wäre zum

Atheisten gemacht worden. Endlich so hat

271:15 

es auch in der Philosophia Practica nicht mit

mir fortgewolt. Denn ich bin gleich Anfangs

bey dem genere stutzig worden, und bin so

ungläubig gewesen, daß, ob ich gleich augenscheinlich

gesehen, daß diese disciplin von allen

271:20 

pro prudentia ausgegeben worden, dennoch

mein Verstand so ungeschickt gewesen,

daß er gemeinet, es schicke sich dieser Titel

nicht für diese Philosophie weil der tractat

de Legibus & Consiliis darinnen mangele:

271:25 

Zugeschweigen, daß ich den gelehrten Streit

de summo bono, und de proportione Arithmeticâ

& Geometricâ für läppisch und unnützlich

272 

gehalten. Also, nachdem ich bey

dieser Bewandniß für keinen gelehrten passiren

kan, bemühe ich mich noch über dieses,

daß ich andern Leuten, auch denen, die als

272:5 

Gelehrte zu mir kommen, ihre Gelehrsamkeit

benehmen, und diese ignoranz beybringen,

auch sie dazu anhalten möge, daß sie in

dem wenigen, so ein Mensch durch seinen

Verstand begreiffen kan, allezeit einen rechten

272:10 

Grund suchen, im übrigen aber sich befleißigen,

wie sie bey Zeiten sich angewöhnen,

andern Leuten, von wasserley Zustand

sie auch seyn mögen, denen sie dermahleins

nach Unterscheid ihres Standes zu dienen

272:15 

Gelegenheit erlangen werden, ihren Nutzen

zu schaffen, und sich selbsten also zu guberniren,

damit man sie in gemeinen Leben

nicht auslachen möge. Gehab dich wohl.

 

273 

Polydor ein kluger Staats=Minister an

einem berühmten Teutschen Hofe hatte

den Gebrauch, daß er, wenn er sich an

denen Staats=Angelegenheiten

273:5 

abgemattet hatte, oder sich bey Uberhäuffung

derselben unlustig befunde, nicht, wie

sonst gewöhnlich, öffentliche Tafel

hielte, sondern in seinen Cabinet allein speisete,

und sich bey der Mahlzeit mit dem Gespräch

273:10 

zweyer von seinen Clienten, die er sich für andern

ausersehen hatte und selbige gerne um sich leiden

möchte, belustigte. Sie hiessen Clarindo und

Nicanor, und waren beyde gelehrte und verständige

Männer, die bey Hofe ihr Glück suchten, und

273:15 

Polydor als den vornehmsten Minister fleißig

auffwarteten, hatten auch unter einander eine vertrauliche

Freundschafft / ob sie gleich in ihren Wissenschafften

sehr unterschiedener Meinungen waren.

Denn Clarindo war ein wenig ein Sonderling,

273:20 

das ist, er folgte ohne Ansehen der Person

in Sachen, die durch die Menschliche Vernunfft

274 

begriffen werden können, seinem eigenen Kopffe,

und glaubte nichts, was man ihm immer vorsagen

mochte, wenn man ihme solches nicht mit starcken

Gründen bewiesen. Nicanor im Gegentheil

274:5 

hielte es mit denen lieben Alten, und achtete es für

Unrecht, daß ein Mensch unserer Zeit sich weiser

düncken lassen solte, als unsere Vorfahren, zumahl

bey denenselben in gemeinen Wesen und Hauß=Stande

alles so gut und glücklich von statten gangen

274:10 

als heute. Aus diesen Unterscheid dieser beyden

gelehrten Leute flosse ein anderer nicht geringerer,

daß Nicanor bey seinen Patronen sich mehr

mit liebkosen und schmeicheln, Clarindo hingegen

mit einer gemäßigten Kühnheit und Offenhertzigkeit,

274:15 

die doch mit gebührender Erweisung des gehörigen

respects vergeschellschafftet war, einzuschleichen,

und ihre Gunst zu erhalten suchten. Polydor

als ein weiser Mann, dem mit den betrüglichen

euserlichen Schein nicht viel gedienet war,

274:20 

sondern der vielmehr auf das innere sich gründete

liebte Clarindo wegen seiner Auffrichtigkeit mehr

als Nicanor; jedoch konnte er diesen auch wohl

vertragen, weil seine kleine Schmeicheley nicht so

wohl aus einem bösen Gemüthe, als aus einer natürlichen

274:25 

Furcht herrührete, indem er sich befahrte /

daß, wenn man höhern Leuten nicht in allen beyfiele,

man leicht ihre gute Gunst verlieren könnte.

275 

Zu dem so hatte er eine nicht geringe Vergnügung,

wenn er hörete, daß Clarindo und Nicanor

einander, mehrentheils wegen ihrer unterschiedenen

Meinung, widersprachen, und immer

275:5 

einer den andern zu überwinden suchte, jedoch mit

einer solchen Art, daß sie sich niemahls in ein Pedantisch

Gezäncke einliessen, und die Ehrforcht,

die sie Polydor schuldig waren, beobachteten.

Uber dieses war Polydor begierig von neuen Büchern

275:10 

Kundschafft einzuziehen, und giengen ihm

dißfalls Nicanor und Clarindo fleißig an die

Hand. Denn jener liesse sich es recht angelegen

seyn, und bemühete sich dem Clarindo vorzukommen,

weßwegen er bey dem Buchführer bestellet

275:15 

hatte, ihme, so bald etwas neues ankäme, davon

Nachricht zu ertheilen. Clarindo aber machte

sich diese Mühe nicht, sondern, weil er ohne dem

gewohnt war, für sich die Buchläden fleißig zu besuchen,

als erzehlte er hernach bey Gelegenheit dasjenige,

275:20 

so er darinnen merckwürdiges angetroffen

hatte, und ersetzte zuweilen den Mangel mit einen

Urtheil über diejenigen Bücher, die Nicanor

allbereit angeschafft hatte.

Es geschahe dannenhero, daß, als für wenig

275:25 

Wochen Polydor diese beyde zu sich hohlen liesse,

daß sie mit ihm auff den serviet speisen solten, Nicanor

bald bey den ersten Gerichte seine Gelegenheit

276 

ersahe zu Polydor zu sagen. Ich habe euerer

Excellence zwey neue Bücher mitgebracht,

welche der Herr Burnet wider den Frantzosen Varillas

verfertiget. Die Titel davon sind: Defence

276:5 

de la Critique du Neufieme Livre de

l' Histoire de Mons. Varillas. Und ferner:

Critique du 3. & 4. Volumes de l' Histoire de

M. Varillas en ce, qui regarde les affaire d'

Angleterre traduite de l' Anglois de Mons.

276:10 

Burnet A. Amsterdam 1688. in 12. Was betrifft

doch eigentlich der Streit des Varillas mit

Burnet? fragte Polydor; denn, wo mir recht ist,

so hat dieser allbereit eine Schrifft wider jenen herausgehen

lassen. Nicanor antwortete: Herr

276:15 

Burnet ist D. Theologiæ und bey dem vorigen

König in Engelland Capellan gewesen, und weil

er gute Proben seiner Gelehrsamkeit abgeleget,

und eine grosse Geschicklichkeit Historien zu schreiben

von sich spüren lassen; hätte die Clerisey

276:20 

des Königreichs Engelland keinen würdigern

Mann wehlen können als ihn, der auff ordre

des Königs die Historie der Kirchen=Reformation

in Engelland von Zeiten an Henrichs

des Achten geschrieben hätte, massen er denn

276:25 

auch dieses mühsame und gefährliche Werck mit

einer solchen Behutsamkeit für ein sechs oder sieben

Jahren sich unternommen, daß er das Lob und

277 

Billigung der gantzen Welt / hohen Danck von

der Geistlichkeit, und grosse Geschencke auf Seiten

des Königs davon getragen. Sein Buch ist

in kurtzer Zeit offte auffgeleget worden, und hat

277:5 

man solches in die Lateinische, Frantzösische und

Holländische Sprache übersetzet, auch in die

Teutsche wenn anders dem Franckfurtischen Catalogo

Glauben beyzumessen ist. Nichts desto

weniger gleichwie das Urtheil des gemeinen Volcks

277:10 

nicht allemahl auff guten Grunde fusset, also muß

man nicht meinen, daß eben daran das Verdienst

eines guten Buchs hange, wenn nicht die Wahrheit

und die Behutsamkeit, welches die nothwendigsten

Stücken einer Historie sind, solches nicht

277:15 

für sich über die andern erhebet. Denn dieses trug

sich mit denen Schrifften des Herrn Varillas zu,

welche er bißher in einer ziemlichen Anzahl heraus

gegeben. Dieser Autor, als er zuerst seine Historie

Carols des neundten Königs in Franckreich

277:20 

und bald hernach die Geschichte des

Königs Francisci des Ersten / ingleichen die

Minderjährigkeit Ludwigs des Heiligen,

nebst der Historie Ludwigs des Achten, und

Henrichs des Andern, Dann die verborgene

277:25 

Geschichte der Medicæischen Familie zu Florenz

voran schickte; betroge die gelehrte Welt

eine geraume Zeit, daß man darvor hielte, als

278 

wenn er ein Autor wäre, dem man billig Glauben

zustellen müsse, weil er sich fast überall rühmete,

daß er gute manuscripta und wichtige originalia

zu Verfertigung seiner Wercke brauchte,

278:5 

und er einer anmuthigen und bequemen Ordnung

sich bediente, auch überall gute Anmerckungen

mit untermischte, und die geheimsten Gedancken

und Rathschläge grosser Herren entdeckte.

Welches alles verursachte, daß sich niemand eingebildet

278:10 

hätte, daß ein Betrug darunter verborgen

wäre, und daß der Herr Varillas nur oben hin etliche

geringe Historien gelesen hätte, ohne sich die

Mühe zu nehmen, merckwürdige Geschichte wohl

zu untersuchen, oder eine genaue Ordnung in der

278:15 

Chronologie zu beobachten, und daß endlich die

originalia, von denen er so viel rühmens gemacht,

nirgend anders als in der Camerâ obscurâ

seines Gehirns anzutreffen wäre. Alleine

als er die ersten zwey tomos seiner Historie

278:20 

von denen Aenderungen, so in Europa, so

viel die Religion betrifft, vorgegangen, anno

86. herausser gabe; hat die gelehrte Welt

den Irrthum, in welchen sie bißher geschwebet,

bald gemercket. Die Herrn Collectores des

278:25 

Leipzigischen Journals bemerckten bald anfangs

einen hauffen Fehler, die der Herr Varillas,

so viel unser Land betrifft, begangen hatte, obschon

279 

die erste Aenderung der Religion nicht bey uns,

sondern in Engelland durch den Wicleff ware

vorgegangen. Dannenhero ware es eine rechte

Arbeit für den Herrn Burnet, der sich auch nicht

279:5 

lange säumete, ein Verzeichniß der gröbsten

fauten des Herrn Varillas, die er gemacht

hatte, als er das Englische Religions=Wesen

in dem neundten Buch seiner Historie

beschrieben, zu verfertigen. Diese Critique,

279:10 

die der Herr Burnet in Englischer Sprache

geschrieben, ist alsobald in das Frantzösische

übersetzet worden, und der Ubersetzer, der sich

doch nicht genennet, hatte eine Vorrede darzu gesetzet,

in welcher er sich bemühet darzuthun; daß

279:15 

der Herr Varillas kein Mann von guter Treu

und Glaube wäre, weil er schon vor geraumer

Zeit ein Buch von der Secte des Wiclefs, wiewohl

unter verdeckten Nahmen / ediret, welches

er auch fast gantz und gar in diese Historie mit eingeflickt,

279:20 

und nichts desto weniger etliche Oerter aus

demselben Buch, das Leben oder die Lehre des

Wiclefs und Johan Huss betreffende, darinnen

er ihrer beyder gar glimpflich gedacht hatte, in dieser

Historie entweder ausgelassen oder wohl gar

279:25 

geändert hätte. Der Herr Varillas verpaßte

einige Zeit diese harten Püffe, und wolte die Leute

bereden, daß er von denenselben ziemlich späte

280 

Nachricht erhalten hätte, aber endlich liesse er seine

Empfindlichkeit spüren, und nachdem er den

dritten und vierdten tomum seiner Historie

drucken lassen, kame auch seine Antwort wider

280:5 

die Critique des Herrn Burnets ans Tage=Licht,

die er dem Könige dedicirte. Ich habe solche

zwar nicht gelesen, aber es scheinet aus der gegenwärtigen

defension des Herrn Burnets,

daß die Antwort des Varillas dem Herrn Burnet

280:10 

von der impression, die er sich anfänglich von

ihm gemacht, nicht habe befreyen können. Und

gewiß, es muß ein artiger Mann seyn, daß er sich

unterstehet, seine groben Fehler mit der grösten

Unverschämigkeit zu vertheidigen, und noch ferner

280:15 

auff gewisse MSS sich zu beruffen, welche er

will dabey zu Rathe gezogen haben, ob es gleich

gantz offenbar ist, daß seine gantze Stütze ist die

Historie der Ketzereyen, welche Florimond

von Remond ein Parlaments=Rath zu Bourdeaux

280:20 

geschrieben, wiewohl viel kluge Leute dafür

halten, daß der Pater Richeome ein Jesuite

solches Buch verfertiget habe. Was aber absonderlich

die Englischen Sachen betrifft / hat dieser

so genannte Florimond seine Historie mit eines

280:25 

Schottischen Jesuiten des Sanders, der de

Schismate Anglicano geschrieben, seinen Vorrath

ausgespicket, und kan man solchergestalt sich

281 

gar leicht einbilden, was von denen gerühmten

Manuscriptis des Herrn Varillas man sich

versprechen dörffe. Der Herr Varillas hatte

in seiner Antwort unter andern Erwehnung gethan,

281:5 

daß die Schreib=Art des Herrn Burnets

sehr niedrig und gemein sey, über welches einfältige

Urtheil der Herr Burnet sehr spottet /

und damit er seinen Widersacher bezahlen möge,

so schertzt er durchgehends mit ihm wegen

281:10 

seiner ungeschickten Antworten, und handgreifflichen

Unwahrheiten, als welche gleichsam

ein Kennzeichen wären der hohen Redens=Arten

des Herrn Varillas, und vergleicht nicht unbillich

des Herrn Varillas seine Historie mit denen

281:15 

Romanen, indem er spricht, daß man

eben so wenig die Historie der Reformation

in des Herrn Varillas Schrifften werde antreffen,

als wenn man die Historie von Alexander

dem Grossen oder dem Käyser Augusto aus der

281:20 

Cassandra und Cleopatra lernen wolte. Ja

es wäre noch dieser merckwürdige Unterscheid

darunter, daß die Romane ihre erdichtete Erfindungen

auff die wahren Geschichte guter Historicorum

gegründet hätten, und durch dieselben

281:25 

kein Mensch leichtlich hintergangen werden

könte. So aber hätte der Herr Varillas

seinen Roman auf alberne Autores gegründet,

282 

und gebe seine Einfälle mit einer solcher angemaßten

Auffrichtigkeit für wahrhafftig aus,

daß er leichtgläubige Personen gar leicht betriegen

könne. Uber dieses so railliret der Herr

282:5 

Burnet den Herrn Coquelin überaus artig,

welcher seine approbation zu des Varillas

Schrifften ohngefehr auff folgende Weise mag

eingerichtet haben, daß des Varillas Bücher

nicht brauchten / daß sie recommendiret

282:10 

würden, weil der eintzige Nahme des Herrn

Varillas mehr geschickt wäre selbige in Hochachtung

zu bringen, als alle das Lob, das

man ihnen geben könte. Denn er spricht: er

könne sich nicht einbilden, was der Herr Coquelin

282:15 

für ein Mann seyn müsse, dessen approbation der

Herr Varillas zu allen seinen letzten Wercken

voransetzen lassen, und müsse er gedencken, daß

dieser nicht iemand anders erlangen könte, der

so leichte thäte, was er von ihm begehrete, und

282:20 

dannenhero müsse er sich wohl aus Noth mit diesem

eintzigen approbatore behelffen. Er könne

sich nicht anders einbilden, als daß der Herr

Coquelin ein tieffgelahrter Mann entweder in

denen Orientalischen Sprachen oder in denen

282:25 

mathematischen Wissenschafften seyn müsse.

Denn diese disciplinen wären der Historie am

meisten zuwider, und glaube er dannenhero,

283 

daß der Herr Varillas ihn deswegen aus der

gantzen Sorbonne ausgesucht habe, weil er von

dem, was in denen letzten Jahr hunderten vorgegangen

/ die wenigste Nachricht habe. Es könne

283:5 

auch wohl seyn, daß, als Herr Varillas seine

approbation begehret, der gute Mann gleiche

über einen schweren Problemate, dasselbige

auffzulösen / beschäfftiget gewesen, oder habe sich

den Kopff über einen Arabischen oder Sinesischen

283:10 

Manuscripto zerbrochen. Weil es denn insgemein

so herzugehen pflege, daß die Leute, welche

sich nur auff eine doctrin geleget, doch für

Universalisten wollen gehalten werden, so habe

auch der ehrliche Herr Coquelin gehofft, daß

283:15 

man ihn für einen guten Historicum werde passiren

lassen, wenn er des Herrn Varillas Bücher

approbirete. Er würde aber künfftig besser

thun, wenn er sich in diese Sachen nicht ferner

mischte, weil er sich gar zu bloß gebe, daß er von

283:20 

Historischen Sachen keinen Verstand habe. Ferner

so nutzt der Herr Burnet dem Herrn Varillas

dasjenige gar zu picquant auff was er vorgebracht,

als ihm der Herr Burnet vorgeworffen,

daß er alle seine Sachen aus dem Florimondo

283:25 

Reymondo ausgeschrieben habe, welcher Autor

gantz nicht für glaubwürdig zu halten wäre.

Denn an statt, daß er die Ursachen hätte andeuten

284 

sollen, warum er sich auf diesen Historicum

gegründet habe, so hat er nur dieses erwehnt:

Florimond habe Weib und Kinder

gehabt. Hier spottet nun der Herr Burnet und

284:5 

saget: es sey nicht leichte zu verstehen, worinnen

die Stärcke dieses arguments beruhe. Alleine

man müsse sich über den Verstand des gemeinen

Pöbels erheben, damit man diese hohe Beredsamkeit

des Herrn Varillas begreiffen könne.

284:10 

Wenn dieses ein Kennzeichen eines guten Autoris

wäre, daß man Weib und Kinder habe,

so könne man sich gewiß versichern, daß der

Herr Varillas weder Weib noch Kinder haben

müsse. Ja man könne sich auch dieses als ein neuen

284:15 

Arguments zu Behauptung der Priester

eben bedienen. Nichts destoweniger müsse er,

der Herr Burnet, gestehen, daß er als ein Mann

von gemeinen Verstande nicht begreiffen könne,

wie der Herr Varillas durch diese Ursache sey bewogen

284:20 

worden den Florimond für einen guten

Autorem zu achten, da er doch den Thuanum

nicht dafür wolte erkennen, ohnerachtet dieser

auch Weib und Kinder gehabt habe. Und gewiß,

diese Erfindung des Herrn Varillas kömmt

284:25 

mir recht lächerlich vor, und gemahnet mich eben,

als wenn einer einen andern, als einen Philosophum

Christianum wolte heraus streichen,

285 

weil er eine Frau genommen und Kinder gezeuget

habe; Aber wieder auff den Herrn Burnet

zu kommen, so erzehlet er unter andern einen

merckwürdigen Umstand von des Cambdeni

285:5 

Historie, welchen er zwar vorgiebt, daß er

in Engelland ziemlich bekannt wäre, doch halte

ich nicht dafür, daß derselbe bey uns vielen bewußt

sey. Als der Herr Thuanus in Willens

hatte seine General Historie zu schreiben, so correspondirte

285:10 

er fleißig mit denen Gelehrten in

gantz Europa, die ihm hierzu dienliche Nachricht

ertheilen konnten, er wechselte viel Brieffe mit

Cambdeno, und als dieser den ersten Theil seiner

Historie herausser gab, so machte ihn Thuanus

285:15 

aus, weil er befunde, daß seine Historie mit dem

nicht überein käme, was er an Thuanum

in seinen Brieffen geschrieben hatte, sonderlich

was die Königin Maria in Schottland betraff.

Hierauff entdeckte ihm Cambdenus die Wahrheit,

285:20 

daß nemlich der König Jacobus seine Historie

selbst durchsehen wollen, und habe solche

hernach unter die Hände des Graffen von

Northamton (dem Bruder des Hertzogs

von Norfolck, der eben wegen dieser Sache

285:25 

war enthauptet worden) gegeben, dergestalt,

daß man unterschiedene Sachen aus seinem

Buche heraus genommen, und noch mehr andere

286 

geändert hätte. Dieses hatte den Cambdenum

überaus verdrossen, und hatte sich dannenhero

entschlossen, damit es mit dem andern

Theil nicht auch so, wie mit dem ersten, gehen

286:5 

möchte, daß er denselben an den Herrn Thuanum

in Franckreich geschickt, damit dieser

ihn nach seinen Tode daselbst auffrichtig und

uncastrirt könte heraus geben, welches auch

hernachmahls geschehen u.s.w. Hiernechst

286:10 

gedenckt auch der Herr Burnet, daß die Frantzösische

Ubersetzung seiner Critique wohl

gemacht sey, und daß der Ubersetzer seine Gedancken

wohl exprimiret habe, aber daß man

dieselbe zum öfftern übel verstanden habe in der

286:15 

version seiner Brieffe von seiner Reise in

Italien. Womit er abermahln ohne Zweiffel

auf die Frantzösische Ubersetzung siehet. Was

würde er erst gesagt haben, wenn er die Teutsche

version derselben, so im vorigen Jahre zu

286:20 

Leipzig herausser kommen, verstehen, und des

artigen Funds berichtet sein solte, dessen man sich

bedienet, das Buch gangbar zu machen, daß

man auff den Titel gesetzt, als wenn insonderheit

eine nützliche Erzehlung des Ursprungs und

286:25 

Fortgangs der neuen Secte der Quietisten

darinnen enthalten wäre, da doch solches dem

Herrn Burnet nie in Sinn kommen, und die

287 

zwey Blätterchen, so von dem Molinos handeln

diesen prächtigen Titul nicht verdienen.

Endlich gedenckt auch der Herr Burnet, daß

ihm aus Engelland sey geschrieben worden,

287:5 

als wenn ein Autor, der wegen seiner Poesie

und anderer Ursachen willen beruffen ist, sich

bemühet habe des Herrn Varillas Historie in

die Englische Sprache zu übersetzen und schon

drey Monath daran gearbeitet habe, aber als

287:10 

er vernommen, daß des Herrn Butnets Critiqve

herausser kommen wäre, habe er seine

Arbeit liegen lassen, weil er gesehen, daß sein

Autor seine reputation verlohren habe. Wenn

er darvor halten werde, daß er dieselbe durch

287:15 

seine Antwort habe wieder erlanget, so werde

er seine Ubersetzung wieder vor die Hand nehmen

können. Denn dieses werde eben so ein

anmuthiger Zeit=Vertreib für diesen Poeten

seyn, als die Conversation die er erfunden

287:20 

zwischen denen Hindinnen, Panterthieren, und

andern Bestien, unter denen der Herr Varillas

gar leichte für einen guten Historicum

passiren könte. So wäre auch dieses seine

Historie und das Poëma des andern (in welchen

287:25 

er vielleicht auff den Herrn Burnet mag gestichelt

haben) zwey so auserlesene Sachen

in ihren Geschlechte, daß nichts geschickters

288 

seyn könne, als wenn der Autor der allerübelst

ausgesonnenen Erfindung ein Ubersetzer

würde der allerschlimmesten Historie dieser

Zeit. Wenn sein Verstand und seine Frömmigkeit

288:5 

gleichförmig zu nehmen, so würde man

kaum finden können / daß er viel gewonnen habe,

an dem Wechsel, den er gemacht habe, weil er

als ein Mensch von keiner Religion eben zu

der allerbösesten getreten sey. Es sey zwar

288:10 

wahr, daß er etwas reputation gehabt, die er

habe verlieren können, so viel den Verstand

betrifft, allein seine Sitten belangende, so wäre

es fast unmöglich, daß er leichtfertiger werden

könte, als er sey. Er habe vor kurtzer Zeit

288:15 

seine üble Neigung wider den Herrn Burnet

herausbrechen lassen, weil er Ursach gewesen,

daß seine drey monatliche Arbeit für die Hunde

gangen. Aber er habe doch dem Herrn Burnet

alle Ehre angethan, die er sich zu ihm hätte versehen

288:20 

können, nehmlich daß er ihn auff eine

Satyrische Weise durchgezogen habe. Wenn

nun der Herr Burnet recht böse wäre, daß er

ihm was übles wünschen wolte, so wolte er nur

wünschen / daß er seine Ubersetzung zu Ende

288:25 

bringen müste. Denn da würde man sehen,

ob die Englische Nation, welche der beste Richdie

in dieser Streitigkeit wäre, würde das Urtheil

289 

für den Herrn Varillas oder für den Herrn

Burnet sprechen. Es werde zwar hierbey der

Ubersetzer der Historie des Herrn Varillas etwas

auszustehen haben, aber dieses werde ihn

289:5 

verhindern / daß er keine andere Thorheiten

vornehmen werde. Und wenn er auch gleich

durch diese Ubersetzung keine Ehre werde davon

tragen, so werde er doch zum wenigsten nicht so

viel dabey verlieren, als er an Verfertigung seines

289:10 

letzten Werckgens verlohren habe. Der

Herr Burnet nennet zwar den ehrlichen Mann

nicht, den er bißher so gelobet, ausser mit denen

ersten Buchstaben M. D. aber es ist aus denen

Frantzösischen Zeitungen vorigen Jahres bekannt,

289:15 

daß er auff Masteu Dryden ziele, welcher

sonst den Ruff hat, daß er ein guter Englischer

Poët sey, der bey Leb=Zeiten des vorigen Königs

unterschiedene Comœdien und Operen verfertiget,

bey Regierung des ietzigen aber einer

289:20 

mit von denen ersten gewesen, der sich zu der

Römischen Religion begeben. In Summa,

Dieses gantze Werckgen des Herrn Burnets

ist durchgehends anmuthig zu lesen, weil er überall

sich einer temperirten, jedoch scharffen und gelehrten

289:25 

raillerie wider den Herrn Varillas bedienet.

So hat auch der Frantzösische Ubersetzer

in einer kleinen Vorrede dem Herrn Varillas

290 

kurtz beantwortet, welcher sich ebenmäßig

wieder diesen entschuldigen wollen, daß er

nicht der Autor der Historie von des Wiclefs

Secte wäre, welche kahle Entschuldigungen

290:5 

der Ubersetzer kürtzlich, doch gründlich widerleget.

Ich habe mich vielleicht etwas zu lange

in Referirung der ersten Schrifften des Herrn

Burnets auffgehalten, aber Euere Excellence

290:10 

werden solches nicht übel deuten, weil ich weiß,

daß sie in dem Stück was ad cognitionem autorum

gehöret, curieus sind, auch an denen

Schrifften, in welchen ein gelehrter Schertz mit

untergemischt ist, für andern einen Gefallen haben.

290:15 

Ich sage den Herrn Danck für die Mühwaltung,

antwortete Polydor, und erwarte, was

er von dem andern Tractætgen des Herrn Burnets

noch zu sagen hat. Doch wird er sich um sein

selbst willen hierbey etwas mehr der Kürtze befleißigen

290:20 

müssen, damit er nicht bey der Mahlzeit

zu kurtz komme. Ich werde ohne dem hier

wenig zu sagen haben, begegnete Nicanor, weil

der Herr Burnet hier ein wenig mehr ernsthafft

geschrieben, und diejenigen Fehler, so der Herr

290:25 

Varillas in seinen dritten und vierdten tomo wider

die Englische Geschichte in vielen Stücken

291 

begangen, angemerckt und nachdrücklich widerlegt.

Und zweiffele ich nicht, es werden die Acta

Eruditorum, die Eure Excellence ohne dem

kriegen, weitläufftiger davon reden. Nichts

291:5 

destoweniger verweiset der Herr Burnet hier anfänglich

dem Herrn Varillas seine Thorheit

ziemlich scharff, daß, da andere Frantzosen ihren

König mit denen vornehmsten Helden zu vergleichen

suchen, er eine Erfindung gebraucht,

291:10 

den König zu loben, indem er ihn mit einer Frau

und zwar mit der Schottischen Königin Maria,

so viel die Reformation des Religion=Wesens

betrifft, verglichen. Er weiset ihm auch, das

nicht allein diese schmeichlerische Vergleichung

291:15 

übel ausgesonnen sey, sondern daß selbige nicht

einmahl mit der Wahrheit übereinkomme. Nach

diesen bemerckt er, daß zwar der Herr Varillas

in den dritten tomo sich auff keinen andern autorem

in Erzehlung der Englischen Sache beziehe,

291:20 

als auf des Ertz=Bischoffs zu Ragusa Lebens=Beschreibung

des Cardinals Polus, er

beweiset aber gar wahrscheinlich, daß dieses Buch

wohl nicht auf dem Erd=Boden anzutreffen sey,

und thut dar, daß der Herr Varillas abermahl ein

291:25 

greuliches versehen, wenn er seine einfältige Gedancken

wegen des sonst bekannten Buchs des Petri

Martyris, welches den Titul Locorum

292 

Communium führet, eröffnet. Die Hauptschnitzer

aber / die der Herr Varillas wider die

Englische Historie abermahls begangen, sind nicht

mehr als 77. wiewol deren etliche so beschaffen, daß

292:5 

manchmahl in Erzehlung eines facti der Herr

Varillas sich wohl auff zehen biß zwölfferley Weise

geirret hat, endlich sind die Worte sehr nachdencklich,

womit der Herr Burnet dieses Werck

beschliest: Wer was ungemeines, spricht er,

292:10 

und sonderliches sehen will, der soll nach

Pariß reisen um den Herrn Varillas zu

sehen, und seine Mine und Physiognomie

ein wenig betrachten, denn es sey in Wahrheit

ein Mensch von so einer sonderbahren

292:15 

statur, daß er nicht glaube, daß man seines

gleichen in der gantzen Welt antreffen werde

oder jemahls angetroffen habe. Es kan

also nicht fehlen, der Herr Varillas muß ein

popantz seyn, damit man die Kinder zu fürchten

292:20 

macht.

Hiermit endigte Nicanor, und Clarindo

brachte ihm eins auf Polydors beständiges Wohlergehen.

Nachdem er das Glaß ausgeleeret, setzte

er hinzu: Ich bin von Hertzen erfreuet / daß der

292:25

Herr Bruder einmahl einen Historischen Discours

auff die Bahn gebracht, weil ich mich

293

sonst gefürchtet er werde seiner löblichen Gewohnheit

nach, etwan den armen Ramum, Cartesium

Hobbesium, oder andere Novatores anpacken,

und mich, das Lob des niemahls irrigen

293:5

Herrn Aristotelis anzuhören, heraus fordern,

welches mir heute recht ungelegen kommen wäre,

weil mir der Kopff ohne dem wehe thut, und ich

durch Geschäffte bin verhindert worden, daß ich

mich zum Streit nicht recht geschickt habe machen

293:10

können. Fängt der Bruder schon wieder an,

antwortete Nicanor, er wird mir verzeihen, daß

ich mich ietzo noch nicht einlasse, weil ich wohl mercke,

daß er mich nur um meine Mahlzeit bringen

will. Der Herr hat indessen, weil ich mir es

293:15

habe lassen sauer werden, brave drauf gehauen,

und wird er mir also auch Zeit gönnen, daß ich

nachkomme. Es ist wahr, redete Polydor darzwischen,

der Herr gehet mit dem Herrn Nicanor

ein wenig zu hinterlistig um. Hat er mir denn

293:20

nicht auch was neues zu erzehlen, was er bißher in

denen Buch=Läden angemerckt? Clarindo antwortete:

kan einer doch für Nicanor zu nichts

sommen? weil er mir alles für dem Maul wegnimmt.

Denn ich hatte eben auch in willens des

293:25

Herrn Burnets seine zwey Bücher zu referiren,

und meinete, es wäre nach dem ersten Gerüchte

Zeit genug, wenn ich damit angestochen

294

käme. Aber Nicanor ist mir ein wenig zu gefährlich,

und hat allbereit alles das gesagt, was ich

zu sagen willens war. Es ist solches wohl nicht

wahrscheinlich, lächelte Polydor, daß ihr beyde

294:5

eben soltet einerley excerpta aus einem Buche

gemacht haben, zum wenigsten hat Herr Nicanor

dem Herrn Materie genug übrig gelassen von

dem andern Tractätgen des Burnets etwas zu

erzehlen, weil er solches nur obenhin referiret

294:10

hat. Eurer Excellence ist aber bestens bekannt,

versetzte Clarindo, daß ich von ernsthafften Sachen

noch weniger halte als Nicanor und können

dannenhero leicht abnehmen, daß weil Nicanor

die weitläufftige Erzehlung dieses Buchs wegen

294:15

seiner Ernsthafftigkeit unterlassen, ich ebenmässig

aus demselben nicht mehr, als Nicanor allbereit

referiret, auffgezeichnet habe. Das sind

die rechten Endschuldigungen, begegnete Nicanor,

zum wenigsten kommen sie dem Bruder nicht

294:20

sauer an, weil er sie gleich aus der Lufft erschnapt.

Der Herr verzeihe mir, antworte Clarindo,

das heist auff Hochteutsch einen Lügen gestrafft.

Ich will ihm aber wohl weisen, wenn er mich böse

macht, daß ich auch ein belesener Mann bin

294:25

und ihrer Excellence etwas aus einem Buche

hersagen kan, wenn dieses ja so eine grosse That

ist. Vielleicht aus einem Roman, sagte Nicanor,

295

denn die lieset der Herr Bruder doch am

fleißigsten. Vielleicht auch nicht, wiederredete

Clarindo. Ich mercke wohl, daß der Herr

Bruder zuvor auff mich gestichelt hat, als er

295:5

des Herrn Burnets seine Critique wider den

Herrn Varillas referiret, indem jener dieses

seine Historie mit denen Romanen vergleicht.

Denn ich habe solches aus seiner höhnischen Mine

die er mir dabey gemacht, abnehmen können. Aber

295:10

wir wollen zu seiner Zeit von dieser Materie

schon weiter reden. Ich lese auch wahrhafftige

Historien, und habe ihrer Excellence

etwas zu referiren von einem Historischen

Buche, das nur neulich bey uns angekommen,

295:15

wiewohl es zu Pariß Anno 83. gedruckt

ist. Könte es nicht etwas älter seyn? fragte Nicanor.

Ich wundere mich über meine Gedult,

antwortete Clarindo. Der Bruder zwackt mich

zu offte, er komme mir nicht noch zweymahl so, sonst

295:20

werde ich mich nothwendig verantworten müssen.

Ein alt Buch, das bey uns noch nicht bekannt,

ist ja so curieus, als ein neues, das bey

uns heraus kommen. Kennt der Herr Bruder

den Herrn de Prade wohl? Wer wolte diesen

295:25

Cavallier nicht kennen? sprach Nicanor. Der

Bruder wird vielleicht die Genealogie der

Könige in Franckreich, die dieser Autor unter

296

den Nahmen des Duc d' Espernon heraus gegeben,

oder seine Frantzösische Historie wo auffgetrieben

haben. Er wird aber zu späte damit

einkommen, weil dieser Autor bey uns schon eine

296:5

geraume Zeit bekannt worden, nachdem ein Autor

Anonymus für einem Jahre den Pradium

refutiret hat, auch Ihre Excellence mir allbereit

auffgetragen haben, diese beyden Bücher

des Pradii zu verschreiben. Wenn ich zu spät

296:10

einkomme, versetzte Clarindo, so übereilet sich

der Bruder in etwas. Denn gesetzt, daß ich eine

von diesen beyden Schrifften des Pradii meinete,

würde ich doch früher kommen, als der Herr Nicanor,

wenn ich dieselben schon angeschafft hätte,

296:15

ohnerachtet Ihre Excellence mir nichts auffgetragen,

da vielleicht sein Buchführer noch nicht

deshalben in Franckreich geschrieben hat. Aber

mich dünckt, es habe auch der Herr Prade eine

Teutsche Historie geschrieben. Wie wolte der

296:20

ehrliche Mann als ein Frantzose dazu kommen?

sprach Nicanor, hatte er doch Fehler genug in

seiner Frantzösischen Historie begangen. Der

Autor Anonymus gedenckt nur dieser zwey

Bücher, die ich erzehlt, und wird sich der Herr

296:25

Bruder vielleicht irren.

Ich muß doch darnach sehen, was ich in

mein Schreib=Täffelgen eingezeichnet habe, sagte

297

Clarindo, hiermit zoge er dasselbe hervor und

laß daraus her: Histoire d' Allemagne

ancienne et nouvelle, contenant l'origine,

les moeurs, les richesses, les coutumes, les

297:5

Gverres et la religion des peuples; la

fondation et la description des Villes

Imperiales, la Politiqve, le Gouvernement et les

interests des Princes et des Electeurs, et

la Vie de tous les Empereurs jusq'à

297:10

Leopold, qui regne à present, par M. de

Prade. A Paris chez Augustin Besoigne 1684.

in 12. Also siehet der Herr Bruder / daß ich mich

nicht geirret habe. Ich habe dieses Werckgen

für zweyen Tagen in Buchladen gefunden, und

297:15

weil ich mich nicht entsinnete von solchen sonst

gehört zu haben, auch mir gar wohl bekannt war,

daß der Autor Anonymus, der den Prado refutiret,

dessen nicht erwehnet, als habe ich aus

curiosität dasselbe mit nacher Hause genommen

297:20

und durchgeblättert. Es werden ohne Zweiffel

viel tomi seyn, redete Polydor darzwischen,

weil aus den Titel zu ersehen, daß der Autor

von allen Denckwürdigkeiten und wichtigen

Sachen sein Buch anfüllen wollen. Die Frantzosen,

297:25

antwortete Clarindo, sind von herrlichen

Erfindungen, zum öfftern grosse Titul und kleine

Bücher zu machen, oder, daß ich deutlich rede,

298

das viele, so sie auff dem Titel versprechen

mit kurtzen Worten hernach von sich zu geben,

daß der Leser manchmahl nicht weiß, wie es zugehet.

Und also bestehet auch die Historie in 2.

298:5

kleinen tomis. Desto mehr verlanget mich

dieses Buch zu sehen, sagte Polydor. Es stehet

solches zu Eurer Excellence Diensten, wiederredete

Clarindo, iedoch werden mir dieselbe gnädigst

erlauben, daß ich den kurtzen Innhalt, samt

298:10

dem wenigen, was ich dabey in Acht genommen

erzehlen möge. Als nun Polydor dißfalls dem

Clarindo seine Gefälligkeit zu verstehen gegeben

fuhr dieser fort. Der Anonymus, so wider

den Mons. de Prade geschrieben, giebt vor, daß

298:15

er mit dem Vornahmen Ludwig Royer heisse,

in diesem Buch aber hab ich befunden, daß zwar

auff dem Titul er nur schlecht weg M. de Prade

genennet werde, in dem Koniglichen ertheilten

Privilegio aber wird er le Sieur Royer de Prade

298:20

tituliret, und ist also daselbst der Nahme Ludwig

ausgelassen. Die Vorrede, so der Herr Prade

über dieses Werck gemacht, ist sehr kurtz und also

auch gut, wenn alles kurtze gut ist. Er beschreibet

erstlich mit wenig Zeilen die Veränderungen,

298:25

so mit dem Teutschen Reich von langen

Zeiten biß ietzo vorgegangen, und setzet zu Ende

derselben, daß unterschiedene Provincien von

299

Ihren eigenen Königen wären unterdruckt,

hingegen aber von einen fremden Monarchen,

der in zwey Jahren verrichtet hätte, was die

Römischen Käyser in 4. Seculis nicht hätten

299:5

thun können, wären befreyet und bey nahe

eingenommen worden. Womit der Herr Prade,

deucht mir, wohl verdienet hätte, in des Herrn

Amelot de la Houssaye seinen tractat de la

Flatterie eine gute Stelle zu kriegen. Hernach

299:10

beschweret er sich, daß fast keine Autores wären,

von welchen man die Teutsche Historie füglich

lernen könte, indem etliche und unter denenselben

der vornehmste unter Ihnen Lehmann, Teutsch

geschrieben hätten, und solcher Gestalt fremde

299:15

wären, die man in Franckreich nicht verstünde,

andere aber wären entweder gar zu weitläufftig,

oder gar zu kurtz, und machten entweder viel Mühe

zu lesen, oder gäben wenig deutliche Nachricht.

Deshalben habe er gemeinet dem gemeinen

299:20

besten einen guten Dienst zu leisten, wenn er dieselbe

in eine rechte Mittelmasse brächte, und

dasjenige, was hin und wieder in denen Teutschen

Historicis oder in denen Registern des

Reichs, (was er hiemit meine, bekenne ich meine

299:25

Unschuld:) oder in denen Archiven der Reichs=Fürsten

und Reichs=Städte, zerstreuet wäre, zusammen

sammlete, und solches in Frantzösischer

300

Sprache herausgebe. Es muß doch ein braver

Mann seyn, sagte Polydor, weil er seine Historie

aus denen Archiven und Chronicken (denn ich halte

dafür, daß er diese durch die Reichs=Register

300:5

verstanden habe;) zusammen getragen. Multa

dicuntur, antwortete Clarindo, quæ non fiuntur.

So viel ich darinn geblättert, düncket mich,

daß die Archieven, die der Herr Prade gelesen und

untersucht hat, zu denen MSS. des Herrn Varillas

300:10

in einen Band gebunden seyn. Was in dem

ersten Theil gutes ist, das hab ich meines Behalts

meistens in Lehmanno gelesen. So hat

auch der Herr Prade sich die Freyheit genommen,

keinen Autorem zu citiren, ausser daß ich

300:15

gesehen, wie er sich ein paarmahl in dem Text auf

dem Herrn Conring, wiewohl ohne allegirung

des Ortes oder Buchs beziehet, und etliche mahl

den Monzambano ad marginem citiret hat.

Sonsten bestehet das erste Theil in welchen er von

300:20

dem alten Teutschen Reich handelt, in zehen

Capiteln, deren erstes tractiret von denen Aenderungen,

so im Römischen Reich vorgegangen;

das andere von dem uhralten Teutschen Reiche;

das dritte, von denen Teutschen provincien,

300:25

die unter der Römer Bothmäßigkeit gerathen;

das vierdte von dem Teutschen Reich Austrasien,

wo er die Lebens=Beschreibung der

301

Fränckischen Könige und Teutschen Käyser von

Carl dem Grossen biß auff das grosse interregnum

mit anhänget. In dem fünfften Capitel

handelt er von der Regiments=Form des alten

301:5

Teutschlandes unter denen Merovingis, Carolovingis,

und Teutschen Käysern; in dem sechsten,

von denen alten Prälaten und der Geistlichkeit;

in dem siebenden von denen Fürsten und weltlichem

Adel; im achten von dem Volck und Städten

301:10

des alten Teutschlandes; im neunten von denen

öffentlichen Versammlungen, und im zehenden

von denen Sclaven und Lassen. Eben in so viel

Capitel ist auch der andere tomus, allwo er das

heutige Teutschland betrachtet, eingetheilet, deren

301:15

erstes entwirfft dessen Zustand ingemein; das

andere handelt von Römischen Käysern; das

dritte von denen Chur=Fürsten; das vierdte von

denen Ertz=Hertzogen in Oesterreich, Hertzogen

von Burgund und denen geistlichen Fürsten;

301:20

das fünffte von denen weltlichen Fürsten; das

sechste von freyen Reichs=Städten; das siebende

von denen unmittelbahren Reichs=Unterthanen,

die keine Reichs=Städte seyn, und von der Reichs=Ritterschafft;

das Achte von dem Cammer=Gericht,

301:25

Austrägen, Reichs=Hoffrath und Käyserlichen

geheimen Rath; das Neunte von der Regiments=Form

des Römischen Reichs Teutscher

302

Nation, und endlich beschreibet das Zehende das

Leben der Teutschen Käyser nach dem interregno

von Rudolpho dem ersten biß auff ietzo regierende

Käyserliche Majestät. Zu dem andern

302:5

Theil, siehet man aus vielen Umständen, daß er

etliche von denen neuesten Publicisten muß gebraucht,

und dieselben ausgeschrieben haben, wiewohl

es öffters ohne judicio geschehen. Und habe

ich mich sehr gewundert, daß, da er sonsten die

302:10

materias Juris publici noch so ziemlich berühret,

er von denen Zusammenkünfften im Reich,

als Reichs=Tägen, Chur=Fürsten=Tägen u.s.w.

gar nichts angeführet hat, und halte ich dafür,

daß, weil, wo mir recht ist, auch etliche von unsern

302:15

Publicisten diese Sachen kurtz berühren,

ihme gewiß solche unter die Hände müssen gerathen

seyn, und es also dem ehrlichen Mons.

Prade gangen ist, wie jenem Bauer=Comœdianten,

dem Herr Peter Squenz nichts mehr

302:20

auff seinen Zettel geschrieben hatte. Ich glaube

dannenhero, daß die Frantzosen schon unter sich

bessere Nachricht vom Teutschen Reich haben,

und daß diese Historie dem Verleger nicht gar

grossen Vortheil bringen wird. Es scheinet auch,

302:25

als wenn der Autor selbst nicht eben in sonderlichen

Beruff müsse in Franckreich seyn.

Denn der Verleger hat zu dem andern tomo

303

dieses Buchs mit drucken lassen, daß der Herr

Prade auch Historiam Galliæ geschrieben,

und er dieselbe verleget habe, woraus es ebenfalls

das Ansehen gewinnen will, als ob nicht gar zu

303:5

grosse Nachfrage nach dieser Frantzösischen Historie

seyn müsse, und der Verleger noch viel exemplaria

davon übrig habe, und sich zweiffels

ohne erfreuen wird, wenn unser Buchführer,

auf Nicanors Ordre, an ihm um ein exemplar

303:10

schreiben wird. Wiewohl Eure Excellence

ihm die Freude versaltzen könnten, wenn sie dem

Buchführer liessen mit nechster Post nach Pariß

schreiben, daß sie sich anders resolviret hätten,

und die schönen Opera nicht begehreten. Es

303:15

würde sodann dem guten Herrn gehen, wie für

etlichen Jahren einen Buchführer in L. Dieser

hatte unter andern in seinen Buchladen etliche

Tractate und Tabellen von einem Professore

zu J. welche, weil sie meistentheils aus andern

303:20

ausgeschrieben waren, niemand begehrete.

Nun trug sichs zu, daß einsten ein feiner erbarer

Mann in den Buchladen kam, und fragte

ob der Buchführer nicht des Herrn H. seine

Schrifften hätte. Der Buchführer antwortete

303:25

mit ja, und freuete sich, daß er einmahl einen Käuffer

darzu bekäme, langete auch solche alle mit einander

herfür. Der Fremde fragte, ob sie auch wol

304

abgiengen? der Buchführer meinte, wenn er solches

vermeinte, würde der Käuffer abgeschreckt

werden. Deshalben rühmte er den guten Abgang

sehr, und versicherte den Fremden, daß dieses

304:5

das letzte Exemplar wäre. Nun, sagte der

Fremde, es ist mir doch lieb zu vernehmen, denn

der Herr muß wissen, daß ich, ohne Ruhm zu

melden, der Autor davon bin. Wer war übler

zufrieden, als der arme Buchführer, der zwar

304:10

Ihrer Excellenz ein Gegen=compliment

machte, aber ich weiß wohl, was er in seinem

Hertzen gedachte. Jam fiat applicatio. Ich

weiß nicht, begegnete Polydor, ob der Herr nicht

dem guten Mons. Prade zuviel thut. Denn die

304:15

wenigen Fehler, die er bißher erzehlet, verdienen

so eine scharffe censur noch nicht. Eure

Excellence reden gar recht, sprach Nicanor,

und ich wolte drauf wetten, daß Clarindo nur

mir zum Possen den Prade so herunter macht,

304:20

weil es ihm verdreust, daß Eure Excellence

mir die commission aufgetragen diesen Autorem

anzuschaffen. Zum wenigsten hat er noch

keinen Haupt=Fehler, den der Herr Prade begangen

hätte, angemerckt. Wenn ich dem

304:25

Herrn Bruder damit dienen kan, beantwortete

Clarindo, will ich es von Hertzen gerne thun,

und etliche wenige Schnitzer, die ich nur in lectione

305

curiosa in Acht genommen, erzehlen.

Ich weiß nicht aus was für einem Archivo er

die Sitten der heutigen Teutschen muß hergenommen

haben, die er im andern Theil p. 3. also beschreibet:

305:5

Die Männer sind zuförderst wegen

ihrer Treu und Tapfferkeit, und die Weiber

wegen ihrer sonderbahren Keuschheit zu rühmen.

Sie sind ordentlich zu der Music gleichsam

gebohren, und lieben die Künste und

305:10

Wissenschafften sehr. Wenn sie auch studieren,

so geschiehet es mit einer solchen

beständigen Begierde, daß sie dadurch

hinter die allerverborgensten Geheimnisse

kommen. Wenn sie sich verheyrathen,

305:15

sehen sie auff die Gleichheit des Standes,

und nicht auf Reichthum, lassen sich auch

den Geld=Geitz nicht so beherrschen, daß sie

den Adel= und Bürger=Stand mit einander

vermischen solten. Aber bey diesen allen

305:20

sind sie dem Wein sehr ergeben, und achten

die Religion so wenig, daß sie dieselbige ohne

Mühe nach dem Wohlgefallen ihrer Ober=Herrn

ändern. Wie gefällt dem Herrn Bruder

diese recommendation? Nicanor sagte:

305:25

Wenn das letzte von der Religion nachblieben

wäre, hätte ich in dem übrigen nicht viel zu erinnern.

306

Wir Gelehrten, sprach Clarindo, sind,

sehe ich wohl, unterschiedener Meinung. Ich

hätte viel zu erinnern. Zum wenigsten weiß ich,

daß, obwohl des Herrn Bruders Liebste dem

306:5

Herrn Prade sehr verbunden ist, wir beyde

doch in puncto der Music uns für keine Teutschen

ausgeben dürffen. Oder meint der Herr

Bruder, daß, wenn er seine Stimme wolte hören

lassen, die des Müllers Nachtigall, und der

306:10

Lerche, so denen Bauern auff die Kühe huckt,

nichts nachgiebet, und ich schlüge auff den

Brummeisen darzu, daß wir uns wohl unterstehen

dürfften, eine Ehren=Music zu bringen? Ich

glaube wir würden es dem Orpheus zuvor thun,

306:15

weil zweiffels ohne die Steine aus denen Kammer=Fenstern

um unsern Kopff herum tantzen

würden. Nicanor hätte dieser Schertz bey nahe

verdrossen, weil sonderlich seine Liebste ein wenig

im Geschrey war, daß sie extra gienge. Derohalben

306:20

brachte Clarindo, der solches merckte,

gleich etwas anders auff die Bahn. Hiernächst,

sprach er, hab ich auch angemerckt, daß der Herr

Prade pag. 44. sich darinnen sehr geirret, wenn

er vorgiebet, daß die weltlichen Chur=Fürsten

306:25

Ihre Lehen nicht unmittelbahr von dem

Reich empfingen, sondern von dem Bischoff

von Bamberg dieselben nechst ihren Reichs=Aemtern

307

erhielten. Dieser Irrthum, redete

Polydor dazwischen, ist dem Herrn Prade als

einem Ausländer noch zu gute zu halten, weil

denselben sehr viel von den Teutschen Publicisten,

307:5

sonderlich denen Alten, begangen haben. Aber

diesen Fehler kan ich ihm doch nicht zu gute

halten, fuhre Clarindo fort, den er begangen,

wenn er p. 143. sqq. seine Gedancken von der

Regiments=Form des Römischen Reichs eröffnen

307:10

will, wie wohl er fast dasselbe gantze Capitel aus

dem Monzambano herausgeschrieben hat. Denn

er sagt, daß es bey nahe ein monströser Staat

wäre und ein confuser Mischmasch gantz widerwärtiger

Stücken. Das ist auch die Meinung

307:15

des Monzambano begegnete Nicanor,

wie kommt es aber, daß der Bruder, der bißher

allezeit des Monzambano Lehre defendiret,

ietzo solche für einen Fehler hält. Es muß ihm

ein grosses Licht aufgegangen seyn, daß er die

307:20

rechtgläubige Meinung de Mixtura Monarchiæ

& Aristocratiæ einmahl angenommen

hat. Ey der Herr Bruder läst mich nicht ausreden,

antwortete Clarindo, Monzambano hat

die Regiments=Form im Reich wohl mit einem

307:25

monstro verglichen. Aber ihr Herren Peripatetici

habt ihm das Wort höher aufgemutzt, als

seine intention gewesen, weil er seine Meinung

308

deutlich genug heraus gesagt, daß er es für

eine irregulaire Form halte, die zwischen dem

Staat einer Monarchie, und dem Cörper vieler

vereinigten Republiqven gleichsam zwischen

308:5

innen schwebe. Und hierinnen hat Monzambano

recht, und weiß ich von keinen grossen

Licht, das mir dißfalls aufgegangen wäre,

weil ich alle eure Schrifften, die ihr dem Monzambano

entgegen gesetzt, gar nicht für grosse

308:10

Lichter, sondern kaum für kleine Schmeerkertzgen

halte. Alleine wolt ihr Herrn Ehre einlegen

und eure politische Regeln an einen Mann

bringen, so bindet mit dem Herrn Prade an,

der hat wahrhafftig einen Mischmasch aus dem

308:15

Römischen Reich gemacht, den kein gescheueter

Mensch wird können passiren lassen. Ihr Herren

macht sonsten viel Rühmens, was das für eine selige

Regiments=Form seyn würde, wenn die Monarchie,

Aristocratie, und Democratie mit einander

308:20

vermischt würden, und spintisiret das Werck

so subtil aus, wie solcher gestalt die Regalia auszutheilen

wären, daß mich wundert, wie es kömmt,

daß der König aus Utopien die Herren nicht lange

zu seinen geheimen Räthen gemacht hat. Nichtsdestoweniger,

308:25

wo mir recht ist, so gestehet ihr selbsten,

daß dergleichen seliger Zustand eines Regiments

in diesem Leben mehr zu wünschen, als

309

zu hoffen wäre. Herr Prade aber ist glückselig

in seinen Erfindungen. Denn ich glaube nicht,

daß er sich den Kopff sehr drüber zubrochen habe,

und dennoch hat er die Meinung herrlich ausgeführet,

309:5

daß das Römische Reich eine gemischte

Form von der Monarchie, Aristocratie und

Democratie sey. Und von der Democratie?

schrie Nicanor überlaut. Und von der Democratie,

antwortete Clarindo. Damit der Herr

309:10

Bruder nun nicht meine, als ob ich dem Herrn

Prade unrecht thäte, will ich ihm den extract von

des Prade seinen Worten sagen. Er spricht:

Man müste grosse Mühe anwenden, die

Regiments=Form, so im gantzen Teutschland

309:15

beobachtet wird, zu beschreiben. Denn

es wäre keine Democratie, obgleich alle Bürger

des Reichs darzu gezogen würden, auch

daselbst ihren Sitz und Stimme hätten, weil

nemlich die vornehmsten von diesen Bürgern

309:20

souveraine Potentaten wären. Es wäre

auch keine Aristocratie obwohl der Käyser

und die Fürsten daselbst die Oberstelle hätten,

weil keine Gleichheit unter ihnen wäre,

und das Volck auch davon nicht ausgeschlossen

309:25

wäre. Endlich wäre es auch keine absolute

Monarchie, weil der Käyser das wenigste

ohne die Stände thun könte. Deshalben

310

habe auch Heinrich der Grosse, König in

Franckreich den Titul eines Römischen Käysers,

und den Titul eines Hertzogs von Venedig

mit einander verglichen, und gesagt: Er

310:5

begehrete das Römische Reich nicht einmal

wenn man es ihm nicht auf diese Art übergeben

wolte, wie es Carl der Grosse besessen.

Dannenhero wäre das Römische Reich aus

allen diesen dreyen Regiments=Formen zusammen

310:10

gesetzt, und wäre eines Theils Democratisch,

weil das Volck darzu gelangen

könte, eines Theils Aristocratisch weil die

Chur= und Fürsten daselbst die gröste autorität

hätten, eines Theils aber Monarchisch,

310:15

weil in regard des gantzen Reichs die Stände,

ohne dem Käyser nichts thun könnten.

Nun gewiß, redete Nicanor hierzu, diesen Schnitzer

hätte ich dem Herrn Prade nicht zugetrauet.

Ich habe einen Vetter auff einer Hohen Schule,

310:20

dem will ich gleich schreiben, weil er mich ohnlängst

gebeten, ihm eine rare Materie zu einer

disputation vorzuschlagen: er solle dem Prade

in diesen Stück widerlegen. Dieses ist ein herrlicher

Vorschlag, sprach Clarindo, und wird

310:25

hierzu nicht undienlich seyn, wenn er ein wenig

den Ursprung untersucht, wie der ehrliche Prade

auff die Thorheit gerathen sey. Ich halte

311

gäntzlich dafür, er sey darauff kommen durch Lesung

eines Orts aus dem Monzambano, welchen

der gute Mann nicht verstanden. Denn

dieser spricht? Er habe noch niemand gesehen,

311:5

der dem Reich eine Democratische Form

zuschriebe. Nichtsdestoweniger wären unterschiedene,

welche diejenigen nur für Bürger

des Teutschen Reichs hielten, die bey

denen Reichs=Tägen session und Stimmen

311:10

hätten, welche Meinung ohnstreitig von

Aristotele herrührete, der einen Bürger so

beschriebe, welcher Fug und Macht habe des

gemeinen Wesens Nothdurfft zu überlegen,

und sein Votum darzu zu geben. Denn wenn

311:15

man diese Meinung annehme, so würde das

Teutsche Reich allerdings für eine Democratie

passiren können, als dessen Bürger so

dann alleine die Reichs=Stände wären, welche

samt und sonders auf denen Reichstägen

311:20

zu denen deliberationen und Stimmen zugelassen

würden u.s.w. Ob nun gleich der Herr

Prade aus diesen Worten selbst widerleget werden

kan, so scheinets doch / als wenn er in seinen

Studiren die Philosophie auff der lincken Hand

311:25

habe liegen lassen, und dannenhero nicht gewust

habe, was Monzambano haben wolle, sondern

dafür gehalten, als ob das Römische Reich auff

312

gewisse Masse von der Democratie etwas an

sich hätte. Der Herr Bruder darff seinen Vetter

nur diese beyden loca des Prade und Monzambano

zu schreiben, so hat er Vorrath genug

312:5

zu einer disputation, und wenn er etliche lange

Oerter aus dem Aristotele mit Griechischen

und Lateinischen Worten darzu anführet, und

die disputation secundum quatuor genera

causarum einrichtet, auch sich hernach einen

312:10

Bogen Verse oder von vornehmen und gelehrten

Leuten ein paar Episteln darzu machen läst,

so wird er hauptsächlich bestehen. Aber wie gefället

Eurer Excellence das Apophthegma

Heinrichs des Grossen? Polydor lächelte und sagte.

312:15

Ich solte fast zweiffeln, ob Heinrich der Grosse

sich dergleichen Redens=Art, wie sie der Herr

Prade angeführet, solte bedienet haben. Zum

wenigsten hielte ich nicht dafür, daß der ietzige

König in Franckreich der grosse Ludwig so scrupulös

312:20

seyn solle. Aber dem sey wie ihm wolle,

der Herr schicke mir nur des Prade seine Historie

zu, ich will sie behalten, und der Herr Nicanor

darff dem Buchführer keine widrige Ordre

ertheilen, denn ich will seine andern beyden

312:25

Schrifften auch in meine Bibliothec setzen. Nicanor

war sehr wohl damit zufrieden, und lachte

den Clarindo höhnisch aus, daß er in censirung

313

des Prade verstossen hätte. Clarindo selbst war

der Meinung, und bate Polydor um Verzeihung,

daß er mit seinen sentiment so frey heraus

gewesen wäre, denn, sagte er, ich habe nicht

313:5

gewust, daß Eure Excellence von dem Prade was

hielten. Polydor benahm aber beyden ihren Irrthum,

indem er ihnen endeckte, daß er gantz nichts

auf den Prade hielte, daß er aber seine Schrifften

in seine Bibliothec verlangete, wäre die Ursach,

313:10

weil in einer Bibliothec gute und böse Bücher

seyn müsten, denn wenn man lauter gute anschaffen

wolte, würde die Bibliothec sehr klein

werden, ja man würde auch, wenn man nicht alle

Bücher selbst durchlese, wenig Kennzeichen eines

313:15

guten Buchs antreffen, und sich sehr betrogen

finden, wenn man auf anderer Leute recommendation

gute Bücher anschaffen wolte, weil

kein Buch so alber und liederlich wäre, das nicht

von etlichen herausgestrichen würde und zwar

313:20

von denen selbst, die Gelehrte hiessen, entweder

weil sie es nicht besser derstünden, oder weil sie bey

dem Autore, wenn dieser zumahl ihr guter Freund

oder wohl gar ihr Patron wäre, einen Fuchsschwantz

verdienen wolten. Dannenhero setzte er

313:25

hinzu, ist mir es sehr lieb, daß der Herr Clarindo

mir seine Meinung offenhertzig entdecket, denn nun

weiß ich, daß Pradens seine Schrifften wenig taugen.

314

Aber hat denn der Herr nur dieses etwas altes

Buch für mich und gar nichts neues?

Ja Ihre Excellence antwortete Clarindo, ich

habe jetzo viel im Vorrath und dencke Nicanor

314:5

zu beschämen. Der Herr Bruder, sagte Nicanor,

lasse doch seinen Vorrath an das Tage=Licht kommen.

Ich habe ein Werck gefunden, wiederhohlete

Clarindo, das ist Anno 1689. heraus kommen

und also gantz Nagel neu, weil es den letzten

314:10

Martii des 89sten Jahres fertig worden. Nicanor

lachte von Hertzen und sagte: Das ist wahr,

der Bruder beschämet mich damit, denn ich kan

die Kunst nicht, solche Bücher in Buchläden anticipando

zu finden, die erst im künfftigen Jahre

314:15

sollen gedruckt werden. Der Herr Bruder

wird sich versprochen haben, und an statt des 89.

Jahres das 87te sagen wollen. Ey ich weiß

wohl, was ich rede, versetzte Clarindo. Der Titel

heist, Les delices de l' Esprit. Entretiens

314:20

sur la divinité, sur la religion & autres sujets

par Mons. Des Marests, de l' Academie

Francoise, dedié aux Beaux Esprits A Paris

chez Augustin Besoigne 1689. Und stehet nach

dem extract des Königlichen Privilegii ausdrücklich

314:25

dabey, daß diese edition den 30. Martii

1689. sey in der Druckerey fertig worden, welches

man nicht so öffentlich würde haben drucken lassen,

315

wenn es nicht wahr wäre. Jedoch will ich deßwegen

keinen Streit anfangen, zum wenigsten

weiset die dabey befindliche Approbation, daß

dieses Werck allbereit Anno 38. zum erstenmahle

315:5

müsse gedruckt seyn, und kan dannenhero für ein

altes und neues zugleich passiren. Der Herr

des Marests, sagte Polydor, ist sonsten ein berühmter

Frantzösischer Autor. Ich habe seine

Ariana gelesen, begegnete Clarindo, und muß

315:10

bekennen, daß mich dieselbe sehr wohl vergnügt

hat, aber / als ich dieses Werck ein wenig durchgeblättert,

habe ich wohl gesehen, daß ein grosser

Unterschied sey zwischen einen guten ingenio ein

Historisch Buch oder Roman zu schreiben, und

315:15

zwischen einen guten judicio zu raisoniren, und

Philosophischen Sachen mit einem guten vernünfftigen

Schluß darzuthun. Es bestehen diese

Belustigungen des Gemüths aus 13. Gesprächen

zwischen einen so genannten Philedon und Eusebio,

315:20

in welchen dieser sich bemühet jenen, als einen

in der Atheisterey und weltlichen Lüsten ersoffenen

Menschen mit vernünfftigen discursen

von diesen grossen Haupt=Irrthümern zur Erkäntniß

GOttes, rechten Gebrauch der Vernunfft

315:25

und Nachfolge JEsu CHristi zu führen.

Aber gewiß, ich habe befunden, daß in denen Gesprächen

zum öfftern viel zierliche und wohlgesetzte,

316

aber mehrentheils leere und nichts bedeutende

Worte enthalten sind, und der Autor dieses

wichtige Vorhaben nicht pro dignitate ausgeführet

habe. Denn erst führet er den Philedon

316:5

ein, als einen Kerl, der weder GOtt noch ewiges

Leben, viel weniger die Unsterbligkeit der

Seelen glaubt, und im höchsten Grad lasterhafftig

ist. Ob nun wohl die discurse des Eusebii dahin

gerichtet seyn, daß er diesen rohen Menschen

316:10

noch so ziemlich methodice antastet, und von der

sein selbst Erkäntniß zu der Erkäntniß GOttes leiten

will, so sind doch die von dem Eusebio angeführten

Gründe so schwach und unzulänglich, daß

ich versichert bin, es werde kein Christe, der in der

316:15

GOttesGelahrheit schon gnugsam bekräfftiget ist,

dieselbe für bastant halten. Ich habe zwar nur

drey von denen Gesprächen mit Fleiß durchlesen,

das dritte, vierdte und fünffte, allein ich habe aus

diesen schon zur Gnüge sehen können, was ich von

316:20

denen übrigen zu hoffen hatte. In dem Dritten

handelt er von der Unsterblichkeit der Seelen, aber

er raisonnirt davon so elende, daß ich mich kaum

entsinne, in einer Pneumatic unserer Philosophorum

so schlimme Gründe zu derselben Behauptung

316:25

gelesen zu haben. In dem Vierdten

handelt er von der Belustigung des Gemüths, so

es vom Gebrauch derer Künste habe, und gleichwie

317

er diese Belustigung noch so ziemlich hoch

hält, so hätte er zuförderst deutlich erklären sollen,

was er denn eigentlich durch die Künste

verstehen wollen; Aber daran hat er nicht gedacht,

317:5

und wirfft das Hunderte ins Tausende,

ausser daß man seine Meinung in etwas

durch die Exempel, die er anführet, indem er die

Music, Mahlerey und Bau=Kunst sonderlich

herausstreicht, errathen muß. Jedoch weiß

317:10

man nicht, wie man eigentlich mit ihm daran

ist, weil er im fünfften Gespräch die Eitelkeit der

Wissenschafft, und unter denenselben auch derer

Mathematischen ziemlich durchhechelt, wiewohl

abermahls mit schwachen Gründen, und

317:15

gewöhnlicher Unbeständigkeit, weil er die Cosmographie,

Historie und Poeterey noch sehr

lobet. So hat mich auch recht verdrossen, daß

durchgehends, wenn Eusebius nur etwas saget,

wodurch er seine Meinung behaupten will,

317:20

Philedon nicht den geringsten Einwurff darwieder

fürbringet, sondern alsobald mit grossen

Complimenten zuplumpt, und sich alles bereden

läst, worinnen der Herr Des Marests den Character

den er dem Philedon gegeben, gar schlecht

317:25

exprimiret. Ja es scheinet, als wenn der

Autor selber an der force seiner Gründe gezweiffelt,

weil insgemein Eusebius den Philedon,

318

wenn er seine dunckele und zweiffelhaffte

Sachen approbiret, repliciret, daß diese approbation

keine ordentliche Wirckung seines

Verstandes sey, sondern einer absonderlichen

318:5

Göttlichen Gnade und Erleuchtung zuzuschreiben

wäre / wiewohl mich diese invention ein wenig

geärgert, weil es das Ansehen gewinnen will,

als wolle der Autor dieses Buch zu einen libro

Canonico und sich zu einen viro *...* machen.

318:10

Und gewiß je weiter ich in diesen Buch gelesen,

je weniger habe gewust, was ich draus machen,

oder zu was für einer disciplin ich es bringen

sollen. Denn obschon durch und durch der Autor

von der heiligen Schrifft abstrahiret, und mit

318:15

lauter Vernunfft=Schlüssen diesen rohen Menschen

zu gewinnen sucht, so mischt er doch allemahl

Göttliche Erleuchtungen mit unter, und macht

also einen ziemlichen Mischmasch aus der Theologie

und Philosophie, zumahl in der Vorrede

318:20

an die Leute von artigen Geiste, (aux beau

Esprits) welche er auff solche Gestalt anredet, daß,

weil alles in der Welt auff die Lust, es sey nun auf

die Fleisches= oder die Gemüths=Lust erpicht sey,

so müsse man ihnen auch Bücher zu lesen geben,

318:25

die sie durch die Lust an sich lockten, und dannenhero

müste man unserm delicaten seculo weisen,

daß kein Roman oder Poema so viel Artigkeit

319

bey sich nahe, als die heilige Schrifft. Die

Glaubens=Sachen zwar wären unbegreifflich,

und GOtt wolle, daß man sie glauben solle, wenn

man dieselbigen gleich nicht durch die Vernunfft

319:5

fassen könte. Nach denen Glaubens=Artickeln

und nach dem Göttlichen Gesetz wären die Sachen,

so den innerlichen Menschen beträffen,

wiewohl dieselben so wohl von denen fleischlich gesinneten

als von denen Gelehrten verachtet würden.

319:10

Denn die Lehre von innerlichen Menschen

stiesse alle subtile und curieuse Fragen übern

hauffen und führte die Gläubigen zu der Wissenschafft,

die allein nothwendig und zweiffelhafftig

ist, nemlich die Wissenschafft des Reichs

319:15

GOttes in uns selbst, welche JEsus CHristus,

und seine Apostel nach ihm, uns in gantz deutlichen

Worten geprediget hätten. Dannenhero

vermahnet er alle diejenigen, die zu dieser Wissenschafft

gelangen wolten, daß sie zu ihm kommen

319:20

oder dieses Buch lesen solten, welches er als

ein einfältiger, unwissender, und der sich bißhero

in nichts würdigen Sachen aufgehalten, verfertiget

hätte. Allein sie müsten nicht viel von sich

und ihrem Verstande halten, sondern sie müsten

319:25

die hohe opinion von sich selbst erniedrigen,

und sich demüthigen, und die tieffen Geheimnisse

GOTTES anbeten, auch die Gnade

320

von ihm begehren, daß sie, wiewohl unwürdig,

tüchtig gemacht würden, diese vortreffliche

Geheimnisse zu verstehen. Wenn man nun

dieses alles betrachtet, und diese Vorrede mit

320:5

dem Werck selbst zusammen hält, so wird man

befinden, daß dieses Buch ein Stück von der

Philosophie an sich habe, weil der Eusebius

den Philedon durch seine eigene Vernunfft

zu convinciren sucht; auch ein Stück von der

320:10

Theologie, weil er sich auf die Lehre CHristi und

der Apostel beziehet; ferner ein Stück von der so

genannten Theologia mystica, weil er diese Wissenschafft

denen Glaubens=Artickeln entgegen setzet,

und sich auff das innerliche Reich GOttes beziehet;

320:15

und letzlich ein Stück von dem Enthusiasmo,

weil er seine Gedancken für Göttliche Offenbahrungen

und Geheimnisse ausgiebet, welches

sonsten die wahren Theologi mystici nicht zu

thun pflegen. Wollen nun Eure Excellence dieses

320:20

Buch auch behalten, so will ich solches nebst des

Prade seiner Teutschen Historie mit hersenden?

Polydor bejahete solches, fragte aber den

Nicanor ob er bey des Clarindo seinem discours

nichts zu erinnern hätte? Nicht viel sonderlichs,

320:25

antwortete dieser, ausser daß mir das nicht in

Kopff gewolt, daß Clarindo über das Gespräch

von der Unsterblichkeit der Seelen sein Urtheil

321

gefället, daß er so schlimme Gründe bey keinen

Pneumatico von der Seelen Unsterblichkeit

angetroffen, als darinnen. Hält denn der Herr

Bruder die Gründe so vieler wackern vornehmen

321:5

Leute, die sie, der Seelen Unsterblichkeit zu behaupten,

gesetzet haben, so gar verächtlich,

und ist es denn dahin kommen, daß er den Haupt=Artickel

des Christenthums von der Aufferstehung,

welcher an der Seelen Unsterblichkeit

321:10

hanget, läugnet, und solchergestalt zu einen

Ketzer, zu einen Sadducäer worden? daß ist ja

leider! zu erbarmen. Ich will dieses von dem

Herrn Bruder als Schertz auffnehmen, sagte

Clarindo, denn er ist ja sonst kein Ketzer=Macher,

321:15

und hat auch das rechte Ansehen nicht darzu,

als zu solchen Leuten gehöret. Ich läugne der

Seelen Unsterblichkeit nicht, denn davon versichert

mich die heilige Schrifft, ja ich venerire diese

Göttliche Offenbahrung vielmehr mit gebührender

321:20

Demuth als einen Glaubens=Artickel, und unterwerffe

meine Vernunfft der Göttlichen Erleuchtung.

Und eben deshalben verwerffe ich als eine

grosse Thorheit, daß sehr viel unter denen Christen

sich mit saurer Mühe und Arbeit vergebens bemühen

321:25

andere Menschen durch das finstre Thal

der menschlischen Vernunfft zu denen göttlichen

Geheimnissen zu führen, da ihnen doch der helle

322

Weg der heiligen Schrifft für Augen liegt, und

da es unmöglich ist, durch recht gegründete Vernunfft=Schlüsse

ohne den Glauben einen einigen

Geist zu begreiffen. Bey welcher Bewandniß

322:5

denn die gantze Pneumatica derer Schul=Lehrer

und die grossen weitläufftigen Bücher de

Theologia naturali, mit denen man sich in seiner

Jugend den Kopff zubrechen muß, biß etwan

auff zwey argumenta de DEi existentia &

322:10

Providentiâ übern hauffen fallen. Das ist

eine harte Rede, sagte Nicanor. Auff diese

Weise müste man alle Academien reformiren,

weil ich dafür halte, daß keine einige sey, da die

Pneumatic nicht darauf dociret werde. Gleich

322:15

als ob das was neues wäre, replicirte Clarindo,

daß so wohl die hohen als niedrigen Schulen

grosse reformation brauchten. Dieses haben

viel kluge Leute von mir gesagt, auch in öffentlichen

Büchern davon geschrieben. Die Welt

322:20

ist auch bißhero in etlichen Jahren so civilisiret

worden / das heute zu Tage nicht alles mehr für

harte Reden gehalten wird, was ehe dessen dafür

angesehen wurde. Als für etlichen Jahren

der berühmte Schupp in seinen Schrifften sich

322:25

verlauten liesse, man könne auch ausser Academien

gelehrt werden, was erhub sich da nicht

für ein Tumult über den ehrlichen Mann. Itzo

323

wird dieses von denen vornehmsten und Hohen

dieser Welt fast durchgehends practiciret, indem

dieselben ihren Printzen und jungen Herren, ausser

denen Academien, von gelehrten Leuten unterrichten

323:5

lassen. Der Bruder wird aber doch

keine reformation anfangen, begegnete Nicanor.

Das ist auch meine intention nicht, antwortete

Clarindo, aber deshalben darff man

wohl sub rosa davon reden, oder seine Gedancken

323:10

davon eröffnen. Die reformation gehöret

für Fürsten und ihre hohe ministros. Es

ist aber nicht so bald gethan, als geredet / sprach

Polydor. Ihr Herrn könnt wohl theoretice gar

fein von der Sache und von Besserung der Lehre

323:15

auff denen Schulen reden; Aber ihr bedenckt

nicht die vielfältigen Umstände, die sich in Weg

legen, daß man diese guten Vorschläge nicht bewerckstelligen

kan. Ich halte selbsten dafür,

widerredete Clarindo, daß die reformation derer

323:20

Hohen Schulen eher zu wünschen als zu

hoffen stehet. Dieselbige erfordert meines wenigen

Erachtens einen gantzen Fürsten, der guten

Fried und Ruhe in seinen Lande hat, auch die

dabey vielfältig sich ereignenden Schwürigkeiten

323:25

an seinem Vorsatz sich nicht hindern lässet.

Was Mühe und Arbeit kostete es nicht, als man

das Pennal=Wesen ausrottete, wiewohl dieses

324

nur die Studenten angienge. Was würde

sich nun da nicht für Unfug erheben, wenn man

in das Wespen=Nest störete und die Mängel derer

Lehrer untersuchte, und solchergestalt manchen,

324:5

der nichts anders gelernet hat, als daß er

wiederkäuet, antastete, wo es ihm wehe thäte. Ich

möchte mich zum wenigsten nicht darzu gebrauchen

lassen, denn ich müste mich befahren / daß es

mir gienge, wie der Tochter des Tarpeji, und

324:10

daß man mich entweder unter einem halben

Schock Mänteln begrübe, oder mit einen Fuder

Folianten, die über den Aristotelem commentiret,

fein warm zudeckte. Allein wenn ein Fürst

eine neue Academie anrichten wolte, würde es

324:15

aller dieser Schwürigkeit nicht brauchen, und

dächte ich, es könten gar mit leichter Mühe die vielfältigen

Fehler, so auff denen Academien eingerissen

seyn, vermieden werden.

Es stehet dahin, sprach Polydor, jedoch habe

324:20 

ich wider den Herrn noch dieses zu erinnern. Gesetzt

die Schul=Lehrer und Peripatetici hätten

ihm keine satisfaction gethan, so wolte ich doch

nicht sagen, daß der Menschliche Verstand, durch

sein weniges natürliches Licht, keinen Geist begreiffen

324:25 

könne. Denn so viel ich in des Cartesii

Schrifften gelesen, so hat derselbe noch so ziemlich

ex conceptu cogitationis die immaterialität

325 

der menschlichen Seelen dargethan. Und

so viel ich dann und wann discouriren hören, so

haben die Cartesianer sich immer noch mit guter

Manier wider ihre Gegener geschützet. Absonderlich

325:5 

habe ich nicht lange in des Herrn Poirets

Schrifften ein wenig geblättert, und befunden,

daß er sehr deutlich, und mit einer angenehmen

subtilität des Cartesii Lehre hierinnen behauptet.

So wird auch vielleicht dem Herrn Clarindo

325:10 

der Autor Anonymus, der für zwey

Jahren unter dem Titul: Essais Nouveaux de

morale de l' Ame de l' Homme heraus kommen,

bekannt seyn, in welchen der Autor auf eben

den Grund des Cartesii von der Seelen Immaterialität

325:15 

die gantze Sitten-Lehre und alle Schuldigkeit

eines Menschen, so wohl gegen GOTT,

als sich selbst und gegen den Nächsten gebauet hat.

Aber mein Herr Nicanor, wie zuckt er die Achseln

hierbey, hat er etwas hierwider zu sagen? Ey

325:20 

Ihre Excellence haben doch diese Meinung nicht

von mir, antwortete Nicanor, Sie sind ja verhoffentlich

an mir gewohnet, daß ich nie die Unhöfligkeit

begangen, ihnen zu widersprechen. Ich

habe mich nur gewundert, daß Eure Excellence

325:25 

bey derer hohen Verrichtungen sich noch die Mühe

nehmen, um die Philosophischen Sachen sich zu

bekümmern und des Cartesii Schrifften zu lesen.

326 

Ich lese dieselben eben nicht, replicirte Polydor,

sondern ich gucke zuweilen nur bey einer kleinen

Musse ein wenig hinein. Jedoch darff der Herr

nur kühnlich seine Meinung von der Cartesianer

326:5 

ihrer Lehre sagen, weil ich ohne dem den

Herrn Clarindo nur diesen Einwurff aus Schertz

gemacht habe. Ich bilde mir solches bald ein, sagte

Nicanor, denn es verlohnet sich nicht die Mühe,

daß man des Cartesii Schrifften lieset, weil

326:10 

die Peripatetici ihme und seinen Anhängern

schon das Maul gestopfft, ja man thut besser, daß

man solche Schrifften mit frieden lässet, weil

unter des Cartesii dubitation gar ein subtiler

Gifft der Atheisterey verborgen ist. An den Poiret

326:15 

kan auch nichts gutes seyn, denn er folget einer

neuen und irrigen Lehre. Σπλαγχίζομαι, sprach

Clarindo, der Bruder hat die Cartesianer

hauptsächlich widerleget, und solte ich ihm billig

verbunden seyn, weil er mich auf diese Art fast

326:20 

gantz befreyet hat, daß auf den von Ihrer Excellence

mir gethanen Einwurff ich nicht antworten

dürffte. Allein ich brauche keinen Vormund, oder

Anwald, und weiß es also dem Bruder wenig

Danck. Denn wer hat ihm doch vertraut, daß

326:25 

die Peripatetici denen Cartesianern das Maul

gestopfft haben. Ich dencke immer, wenn die

Cartesianer und Peripatetici zusammen rechnen,

327 

so werden diese jenen noch ein groß Kerbholtz

schuldig seyn. Es ist nicht lange, so schriebe ein

gelehrter Mann auf eine Academie, er habe seinem

Widersacher, den gescheuete Leute auch für

327:5 

gelehrt passiren lassen, das Maul gestopfft, aber

mich daucht, es wurde ihm solches hernach eingetränckt,

daß er an kein Maulstopffen mehr gedachte.

Daß aber die Cartesianer nicht einem

iedweden nach seiner Thorheit antworten, wenn

327:10 

etwa ein armer Stümper, der Cartesium sein

Tage nicht gelesen, und nichts mehr von ihm

weiß, als was er in seinen Collegiis MSS. findet,

alt abgedroschen Zeug wieder auffwärmet,

dadurch beobachten sie die Regel kluger Leute.

327:15 

Und dahin gehöret die Fratze von der Atheisterey,

die unter des Cartesii seiner dubitation

verborgen seyn solle. Was den Herrn Poiret

anlanget / so wäre mein Rath, daß der Bruder

und ich uns in des Poirets Lehre nicht einmischten,

327:20 

ob sie irrig sey oder nicht, sondern überliessen

solches denen Herrn Theologis, die dem

Herrn Poiret, und dieser ihnen, ieden auf seinen

Theil nichts schuldig bleiben werden. Zudem

ist das eine schlechte Folge, daß an einem Autore

327:25 

nichts gutes seyn soll, weil er im Glauben eine irrige

Lehre hat. Gleich als ob der Summissimus

Aristoteles seinen Catechismus an einen

328 

Schnürchen auswendig gekunt hätte. Ich bin

zwar kein Cartesianer, redete Polydor darzu,

aber doch hielte ich dafür, Clarindo hätte hierinnen

recht. Zudem habe ich auch von einen

328:5 

gottseligen Manne gehöret, der mit dem Herrn

Poiret einige Bekanntschafft gehabt, daß man

ihn in seinen euserlichen Leben und Wandel, für

einen frommen Menschen halten müsse. Ich unterwerffe

mich Eurer Excellence information,

328:10 

sagte Nicanor mit einen tieffen Reverentz, mich

soll aber verlangen, was der Herr Cartesianer

Clarindo auf Eure Excellence Einwurff antworten

werde. Der Herr Bruder falle nicht den

Cartesianern ins Land, schertzte Clarindo, als der

328:15 

gute Nicanor es versehen hatte, und, indem er bey

seinen Reverentz sich von Stuhl etwas erhoben,

im Niedersetzen, weiß nicht aus was Versehen,

zusamt dem Stuhle unter den Tisch gefallen ware.

Ich glaube, des Herrn Poirets sein genius

328:20 

hat ihm den Stuhl unter dem Leibe weggezogen.

Ey der Herr vergesse über dieser raillerie seiner

Rede nicht, versetzte Nicanor, mit meinem Fall

hat es nicht viel zu bedeuten, der Bruder antworte

nur Ihrer Excellenz. Clarindo war hierzu

328:25 

gantz bereit. Ich bin, sagte er, kein Cartesianer,

und wird meine Antwort solches bezeugen, iedoch

muß man auch an denen, von welchen man

329 

in der Wissenschafft sich entfernet, ihre Tugenden

und Geschicklichkeit loben. Ich approbire

auch den Mißbrauch der Cartesianischen Philosophie

in der GOttesGelahrheit ja so wenig, als

329:5 

den Mischmasch, den die Schul=Lehrer zwischen

der Philosophie und Theologie gemacht

haben. Jedoch muß ich bekennen, daß ich in

der Cartesianer ihren Schrifften sehr viel gute

Sachen gefunden, und ist nicht zu läugnen, daß

329:10 

der Cartesius einer mit von denen gewesen, der

die gelehrte Welt, die unter dem Joch einer pedantischen

und albernen Philosophie seuffzete,

mit befreyen helffen. Aber zu unsern Zweck zu

gelangen, so dünckt mir, daß Cartesius in seinen

329:15 

dubitiren, ob er gleich solches zu einen guten

Ende angefangen, dennoch ein wenig über

die Schnur gehauen, wenn er in seinen meditationen

dadurch, daß die euserlichen Sinnen

manchmahl betrogen werden, dahin sich verleiten

329:20 

lassen, daß er auch für zweiffelhafftig gehalten,

ob er selbsten einen Leib und mit demselben

Hände und Füsse habe. Denn auff diesen

Zweiffel, oder, wie er es selbst nennet, auf dieser

fiction, beruhet sein gantzes Werck de immaterialitate

329:25 

animæ, und hat ihn dannenhero

Gassendus in seinen objectionibus ziemlich

höfflich und scharffsinnig hiermit railliret. Wenn

330 

die Herren Cartesianer dieses beydes: Daß das

Wesen der Seelen in stetswährenden würcklichen

Gedancken bestehe; und daß man einen

concept derer Gedancken haben könne, ohne

330:5 

an den Cörper des Menschen zu gedencken,

gründlich behauptet hätten, so hätte ich wieder

ihre Philosophie fast gar nichts zu sagen. Aber,

so stehen diese ihre beyden Grund=Sätze auff so

schwachen Füssen, und können durch des Cartesii

330:10 

seine eigene Beschreibung eines Geistes und

derer Gedancken gar leichte mit unterschiedenen

argumenten über den Hauffen gestossen

werden. Es sind auch etliche Cartesianer so tumm

nicht, daß sie nicht mercken solten, was ihnen Cartesius

330:15 

damit Schaden gethan, daß er die Gedancken

definiret. Dannenhero wolten sie

gerne wieder zurücke, und geben vor, daß die

Gedancken wegen ihrer gar zu grossen Deutlichkeit

nicht könnten beschrieben werden, so wenig als

330:20 

die Bewegung, von derer beständigen definition

die Philosophi noch auff heutigen Tag sich

wacker herum zancken, da doch die Sache selbst

auch ein Bauer verstehet. Aber, meines Bedünckens,

ist ein handgreifflicher Unterscheid

330:25 

zwischen der Bewegung und denen Gedancken.

Die Bewegung berühret an und vor sich selbst

aller und ieder Menschen Sinnen, dergestalt,

331 

daß nicht alleine jener lustige Philosophus einen

andern, der die Thesin gesetzt hatte, quod

non daretur motus in rerum natura, gar

weißlich widerlegte, indem er, als das opponiren

331:5 

an ihm kam, aufstunde, im auditorio herumgienge,

und als er gefragt wurde, was er machte?

zur Antwort gab / er refutirte die disputation;

sondern, wenn auch einer zweiffelte, was ich durch

die Bewegung verstünde, man ihm solches mit tausend

331:10 

Exempeln für eins, und allerdings, wenn sonst

keines in Vorrath wäre, mit einer Maulschelle

gantz deutlich erklären könnte, da hingegen die

Gedancken an und vor sich selbst ein ieder zwar

bey sich empfindet, aber eines andern Gedancken

331:15 

nur durch euserliche Zeichen, und zwar

ziemlich unvollkommen begreiffen kan.

Was nun den von Eure Excellence angeführten

Autor belanget, der das Essay de morale de

l' Ame de l' Homme geschrieben hat, so läugne

331:20 

ich nicht, daß er aus dem fundament de spiritualitate

animæ nicht allein die gantze Sittenlehre

gar artig deduciret, sondern er folgert auch daraus

so ziemlich anmuthig den Zustand der Seelen,

wenn sie von dem Leibe abgesondert sind,

331:25 

und dermahleins in der Aufferstehung wieder

mit denen verklährten Leibern werden vereiniget

werden. Aber, gleichwie ich zweiffele, ob

332 

wegen dieses letztern, die Herren Theologi allerdings

werden zufrieden seyn; Also beweiset er

sein fundament, von der Immaterialität

der Seelen noch mit schlechtern Vernunfft=Gründen,

332:5 

als die Cartesianer sonst gemeiniglich

zu thun pflegen, uud fället dannenhero, wenn

man ihnen die Schwäche seiner Gründe weiset,

das gantze Gebäude der darauff gesetzten Philosophie

hernach.

332:10 

Letzlich, was des Herrn Poirets Schrifften

betrifft, so habe ich zwar das letzte von ihm heraus

gegebene Frantzösische Werck, welches er

Oeconomiam divinam intituliret, nicht gelesen,

halte auch dafür, daß Eure Excellence nicht

332:15 

auf dieses, sondern auf seine cogitationes rationales

de Deo, anima & malo, gezielet, in welchen

er dann und wann von dem Cartesio und seinen

asseclis abgewichen, jedoch meistentheils die

principia ratiocinandi des Cartesii defendiret,

332:20 

und fürnehmlich seine doctrin von Wesen der

menschlichen Seelen zu behaupten, und von allen

Einwürffen zu befreyen sich höchst angelegen

seyn lassen. Und gestehe ich gar gerne, daß man

den Herrn Poiret für einen scharffsinnigen und

332:25 

hauptgelehrten disputatorem passiren lassen

müsse, dessengleichen in artificio demonstrandi,

wir bey uns nicht viel werden auffweisen können,

333 

massen er hiervon eine herrliche Probe abgelegt,

indem er des bekannten Benedicti Spinosæ

seine fundamenta æthicæ gantz gründlich widerleget

und diesen seinen Widersacher schärffer

333:5 

angegriffen / als der Herrn Velthuysen oder andere,

so wider ihn geschrieben. Ich läugne

auch nicht, daß er auf die objectiones, die man

wider des Cartesii Lehre vom Wesen der Seelen

machen kan, sehr subtil und deutlich geantwortet

333:10 

habe, als ich bißher fast bey keinen Cartesianer

in acht genommen. Nichts destoweniger

habe ich befunden, daß er die Lehre, daß der

Mensch wenn gleich alle Cörper auf dem

gantzen Erdboden und auch sein selbst eigener

333:15 

in nichts verwandelt würden, dennoch in sich

selbst, das ist in seiner Seele den concept hätte,

daß er gedächte, mehr bejahet und hingesetzet,

als mit wichtigen argumenten dargethan,

auch an einem andern Orte præsupponiret,

333:20 

daß man die Substantz einer Sache an sich

selbst mit menschlicher Vernunfft leichter als

die accidentia begreiffen könne, da man doch so

wohl wieder ihn, als die Anti=Cartesianer gar

deutlich darthun kan, daß kein Philosophus iemahl

333:25 

einen distincten concept von einiger

334 

Substantz und Wesen ohne die accidentia gehabt,

und das die gemeine Beschreibung der

Substantz, wie man solche in denen Schulen

lernet, ein recht asylum ignorantiæ sey. So

334:5 

glaube ich auch ferner, daß wenn der Herr

Poiret seine dissertationem præliminarem

de fide & ratione humana eher verfertiget hätte,

als die Cogitationes rationales, er viel

leicht in diesen den Unterscheid zwischen Glaubens=Sachen

334:10 

und denen Sachen, die aus der menschlichen

Vernunfft müssen hergleitet werden, besser

würde beobachtet haben, welches aber solchergestalt

nicht allemahl geschehen, sondern in diese cogitationes

rationales viel Glaubens=Sachen mit

334:15 

untergemischet sind, die für Philosophische, jedoch

nach derer Cartesianer hypothesi, ungegeben

werden. Und also hoffe ich nach Vermögen

auf den von Eurer Excellence mir geschehenen

Einwurff geantwortet zu haben.

334:20 

Polydor sagte, der Herr hat in seinem discurs

des Spinosæ und Velthuysen erwehnet, von

welchen ich gerne genauere Nachricht verlangete,

sowohl auch von der dissertation des Herrn Poirets

de fide & ratione humana, als von welcher

334:25 

ich in meiner edition nicht weiß. Es ist

auch, antwortete Clarindo, dieselbe nur in der

andern edition, die Anno 85. herausser kommen,

335 

nebst der refutation des Spinosæ und andern

Anmerckungen, mit beygefüget worden. Es bemühet

sich der Herr Poiret in besagter dissertation

zu erweisen, daß die meisten Theologi

335:5 

und Philosophi bißher den Glauben und die

menschliche Vernunfft mit einander vermischt

hätten, hernach untersucht er dem Unterscheid

zwischen den Göttlichen Geheimnissen und

denen natürlichen Sachen, zwischen dem

335:10 

Glauben und der Vernunfft, der Natur und

Gnade, der Theologie und Philosophie, und

handelt von dem gerechten Gebrauch und Mißbrauch

der Vernunfft, und was der Mißbrauch

für schädliche Früchte vorbringe / unter welchen

335:15 

die Atheisterey die vornehmste ist. Nun ist

wohl nicht zu läugnen, daß kein Irrthum heut

zu Tage unter uns gemeiner ist, als daß, unerachtet

Luther, Melanchthon, und andere Reformatores

im vorigen seculo sich eiffrigst bemühet,

335:20 

den Mischmasch der Philosophie mit

der Theologie, (zu welchem auch viel von denen

alten Patribus einigen Grund geleget, die

Scholastici aber und Mönche denselben vollends

auffs höchste gebracht,) wieder auszutilgen /

335:25 

und als ein Unkraut auszugäten, nichts destoweniger

anietzo fast die wenigsten um den Unterscheid

der Natur und Gnade bekümmert seyn,

336 

ja die meisten sich befleißigen die nach Luthers

und Melanchthons Tode bald wieder eingerissene

Verneuerung mit aller Macht zu befestigen,

andere aber mit allen ihren Kräfften und

336:5 

Vermögen, und, so zu sagen, mit Händen und

Füssen sich bearbeiten eine neue Vermischung

der Philosophie und Theologie hervor zu suchen,

und mit einen vorgeschützten Christlichen

Eyfer auszuputzen, da doch nichts anders darhinter

336:10 

steckt, als die maintenirung einer zeitlichen

und übelgegründeten renomm%/ee, und

daß man für eine Schande achtet, einen Fehler,

der so handgreifflich ist, daß kein gelehrter

Mann sich denselben jemahls in Sinn kommen

336:15 

lassen, den kein Gelehrter anhänget, noch iemals

anhängen wird, und der also nothwendig in

kurtzen mit ihnen aussterben und begraben werden

muß, zu bekennen, und der augenscheinlichen

Vernunfft Raum zu geben. Dannenhero sind

336:20 

die Schrifften dererjenigen, die diesen Mischmasch

/ der nicht allein abgeschmackt, sondern

auch auff gewisse Masse gefährlich ist, genau

untersuchen, billich hoch zu achten, und habe ich

in dieser dissertation des Herrn Poirets sehr

336:25 

viel gute und subtile Gedancken gefunden, die

einen curieusen und Lehr=begierigen Gemüthe,

welches diesen Mischmasch zu entgehen sich angelegen

337 

seyn lässet, wo nicht allemahl völlige satisfaction

thun, doch meistentheils Anleitung

geben, und fast die Spur zeigen, hinter die verborgene

Wahrheit zu kommen. Und muß ich

337:5 

dieses billich an ihm loben, daß, ob er gleich sonst

mehrentheils der Cartesianischen Philosophie

zugethan ist, er dennoch eben dem Mißbrauch

etlicher Cartesianer / mit welchen sie die Vernunfft

gar zu hoch erheben, widerleget, und ihren

337:10 

Schein=Gründen, fürnemlich aber einem neuen

Autori, der für wenig Jahren ein bekannt

Tractätgen unter den Titul Traité de la raison

humaine herausgegeben, gründlich antwortet.

So ist auch das Stück dieser dissertation, worinnen

337:15 

der Herr Poiret den Ursprung der Atheisterey

deduciret, wohl zu lesen, weil er nicht alleine

neun unterschiedene Arten derer Atheisten

gantz gelehrt erzehlet, sondern auch mit vernünfftigen

Schlüssen darthut, daß die Atheisterey auch

337:20 

aus der Vermischung der Philosophie und

Theologie herrühre, womit man dergleichen

Herren, als welche gar offters gewohnt sind, andere,

so von ihnen andere Meinungen führen, mit

imputirung einer Atheisterey zu fürchten zu machen,

337:25 

gar artig das Maul stopffen kan. Zuletzt begreifft

diese Dissertation auch eine Summarische

Einleitung zu der refutation des Spinosæ, indem

338 

er erweiset, zu was für einer Classe der Atheisterey

des Spinosæ Lehre gehöre.

Wer dieser Benedictus Spinosa sey, ist in

Teutschland zur Gnüge bekannt, nachdem Anno

338:5 

70. sein Tractatus Theologico-Politicus

herausser kam, worinnen er behaupten wollen,

daß man in jeder Republique einem jeden die

Freyheit zu philosophiren lassen müste, und

ihme dieselbige mit guten Gewissen nicht nehmen

338:10 

könne. Er verbarg aber unter der Freyheit

zu philosophiren eine gottlose Freyheit,

auch in Religions= und Glaubens=Sachen zu

lehren, was man wolle, und hatte in demselben

Tractat viel gefährliche und Gotteslästerliche

338:15 

Meinungen von der heiligen Schrifft als dem

fundament der Christlichen Religion, sowohl

auch von andern allgemeinen Glaubens=Artickeln

versteckt. Der Herr halte sich mit diesen

Tractat nicht gar zu weitläufftig auf, redete Polydor

338:20 

darzwischen, massen mir zur Gnüge bekannt

ist, daß derselbe bey uns durch den Herrn

Musæum, den Herrn Durrium, und den Herrn

Thomasium widerleget worden. Ich verlange

nur genauere Nachricht von denen fundamentis

338:25 

æthicæ des Spinosæ, die der Herr oben erwehnet,

und was Spinosa sonsten geschrieben. Bey

seinem Leben, antwortete Clarindo, hat er Anno

339 

64. die Principia der Carthesianischen Philosophie

auf Geometrische Weise demonstriret

zum Druck befördert, wiewohl ich selbige nicht gesehen.

Nach seinem Tode sind Anno 77. seine

339:5 

übrigen Wercke unter dem Titel B. D. S. Opera

Posthuma in 40. in Holland herausser kommen,

darzu einer von seinen Discipuln eine ziemlich

weitläufftige Vorrede gemacht. In diesen

operibus posthumis sind 5. Bücher enthalten.

339:10 

I. Eine Ethica, in welcher er seine Atheistischen

principia nachdrücklicher, wiewohl subtiler

als in dem Tractatu Theologico-Politico

herausser gesagt. II. eine Politica.

III. ein Tractat von Verbesserung des

339:15 

Menschlichen Verstandes, welche beyde sich

meistentheils auf die Ethic und den Tractatum

Theologico-Politicum gründen. IV.

Unterschiedene Episteln, die andere an Spinosam,

und dieser hinwiederum an andere geschrieben,

339:20 

worinnen viel Objectiones enthalten sind,

die ihm unterschiedene Gelehrte wider seine Lehre

gemacht, sowohl auch, was Spinosa darauf geantwortet,

und letzlich V. eine Hebræische Grammatica.

In der Ethic aber hat er sich angelegen

339:25 

seyn lassen, seinen Gifft mit mathematischen

demonstrationibus zu verzuckern, massen

man durch und durch lauter definitiones,

340 

axiomata und propositiones darinnen antrifft.

Er hat dieselbige in fünff Theile eingetheilet,

der erste handelt von GOtt, der andere

von der Natur und Ursprung der menschlichen

340:5 

Seele, der dritte von Ursprung und Natur

derer affecten, der vierdte von der menschlichen

Knechtschafft, oder von dem Vermögen

derer affecten und der letzte von der Krafft des

menschlichen Verstandes, oder von der menschlichen

340:10 

Freyheit. Der erste Theil ist der gefährlichste,

weil sich die andern darauf gründen, in

demselben aber eben seine Atheisterey enthalten.

Denn indem er der gemeinen definition der

Substantz, qvod sit ens per se subsistens,

340:15 

mißbrauchet, schliesset er daraus, daß nur eine

Substantz in der Welt sey, die er GOtt heisset,

dieser sein Gott aber ist nichts anders, als die

Creaturen insgesammt. Hätte wohl was leichtfertigers

können erdacht werden? Nun haben

340:20 

sich wohl unterschiedene gefunden, die diese Ethic

zu widerlegen sich unterstanden; aber wie es gemeiniglich

herzugehen pfleget, sie seynd nicht

alle zum Streit geschickt gewesen, sondern es

haben etliche bonam causam malé defendiret.

340:25 

Und kömmt mir fast für, daß einer, mit

Nahmen Wilhelm Bleyenberg, unter diese

Classe zu rechnen sey; denn ob ich gleich dieses seinen

341 

Tractat nicht gelesen, so weiset doch das wenige,

daß der Autor speciminis artis ratiocinandi

anführet, wenn man es mit etlichen Brieffen

des Bleyenbergs zusammen hält, die er an

341:5 

Spinosam geschrieben und die in denen operibus

posthumis vorhanden sind daß er diesem

Streit wohl nicht gewachsen gewesen, weil

in denen Brieffen viel unnöthige Worte und

wenig judicium enthalten ist, wannenhero auch

341:10 

besagter Autor speciminis ihn ziemlich starck

striegelt. Dieses specimen aber kam Anno 84.

in 8vo heraus zu Hamburg, wie auff dem Titul

stehet, aber mit Holländischen Drucke. Es bestehet

in drey Theilen, deren die beyden letzten

341:15 

etliche neue speculationes von Bewegung der

Cörper in sich begriffen, der erste aber einen

Entwurff der Logic vorstellet, die zwar mehrentheils

nach denen hypothesibus derer Cartesianer

eingerichtet ist / aber dabey doch zugleich

341:20 

der Autor sich gar deutlich für einen discipel

des Spinosæ ausgiebt. Er hat seinen Nahmen

nicht zu dem Werck, hinzugesetzet, aber man hat

mich berichtet, daß es schon ein berühmter Medicus,

der im B. Diensten ist, und sich sonst in

341:25 

Holland aufgehalten, Herr D. C. seyn solle. Aber

342 

wieder zu meinen Vorhaben zu gelangen, so

hat der Herr Poiret in seiner refutation des

Spinosæ das Werck so vernünfftig angegriffen,

daß er aus dem ersten Theil seiner Ethic

342:5 

die ersten gefährlichen Oerter, worinnen des

Spinosæ sein πρώτον ψεῦδος stack, herausgenommen,

und vom Anfang biß zu Ende bey jeder

definition, axiomate und proposition die

Irrthümer, die Spinosa daselbst begangen,

342:10 

dargethan, auch hernach alsbald eine andere

definition, axioma und proposition entgegen

gesetzt, und solchergestalt ordentlich und gründlich

oder mit einem Wort, mathematisch die Atheisterey

des Spinosæ widerleget.

342:15 

Der Herr Velthuysen hatte zwar auch Anno

80. in einem Tractat de cultu naturali & origine

moralitatis des Spinosæ seinen tractatum

Theologico-Politicum und die Ethicam

posthumam widerleget, er greifft auch dem Spinosæ

342:20 

hin und wieder ziemlich hart auff die Haube,

er macht es aber doch nicht so deutlich und so ordentlich,

als der Herr Poiret. Dieses Herrn

Velthuysen seine opera sind zu Roterdam in besagten

80. Jahre herauskommen, obwohl die meisten

342:25 

Tractate zuvor einzelen gedruckt worden.

Sie sind in zwey tomos getheilet. Der erste begreifft

in sich {I.} einen Tractat von der göttlichen

343 

und menschlichen Gerechtigkeit, in dessen ersten

Theile er die Nothwendigkeit der Gnugthuung

CHristi und das Recht der Christen

Krieg zu führen darthut, auch die Lehre von

343:5 

GOttes doppelter Gerechtigkeit die Bösen zu

bestraffen, von der Vollkommenheit des Göttlichen

Gesetzes, von denen Graden derer Tugenden

und Laster, von guten Wercken und von der

Erb=Sünde ausleget. In dem andern handelt

343:10 

er von denen menschlichen Straffen sowohl des

gemeinen bestens wegen, als wegen des privatNutzens,

in dem dritten aber beweiset er aus der

heiligen Schrifft, daß CHristus für der Menschen

Sünde habe gnug gethan. {II.} eine dissertation

343:15 

vom Gebrauch der Vernunfft in Theologischen

Sachen und fürnemlich in Auslegung

der heiligen Schrifft, in welcher er zugleich

weitläufftig die Meinung eines Anonymi,

der ein Büchlein unter dem Titul Philosophia

343:20 

Scripturæ interpres ediret, untersucht.

{III.} einen Tractat von der natürlichen Schamhafftigkeit

und von der Würde des Menschen,

worinnen er von der Blutschande, Hurerey,

Gelübde der Keuschheit, Ehestand, Ehebruch,

343:25 

Polygamie, Ehescheidungen und so weiter handelt.

{IV.} von der Prædestination und Gnade,

die er sich auf eine neue Methode zu erklären vorgenommen.

344 

{V.} Vom Amt derer Priester

und Prediger und von dem Rechte, das der Obrigkeit

in Ansehen der Kirchen zukömmt, wider

etliche Reformirte Lehrer, die die Gewalt derer

344:5 

Priester gar zu weit extendiren. {VI.} Von der

Abgötterey und superstition, zu Behauptung,

daß die Päbstler in ihrer Messe eine Abgötterey begehen,

wider welchen Tractat das geistliche Synedrium

zu Utrecht etliche Schrifften herausgegeben,

344:10 

in denen es den Autor etlicher irrigen

Lehrern beschuldiget, dem vier Apologien des

Autoris gegen diese Beschuldigung beyfüget

sind. {VII.} Ein discours über die Frage, ob

ein Christlicher Fürst mit guten Gewissen in

344:15 

seinen Reich etwas dulden könne, daß denen

Göttlichen Gebothen zuwider sey, darinnen er

absonderlich viel curieuse Fragen von Heiligung

des Sabbaths, und von Nachlassung

derer Göttlichen Gebothe bey hohen Nothfällen

344:20 

ausführet. {VIII.} Von denen FundamentalArtickeln

des Christlichen Glaubens. {IX.} Eine

retorsion wider etliche Schmähungen,

mit welchen der Autor von einem seiner heimlichen

Feinde in einer Schrifft ware beleget und von

344:25 

ihm beschuldiget worden, als ob er es mit denen

Socinianern und Remonstranten in vielen

Stücken hielte. In dem andern tomo sind enthalten

345 

{I.} Eine Metaphysic nach Anleitung

der Lehre des Cartesii, worinnen er auch von

GOtt und von der menschlichen Seele handelt. {II.}

Eine dissertation in Form einer Epistel von dem

345:5 

Ursprunge der Ehrligkeit und Erbarkeit (de

principiis justi & decori) {III.} Von den endlichen

und unendlichen, worinnen er die Meinung

des Cartesii von der Bewegung, dem Raum

und Cörper (de motu, spatio & corpore) vertheidiget.

345:10 

{IV.} {V.} Zwey Tractate, in denen bewiesen

wird, daß die Lehre von Bewegung der Erdkugel

und Stillstehung der Sonnen, imgleichen

die principia der Cartesianischen Philosophie

dem Worte GOttes nicht zuwider seyn,

345:15 

welche der Herr Velthuysen zweyen Büchern

eines Predigers zu Leyden J. du Bois, derer

Titel: Nuditas Philosophiæ Cartesianæ detecta,

imgleichen: Noxa Philosophiæ Cartesianæ,

entgegen gesetzet. {VI.} Zwey Medicinische

345:20 

Tractätlein von der Müntze und von der Generation,

denen er eine Vorrede vorgesetzet hat,

in welchen er sich wegen der Cartesianischen Philosophie

wider die beyden Voetios Gisbertum

und Paulum defendiret, und letzlich {VII.} Der

345:25 

Tractat wider den Spinosa, dessen ich zuvor erwehnet.

Seiner Profession nach war der

Herr Velthuysen ein Medicus, der doch keine

346 

praxn getrieben, sondern seine meiste Zeit im

studiren zugebracht. Er ist in seinem Vaterland

zu Utrecht Scabinus gewesen, biß zur Zeit

der Frantzösischen troublen, als man die Stadt

346:5 

dem Printz von Uranien übergeben, da er von

seinen Widerwärtigen überwältiget, seines

Diensts nebst anderen erlassen worden und ist

in solchen Zustand biß an seinen Tod, der etwan

vor drey Jahren, als er etliche und 60. Jahr

346:10 

alt gewesen, erfolget, verblieben. Von Jugend

auf hat er sich auf das studium der Philosophie

und Theologie geleget, wannenhero auch die

meisten von seinen Schrifften von solchen Materien

gehandelt. Er war ein freundlicher und

346:15 

conversabler Mann, iedoch darbey von guter

Hertzhafftigkeit, der sich durch leere und ungegründete

Bedrohung nicht ließ zu fürchten

machen, auch seinen Feinden und Verfolgern

hertzhafft entgegen gienge, und das Hertz hatte

346:20 

ihnen in Schrifften die Wahrheit offenhertzig, iedoch

mit geziemender Bescheidenheit, zu sagen.

Dieses weiset nebst seinen meisten

Schrifften die Vorrede, die er vor diese neue

edition seiner Operum voran gesetzet, aus,

346:25 

die er als eine dedication an seinen Bruder,

der ebenfalls bey geschehener Aenderung

des Regiments in Utrech, seines Ehren=Amtes

347 

wäre erlassen worden, gerichtet, worinnen

er ohne Scheu, wie solches zugangen, erzehlet,

und sich über die Staaten, daß man diese Stadt

an dem Printz überlassen, öffentlich beschweret.

347:5 

Weil es aber öffters zu geschehen pfleget, daß

die Herren Theologi nicht wohl leiden können,

wenn ein anderer, der seiner Profession nach

nicht unter ihren Orden gehöret, etwas schreibet,

daß mit der Theologie einige Verwandschafft

347:10 

hat, also hat auch der gute Herr Velthuysen

mit seinen Theologischen Schrifften sich viel

Feinde auff den Hals geladen, und sich an seiner

Promotion gehindert, massen mir denn erzehlet

worden, daß es darauf gestanden, daß er habe

347:15 

zum Burgermeister in Utrecht sollen erwehlet

werden, als sein competitor, der ein schlauer

Fuchs gewesen, und wohl gemerckt, daß der

Herr Velthuysen ihm an notis überlegen seyn

würde, ihn unter dem Schein der Freundschafft

347:20 

beredet, daß er seinen tractat de Idiololatria, &

superstitione herausgegeben, wodurch denn

die Gemüther des Volcks und vieler von seinen

Collegen wegen der Censur des Synedrii und

deren Predigten, so man wider ihn gehalten,

347:25 

von ihm alieniret worden. Gleichwie ich aber

dasjenige, was in denen Theologischen Tractaten

enthalten ist, weder gut heisse noch tadele, weil

348 

erstlich dieselbigen meiner Profession nicht sind,

und ich über dieses dieselbigen nur oben hin gelesen;

also habe ich doch aus dieser lectione cursoria

zum wenigsten dieses angemercket, daß allenthalben

348:5 

des Herrn Velthuysen seine gute intention

hervorblickt, daß er diese Bücher geschrieben

aus Begierde die Wahrheit zu erforschen, und dem

gemeinen Wesen in Untersuchung wichtiger und

nützlicher Controversien zu dienen, massen

348:10 

denn die Materien, die er in denen Theologischen

Schrifften tractiret, billig unter diese Classe

zu rechnen sind, an derer Untersuchung einem jeden,

er sey in was für Religion er wolle, mehr gelegen,

als an dem Schul=Gezäncke, daß öffters

348:15 

ohne Noth über die Bedeutung eines Worts

und über eine abstraction aus der heiligen Metaphysica

angefangen wird. Und hat der

Herr Velthuysen sich sehr beflissen seine

Schrifften nicht mit scholastischen Wörtern

348:20 

zu bemackeln. Man siehet auch wohl, daß seine

Widersacher, ihre Sache mag in thesi beschaffen

gewesen seyn, wie sie will, meistentheils

nicht ehrlich mit ihm gefochten, und nicht selten

wider die Regeln der Disputir-Kunst gröblich

348:25 

angestossen. Seine Philosophie belangend,

so hat er in der Vernunfft=Lehre und denen natürlichen

Dingen dem Cartesio, in der Sitten=Lehre

349 

aber des bekannten Hobbesii Principiis

gefolget, wannenhero diejenigen, so dem Cartesio

in Holland höchst zuwider sind, und zum Theil

Voetianer genennet werden, auff ihn desto mehr

349:5 

verbittert worden, auch ihm derer Patron Gisbertus

Voetius, als ein geschworner Tod=Feind

des Cartesii sehr zuwider gewesen, wiewohl auch

am andern Theil nicht zu läugnen ist, daß der

Herr Velthuysen in denen Vorreden über die

349:10 

Tractate von Bewegung der Erdkugel, und von

der Miltz diesem zänckischen und hochmüthigen

Theologo den Schwer redlich auffgestochen,

und seinen verdrießlichen und irraisonablen

character besser exprimiret, als Cartesius

349:15 

selbst gethan. Absonderlich ist mir vorgekommen,

da ich des Herrn Velthuysens Worte gelesen

(a) Hic homo ducitur illo spiritu

qui vult judicare a nemine, quique

hoc petit, ut omnis decoris et orthodoxiae

349:20 

discrimen sub suo solius nutu et arbitio sit,

als wenn der Herr Voet noch heut zu Tage in

allen denenjenigen lebte / die zwar ihre Lehre nach

des Papsts autorität anfechten, aber in ihren

actionibus nicht bergen können, daß sie, so viel

349:25 

an ihnen ist, gerne an ihrem Ort Päbste wären.

Des Hobbesii fundament de conversatione

350 

sui hat der Herr Velthuysen in der dissertation

de principiis justi & decori zu defendiren

gesucht, massen auch dieses Vorhaben alsbald

auff den Titul der ersten edition in 12.

350:5 

bey welcher des Herrn Velthuysens Nahme

nicht gesetzt worden, beygedruckt ist, wiewohl er

doch etwas bescheidener gehet, als Hobbes,

und keinen solchen statum victum humani

generis. wie dieser præsupponiret, daß die

350:10 

Menschen wie Schwämme aus der Erden hervor

gewachsen, sondern beziehet sich auff die

Schöpffung und den Fall der ersten Eltern. Jedoch

ist bald Anfangs, und wo mir recht ist, allbereit

Anno 56. zu Straßburg eine ziemlich weitläufftige

350:15 

disputation, unter des Herrn Schallers

præsidio, wider diese disputation gehalten

worden, und hat der Herr Puffendorff in seinen

hochschätzbaren Buch de Jure naturali &

gentium ihn hin und wieder refutiret, wiewohl

350:20 

man damahls nicht gewust, daß der Herr

Velthuysen Autor von dieser Schrifft sey, daher

er auch stetswährend als Autor Anonymus

de principiis justi & decori citirret wird. So

ist er auch wohl fast der eintzige, der den Hobbes

350:25 

in Schrifften vertheidiget, ausser, daß annoch in

Teutschland der Herr B. zu F. dergleichen gethan.

Im übrigen ist nicht zu läugnen, daß der Herr

351 

Velthuysen in eben diese Schrifft viel mit eingebracht,

daraus man sehen kan, daß er ein Mann

von einem herrlichen Ingenio gewesen seyn müsse,

und daraus man zum öfftern kan Anlaß nehmen,

351:5 

auff die Spuhr einer Wahrheit zu kommen,

auch wenn Herr Velthuysen dieselbe verfehlet.

Absonderlich hat er gelehrte Gedancken

vom Ursprung der Schamhafftigkeit, und dem

decoro, welche er hernach in einem absonderlichen

351:10 

Traetat hiervon, der in ersten tomo enthalten

ist, weitläufftiger ausführet. Denn obgleich

wider seine Meinung, die er dißfalls heget,

eines und das andere, auch aus seinen eignen

Worten angeführet werden könte, so glaube ich

351:15 

doch, daß, wenn man diese beyde Schrifften des

Herrn Velthuysens mit Verstand läse, und

seine Fehler anmerckte, und dieselbe zu verbessern

suchte, man hernach vielleicht hinter den

rechten Grund der Wahrheit gelangen könte, als

351:20 

wenn man von sich selbst hiervon meditirte. Und

wäre zu wünschen, daß sich ein Gelehrter darüber

machte, und den eigendlichen Unterscheid

des decori ab honesto wiese, als welches meines

Wissens noch niemand gründlich præstiret.

351:25 

Jedoch kan ich auch nicht läugnen, daß des Herrn

Velthuysens Schrifften mit guten Bedacht

wollen gelesen seyn, weil er in denenselben meistentheils

352 

keine gute Ordnung hält, und man

nicht geringe Mühe anwenden muß, wenn man

seine eigendliche Meinung, oder den Haupt=Grund

derselben recht hervor suchen will, indem

352:5 

er solche manchmahl an einem Ort versteckt, da

sie ein ieder nicht suchen solte. Und scheinet also,

daß er ein wenig ein autodidactus müsse gewesen

seyn. Es haben sich auch seine Widersacher

seiner Dunckelheit im Reden und Verstande,

352:10 

die theils wegen nicht gehaltener Ordnung,

theils aus etlichen tautologien entstanden,

redlich wider ihn bedienet, und ihm Anlaß gegeben,

daß er in seinen Apologien seine Meinung

deutlicher erkläret, welches er hätte überhoben

352:15 

seyn können, wenn er sich bey Zeiten eine

beqveme Ordnung angewöhnet hätte. Aber ich

plaudere Eurer Excellence vielleicht mehr für,

als sie zu wissen begehret, dannenhero will ich aufhören

und Nicanor Raum geben, daß er sich nicht

352:20 

über mich zu beschweren habe.

Nicanor versetzte: Wenn man den Herrn

Bruder auf die Cartesianer bringt, so geht sein

Maul in völligen Gallop, und dencke ich allemahl

an eine bekannte Historie, die sich in Nieder=Sachsen

352:25 

zugetragen, als einsmahls auf einer

Hochzeit die Weiber an ihrem Tische so gar stille

gesessen und kein Wort geredet, daß die Männer

353 

sich höchlich darüber verwundert, biß einer von

denen Männern angefangen, und über den

Tisch hinüber geruffen: Jungefrau was gilt

der Stein Flachs? Denn auff dieses monitorium

353:5 

sind denen Weibern die Zungen so kräfftig

gelöset worden, daß die Männer ihr eigen Wort

nicht mehr hören können. Der Heer Bruder

gebe sich zufrieden, sprach Clarindo, ich will

heute nichts mehr von Cartesianern erwehnen,

353:10 

sondern weil der Herr Bruder bißher zu meinen

discours so stille geschwiegen, als will ich

den Mann auf der Hochzeit agiren und frage

ihn also gantz förmlich und zierlich: Mein Herr

Nicanor, was macht denn der ehrliche alte teutsche

353:15 

Aristoteles? und wie stehets denn etwan um

die Haupt=Fraage de qvalitatibus occultis oder

de summo bono? Nicanor antwortete. Der

Herr Bruder sey nur nicht so spöttisch auff die

qvæstion de summo Bono, vielleicht läst er

353:20 

sich noch wohl selbsten mit mir in einen discours

darüber ein. Der Herr Tschirnhausen hat diese

Frage würdig geschätzet, dieselbe seinem gelehrten

Tractat de medicina mentis, welcher in vorigen

Jahre herausser kommen, voran zu setzen.

353:25 

Denn indem er erzehlet, daß er sich von Jugend

auff vorgenommen habe, sein Leben so viel

müglich, in der höchsten Glückseligkeit zuzubringen,

354 

examiniret er darnach ein wenig, welches

Vergnügen vor das höchste und beständigste

zu achten wäre und betrachtet erstlich die

Belustigung derer Sinnen, bey denen er erinnert,

354:5 

daß, obgleich der gemeine Pöbel dieselben

für sein höchstes Gut hielte, auch sich einbildete,

je mehr und öffters er sich derselben bedienete,

je glückseliger wäre er, so wäre doch mit

sehr vielen exempeln darzuthun, daß je seltner

354:10 

man sich dieser Belustigung bediente, je mehr

Vergnügen empfinde man bey sich, und verlangten

dannenhero die Sinne nicht alleine immer

was neues, sondern man könne das Vergnügen

durch nichts grösser machen, als wenn man zuvor

354:15 

der Begierde / dieselbe in das Werck zu richten,

grossen Widerstand, und, so viel als immer

möglich, gethan hätte. Nichts desto weniger,

wenn man dieses alles gleich beobachtete, so erweckte

doch der Genieß des sinnlichen Vergnügens

354:20 

öffters bey dem Menschen eine Traurigkeit,

die daher entstünde / weil man erkennete,

daß der Gebrauch der Belustigung dem Menschen

schädlich wäre, und könte dannenhero die

höchste Glückseligkeit darinnen nicht bestehen.

354:25 

Nach diesen wäre wohl nicht zu läugnen, daß diejenigen,

welche ihre Lüste dämpfften, und ein

355 

strenges und tugendhafftes Leben führeten, in der

innerlichen Gemüths=Ruhe eine solche grosse

Belustigung empfinden, welche sie nicht mit

Worten gleichsam aussprechen könten, und also

355:5 

diese Lust, weil sie keine Reue nach sich zöge, der

sinnlichen weit für zu ziehen wäre. Ja es könne

die Grösse dieses Vergnügens daraus leichte

abgenommen werden, weil von denen Tugendhafften

in der grösten Marter und Quaal,

355:10 

ja mitten im Feuer warhafftige Anzeigungen

einer grossen Wollust von sich gegeben. Dem

unerachtet aber hält der Herr Tschirnhausen

dafür, daß die innerliche Gemüths=Ruhe, welche

ein Mensch empfindet, der seinen Lüsten Widerstand

355:15 

gethan, nicht vor ein gewisses Kennzeichen

zu achten wäre, daß dasjenige, was man

gethan, gut und recht gewesen. Denn es könne

auch ein Mensch eben dergleichen Gemüths=Ruhe

empfinden, der darvor hielte, daß das höchste

355:20 

Gut sey, wenn er in den innerlichen Trieb der

Ihn von Belustigung der Sinnen abhielte, überwinde,

und seinen falschen Einbildungen,

als wenn die sinnliche Lust das höchste Gut wäre,

folgte. Ja man könte auch aus denen Historien

355:25 

viel Exempel dererjenigen anführen, die mit der

grösten Gemüths=Ruhe und Beständigkeit die

356 

grösten Martern um schlimmer Sachen willen

ausgestanden hätten. Hieraus schliesset er, daß

auch diese Belustigung nicht die höchste seyn

könne, weil nothwendig ein Betrübniß erfolgen

356:5 

müste, wenn man aus Irrthum was vor gut

hielte, und doch hernach erführe, daß man darinnen

der Wahrheit verfehlet hätte. Aus dieser

Ursache nun, und damit er dasjenige, was ihm beständig

gut und nützlich wäre, ergreiffen, dasjenige

356:10 

aber, so ihm schädlich, hindansetzen möge, saget

der Herr Tschirnhausen, habe er vor sich mit

allem Fleiß bemühet, hinter die wahre Glückseligkeit

zu kommen, und habe also selbsten in der That

erfahren, daß keine höhere und reinere Belustigung

356:15 

unter allen denen, derer ein Mensch

fähig wäre, sey, als diejenige, die aus Erforschung

der Wahrheit entstehe. Er glaubet

auch hierinnen gar leichtlich von denen Beyfall zu

kriegen, die solche Belustigung in der That erfahren

356:20 

hätten, weil solche Leute aus dem grossen

Vergnügen, daß sie durch Entdeckung neuer

Wahrheiten gespüret, offters Schlaff, Essen und

Trincken, und sinnliche Belustigung in stiche

gelassen, auch damit sie an ihren speculationibus,

356:25 

nicht gehindert werden möchten., angebotenes

Reichthum und Ehren=Aemter ausgeschlagen

357 

hätten. Das aber diese Belustigung

die allerbeständigste sey / könne man gar deutlich

darthun, weil man dadurch nicht könne

betrogen werden, in Ansehen aus einer Wahrheit,

357:5 

wenn man selbige erfunden habe, nichts

als lauter wahre Sachen gefolgert werden könten,

so habe man sich auch nicht zu befahren, daß

man künfftig etwa seine Meinung ändern werde,

dieweil dasjenige, was einmahl wahr sey,

357:10 

niemahln falsch werden könte, und die Wahrheit

alleine unveränderlich sey. Man müsse aber

hierbey sich zuförderst hüten, daß man ja zu keinem

andern Ende, als zu seiner Belustigung, die

Wahrheit untersuche, und nicht etwan damit

357:15 

Ehre und Lob erjagen wolte, weil man sonsten

sich mehr unglücklich, als glücklich machen und

viel Verdruß auff dem Hals laden werde, dem

derjenige gantz und gar entgehen könte, der die

Wahrheit zu blosser Belustigung untersuchte.

357:20 

Demnach sey nicht zu zweiffeln, daß ein Weiser

und Gelehrter viel glücklicher sey als ein Ungelehrter.

Denn dieser habe seine Tage keine

Gemüths=Ruhe / weil er allezeit auff das erpicht

sey, was ihm mangele, und weil ihm allezeit was

357:25 

mangele, sey er allezeit betrübt. Ja wenn er

gleich ein Gut erlanget habe, so wisse er doch

359 

dasselbe seinem Werthe nach nicht zu schätzen,

und habe also nur eine kindische Freude daran,

mit einem Wort, er sey niemahls recht freudig,

sowohl, wenn er ein Gut besässe, als wenn er

358:5 

es nicht besässe. Ein Weiser aber attendire

nicht einmahl, daß ihm was mangele / weil er

wohl wisse, daß es nicht anders seyn könne,

und betrübe sich solchergestalt ja so wenig drüber,

als er darüber bekümmert seyn solte, daß

358:10 

ein Triangel drey Ecken habe. Er brauche

vielmehr das Gute, das er besitze, und betrachte

solches, wie er es zu seinem Nutzen anwenden

möge. Und diese Betrachtung erwecke in ihm

eine beständige und wohlgegründete Freude, weil

358:15 

er dadurch in acht nehme, daß 1. ein Weiser viel

vermögender sey, als ein Unweiser, weil er viel

wisse und verwunderns würdige Sachen zuwege

bringen könne, weil er dadurch viel Nutzen

zu schaffen wisse, weil er Meister seiner affecten

358:20 

sey, und dieselben mit gantz leichter Mühe

beherrsche, weil er auch letzlich seine Gesundheit

erhalten, und ein vergnügtes Leben führen könne.

2. folge daraus, daß ein Weiser weniger Betrübniß

habe, in Ansehen, daß das meiste, daraus

358:25 

ein Unweiser sich Verdruß machet, nur eingebildete

Ubel seyn und letzlich 3. habe er mehr

359 

Freude, weil er unzehlig, viel Belüstigungen,

derer ein Unwissender entbehren müste, in seinem

Gemüthe erwecken könne, derer er nicht überdrüßig

würde, wie derer sinnlichen Belustigungen,

359:5 

sondern je mehr er Wahrheiten entdeckte, je

mehr Vergnügen hätte er davon. So brauche

er auch nicht, daß er in diesen Belustigungen Widerstand

thäte, und habe die Mühe nicht nöthig,

die ein Tugendhaffter brauche seine affecten zu

359:10 

bändigen, denn er könne in seiner Untersuchung

der Wahrheit nicht zuviel thun, und dürffte sich

keiner nicht darüber auffsteigenden Betrübniß

noch eines Eckels befahren. Derowegen weil

keine bessere und tugendhafftere action von uns

359:15 

könne zu Wercke gerichtet werden, als wenn wir

gantz und gar uns auf Erforschung der Wahrheit

legten, so müsten nothwendig die aller annehmlichsten

Belustigungen daraus entstehen, massen

denn so wichtige Wahrheiten daraus entspringen,

359:20 

dadurch wir im Finsterniß dieses Lebens

alle unser Thun und Lassen ohne Anstoß vollführen

könten, ja ohne deren Erkänntniß andere

Leute in denen Augen eines Weisen wie taumelnd

und torckelnd schienen. Endlich wenn man

359:25 

seine Vernunfft wohl excoliret habe, könne

man die Belustigung der Sinnen ohne Befahrung

360 

einer Traurigkeit brauchen, weil die unterrichtete

Vernunfft uns hierinnen zu einer

Richtschnur dienet, daß wir alsdenn die Belustigung

derer Sinnen, gar wohl brauchen könten,

360:5 

wenn sie uns geschickter machten, verborgene

Wahrheiten zu entdecken, hingegen aber dieselben

unterlassen solten, so ferne sie den speculiren

verhinderlich fielen. Hieraus folget nun, daß

aus Erkäntniß der Wahrheit einig und allein die

360:10 

wahre Tugend herrühre, die würdig wäre eine

Tugend genennet zu werden, aus dieser Tugend

aber entstehe die wahre und vollkommene Gemüths=Ruhe,

davon man insgemein nichts wisse,

oder, deutlicher zu sagen, daß die Weißheit, Tugend

360:15 

und Gemüths=Ruhe keine ohne die andere

seyn könne und folglich / daß in diesem Leben keine

grössere Glückseligkeit sey, als die Wahrheit selbst

zu untersuchen.

Dieses ist des Herrn Tschirnhausen seine

360:20 

Meinung de summo bono. Was hat nun der

Herr Bruder darwider einzuwenden? Es wird

sehr wenig seyn, antwortete Clarindo, denn so

viel die Vergnügung derer Sinnen betrifft, bin

ich gäntzlich seiner Meinung, und hat er überaus

360:25 

wohl darvon raisoniret, wie man dieses Vergnügen

recht mit Nachdruck geniessen könne.

Mir aber gefält dieses wohl, setzte Nicanor hinzu,

361 

daß er die Belustigung derer Sinnen von

der wahren Glückseligkeit ausgeschlossen, und erinnere

mich hierbey etlicher neuen Schrifften,

die wegen dieser controvers ohnlängst heraus

361:5 

kommen. Es hatte der Herr Bayle im Monat

Augusto 1685. M. Arnauld sein Buch wider des

P. Malebranche sein Systema von der Natur

und Gnade referiret / und unter andern erzehlet

daß Mallebranche, die Meinung führe,

361:10 

als ob alle Lust, die man vermittelst derer Sinnen

fühlete, uns glücklich machte, indem wir sie

empfunden, und daß man nichts destoweniger

diese Belustigungen, die uns allzusehr an den Leib

verknüpfften, fliehen müste. Worwieder M.

361:15 

Arnaud solle gesagt haben, daß dergleichen Wollüste,

ein Ubel, eine Marter und ein unerträgliches

Unglück wäre nicht allein wegen dessen,

daß darauf zu folgen pfleget, sondern auch zu der

Zeit, wenn man selbige empfinde. Hierbey

361:20 

sind nun des Herrn Bayle seine Gedancken,

daß es schiene, als wenn Mons. Arnaud, seines

Schwures, den er in der Vorrede gethan, vergessen

und hierinnen etwas chicanirt hätte,

bloß, daß er seinen Widersacher in der Sitten=Lehre

361:25 

verdächtig machen möchte. Denn es wäre

M. Arnaud seine Meinung gantz ungereimt,

362 

und würden wollüstige Leute solches für leere

Gedancken eines eigensinnigen Kopffes achten,

der sich einbildete, daß man seinen Worten mehr

Glauben werde zustellen, als der täglichen Erfahrung.

362:5 

Dannenhero wäre das sicherste,

daß man solchen Leuten gestünde, sie wären

glücklich, als ihnen darbey vorbildete,

daß, wenn sie sich dieses Glücks nicht

entzögen, so würde sie solches verdammen.

362:10 

Und ob man gleich sagen wolte, die Tugend, die

Gnade und Liebe GOttes, oder vielmehr GOtt

selbst, wäre unsere eigene Glückseligkeit, so müsse

man doch einen Unterscheid machen unter der

Betrachtung der Glückseligkeit in sensu effetivo

362:15 

& in sensu formali. Nach jener wäre

GOtt der einige Urheber alles Vergnügens,

nach dieser aber wäre die Belustigung unsere einige

Glückseligkeit. Denn wenn man nicht nur

schlecht weg fingiren sondern gar nach der neuen

362:20 

methode per impossibile fingiren wolte,

daß so ein heiliger Mann, wie St. Paulus,

von GOtt zu ewiger Marter ebenmäßig, als die

Teuffel verdammet wäre, so müste man eine

grosse Phantasie haben, wenn man sich einbilden

362:25 

wolte, daß ein solcher Mensch nicht so unglücklich

als die Teuffel seyn würde. Man würde solches

zwar sagen können, alleine man würde selbst

363 

nicht wissen, was man redete, so wahr sey es,

daß wir durch diesen eintzigen Weg begreiffen

könten die Art und Weise, womit GOTT uns

glücklich macht, nemlich wenn er unserer Seelen

363:5 

die Krafft mittheilete, dle Belustigung zu

empfinden. Diese censur nun hatte M. Arnaud

nicht verschmertzen können, derowegen hatte er

einen von seinen Creaturen angestifftet, der wegen

dieser censur wider Herrn Bayle schreiben

363:10 

muste; welches zwar Herr Bayle wider beantwortet,

aber damit nur Ursache gegeben, daß jener

im vorigen Jahre abermahls ein Tractätgen

unter dem Titul: Dissertation sur le pretendu

bonheur des plaisirs des sens pour

363:15 

servir de Replique à la Response, qu' à faite

M. Bayle eu faveur du P. Malebranche contre

M. Arnauld, herausgegeben, aus welcher

mun leichtlich auch den Inhalt derer beyden

Schrifften abnehmen kan. Denn er handelt von

363:20 

zwey Puncten. 1. Ob man M. Arnauld mit Fug

und Recht Schuld gegeben, daß er mit Vorsatz

dem P. Malebranche zuviel und unrecht gethan

habe? da er den distinct auf fünff argumenta,

die der Herr Bayle in seiner Antwort für sich angeführet,

363:25 

antwortet. 2. Ob nicht vielmehr mit Fug

und Recht M. Arnauld der Lehre des P. Malebranche

von denen Belustigungen derer Sinne

364 

widersprochen habe? worbey er eilff præsupposita

des Herrn Bayle widerleget, unter welchen

das fürnehmste Absehen dahin gerichtet ist,

daß der Herr Bayle distingviret zwischen den

364:5 

Nahmen der Glückseligkeit, so ferne sie in natürlichen

oder Metaphisischen Verstande / und

so ferne sie in sensu morali genommen wird,

und zu seiner Entschuldigung fürgebracht, daß

Malebranche jenen in Sinne gehabt, Mons.

364:10 

Arnauld aber auff diesen reflectiret. Hierwieder

nun erinnert der Autor dieser dissertation,

daß der P. Malebranche den sensum

moralem in Sinne gehabt, oder doch zum wenigsten

haben sollen, und was dergleichen mehr

364:15 

ist. Und in diesem Stück halte ichs mit M. Arnauld.

Ich aber halte es mit dem Herrn Bayle,

wiederredete Clarindo. Es verlohnt sich

wohl der Mühe, daß man wegen der herrlichen

quæstion; An Autor aliquis debeat uti termino

364:20 

felicitatis in sensu physico aut morali,

ein Gefechte anfänget. M. Arnauld scheinet

unter diejenigen zu gehören, dieweil sie bey denen

Ihrigen in guten Ansehen sind, nicht leiden

können, daß ein jota von ihren compendiis

364:25 

observationibus u.s.w. umkomme, auch sich

nicht können zufrieden geben, wenn man über

ihre einfältige Meinungen zuweilen railliret.

365 

Herr Bayle hat noch zuviel nachgegeben. Ich

wolte euch Herren anders refutiren und bald

Friede stifften. Ich wolte eines Theils M. Arnauld,

seinen defensorem, und den Herrn

365:5 

Bruder, am andern Theil aber den P. Malebranche

und M. Bayle zu mir zu Gaste bitten,

und weil ich gewiß versichert wäre, daß ihr drey

Herrn mit uns armen Sündern, die wir die

Glückseligkeit in sensu physico nehmen, nicht

365:10 

essen würdet, so wolte ich zwey Zimmer zubereiten

lassen. In das eine wolte ich mich mit P.

Malebranche und M. Bayle setzen und uns einbilden,

wir wären glücklich, wenn wir vier gute

Gerichte, nebst einem guten Trunck Rhein=Wein

365:15 

hätten, wenn wir unsere Ohren mit einer angenehmen

vocal-music kützelten, wenn in unserm

Zimmer etliche feine Gemählde zu sehen wären,

wenn der Tisch mit wohlriechenden Blumen bestreuet

wäre, und wenn wir auff weichen gepulsterten

365:20 

Stühlen sässen. In dem andern Zimmer

aber solte der Herr Bruder die Ehre haben,

dem Herrn Arnauld Gesellschafft zu leisten, sich

aber nicht verdriessen lassen, wenn die Wände

fein rauchricht aussehen, als wenn funfftzig

365:25 

Musquetirer ein Jahr darinnen Toback geschmaucht,

oder etliche wenige Muscowiter,

welche ihre Hände beym Essen an statt der Teller=Tücher

366 

an die Wände zu wischen pflegen, ein

viertel Jahr darinnen gespeiset hätten; wenn

auff der einen Seiten zehen volle Bauren mit gar

einen lieblichen Schnarchen, auff der andern

366:5 

aber zwantzig Katzen, denen Klemmen an

die Schwäntze geleget wären, mit ihren Jungfräulichen

Stimmen die Ohren des Gemüths

belustigten, wenn sie mit ein wenig Pumpernickel,

geräucherten dreyjährigen Kalb=Fleisch

366:10 

das Pfund à 4. Pf. und sauren Dorff=Bier vor

lieb nehmen müsten; wenn ich nicht gut dafür

seyn könte, wenn die schnarchenden Bauren

und eingeklemten Katzen das Zimmer in etwas

profoumirten, und endlich wenn ich für

366:15 

die Herren, eine sonderliche Mode von Stülen

hätte machen lassen, die denen Eseln, darauf man

die Soldaten zu setzen pfleget, etwas ähnlich sehen.

Und daß die Herren meinen guten Willen

erkennen könten, so wolte ich keine Kosten sparen

366:20 

ihnen einen Lector zu halten, der, damit ihnen

die Zeit nicht lang würde, das gelehrte Werckgen,

das der Herr Bruder ietzo referiret, vorlesen

solte. Ja ich wolte sie mit einen kostbahren

Schau=Essen tractiren, indem ich des Perilli

366:25 

seinen Ochsen wolte in einer Gips=Forme abbilden,

und einen erbaren Mann mit einen grossen

Mantel und langen Bart darauff setzen lassen,

367 

der eine lächelnde Mine machen solte, damit

sich die Herren desto eher erinnern könten, daß

in Belustigung der euserlichen Sinnen gantz

im geringsten keine Glückseligkeit bestünde, und

367:5 

daß ein weiser Mann in dem Ochsen des Perilli

ja so vergnügt seyn könne, als ein anderer meines

gleichen in den schönsten Rosen=Garten. Der

Herr beschreibet sein Gast=Geboth so appetitlich,

redete Polydor hierzu, daß ich dafür halte,

367:10 

Herr Nicanor werde sich dienstlich darvor bedancken,

und zweiffele ich sehr, ob er einen einigen

Gast bekommen würde, wenn er es gleich acht

Tage nach einander wolte ausruffen lassen.

Die Schuld wäre niemand als meinen Gästen

367:15 

selbst zuzuschreiben, antwortete Clarindo. Denn

wolten sie es so gut haben, als ich, so würde sie

es nur drey Worte kosten, wenn sie gestünden, daß

die Belustigung der Sinnen auch ein Theil der

Glückseligkeit des Menschen wären, und zwar

367:20 

in sensu morali. Mich wundert sehr, daß der

Herr Nicanor, der sonsten so ein guter Peripateticus

ist, zuvor solches geleugnet, da doch sonsten

die Herrn Peripatetici auch in der Morale drey

classes bonorum machen, honestorum, utilium

367:25 

& jucundorum, auch darinnen einig

sind, daß die bona jucunda zuweilen ad bona

vera gerechnet werden können, und hätte er

368 

dannenhero einen Unterscheid machen sollen unter

einer gemeinen und unter der höchsten Glückseligkeit.

Zu dieser kan die sinnliche Lust nicht

gerechnet werden / aber deßwegen bleibt sie wohl

368:5 

ein Stück der mittlern Glückseligkeit.

Nun der Bruder gebe sich nur zufrieden,

sagte Nicanor? ich will mit ihm speisen. Aber er

sage mir doch, was hält er von der Vergleichung,

die der Herr Tschirnhausen zwischen einen Tugendhafften

368:10 

Leben und zwischen der Erforschung

der Wahrheit anstellet, und diese für eine grössere

Glückseligkeit des Menschen achtet, als jene.

Hierwider, antwortete Clarindo wird der Herr

Bruder als ein Peripateticus mehr zu erinnern

368:15 

haben, als ich. Ich will nur ein ander neu Buch

referiren und hoffe er soll zugleich daraus erkennen,

was meine Meinung hierüber sey. Es heisset

solches la vanite des sciences ou reflexions

d' un Philosophe Chretien sur le Veritable

368:20 

Bonheur und ist zu Amsterdam in diesen Jahre

in groß 12mo heraus kommen. Der Innhalt

desselben bestehet in 2. Puncten. 1. Will der Autor

darthun, daß es nicht alleine zugelassen sey,

daß man sein Vermögen ehrlicher Weise unter die

368:25 

Leute bringe und sich seinen Staat gemäß halte,

sondern daß ein Mensch hierzu verbunden sey, und

besser thue, als wenn er sich kümmerlich behelffen,

369 

und sein Reichthum unter die Armen austheilen

wolte. 2. Untersucht er, ob die Wissenschafften

und das Studiren zu der wahren und höchsten

Glückseligkeit des Menschen eigendlich gehören,

369:5 

und bemühen sich zu beweisen, daß ein

Mensch, der tugendhafft lebet, und nicht studiret

hat, ja so glücklich seyn könne, als der gelehrteste

Mann. Was den ersten Punct betrifft, so

fasset er die Ursache seines Satzes kurtz und bündig

369:10 

zusammen, weil die menschliche Gesellschafft

sonsten im geringsten nicht bestehen könnte

denn wenn auff einmahl die gantze Welt auffhören

solte / so unzehlig viel Kauff= und Handwercks=Leute,

die von denen Depensen derer

369:15 

Reichen sich ernehren musten, Unterhalt zu verschaffen,

und ihr Reichthum denen Armen zu geben,

so würden die Armen alle auff einmahl

reich werden, die Kauff= und Handels=Leute

aber betteln müssen. Denn man müsse

369:20 

wohl betrachten, daß die Armen nicht alleine

von der Guthätigkeit anderer Leute lebeten,

sondern alle diejenigen, die ihr Brod erwerben

müsten. Dieses wären aber nicht alleine die

Handwercks=Leute und Tagelöhner, sondern

369:25 

alle diejenigen, die nicht gnug Vermögen hätten,

sich und ihre familie ohne fernern Erwerb

370 

zu unterhalten, und auff diese Art wäre fast die

gantze Welt arm, wannenhero man die Armen

in zwey Classen eintheilen könnte, deren die eine

in dem Zustande wäre / andern Leuten wieder

370:5 

Dienste zu leisten, die andere aber nicht. Diese

letzte nun müsten sich begnügen lassen, wenn sie

nothwendigen Unterhalt und Kleider kriegten

den übrigen Erwerb aber müsse man durch

Handel und Wandel unter die Leute bringen,

370:10 

die uns wieder Dienste leisten könten, weil dadurch

die gantze Welt erhalten würde, es wäre

wohl zu wünschen, daß wir in einen heiligen

Stand lebeten, worinnen wir die Liebe in höchsten

Grad besessen und alle Güter gemein wären

370:15 

aber weil dieses nicht wäre, und die Vanität

der Reichen zu Unterhalt der Armen höchstnöthig

wäre, so solten die Priester solches wohl

betrachten, wenn sie auf denen Cantzeln öffters

den excess ihres Eiffers sich übernehmen liessen,

370:20 

und auf Einstellung derer depensen ein wenig

zu sehr drüngen. Man müsse aber derohalben

nicht auf die andere extremität fallen und

sich einbilden, als wenn man das seine liederlich

und aus Hochmuth verschwenden dürffte, sondern

370:25 

folgende Regeln beobachten, 1. Das

man zuforderst einen gewissen Antheil seines

371 

Vermögens zu Austheilung unter die Armen

anwenden solte 2. Daß man von dem übrigen

mehr Ausgabe zu Ausbesserung des Verstandes,

als zu Unterhalt des Leibes solte gebrauchen.

371:5 

3. Daß man sich in depensen, so

man auff Speiß und Tranck, Hausrath,

Kleidung, Gesinde und dergleichen wenden wolte,

sehr in Acht nehmen müsse damit man solches

nicht aus Eitelkeit und Hoffarth thäte und

371:10 

seine Lust und Wohlgefallen darinnen suchte, sondern

aus Schuldigkeit und der Meinung, daß

man der Obligation, die GOtt einen Menschen

hiermit aufferleget, genüge leisten wolle. Die

Anzeigungen dieses letzten Vorsatzes wären diese,

371:15 

wenn man kein Verlangen trüge, mehr depensen

auffzuwenden als das Vermögen zuliesse,

und zufrieden wäre, wenn das Vermögen

abnehme, daß man nicht mehr so grossen

Staat führen könne, als zuvor, sondern betrachtete

371:20 

diese Veränderung vielmehr als eine Befreyung

von einer überflüßigen und beschwerlichen

Last, als einen Verdruß. Denn obgleich

das interesse des gemeinen Wesens erfordere,

daß ein Fürst einen Fürstlichen Staat führe,

371:25 

ein Edelmann einen adelichen, und ein Kauffmann

nach seiner condition lebete, u.s.w. und

372 

solchergestalt in Ansehen des gemeinen Wesens

keine depensen überflüßig wären, so wären

sie doch wahrhafftig überflüßig in Ansehen dessen,

der solche machte, und die anders meineten,

372:5 

wären von der Paßion des gemeinen Pöbels eingenommen,

als wenn die wahre Glückseligkeit

in der Pracht und Herrlichkeit bestünde, an statt

daß man sie in dem innerlichen Vergnügen und

Ruhe des Gemüths suchen müsse. Die aber

372:10 

dieses überlegten, daß sie GOtt bey ihrem Vermögen

nur zu Haußhältern gemacht hätte, würden

kein Verlangen tragen mehr Reichthum zu

besitzen noch darinnen ihr Vergnügen suchen,

sondern wenn sie in Sammet und Seide gehen

372:15 

könten, hielten sie sich vor schuldig solches zu thun,

wenn sie aber nur wollene Zeuge bezahlen könten,

hielten sie sich vor beqvem und gut nur wollene

zu tragen. Denn sonsten, wenn wir unsern

Reichthum nur für den geringsten Theil unserer

372:20 

Glückseligkeit hielten, würden wir unsere vollkommene

Gemüths=Ruhe nicht erhalten können.

Dannenhero solten wir hierinne dem Exempel

Pauli Philipp.IV.10.11.12. nachfolgen. Diejenigen,

so diese Lehre nicht gelernet hätten, wären

372:25 

denen gleich, die nicht unter die Leute kommen

wären oder gereiset hätten. Denn wenn

372 

man denen vorsagen wolte, daß man einen Frauenzimmer

einen Hut solle auffsetzen, daß man

Wein oder Aepffel unter die Milch mischen solte,

würde ihnen solches lächerlich vorkommen.

373:5 

Also auch, wenn man denen Leuten, die gewohnet

wären, von Jugend auff sich von andern bedienen

zu lassen, fürschwatzen wolte, daß sie andern

dienen solten, würde ihnen solches sehr

Spanisch vorkommen. Nichts desto weniger

373:10 

wäre dieses nur eine blosse Unwissenheit,

daß man in der geringsten condition nicht eben

so glücklich seyn könne, als in einer hohen

Ja es wäre eine gefährliche Unwissenheit, weil

sich ein Mensch wegen derselben allezeit in einen

373:15 

Stand sehe, daß er unglückselig werden könte,

und wären solche Leute denen gleich, die

zwar auff einen festen Ort sässen und eine wohlbesetzte

Taffel für sich hätten, welche aber über den

Meer an etlichen Pferde=Haaren hienge, und

373:20 

wären etliche kleine Teuffelgen in der Lufft, die

immer droheten, die Pferde=Haaren zu zerschneiden.

Nach diesen beantwortet der Autor etliche

Einwürffe hierwieder 1. daß zwar die Arbeit

geringen Leuten nicht beschwerlich wäre, in Ansehung

373:25 

der Gewohnheit, wenn aber vornehme

373 

Leute von zarten Leibe harte Arbeit thun solten,

würden sie solches unmöglich austauren können.

Hier gestehet nun der Autor, und räumet

ein, daß er selbsten solche Leute für unglücklich

374:5 

halten müste, wenn sie Taglöhner oder Träger

werden solten, aber dergleichen Fall sey fast für

vornehme Leute, die ein wenig wohl erzogen,

sondern wenn es hoch käme, so könte es geschehen,

daß ein Cavallier, der sich einen Cammerdiener

374:10 

hielte, selbsten ein Cammerdiener werden

müste. Nun wäre aber eines Cammerdieners

Verrichtung so beschaffen, daß man dieselbe ohne

Verdruß verrichten könte. 2. Schiene wohl

ungereimt zu seyn, daß der Autor fürgebe, man

374:15 

müsse sich einbilden daß man seine Güter nicht

wegen seines eigenen interesse sondern aus

Schuldigkeit dispensirete, da doch ausgemacht

wäre, daß wir deswegen auff der Carosse

führen, daß es uns nicht beschwerlich fallen

374:20 

solte zu Fuß zu gehen, daß wir uns deshalben bedienen

liessen, damit wir desto besser unser Studiren

und unsere Freunde abwarten könten. Diesen

Einwurff beantwortet er sehr weitläufftig,

und führet dabey gar herrlich aus, daß alle

374:25 

Menschen ein natürlich Verlangen hätten,

glücklich zu seyn, und daß sie dannenhero

374 

nothwendig ein gleiches Vermögen hätten diese

Glückseligkeit zu erlangen, welche in nichts

anders bestünde, als in der Tugend, das ist,

daß man seiner Pflicht beobachtete, und mit allen

375:5 

Ständen, darein man von GOtt gesetzet würde,

zufrieden wäre. Die Mittel aber hierzu

zugelangen, wären nichts anders als der rechtmäßige

Gebrauch seines Verstandes und

seines Willens. Und ob man gleich hierwieder

375:10 

einwenden wolte, daß dieses eine

mittelmäßige Glückseligkeit wäre, weil ein Tagelöhner

solcher eben so fähig wäre, als ein

vornehmer reicher oder gelehrter Mann, und

man also die Ehre und viele Belustigungen,

375:15 

derer ein Tagelöhner nicht fähig wäre, auch

alle Gelehrsamkeit für nichts achten müsse, so

könne doch dieses alles gar leicht beantwortet

werden. Worauff er schöne Gedancken von

Ehre und von dem rechten Gebrauch derer

375:20 

sinnlichen Belustigungen angeführet, und

consilia gegeben, wie man es machen müsse,

wenn man sich in denen zeitlichen Lüsten nicht zu

sehr vertieffen wolte, unter welchen auch

dieses ist, daß ein Mensch sich dadurch vorsehen

375:25 

könne, daß sein Gemüthe nicht an einer Sache

376 

allzufeste klebete, wenn er seine Gedancken divertirte,

daß er / so viel müglich wäre, in allen Sachen

erfahren würde welches er mit gar artigen

Gleichnissen erkläret. Denn ein Mensch,

376:5 

der stets hintern Ofen gesessen und dem alles

wunderlich vorkömmt, was denen Gebräuchen

seines Vaterlandes zuwider ist, benimmt sich

diesen Fehler, wenn er reiset und dadurch der

Sitten anderer Völcker gewohne wird. Also

376:10 

auch wenn man die Ursachen und Auslegungen

allerhand Secten in der Christenheit sich

bekant machet, so gewehnet sich der Verstand

zur Gedult und Einträchtigkeit, daß man

nicht zu hitzig ist, die Leute, so einer andern Religion

376:15 

ergeben sind, zu verdammen u.s.w. Endlich

kömmt er auch auff die Gelehrsamkeit, als

den andern Haupt=Punct dieses Tractats, und

will zuförderst beweisen, daß zwar allerdings zu

der höchsten Glückseligkeit eines Menschen gehöre,

376:20 

so viel in seiner Wissenschafft zuzunehmen,

als in seinen Vermögen ist, und seine condiiton

zuläst aber daß auch ebenmäßig diejenigen

so zum studiren ungeschickt seyn, nicht vor unglücklich

zu halten wären, daß sie über ihr Vermögen

376:25 

nichts wüsten welches letztere er

durch zwey Gründe beweiset. Denn erstlich

377 

thut er dar daß wir nicht sollen unsere Glückseligkeit

suchen in einer ohnmöglichen Sache, derer

Unmöglichkeit von einem Gesetze herrühret

und theilet dannenhero die unmöglichen Dinge

377:5 

ein in solche / die aus andern Ursachen über unser

Vermögen sind; als Kranckheiten und Verfolgungen

/ welche etwas zu des Menschen

Glück oder Unglück contribuirten, und in solche,

die entweder aus Ordnung der Natur oder

377:10 

ex dispositione legis unsern Willen entzogen

sind, welche unsere Glückseligkeit nichts angehen.

Zum andern behauptet er, daß wenn wir auch

gleich studiren könten, wir doch nicht Ursache

hätten zu glauben, das von der Wissenschafft

377:15 

einen Gelehrten ein so grosser Vortheil entstünde,

daß sie Ursach hätten sich darüber zu bekümmern,

wenn sie nichts verstünden. Dieses

aber recht zu verstehen, giebt er zu, daß nothwendig

Gelehrte in der Welt seyn müsten,

377:20 

durch welche andern Menschen die fundamente

der Sitten=Lehre, der Religion, der Erbarkeit

und der Hoffnung eines andern Lebens beygebracht

würden. Was aber eine Gelehrsamkeit

wäre, die das obige überträffe, die machte die

377:25 

Menschen nicht glücklicher, als andere, weder an

378 

Leibe noch an Gemüthe. Denn was das Gemüthe

beträffe, so wären zweyerley Glückseligkeiten,

eine des Willens, welche in der Tugend und

Hoffnung eines andern Lebens bestünde, die andere

378:5 

des Verstandes, wohin er alle scharffsinnige

speculationes referiret, und beweiset, daß

dieselbigen weder die Tugend noch die Hoffnung

angiengen, daß man die Tugend in ungelehrten

Leuten höher achtet, als in Gelehrten, und daß

378:10 

die Vergnügung, so man aus dem Studiren

empfinde mehr zu einer Belustigung des Leibes

als zu einer wahrhafftigen Glückseligkeit des

Gemüths zu rechnen wäre, ja daß die Hoffnung

zu einem künfftigen Leben bey denen Gelehrten

378:15 

nicht stärcker als bey andern wäre. Er antwortete

aber zugleich auff einen Einwurff und

erklärete sich, daß man aus seinen discours

nicht schliessen müsse, als wenn ein Gelehrter das

Studiren solle fahren lassen, daß er in der Tugend

378:20 

und andern meriten möge vollkommener werden,

sondern seine Meinung gienge nur dahin,

daß das interesse unserer Glückseligkeit

uns nicht zu dem Studiren antreiben solle, sondern

daß die Gelehrten vielmehr in Ansehen ihrer

378:25 

Pflicht und Vermöge des Standes, in welchen

sie von GOtt gesetzet worden, darzu verbunden

379 

wären. Was nun ferner absonderlich die

Glückseligkeit des Verstandes und die Erforschungen

neuer Wahrheiten anlanget, so betrachtet

er anfänglich wie wenig Gelehrte daran Antheil

379:5 

hätten, und fürs andere, wie diese Glückseligkeit

auch in denen Gelehrten sehr eingeschränckt

und kaum der Mühe wert sey.

Bey beyden Puncten hat er sehr gelehrte meditationes,

indem er alle disciplinen und facultäten

379:10 

derer menschlichen Wissenschafften durchgehet,

auch dann und wann sinnreiche digressiones

mit hinzugesetzet hat: als bey der Physic

handelt er etwas weitläufftig von der solidität

der Cörper und deroselben Bewegung, indem er

379:15 

nicht alleine hierüber seine Gedancken eröffnet,

sondern auch wider die hypotheses der Cartesianer

gar subtil disputiret. Bey der Metaphysic

beklagt er, daß man so wenig von denen

speciebus derer Substantzen wisse, und noch

379:20 

viel dunckeles in Erforschung derer causarum

secundarum verborgen wäre. Bey der

Theologie aber bejammert er die unfertigen

Streithändel und das unnöthige Gezäncke, so

die Theologi unter einander angefangen.

379:25 

und bekennet rund und frey heraus, daß ob er

380 

gleich bißhero fleißig in der heiligen Schrifft,

studiret habe, er dennoch bißher wegen keiner

andern Sache sich glücklich schätzen könne, als

daß er erkennete, er sey nicht gelehrter als der

380:5 

einfältigste Christ, und daß der heilige Geist

keinen Vorsatz gehabt habe uns zu grossen Philosophis

durch die heilige Schrifft zu machen,

oder uns solche Sachen vorzulegen, die einig

und allein in der speculation bestünden, sondern

380:10 

uns hauptsächlich zu lehren, wie wir gottselig leben

solten, und uns zu der künfftigen Glückseligkeit

durch den Weg eines heiligen Wandels

zu führen; daß die heiligen Männer niemahls

in Willens gehabt uns unbegreiffliche mysteria

380:15 

zu lehren, sondern im Gegentheil hätten sie

sich in denen Glaubens=Sachen dener concepten

derer gemeinen Leute accommodiret, und

sich nicht bemühet ihnen genauere Nachricht davon

zu geben, wenn es nicht zu Erbauung des

380:20 

Lebens nöthig gewesen; daß ihre Redens=Arten,

woraus man sich hernach unbegreiffliche mysteria

eingebildet, nichts anders seyn, als figurliche

und gemeine Redens=Arten, die sich entweder

nach unserm heutigen stylo accommodiren

380:25 

lassen, oder sich auff den schicken, der zu ihren Zeiten

gebräuchlich ware; und endlich, daß GOtt

381 

die heilige Schrifft dem menschlichen Geschlecht

aus zweyerley Ursachen gegeben habe, erstlich

dadurch das natürliche Licht der Sitten=Lehre und

der Religion, welche entweder die Natur oder

381:5 

die Göttliche Offenbahrung dem Menschen eingepflantzet,

zu erwecken und zu erhalten, auch solche

zu bekräfftigen und zu erklären; zum andern

aber, den Verstand derer Ungelehrten dadurch

zu erleuchten, daß sie ohne grosse Mühe in diesem

381:10 

Stück viel gelehrter würden als die Gelehrten, so

dieses Licht der H. Schrifft nicht hätten. Aus

diesen allen nun schliesset der Autor, daß man

unter zweyen extremitäten das Mittel treffen

müsse, und davor halten, daß zwar das Studiren

381:15 

eine solche Lebens=Art sey, in welcher man die

ehrlichste, tauerhafftigste und ruhigste Vergnügung

finden könte; aber nichts desto minder

dürffte man sich doch derowegen nicht einbilden,

daß andere Stände nicht auch ihre Belustigungen

381:20 

hätten, die dem Studiren ihres Werths

halber nichts nachgeben, und beschliesset hiermit

den discours mit einer deutlichen recapitulation

und Beschreibung der wahren menschlichen

Glückseligkeit. Endlich setzet er zu denen

381:25 

oben erzehlten 3. Regeln. Die man in denen

382 

täglichen Ausgaben beobachten solte, noch 3.

andere. 4. Daß man allezeit im Handel und

Wandel bedencken solle, daß man die Ausgaben

des gemeinen bestens halber thun, und also denen

382:5 

Kauff= und Handwercks=Leuten für ihre Waare

und Arbeit so viel geben müsse, daß sie dabey ihre

Nahrung finden könten. 5. Daß man seine

Ausgaben nicht zur vanität und Pralerey anwende

sondern daß man 6. in Kleidung Haußrath

382:10 

und dergleichen sich nach demjenigen richte,

und bey denen klügsten und geschicktesten von unsern

Alter und qualität im Gebrauch ist.

Ich habe mich in Erzehlung dieses Büchleins

etwas weitläufftig auffgehalten, weil mir

382:15 

dasselbe so wohl gefallen, daß ich es mit grosser

Begierde emsig durchgelesen. Ich mache mich

zwar seiner Meinung, die er von dem Nutzen

und Zweck der heiligen Schrifft hat, nicht theilhafftig,

aber in dem, was er aus der Vernunfft

382:20 

raisoniret, ist er mir so artig, deutlich und vernünfftig

vorgekommen, daß ich niemahls mit grösserer

Lust die quæstion de summo bono gehöret

oder gelesen. Sein stylus ist nette und

deutlich, die Ordnung juste und leichte, dergestalt,

382:25 

daß nicht allein ein Gelehrter er mag von

einer Secte seyn, wie er will, seine Meinung gar

383 

wohl und ohne Mühe begreiffen, sondern auch ein

Frauenzimmer, das nicht studiret hat, und nur

die Frantzösische Sprache verstehet, diese

Schrifft mit guten Nutzen lesen kan. Denn er

383:5 

braucht in dem gantzen Werck keine Schul terminos,

sondern entweder gemeine Redens=Arten,

oder setzet allezeit eine deutliche Beschreibung

darzu, wenn er ein Wort in einem sonderlichen

Gebrauch anführet. Und zu dem Ende

383:10 

hat er auch selbst dieses Buch in Form einer

Epistel an galantes Frauenzimmer eingerichtet,

und seine Meinung bloß aus der gesunden

Vernunfft, nicht aber aus denen Lehr=Sätzen

derer alten Heydnischen Philosophen dargethan

383:15 

und behauptet. Wannenhero er desto mehr

den Nahmen und Titul eines Christlichen Philosophi,

den er sich selbst giebet, meritiret, als

wenn er denselbigen wegen eines Mischmasches

der Philosophie und Theologie, oder aus einer

383:20 

heuchlerischen Einbildung, seine Widersacher

damit zu erschrecken und fürchtend zu machen,

sich zugeeignet hätte. Ich falle dannenhero der

Meinung, die der Autor vertheidiget, daß die

Gelehrsamkeit für die höchste Glückseligkeit nicht

383:25 

zu achten sey, so lange bey, biß der Herr Tschirnhausen

die Ursachen, die dieser Autor angeführet

mit Nachdruck widerleget, oder die Tugend

384 

mit gegründeter Ursachen und die einem Gelehrten

mehr satisfaction geben, antastet. Aber

der Herr Nicanor wird zweiffels ohne in diesem

Stück mehr wider den Herrn Tschirnhausen zu

384:5 

sagen haben, als ich. Ich bin zu wenig, antwortete

Nicanor, von so einen vornehmen Mann zu

urtheilen, jedoch habe ich einen guten Freund gebeten

mir einen extract von des Herrn Tschirnhausens

seiner gantzen Medicina mentis zu machen

384:10 

und seine Meinung hierüber zu eröffnen, zumahlen

Ihre Excellence mir neulich erwehnet,

daß sie dergleichen extract verlangeten.

Der Herr Bruder hätte mit dem extract

seinem guten Freunde keine Mühe machen dürfen,

384:15 

begegnete Clarindo, weil sowohl der Herr

Bayle als die Collectores der Bibliotheqve

Universelle, und die Societät zu Leipzig dieses

allbereit verrichtet. Es wird nicht viel verschlagen,

sagte Nicanor. Die Frantzösischen extracte

384:20 

habe ich nicht gelesen, und wegen derer

Actorum Eruditorum wird der Herr Bruder

irrig seyn, daß in denenselben besagtes Buch

solle extrahiret seyn worden. Ich bin nicht

irrig, widerredete Clarindo, sondern weiß es

384:25 

gar eigendlich, und will mit dem Bruder darum

wetten. Es sey drum, versetzte Nicanor, ich wette,

und zwar um eine galanterie für ein halb

385 

Dutzend Thaler, wenn es ihm beliebig. Als nun

Clarindo auch hiermit zufrieden, und Polydor

curieus war zu wissen, wer die Wette gewinnen

würde, ließ er durch seinen Diener die Acta

385:5 

Eruditorum voriges Jahrs hohlen, und suchte

selber im Indice nach. Nachdem er auch daselbst

das besagte Buch angetroffen, wendete er

sich zu dem Nicanor und sagte. Der Herr suche

immer sein halb Dutzt Thaler zu rechte. Eure

385:10 

Excellence seyn nur so gnädig, antwortete dieser,

und geruhen, die excerpta selbst anzusehen:

Polydor thate solches, und suchte sie im Monat

December auff. Als er aber dieselben gelesen,

schüttelte er den Kopff, und überreichte die Acta

385:15 

dem Clarindo sprechende; Ich weiß nicht. Der

Herr sehe selbst, ob er die Wette gewonnen oder

nicht? Clarindo war nicht allerdings mit zu

frieden und sagte aus Verdruß. Was ist denn

das für eine neue invention, den Titul eines

385:20 

Buchs hinzusetzen und nur zu sagen, daß man

solches ein andermahl excerpiren wolle? Siehet

der Herr Bruder nicht, antwortete Nicanor,

daß die Herren Collectores selbsten die Ursache

angeführet, daß sie solches zu dem Ende gethan,

385:25 

damit man es ihnen nicht übel ausdeuten

möchte, als wenn sie ein solch gelehrtes Werck

mit Fleiß ausgelassen hätten. Ich sehe solches

386 

ja wohl, antwortete Clarindo etwas ungedultig;

Aber lassen sie denn sonsten niemahls gelehrte

Bücher mit Fleiß aussen? Als der Herr Bruder

wohl siehet, ware Nicanors Antwort. Zu

386:5 

dem haben sie, andere Ursachen zu geschweigen,

die officia humanitatis und leges gratitudinis

in acht nehmen, und dem Herrn Tschirnhausen

wegen des Compliments, daß er ihnen in

medicina mentis gemacht, nichts schuldig

386:10 

bleiben wollen. Aber dem sey, wie ihm wolle,

es ist genug, daß der Herr Bruder die Wette

verspielet. Es ist noch nicht an dem, sagte Clarindo,

denn ich habe gewettet, daß die Medicina

mentis in denen Actis stehe. Der Herr gebe sich

386:15 

immer geduldig drein, redete Polydor hierzu,

denn die Wette war darüber, ob der extract aus

diesem Buche in denen Actis stehe oder nicht?

der Herr Nicanor aber sende mir die Antwort

seines guten Freundes zu, so bald er solche überkömmt

386:20 

Ich habe dieselbe allbereit bey der Hand,

sprach Nicanor, und bin bereit solche jetzo her zu

lesen, so es Eurer Excellence Beliebung ist, und

fieng darauff folgender gestalt an:

P. P. Die übersendete Medicinam mentis sive

386:25 

tentamen genuinæ Logicæ, in qua disseritur

de methodo detegendi incognitas veritates

387 

habe ich angefangen mit Fleiß zu durchlesen, und

bestehet dieselbige aus drey Theilen. In dem

ersten erzehlet der Herr Autor, durch was für

eine Gelegenheit er auff die Spur kommen,

387:5 

daß er die Erforschung der Wahrheit durch

uns selbst für die höchste Glückseligkeit zu halten

angefangen. In dem andern bemühet

er sich allgemeine Regeln zu geben

vermittelst welcher man allerhand Arten neuer

387:10 

Wahrheiten entdecken könne, und in

dem letzten untersucht er, in welcher disciplin

man seine größte Lust und Vergnügen durch

Erforschung neuer Wahrheiten, finden könne.

Bey dem ersten Theile erzehlet er daß

387:15 

als er zu seinen Jahren kommen, und bey sich

wohl überleget habe, durch was Mittel er auf

den rechten Lebens=Weg gebracht worden

sey, habe er befunden, daß es dahero

kommen sey, weil er von Jugend auff keine

387:20 

inclination bey sich befunden, jedermann

gutes zu thun und niemand zu Schaden

(2) daß er allezeit begierig gewesen sey etwas

neues und curieuses zu lernen, und (3) daß er

jederzeit ein Verlangen gehabt sein Leben glücklich

387:25 

zu vollführen, vermittelst des ersten habe

er bald gelernet Tugendhaffte Leute von bösen

388 

zu unterscheiden, weil jene mehrentheils andern

zu Schaden und solche zu verunglimpffen,

diese aber denenselben gutes zu thun suchen,

aber dadurch habe er doch noch nicht die

388:5 

Wahrheit erforschen können, weil öfters gute

und fromme Leute einfältigen Meinungen

beygethan wären. Dannenhero habe er durch

die andere Begierde angetrieben sich bemühet,

mit denen gelehrtesten Leuten sowohl voriger,

388:10 

als unserer Zeiten in Bekanntschafft zu gerathen

und derer Schrifften zu lesen. Wordurch er

es dahin gebracht, daß er nicht leichte des

rechten Wegs verfehlet. Nichts destoweniger

habe er durch diese Begierde zwar vielfältige

388:15 

Wissenschafft erlanget, was andere gelehrte

von diesem oder jenem hielten, sey aber dennoch

eben hiermit gehindert worden etwas selbsten

anzugreiffen, oder derer vorigen Gelehrten ihre

kluge Erfindung ferner zu befördern.

388:20 

Derohalben habe er durch sein drittes Verlangen

angespornet, sich beflissen zu Beförderung

seiner eigenen Glückseligkeit mehr seiner

eigenen inclination, als anderer ihren Anführungen

zu folgen. Denn ob ihn gleich hiervon

388:25 

so vieler Gelehrten unterschiedene Meinungen

hatten billich abschrecken sollen, so

389 

habe er doch durch fleißiges Nachsinnen so viel

befunden, daß ein ieder Mensch am allerbesten

bey sich selbst abnehmen könnte, was ihm

nützlich oder schädlich sey, leichte oder sauer ankäme,

389:5 

Freude oder Traurigkeit bey ihm erwecke, und

solches viel besser wisse, als alle andere, wenn es

auch die gelehrtesten Leute wären, denn es wisse

ein jeder zum Exempel selbst am besten, welche

Speise ihm wohlschmecke oder nicht, andere mögen

389:10 

davon halten was sie wolten. Daß solchergestalt,

ob es gleich nicht zu bewundern sey, daß die

Menschen de Vero & Falso unter einander disputirten,

so wäre es doch sehr wunderlich, daß sie

sich sehr offte zanckten über solche Sachen, die

389:15 

ihnen nützlich oder schädlich wären, da doch bey

diesem Punct am sichersten wäre, wenn ein ieder

seinem eigenen Gewissen folgte. Also habe er nun

nachgedacht, was ihm bißher am nützlichsten und

leichtesten gewesen, und habe aus obigen principio

389:20 

in dessen Entdeckung nicht irren können.

Massen er denn erstlich befunden, daß der Glückseligkeit

des Menschlichen Lebens nicht mehr zuwider

sey, als die Affecten und Gemüths=Bewegungen;

im Gegentheil aber zum andern nichts

389:25 

mehr nothwendig sey unsere Glückseligkeit zu vermehren

als unerkannte Wahrheiten zu erforschen;

390 

worzu aber drittens ein gesunder Leib und ein Leben

ohne Sorge erfordert werde. Jedoch habe er

sich hiebey gehütet, daß er nicht dafür gehalten, daß

es andern auch nothwendig so scheinen müsse, was

390:5 

ihm also gedüncket, sondern vielmehr dafür gehalten,

das, was ihme leicht ankäme, andern beschwerlich

seyn könne, was ihm angenehm wäre andern

verdrießlich sey, was ihm gut vorkomme, andern

vielleicht böse zu seyn schiene. Hiernechst müsse

390:10 

man sich auch hüten, daß man aus demjenigen,

was man selbst versucht, nicht auf das schliesse, was

man nicht erfahren habe, und weil man davor halte,

daß eine Sache anmuthig, gut und nützlich sey,

müsse man sich deßhalben nicht einbilden, daß

390:15 

andere Sachen, so man nicht versucht nicht anmuthiger,

besser und nützlicher seyn könten. Damit

er nun wider diese Anmerckungen nicht selbst

anstossen möge, als wenn er eine eingebildete

Glückseligkeit andern Leuten, als eine allgemeine

390:20 

obtrudiren wolte, so wolle er darthun, daß der

Weg, den er für denjenigen so zu der höchsten

Glückseligkeit führet, ausgiebet, auch andern dienlich

sey, und wolte solches allezeit mit unläugbaren

Erfahrungen bekräfftigen. Hierauf fänget er

390:25 

an wider die Belustigung der Sinnen, sodann

391 

wieder ein Tugendhafftes Leben zu disputiren, daß

darinnen die höchste Glückseligkeit nicht bestehen

könne, und schliesset endlich mit vielen Gründen,

daß die Erforschung neuer Wahrheiten einen

391:5 

Menschen am allerglückseligsten mache.

In dem andern Theil fänget er an etwas

von der Kunst neue Wahrheit zu erforschen

insgemein zu discouriren, und zwar anfänglich

von dererselben Vortreflichkeit. Worbey er

391:10 

anführet, daß, weil GOtt alles, was wahr ist,

von Ewigkeit her gewust habe, wir durch diese

Kunst und Wissenschafft gleichsam mit GOtt redeten,

und hierdurch auff gewisse Masse GOttes

Gemüthe erkenneten. Ja es verwandele und erhebe

391:15 

diese Wissenschafft unsere Natur gleichsam

über die Menschheit, und bringe dieselbe dahin,

daß sie nicht wenig von der göttlichen Natur zu

participiren scheine. Denn wodurch könten wir

sonst GOtt mehr und mehr ähnlich werden, als

391:20 

wenn wir unsere Natur dahin brächten, daß es in

unsern freyen Willen stünde, wenn und wie wir

wolten ohne Zweiffel und Arbeit, mit einer gewissen

und beständigen methode, verborgene

Sachen ohne Irrthum allezeit entdecken? Was

391:25 

könten wir für eine vortreffliche Krafft in dem

Menschen, für einen bessern Willen oder höhern

392 

Verstand uns einbilden? Wie könten wir

das Ebenbild GOttes besser und vollkommener

ausdrücken? Also sey nichts, was die Menschliche

Natur vermittelst des natürlichen Lichts zu einer

392:5 

grössern Vollkommenheit bringen könte, und

dieses wäre der höchste Grad, zu welchen vermittelst

des Verstandes ein Mensch, ja gar auch eine iede

Creatur gelangen könte, denn man könne sich

nichts vortreflichers einbilden, als daß man vermittelst

392:10 

der Wahrheit mit GOtt als den vollkommensten

Wesen vereiniget werde u.s.w. Nach diesen

erinnert er daß man durch die Kunst, die

Wahrheit zu erforschen, nicht etwan die gemeine

Philosophie verstehen müsse, und sagt seine

392:15 

Meinung gar offenhertzig, was von der Logica,

Rhetorica, Metaphysica, Physica, wie

sie ingemein auf Academien gelehret werden, sowohl

auch von denen disputationibus und

Büchern, so daselbst in diesen Wissenschafften

392:20 

heraus kommen, zu halten seyn: welches wohl

würdig wäre, daß man es an statt einer Epistolæ

Commendatoriæ zu dergleichen Werckgen

voran drückte. Ferner handelt er von der

Beschwerlichkeit hinter diese Kunst zu kommen,

392:25 

weil die Gelehrtesten hierinnen so uneinig wären.

Er habe sich aber solche dennoch nicht abschrecken

393 

lassen, und weil er selbst erfahren, daß die

Mathematici in ihrer Wissenschafft alle Streit=Händel

geschwinde endigen könten, und über dieses

gehöret, daß sie alleine einen solchen methodum

393:5 

hätten durch welchen sie die verborgene

Wahrheiten entdecken könten; als habe er Verlangen

getragen, denselbigen zu lernen und ihn in der

Algebrâ gefunden weil er aber anfänglich nicht

gewust hätte, ob derselbe auch in andern disciplinen

393:10 

möge angehen, habe er so lange speculiret

und die Sache überleget, biß er befunden habe,

daß man auf einerley Weise in andern disciplinen,

wie in der Mathesi, hinter die verborgene

Wahrheit gelangen könte. Hierauff theilet er diesen

393:15 

andern Theil in drey Stück ein, und verspricht

in dem ersten von den Grund= und Probier=Stein,

krafft welches man, was wahr oder

falsch sey, erkennen und beydes von einander entscheiden

könne, zu handeln; in dem andern

393:20 

aber zu weisen, wie man stetig in Erforschung

neuer Wahrheiten fortfahren könne, und in

dem dritten, wie solches mit leichter Mühe zuwege

zu bringen sey. Bey dem ersten præsupponiret

er zuerst als ein postulatum, das man in

393:25 

examinirung seiner Sätze seinem eigenen besseren

394 

Wissen nicht halsstarrig contradiciren müsse.

Nach diesem setzt er für gewiß, daß so gewiß

ein Mensch bey sich selbst empfinde, was ihme

wohl oder übel thue, so gewiß könne er auch das

394:5 

wahre von dem falschen bey sich selbst viel besser als

vermittelst anderer Hülffe erkennen, denen zum

Exempel so wisse ein iedweder, daß es falsch sey,

daß das gantze kleiner sey / als ein Stücke, daß in

einen Circel die radii ungleich seyn, daß ein Cörper

394:10 

ohne der Antreibung eines andern Cörpers beweget

werde, und dieses zwar aus keiner andern

Ursache, als weil wir solche Sachen ohnmöglich

begreiffen könten. Hieraus schliesset er, daß keine

bessere Anzeigung der Unwahrheit, als ietzt

394:15 

gedachte Ursache könne gefunden werden. Hingegen

wisse ein jedweder, daß das Gegentheil

ietzo angeführter Sätze wahr sey, und das aus

keiner andern Ursache, als weil man dieselbige

absoluter Weise auff solche Art begreiffen könne:

394:20 

daraus folge hinwiederum, daß diese Ursache

die Anzeigung der Wahrheit sey. Und

also bestehe die Unwahrheit in demjenigen,

was wir nicht mit unserm Verstande begreiffen

können. Woraus abermahl folge, daß

394:25 

wir die Richtschnur der Wahrheit bey uns

selbst suchen müssen: Ja es folge hieraus,

395 

daß kein ander primum principium cognoscendi,

als dieses sey: Daß wir etliche Sachen

mit unserm Verstande begreiffen, etliche aber

nicht begreiffen können. Es sey auch kein

395:5 

anderer Unterscheid inter ens & non ens ja

das gemeine primum principium: Impossibile

est idem esse & non esse müsse aus diesen

bewiesen werden. Und dieses spricht er, würden

alle Menschen, gelehrte und ungelehrte, ja

395:10 

auch die Sceptici selbst zugeben müssen, und

wenn sie gleich solches läugnen wolten, wolte er

sie nur auff die angeführten deutlichen Exempel

weisen. Die andern aber, die ein ander

principium pro primo ausgeben wolten, getrauet

395:15 

er sich gar leicht zu widerlegen. Denn,

sagt er, sie werden ohne Zweiffel ihre Meinung

vor wahrhafftig ausgeben; woher wissen

sie aber solches? Ohne Zweiffel aus keiner andern

Ursache, als weil sie ihre Meinung, die andere aber

395:20 

keineswegs begreiffen können. Also hält er nun

dafür, daß dieses principium zwar jedermänniglich

bißhero bekannt gewesen sey, obgleich seines

Wissens, es noch von niemand dafür sey ausgegeben

worden: daß nemlich dieses principium einig

395:25 

und allein, und kein anders das criterium veritatis

& falsitatis sey; ja er sey in seinem Gewissen

396 

dessen so versichert, daß wenn ihm auch

die gantze Welt hierinnen unverschämter

Weise widersprechen würde, so würde sie

doch das geringste nicht dißfalls wider ihn

396:5 

ausrichten. Ob nun aber wohl beydes gleich

gewiß sey, daß wir etwas begreiffen und etwas

nicht begreiffen können, so wäre doch das eine nicht

so deutlich, als das andere. Denn dieses wäre viel

deutlicher, daß wir etwas gantz nicht begreiffen

396:10 

könten, als daß wir etwas begreiffen könten. Und

um dieser Ursachen willen wären auch keine stärckeren

demonstrationes, als die ad absurdum

führeten, wiewohl die demonstrationes ostensivæ

angenehmer wären, weil es die Menschen

396:15 

mehr belustigte, daß sie etwas begreiffen, als daß sie

selbiges nicht begreiffen könten. Dieses aber besser

zu verstehen, müste man wohl mercken, daß der

Mensch zwey facultates cognoscendi habe, den

Verstand (intellectum) und die Einbildung,

396:20 

(Imaginationem.) Jener begreiffe (concipire)

etwas. Diese empfinde (percipire)

etwas. Was der Verstand begreiffe, käme

gleichsam vom dem Menschen selbst her, was

die Einbildung empfinde, würde sowohl von denen

396:25 

euserlichen, als innerlichen Sinnen fürgebracht.

Die Begreiffung wäre eine Action

397 

des Menschen, durch die Empfindung aber litte

der Mensch etwas. Nun könte ich zwar so

sagen, daß ich alles das, was ich nicht verstände,

mir auch nicht einbilden könte, denn es könte sich

397:5 

kein Mensch einbilden, daß das gantze kleiner

sey, als ein Stücke davon, aber ich könte im Gegentheil

nicht sagen, daß ich alles das, was ich mir

einbildete begreiffen könte. Denn etliches könte

ich mir wohl einbilden, zum Exempel die rothe

397:10 

Farbe, die Empfindlichkeit des Schmertzens

aber ich hätte keinen Verstand davon. Daher

komme es nun, daß uns die demonstration per

impossibile viel deutlicher vorkomme, weil wir

das, was wir nicht verstehen, uns auch nicht einbilden

397:15 

könten. Hingegen, wenn man sage, daß

wir etwas verstünden, müsten wir uns wohl befleißigen,

daß wir den Verstand und die Einbildung

nicht mit einander vermischten. Dannen

hero müsse man sich beyzeiten angewöhnen

397:20 

den Verstand und die Einbildung wohl von einander

zu entscheiden worzu niemand geschickter

wären, als die Mathematici, indem diese

täglich damit umgiengen. Damit aber auch

dießfalls der Autor denen, so keine Mathematici

397:25 

seyn, unter die Arme greiffe, schlägt er ein criterium

vor, Krafft welches man ohnfehlbar gewiß

398 

seyn könne / welche Sache man begrieffen,

und welche man sich nur eingebildet hätte.

Denn sagt er, es ist gewiß, daß die Menschen

durchgehends einen gleichen Verstand haben.

398:5 

Dannenhero wenn es wahr ist, daß mein Verstand

etwas begreiffet, muß ich nothwendig zu

wege bringen können, daß es ein anderer ja so

wohl begreiffe als ich. Anders Theils aber wäre

die Einbildungs=Krafft bey denen Menschen

398:10 

ungleich, woraus folge, daß wir nicht allemahl

unsere Einbildungen andern beybringen könten.

Als zum Exempel, wenn man einen Blinden,

noch so viel von der rothen Farbe hersagte, würde

er doch sich davon nichts einbilden können.

398:15 

Solcher Gestalt sey nun diese Regel gantz unfehlbahr,

daß ein Mensch dasjenige mit seinem

Verstand begreiffe, was er einem andern mit

blossen Worten wiederum beybringen kan, und

was er auf diese Art einen andern nicht kan

398:20 

beybringen, das bildet er sich nur ein. Ja wenn

er von einer Sache nur etwas mit Worten wieder

beybringen könte, etwas aber nicht, so verstehe

er dieselbe Sache nur halb, und bilde sich solche

halb ein. Zum Exempel wenn ich eine machinam

398:25 

valde etiam compositam nur recht

begriffen habe, so werde ich dieselbe schon einen

399 

andern wieder beybringen können. Also

wenn in einem einigen Lande der Gebrauch des

Feuers bekannt wäre, und ich käme aus derselbigen

in ein anders, da die Leute nichts davon

399:5 

wüsten, und wolte ihnen die Natur des Feuers,

die Eigenschafften und Würckungen beschreiben

und wie man solches aus Steinen und andern

Sachen heraus locken könte, so könte ich ihnen

nichts anders sagen, als daß das Feuer ein

399:10 

ausgedehntes Wesen wäre, daß sich auff unterschiedene

Art bewegte, bald groß bald klein wäre

und unterschiedene Figuren annehme, daß man

es gantz von einem Ort zum andern tragen könne

u.s.w. Denn alle diese Eigenschafften des Feuers

399:15 

begreiffe ich. Wenn ich ihnen aber vorsagen

wolte, wie es zuwege brächte, daß man durch

dasselbige an einem duncklen Orte alles sehen könte,

wie es unsere verstarrete Glieder erwärmete,

wie es viel Sachen verzehrete, wie es uns

399:20 

grossen Schmerzen verursachte, wenn es uns

zu nahe käme, wie man es geschwinde auslöschen

könte, so würde ich von diesen allen denen

Leuten, die solches niemahl gesehen, nichts beybringen

können. Weil ich mir dieses alles nur

399:25 

einbildete, und auf diese Weise hätten wir fast

keine Wissenschafft vom Klange, von denen

400 

Farben, von der Lufft, vom Wasser, von Metallen,

ja wir wüsten nicht ob iemand lache,

oder weine, oder niese, oder wie wir unsere

Zunge, Hände und andere Gliedmassen bewegten

400:5 

u.s.w. Dannenhero müsse sich ein weiser

Mann wohl hüten, daß er den Verstand und

die Einbildung mit dem gemeinen Mann nicht

unter einander vermische. Denn der natürliche

Mensch, nehmlich der so beschaffen sey,

400:10 

wie wir alle von Natur sind, bediene sich der

Einbildung, folge derselben und erlange

durch die Sinne unzehlig viel præjudicia seu

falsa, erhalte dieseselben vermittelst der Phantasie

und lasse sich von seinen affecten regieren;

400:15 

der vernünfftige Mensch aber werde

nicht gebohren, sondern werde vermittelst

des Verstandes und der wahren Philosophie

fertig gemacht, und habe seine præjudicia

so ausgebessert, daß er gleichsam einen

400:20 

neuen Menschen angezogen habe. Endlich so

bringe der Nutzen dieses principii (daß ein

Mensch etwas begreiffen könne, etwas aber nicht,

und daß jenes wahr, dieses aber falsch sey) einen

herrlichen Nutzen, weil man dadurch gar leichte

400:25 

alle Zanck=Händel und Disputationes der Gelehrten

über einen Hauffen stossen könte, denn

401 

wenn zwey Gelehrte mit einander disputirten und

einer könte den andern seine Meinung mit deutlichen

Worten nicht beybringen, so wäre es ein Anzeigen,

daß solche nicht wahr wäre, sondern, daß

401:5 

er dieselbe sich nur eingebildet habe, und also hätte

der disputat ein Ende.

Es antwortet aber auch der Herr Autor

nach diesem unterschiedenen Einwürffen, die

man wider seine Lehre machen könte. Denn

401:10 

{I.} könte man vorgeben daß dieses principium,

wenn es gleich gewiß wäre, doch keinen

Nutzen in Erforschung der Wahrheit bringen

werde, weil alles, was man daraus schliessen

könte, vielleicht nur in unserm concept wahr

401:15 

wäre, aber an und vor sich selbst sich wohl nicht

also verhielte, sondern vielmehr falsch wäre.

Hierauf antwortet er 1. daß dieses ihm nicht

zuwider sey. Denn wenn gleich nach derer

alten Scepticorum Meinung uns alles nur

401:20 

zu seyn scheine, was nicht wäre, so müsten doch

die Leute gestehen, daß unter denen apparentien

uns etliche beständig und unverändert

vorkämen, etliche aber veränderlich wären.

Und also wäre es doch nützlich, wenn man

401:25 

philosophirte, daß man die beständigen Apparentien

von denen Unbeständigen entscheidete.

402 

2. So gehöre hieher noch nicht, zu beweisen,

daß das, was unser Verstand für wahr

hält, mit derer Sachen wahren Beschaffenheit

übereinkomme; es werde solches zu seiner

402:5 

Zeit schon geschehen, ietzo sey es genug, daß des

Autoris principium im philosophiren einen

grossen Nutzen schaffe, {II.} könte angeführet

werden, es sey nicht gläublich, daß dieses der

wahre Grund sey hinter die Wahrheit zu kommen,

402:10 

denn sonst würden so viel wackere, kluge

und gelehrte Leute nicht so handgreifliche Irrthümer

begangen haben, da sie doch Zweiffels

ohne ihre Meinung gar wohl begriffen und

verstanden hätten. Aber darauff antwortet

402:15 

er 1. daß man viel Sachen für absurd und

irrig hielte, welche nichts weniger wären, welches

sowohl denen Lesenden, als manchmahl denen

Scribenten selbst zu zu schreiben wäre. Dannenhero

muste man vielmehr glauben, daß solcher

402:20 

Leute ihre Meinungen nicht absurd wären.

2. Zumahl, wenn solche von verständigen

wackern Leuten, die jedermann vor klug und

gelehrt gehalten, wären verthädiget worden,

diese auch ihre Anfänger und sectatores bekommen

402:25 

hätten. da aber gleich 3. solche

gelehrte Leute Fehler begangen hätten, so wäre

403 

die Haupt=Ursache hiervon diese gewesen, daß

sie den Verstand mit der Einbildung vermischt

hätten. Da sie doch hätten bedencken

sollen, daß der Verstand in uns Menschen

403:5 

tanquam in mente infinita seu DEo sey, der

also ohnmöglich irren könte, die Einbildung

aber wäre bey uns wie in allen andern Creaturis

seu mentibus finitis und litte von denen

Sachen, die ausser uns, wären, seine

403:10 

impressiones. {III.} Ob man auch ferner sagen

wolte, es wäre unzehlich viel Sachen, die der

menschliche Verstand nicht begreiffen könte, welche

doch nicht falsch, sondern gantz gewiß wären,

sowohl natürliche Dinge (als die unzehlbare

403:15 

Menge der Sternen u. s. w.) als auch über

natürliche, (als so viel Christliche Glaubens=Artickel;)

so sey doch wohl zu mercken, daß

wenn der Autor gesagt habe, daß etliche Sachen

nicht könten begriffen werden, und daß

403:20 

dannenhero dieselben falsch wären, er dieses

also habe verstehen wollen, daß, wenn etliche

Sachen, (das ist solche, die man

nicht begreiffen kan) nicht begriffen werden

könten (daß ist nicht zusammen gesetzt werden

403:25 

könten) so wären sie falsch. Hieraus folge

nun 1. wenn etliche Sachen nicht auff obige

404 

Art von uns begriffen werden könten, so wären

sie nach seiner Meinung nicht falsch, sondern

unerkannt. 2. Daß alle Sachen, die wir

durch Göttliche Offenbahrung gewiß wüsten,

404:5 

von unserm Verstande nicht begriffen werden

könten. Nun sey aber nach seiner Meinung nur

in des Menschen Vermögen von denen Sachen,

die man begreiffen könte, zu urtheilen,

was wir von denenselben begreiffen, und was

404:10 

wir von ihnen zusammen setzen könten oder

nicht. Aber das könten wir gar nicht wissen,

von welchen wir gantz keinen concept formiren

könten, ob wir es zusammen setzen könten

oder nicht, und folglich wären auch diese Sachen

404:15 

nicht falsch, sondern nur unbegreifflich. Und

könne gar wohl seyn, daß es viel Sachen wären,

die gantz gewiß wären, ob man sie gleich

vermittelst des Verstandes alleine nicht begreiffen

könte, ob sie wahr oder falsch wären. Hierzu

404:20 

käme, daß die Sachen, die uns von GOTT

offenbahret wurden, der alleine keinen Irrthum

unterworffen wäre, für die allergewissesten

gehalten werden müsten. 3. So müste sein

principium von conceptibus simplicibus

404:25 

oder doch von solchen compositis, die in simplices

finitas resolviret werden könnten, verstanden

werden, weil man diese examiniren

405 

könte, ob sie könten begriffen werden oder nicht.

Wenn aber ein concept aus unzehlich=andern

zusammen gesetzt wäre, wie die Zahl der Sternen,

so könte dasselbige von keinem endlichen Verstand

405:5 

begriffen werden / sondern es gehöre ein unendlicher

Verstand darzu. Endlich {IV.} würde

man zwar vorwenden / daß von andern Philosophis

allbereit bessere und zulänglichere principia

erfunden wären die Wahrheit zu erforschen;

405:10 

aber darauf wäre wiederum zu antworten, daß 1.

sein principium viel besser wäre, weil es von

der causa effectrice veritatis hergenommen

wäre, und einen jeden Menschen der Wahrheit

so gewiß versicherte, als gewisser wäre, daß er die

405:15 

Hand ausstrecken könte, auch über dieses kein anderer

Philosophus noch ein gewiß Zeichen gegeben

hätte, woher man erkennen könte, ob man eine

Sache vollkommen begriffe, als er 2. Uber

dieses so könte auch kein principium gewisser

405:20 

seyn, als seines, weil es allen Zweiffel benehme.

3. So wären auch andere principia nur in

Worten von seinem different, in der That aber

kämen sie mit ihm überein.

Biß hieher gehet des Herrn Tschirnhausens

405:25 

erstes Stück des andern Theils. Die andern

beyden Stück des andern Theils, und den

406 

dritten Theil darf Monsieur nicht von mir erwarten,

theils weil solches allzulang fallen würde,

theils weil solches die Autores Bibliothecæ

Universalis im dritten Tomo p. 342. seqq.

406:5 

allbereit weitläufftig genung erzehlet haben,

theils auch, weil die übrigen Stücken und Theile

auf dasjenige, was ich bißhero mit Fleiß referiret,

sich als ein fundament gründen, und also,

wenn selbiges nicht befestiget ist, die Mühe solche

406:10 

zu erzehlen wenig Nutzen schaffen würde. Jedoch

will ich nur das allerwenigste daraus so mir

am notabelsten geschienen, noch extrahiren.

p. 50. sagt er daß ein iede gute definition solte

den Ursprung einer Sachen in sich begreiffen.

406:15 

pag. 149. spricht er, daß nur eine

Wahrheit sey, und daß eine Wahrheit der andern

nicht zuwider seyn könne 9.212. recommendiret

er des Andreæ Tacqvets seine Elementa

Geometriæ sehr, als ein so deutlich Buch,

406:20 

daß viel daraus ohne Zuthun eines Lehrers

diese Wissenschafft begrieffen hätten. P. 215.

seqq. lobet er die Physic für andern Wissenschafften

und ziehet sie denenselben und unter

denen auch der Ethic vor. Denn alle

406:25 

andere Wissenschafften, sagt er, wären

Menschliche Wissenschafften, als in welchen

Gesetze erkläret würden / die von unserm

407 

Verstand gemacht würden, so ferne wir von

anderer Sachen Betrachtung abstrahirten,

und alles auf uns alleine referireten. Die

Physic aber wäre alleine eine Göttliche Wissenschafft,

407:5 

weil darinnen die Göttlichen Gesetze

erkläret würden, welche von GOTT alleine seinen

Wercken wären eingegeben worden nach

welchen alle Sachen beständig würckten und

die gantz nicht von unserm Verstande, sondern

407:10 

à DEo realiter existente dependirten,

u. s. w. Item. Es sey nichts offenbahrers,

als daß wir alle Augenblick von GOtt dependireten,

daß wir auch nicht eine Hand in die

Höhe heben, etwas gedencken und in summa

407:15 

weder mit Seel und Leib das geringste verrichten

könten, darzu nicht GOttes würcklicher

concurs alle Augenblick erfordert wurde,

P. 217. sagt er, daß wir durch die Physic bekräfftiget

würden in dem, was ein Hoch=Edler

407:20 

Philosophus an einem Orte gesetzet, daß das

nur ein eingebildetes Wesen sey, was man in

gemein Glück nenne, und der Menschen ihre

Gemüther auff wunderliche Weise verunruhige,

da doch hingegen hier alles von der Göttlichen

407:25 

Vorsehung dirigiret würde, deren ewiger

Schluß so unbeweglich und unveränderlich

wäre / daß, ausgenommen dasjenige, was

408 

besagter Rathschluß GOttes gewolt, daß es

von unserm freyen Willen dependiren solte,

wir gedencken müsten, daß in Ansehen unserer

nichts geschehe, was nicht höchst nothwendig,

408:5 

und so zu sagen, fatal wäre, daß wir also ohne

Irrthum nicht begehren tönten, daß es anders

geschehen solte. So würde auch, wenn

man die generalia der Physic wohl absolviret

hätte, nicht alleine unserer Seelen Unsterblichkeit,

408:10 

sondern auch GOttes würckliche und

höchst nothwendige existenz und seiner unendlich

vollkommenen attributorum Wissenschafft,

so ferne solche durch das Licht der

Natur erhalten werden kan, uns viel deutlicher

408:15 

und leichter werden.

Was nun meine Meinung von dieser

Medicina mentis belanget, so muß ich bekennen,

daß, weil ich längst gerne gewünschet, daß eine

rechte Logic heraus käme, indem die Syllogistica,

408:20 

die man auff Schulen und Academien lernet,

zu Erforschung der Wahrheit nicht zulänglich

ist, ich mit grosser Begierde dieses Buch, so

weit ich solches extrahiret, gelesen, und gestehe

gar gerne, daß ich dem Herrn Autori in allem

408:25 

beyfalle, weil er alles mit guter Ordnung angefangen,

mit deutlichen demonstrationibus bekräfftiget,

und mit täglichen und unlaugbaren exempeln

409 

bestärcket hat. Ja weil er zum öfftern auff

anderer Leute ihren innerlichen Gewissens=Trieb

sich beruffet, und der Wahrheit seiner principiorum

so feste versichert ist, so müste ich wider

409:5 

mein Gewissen reden, wenn ich anders sagen

solte, als daß mich gleichfalls mein Gewissen

der Wahrheit dieser Lehre de summo bono &

de principiis veritatis vergewissert und überzeuget,

worinnen mich auch nicht wenig bekräfftiget

409:10 

das ungemeine Lob, so durchgehends alle Gelehrten,

die dieses Buchs gedencken, dem Herr Autori

und dem Buch selbst geben. Und obgleich einer

Nahmens Fatio de Duillier wider den Herrn

Tschirnhausen und seine doctrin de lincis

409:15 

curvis & tangentibus geschrieben, so gehet

doch dieses nur eine Conclusion, nicht aber

die pcincipia veritatis an, und vernehme ich

auch, daß der Herr Tschirnhausen ihm allbereit

genugsam solle geantwortet haben. Nichts

409:20 

destoweniger ist es mir etwas wunderlich ergangen,

denn für etwan acht Tagen, habe ich

einen guten Freund besucht, der auch ein gelehrter

Mann seyn will, dem ich aber mehr

vor einen sophisten, als wahrhafftig gelehrten

409:25 

halte, und bin unter andern discoursen auch

auff diese Medicinam mentis zu reden kommen,

und habe ihn umb sein judicium gefragt,

410 

auch meinen extract, wie ich solchen

Monsieur ietzo zugesendet, communiciret.

Da hat er mir zur Antwort gegeben, als er

es durchlesen: Er hielte dafür, daß ich des

410:5 

Herrn Tschirnhausens mentem ziemlich

deutlich extrahiret hätte, und sehe daraus,

ich müste selbigen wohl innen haben, hat mir aber

dabey erwehnet, daß er von Hertzen lachen

müste, wenn er bisher derer Leute judicia davon

410:10 

gehöret, indem er sattsam gespüret, daß

ihrer gar wenig des Herrn Tschirnhausens

intention und Meinung nicht verstanden haben

müssen. Denn etliche wenige hätten gemeinet,

es wäre dieses Buch eben so hoch nicht zu achten,

410:15 

denn man sehe daraus, daß er nur die sententiam

und doctrinam Peripateticorum hätte

auslachen, und des Cartesii seine phanthasien,

die doch schon ausgepeitschet wären, behaupten

wollen. Andere aber, und die meisten, hätten einen

410:20 

grossen Staat davon gemacht / als wenn

darinnen eine tieffe Gelahrheit verborgen stecke,

und hätten doch nicht gewust zu sagen, worinnen

diese Gelahrheit bestehe; Ja sie hätten ihm Sachen

daraus erzehlet, die dem Herrn Tschirnhausen

410:25 

sein Tage nicht im Sinn kommen wären, und

nicht gemercket, daß durch des Herrn Tschirnhausens

Lehr=Sätze ihre Philosophie, die sie der

411 

Jugend noch täglich vorsängen, hauptsächlich

herunter gemacht würde. Im übrigen wäre

er versichert, daß, wenn diese Leute wissen solten

worauff der Herr Tschirnhausen sein Absehen

411:5 

gehabt hätte, würden sie ihr judicium gerne

mit Gelde wieder an sich lösen. Er seines

Orts hielte dem Herrn Tschirnhausen für einen

wackern gelehrten Mann, der durch die conversation

mit gelehrten Leuten, durch viele

411:10 

Erfahrung und fleißiges Nachforschen in natürlichen

und mathematischen Sachen sich

eine solche cognition zuwege gebracht, daß

man ihn billich von der Classe der Pedantischgelehrten

ausnehmen müsse, weil er ohne allen

411:15 

Zweiffel unter die gehöre, welche man heutiges

Tages mit Grund und Wahrheit beaux esprits

zu nennen pflege. Die Medicina mentis sey ein

recht subtiles und gelehrtes Buch, in welchem viel

gute und nützliche Sachen enthalten wären.

411:20 

Gleichwohl hätte er wider seine Lehre von der höchsten

Glückseligkeit und von dem principio die

Wahrheit zu erforschen etliche schwere Zweiffel,

die ihn verhinderten, des Herrn Tschirnhausens

seiner Meinung beyzupflichten. Ich bezeugte

411:25 

hierauff ein grosses Verlangen und bate ihn, daß

er mir diese dubia communiciren möchte,

412 

welches er auch gethan, und bestehen selbige

nach Anleitung meines extracts kürtzlich darinnen.

{I.} Bey dem ersten Theile lobet er des

Herrn Tschirnhausens Vorhaben, daß er bezeuget

412:5 

dem Leser zu weisen, durch was für eine

Gelegenheit er auff seine Meinung gelanget

sey, weil dieses billich alle Autores thun solten,

indem dadurch der Leser ein grosses Licht

bekäme ihre Meinungen desto besser zu verstehen,

412:10 

massen denn auch der Herr Bayle ihn

allbereit deßhalben in seinem Journal gelobet.

Aber er hält zugleich dafür, daß der Herr

Tschirnhausen noch besser gethan hätte, wenn

er gesagt hätte, in was für einer doctrin

412:15 

er von Jugend auf sey auferzogen worden / welche

secte derer Philosophen ihm hernach in seinem

erwachsenen Alter für andern angestanden hätte,

und welcher gelehrte Mann ihm zum ersten auff

die Gedancken gebracht, die er in dieser Medicina

412:20 

zu behaupten gedencket. Denn ob er gleich wohl

wisse, daß der Herr Tschirnhausen kein Philosophus

Selectarius, sondern ein Electicus sey, so

wäre doch auch nicht zu leugnen, daß die Philosophi

Electici, zumahl wenn sie keine autodidacti

412:25 

wären, in dieser und jener disciplin auf

eine secte mehr inclinireten, als auf eine andere,

und wäre ohne dem es so beschaffen, daß

413 

auch die heutigen Philosophi, wenn sie gleich

was neues aufbrächten, dennoch in einem und

andern mit denen alten Philosophis, oder auch

mit andern Neotericis überein kämen. Wenn

413:5 

nun der Herr Tschirnhausen dieses in dem ersten

Theil zugleich mit etwas weitläufftig berühret

hätte, so würde kein Zweiffel seyn, es

würde der Leser hierdurch ein grosses Licht bekommen

haben. Ja er glaubte, daß hauptsächlich

413:10 

um dieser Ursache willen die wenigsten wüsten,

was der Herr Tschirnhausen haben wolte, weil

sie eine falsche Meinung hegten, als wenn er seine

Lehre nach der hypothesi eines Philosophi eingerichtet

hätte, auff den er doch sein fürnehmstes Absehen

413:15 

nicht gehabt hätte. Es wäre auch nicht zu

läugnen, daß ein Leser, der ein wenig cognitionem

historiæ philosophicæ hätte, ziemlich

confus würde, wenn er des Herrn Tschirnhausens

seine doctrin oben hin ansehe, und nicht mit

413:20 

grossem Fleiß untersuchte. Denn wolte man

die alten Secten betrachten, so könte man den

Herrn Tschirnhausen für keinen Scepticum

halten, weil er wider dieselbige hin und wieder

disputirte. Gleichwohl wäre er auch von

413:25 

diesen nicht so gar sehr entfernet, denn er spräche,

daß wir die objecta sensuum nicht begreiffen

könten, sondern uns solche nur einbildeten.

414 

Was man aber nicht begreiffen könte, hielte er

vor unwahr und falsch, kein Aristotelicus

oder Peripateticus wäre er auch nicht. Dann

er gedächte dieser Herren zu öffters nicht in allen

414:5 

Ehren. Kein Stoicus wäre er auch nicht,

denn er hielte nicht gar zu viel von der Tugend

und da jene das tugendhaffte Leben allen

speculationibus, und die Ethic der Physic

vorzögen, kehrete es der Herr Tschirnhausen

414:10 

umb. Nun wäre des Platonis und Epicuri

seine Philosophie noch übrig, die, wie

bekandt, einander schnur stracks zuwider wären.

Nichts destoweniger fänden sich in des

Herrn Tschirnhausens tractat einige loca, die

414:15 

bald nach des Platons Lehre schmeckten. Denn

was er p. 23. erwehnet, daß man zu Erforschung

der Wahrheit keine Syllogismos von

Nöthen hätte, sondern begnügt seyn könte,

wenn man die definitiones rerum wisse, das

414:20 

wäre ebenmäßig auch des Epicuri Meinung

in seiner Canonica gewesen. So käme auch

seine Lehre, daß das lustige Leben das glücklichste

sey, in etwas mit des Epicuri doctrin

de summo bono überein, und recommendirete

414:25 

er auch über dieses p. 16. den Lucretium,

der, wie bekandt, von der secte des Epicuri

gewesen. Hingegen wenn er p. 19.

415 

spräche, daß die Nachforschung der Wahrheit

den Menschen mit GOtt verähnlichte und uns

GOtt gleich machte, auch zu Wege brächte, daß

wir GOttes Wesen erkennen könten; das käme

415:5 

des Platons Lehre bey von GOttes Wesen,

vom Ursprung der menschlichen Seele, und von

der definiton der Philosophiæ, daß diese nichts

anders sey, als eine Wissenschafft, wie man

GOTT gleich werden könne. Was aber die

415:10 

neuen Secten betreffe, so sehe man zwar aus

dem gantzen Tractat, daß der Herr Tschirnhausen

es mehr mit denen Cartesianern, als

denen Scholasticis und Perpateticis hielte, jedoch

wäre dieses nicht genung, sondern weil die

415:15 

Cartesianer selbst wiederum unterschiedene

neue Secten unter sich hätte, in dem Malebranche,

Spinosa, Poiret und andere ihre

principia mehrentheils von Cartesio herführeten,

so wäre billich nachzufragen, auf was

415:20 

für einen Gelehrten von dieser sorte der Herr

Tschirnhausen am meisten reflexion gemacht

hätte. Nun düncke ihn, er habe dißfalls, weiß

nicht, auff was für eine Art, eine unerkante

Wahrheit erforschet und dem Autorem, dessen

415:25 

hypotheses der Herr Tschirnhausen zu folgen

scheinete, entdecket, wiewohl er nicht wisse,

ob er über die Erforschung dieser Wahrheit sich

416 

mehr erfreuen als betrüben solte. Er hat mir auch

den Autorem nicht nennen wollen, ob ich ihn

gleich sehr darum gebeten, sondern damit er mir

nur zeigte, daß er diese Meinung nicht ohne

416:5 

Grund redete, hat er mir gemeldet, daß wenn

ich etwan einmahl über diesen Autorem käme,

solte ich nur darinnen pag. (12.) (19.) (72.)

(78.) 79. (87.) 91. (92.) 104. 137. 144. 146.

(163.) (171.) (178.) (180.) (181.) 182. (183.) 184.

416:10 

190. 192. 195. (197.) (204.) 212. (223.) 229. (231.)

(233.) (252.) 253. 264. 358 360. (361.) 362. 364.

365. 367. 368. 370. (371.) 581. (587.) (589.) auffsuchen,

und was ich daselbst finde, mit meinen

excerptis aus dem Herrn Tschirnhausen conferiren.

416:15 

Damit ich auch dißfalls ein wenig einen

prægustum bekäme, hat er mir einen

kurtzen extract von denen hypothesibus besagten

Autoris zugeschickt. Quicquid est, in

Deo est et nihil sine Deo esse

416:20 

neqve concipi potest. Deus est

omnium rerum causa immanens,

non transiens. Falsitas consistit in

cognitionis privatione. Primum genus

cognitionis est, cum singularia

416:25 

mediante sensu percipimus, aut ex

signis nobis res imaginamur,

et appellatur imaginatio. Alterum, qvo

417 

notiones communes rerumqve proprietatum

ideas adaeqvatas habemus , et

vocatur ratio. Cognitio primi generis unica

falsitatis causa, secunda autem est

417:5 

necessario vera, et docet nos verum

a falso distinguere. Alibi idem autor

cognitionem posterioris generis vocat

ideam seu mentis conceptum,

prioris autem imagines rerum

417:10 

Doctrina de cognitione mentis facit, ut

magis magisqve Deum intelligamus, reddit

animum omnino qvietum, et ostendit, in qvo

summa nostra felicitas sive beatitudo consistat.

Bonum est, qvod certo scimus nobis utile esse.

417:15 

Malum, qvod certo scimus impedire,

qvo minus boni alicujus simus compotes. Cognitio

boni et mali nihil est aliud, qvam

laetitiae et tristitiae affectus, qvatenus

ejus sumus conscii. Ratio nihil contra naturam postulat.

417:20 

Postulat ergo ipsa, ut vnusqvisqve se ipsum

amet, suum utile qvaerat et appetat, et absolute,

ut unusqvisqve suum esse, qvantum in se est,

conservare cenetur. Qvod qvidem tam necessario

verum est, qvam, qvod totum sit sua parte majus,

417:25 

Deinde, qvoniam veritas nihil aliud est,

qvam ex legibus propriae naturae agere, et nemo

suum esse conservare conetur, nisi ex propriae

suae naturae legibus, hinc seqvitur, virtusi

418 

fundamentum esse ipsum conatum, proprium

esse conservandi, et felicitatem in eo consistere,

qvod homo suum esse conservare possit.

Ex qvo magis adeo unusqvisqve suum

418:5 

utile qvaerere, hoc est, suum esse

conservare conatur et potest, eo magis virtute praeditus est.

Nulla enim virtus prior est, qvam conatus se conservandi.

Qvicqvid ex ratione conamur, nihil aiiud est,

qvam intelligere, et nihil certo scimus

418:10 

bonum aut malum esse, nisi id,

qvod ad intelligendum revera conducit,

vel qvod impedire potest, qvo minus intelligamus.

Laetitia directe mala non est, sed bona.

Tristitia autem contra directe est mala.

418:15 

Hilaritas excessum habere neqvit, sed semper bona est.

Acqviescentia in se ipso ex ratione

oriri potest, et ea sola acqviescentia,

qvae ex rationeoritur, summa est, quae potest dari.

In vita apprime utile est, intellectum seu rationem,

418:20 

qvantum possumus, perficere, et in hoc

uno summo hominis felicitas seu beatitudo consistit,

qvippe beatitudo nihil aliud est, qvam ipsa

animi acquiescentia. Cum res illae sint bonae,

qvae corporis partes juvant, ut suo officio fungantur,

418:25 

et laetitia in eo consistat

qvod hominis potentia, qvatenus mente et

corpore constat, juvatur vel augetur.

419 

Sunt ergo illa omnia, qvae laetitiam afferunt, bona.

Summus mentis conatus, summaque virtus est

res intelligere. Cognovimus,qvaenam sit

prima via, cui mens insistere debeat, ut bene incipiat,

419:5 

qvae est,ut ad normam datae cujuscunque verae

ideae pergat certis legibus inqvirer, qvod, vt recte fiat,

haec debet methodus praestare. Primo

veram ideam a caeteris omnibus distingvere et

mentem a caeteris perceptionibus cohibere.

419:10 

Secundo tradere regulas, ut res incognitae

ad talem normam percipiantur. Tertio

ordinem constituere, ne inutilibus

defatigemur. Ut scire possim ex qva rei idea ex mulris omnes

subjecti proprietates possint deduci, unicum tantum

419:15 

observo, ut ea rei idea sive definitio causam efficientem

exprimat etc. Solcher Gestalt ist nun mein Freund

der Meinung, daß der Herr Tschirnhausen auff die

Lehr=Sätze nicht allein seine Thesin de summo bono

& de principio veritatis, sondern auch seinen

419:20 

gantzen Methodum gegründet habe. Ja er bildet sich ein

noch etliche loca bey besagtem Autore gefunden

zu haben, aus welchen man eine wahrscheinliche

conjectur nehmen könne, was ihn zu Schreibung

der Medicinæ mentis & corporis veranlasset,

419:25 

und warum er den ersten Tractat eben Medicinam

mentis genennet habe. Der eine ist

folgender: Qvomodo et qva via debeat

420 

intellectus perfici, et qva

deinde arte corpus sit curandum, ut possit

suo officio recte fungi, huc non pertinet.

Hoc enim ad medicinam, illud autem ad Logicam spectat.

420:5 

Der andere aber: Porro danda est opera morali Philosophiae,

ut et doctrinae de puerorum educatione,

et qvia valetudo non parvum est medium

ad hunc finem asseqvendum, concinnanda

est integra medicina. Sed ante omnia

420:10 

excogitandus est modus medendi intellectus,

ipsumqve qvantum initio licet, ex

purgandi, ut feliciter res absqve error

et qvam optime intelligat. So hat er auch mir gemeldet,

er habe einen Brieff gelesen, der an diesen Autorem

420:15 

geschrieben worden, worinnen diese Worte

enthalten. Methodum tuam rectae regendae

rationis in acqvirenda veritatum incognitarum

cognitione, ut et generalia in Physicis qvando

impetrabimus? etc. Praesens mihi

420:20 

indicasti methodum, qva uteris in indagandis

nec dum cognitis veritatibus. Experior

eam methodum esse valde praecellentem, et

tamen valde facilem, quantum ego de ea

concepi, et possura affirmare, hac unica

420:25 

observatione magnos me in Mathematicis

fecisse progressus etc. Sic qvoqve, qvi

applicatas curvarum considerat, multa

421 

deducet, qvae ad dimensionem harum

spectant, sed majori felicitate, si consideremus

tangentes. Ob nun gleich bey diesem Brieff

kein Nahme gewesen wäre, so muthmassete er doch

421:5 

aus denen letzten Worten de lineis curvis &

tangentibus, daß dieser Brieff von dem Herrn

Tschirnhausen ware geschrieben worden, wiewohl

derselbe Philosophus, an dem der Brieff geschrieben

gewesen, in der Antwort darauff in diesem

421:10 

Punct mit ihm nicht eins seyn wollen. Circa illa,

qvae ais, qvod ille, qvi consideret applicatas

curvarum, multa deducet, qvae ad

dimensionem earum spectant, sed majori facilitate

considerando tangentes etc. Ego contratium

421:15 

puto, qvod etiam considerando tangentes

multa alia difficilus deducentur, qvam

considerando ordinatim applicatas.

Er glaubte auch der Herr Tschirnhausen würde

dieses so sehr nicht in Abrede seyn, weil er ehe dessen

421:20 

kein so groß Geheimniß gegen dem Herrn P.

daraus gemacht, als er mit ihm im H. in Compagnie

zu Schiffe gewesen.

Dieses ist die erste Erinnerung / die mir der

gute Freund wider den ersten Theil der medicinæ

421:25 

mentis gesagt, welche er zugleich auff gewisse

Masse, als ein præsuppositum will consideriret

haben, darauff er sich in denen übrigen

422 

zuweilen gründet. {II.} Præsupponiret er, daß

der Herrn Tschirnhausen das principium: Impossibile

est idem simul esse & non esse für

wahr hielte, weil er solches p. 29. aus seinem

422:5 

principio deduciret. {III.} Præsupponiret er,

daß auch der Herr Tschirnhausen dafür halte,

qvod non dentur veritas contradictoriae

besage seiner eigenen Worte p. 149. und schliesset

also {IV.} daraus, daß, weil der Herr Tschirnhausen

422:10 

ein Christ ist, er ebenmäßig das argument werde

passiren lassen, wenn er zuweiln seinen Sätzen

etwas von dem was die Christen insgemein gläuben,

entgegen setzen würde. Hiernechst erinnert

er {V.} Daß er zweiffele, ob das criterium,

422:15 

durch welches der Herr Tschirnhausen p. I. vermeinet

gute und böse Leute von einander entschieden

zu haben, zulänglich sey, indem solches

nur an gemeinen Leuten und die etwas grober

constitution wären, könte practiciret werden.

422:20 

Was aber arglistige Köpffe wären, die dissimuliren

gelernet, was scheinheilige Heuchler

wären, von denen beyden die Welt überhäuffet

wäre, die berühmten sich gantz nicht, wenn sie einem

ehrlichen Mann Schaden gethan hätten,

422:25 

sondern wolten ihn noch wohl überreden, wenn

ihre Fallstricke, die sie ihm gelegt hätten, nicht

angehen wolten, als wenn sie diejenigen wären,

423 

die sich seiner noch angenommen hätten. {VI.} Ob

der Herr T. sich beflissen zu Beförderung seiner

eigenen Glückseligkeit mehr seiner eigenn inclination,

als anderer ihren Anführungen zu

423:5 

folgen, wie er p. 3. fürgiebet, solches wäre aus

dem præsupposito abzunehmen. {VII.} Das Exempel

p. 4. von einer wohlschmeckender Speise

beweise wohl, daß ein Mensch bey sich selbst die

Belustigungen derer Sinnen am besten abnehmen

423:10 

könne, es beweise aber nicht, daß auch ein

Mensch derohalben wisse, was ihm nützlich oder

schädlich sey, und scheine also, als wenn der

Herr T. bonum utile & jucundum mit einander

vermischet habe, deren jenes mehr in einer

423:15 

dauerhafften und zukünfftigen Belustigung dieses

aber mehr in einem gegenwärtigen und augenblicklichen

Vergnügen bestehet. {VIII.} Wenn

der Herr T. von Klange und Farben fast nichts

weiß per dicta p. 37. so könne er auch keine

423:20 

so gewiße Wissenschafft vom Geschmack haben.

{IX.} Man müsse aus dem, was man selbst versucht,

nicht auff das schliessen, was man nicht versucht,

ob es gut oder böse sey pag. 6. 7. Ob der

Herr T. das betrachtet habe / wurde er selbst am

423:25 

besten wissen, das ist, ob er der alten Philosophorum

ihre Lehren de inquisitione veritatis

fleißig untersucht und so wohl derer alten

424 

als neuen principia der Sitten=Lehre sich bekannt

gemacht habe. {X.} p. 7. Verspreche er seine

Meinung von der höchsten Glückseligkeit

mit augenscheinlichen Erfahrungen zu beweisen,

424:5 

daß solche auch andere Menschen glücklich

machten. Dannenhero, wenn man erwiese,

daß die Erfahrungen so unlaugbar

nicht wären, so folgete, daß seine Meinung so

eben nicht gegründet sey. {XI.} p. 4. Führet er

424:10 

selbst an, daß die Belustigung der Sinnen dem

Menschen schädlich wären. Und also gestände

er, daß man à bono jucundo ad utile nicht argumentiren

müsse, welches er doch nicht VII.

gethan. {XII.} Wenn er p. 10. wider die Tugend

424:15 

disputirete, verändert er den statum controversiæ

augenscheinlich. Die Thesis wäre;

Ein Tugendhafftes Leben verursacht ein grosses

Vergnügen und Gemüths=Ruhe. Sein Einwurff

dagegen aber die Beständigkeit und Gemüths=Ruhe

424:20 

ist nicht allemahl ein Anzeigen eines

tugendhafften Lebens. Denn es sey eben, als

wenn man wider den Herrn T. wenn er vorgiebet,

die Erfindung neuer Wahrheiten sey das

gröste Vergnügen, opponiren wolte, dieses

424:25 

Vergnügen sey nicht eben ein Anzeigen, daß

man eine Wahrheit erfunden, weil ein Unwissender

ja so eine grosse Freude kan spühren lassen,

425 

als ein Gelehrter, und sage solcher Gestalt der

Herr Bayle gar recht, daß die gantze Welt eher

glauben werde, es habe ein Spieler, der 20. Pistolen

gewonnen eine größere Freude als ein Gelehrter,

425:5 

der die wahrhaffte Ursach derer Farben

ausgegrübelt, und ein erfrorner Kerl hätte im

Winter eine grössere Lust beym Ofen zu sitzen, als

ein Mathematicus, der quadraturam circuli

erfunden. {XIII.} An eben diesen Orte scheine es, als

425:10 

wenn der Herr Tschirnhausen, diejenigen, die

ein tugendhafftes Leben führeten, unter diejenige

rechnete, die aus Irrthum etwas für gut hielten,

und doch hernach erführen, daß sie darinnen

der Wahrheit verfehlet hätten. Welches gleich

425:15 

wie es sehr harte geredet wäre, also brauche es

zuförderst eine Erklährung. {XIV.} Daß etliche

für dem Studiren essen und trincken den Schlaf,

Reichthum und Ehren=Aemter hindangesetzt,

p. 11. thue zur Vortrefflichkeit des Studirens

425:20 

wenig, denn ein Spieler / Säuffer, Hurer thue

dieses öffters auch. {XV.} Daß die Belustigung,

so aus den Studiren entstehe, beständiger sey, als

die Belustigung derer Sinne, läugne niemand,

daß aber dieselbe die beständigste Belustigung sey

425:25 

und beständiger als die, so aus einem tugendhafften

Leben herrühret, habe der Herr T. p. 11. mit

nichts erwiesen. {XVI.} Daß ein Ungelehrter keine

426 

Gemüths=Ruhe habe, wie p. 14. vorgegeben werde,

sey wider die tägliche Erfahrung, und könte man

so viel Exempel, wo nicht mehr, von Gelehrten anführen,

die ihrer affecten Sclaven gewesen wären,

426:5 

und ihre Güter nicht recht zu brauchen gewust, als

von Ungelehrten. {XVII.} Eben dieses sey auch davon

zu sagen, daß ein Weiser viel vermögender sey

als ein Ungelehrter. {XVIII.} So thue auch das

Vermögen nichts zur höchsten Glückseligkeit,

426:10 

sonst müsse ein Seeräuber glücklicher seyn als ein

ehrlicher Handwercks=Mann. {XIX.} Nicht

minder bezeuge die Erfahrung, daß ein Gelehrter

bey zustossender Betrübniß sich offt wunderlicher

anstelle als ein Ungelehrter. {XX.}

426:15 

und daß ein Gelehrter nicht mehr Freude habe, als

ein Ungelehrter, sey allbereit no. XII. berühret

worden. {XXI.} Wenn die Belustigung derer

Sinnen alsdenn allezeit gebraucht werden könne,

wenn sie uns geschickter macht verborgene Wahrheiten

426:20 

zu entdecken; so würde folgen, daß ein

Mensch mit eines andern Eheweib Ehebruch begehen

könte, wenn er dadurch hinter eine verborgene

Wahrheit zu kommen gedencket, daß er andern

das ihrige nehmen könne, sich Speise zu kauffen,

426:25 

wodurch der Verstand geschärffet wird. {XXII.}

Ja wenn die Erkäntniß der Wahrheit eintzig und

allein den Rahmen der wahren Tugend verdienet,

427 

so würde folgen, daß man Gold stehlen dürffte, sich

kostbare instrumenta, die ein Mathematicus

zu Erforschung der Wahrheit benöthiget ist, anzuschaffen,

da doch von beyden nicht allein unser

427:5 

Christenthum uns ein anders lehrete, sondern auch

das Gegentheil denen Heyden in ihr Hertz geschrieben

wäre. {XXIII.} So wäre auch wider das

Christenthum, was von Erhöhung der menschlichen

Natur zu der göttlichen p. 19. angeführet werde,

427:10 

und wäre zuförderst nöthig, daß der Herr T.

seine conceptus von GOtt ein wenig deutlicher

erklärete, sowohl auch, was er {XXIV.} dadurch

meine, daß eine iede Creatur könne mit dem Menschen

zu der höchsten Glückseligkeit gelangen.

427:15 

{XXV.} Was der Herr T. p. 22. de Abusu Syllogisticæ

angeführet habe, sey auf gewisse Masse

gar gut, aber doch wäre dieselbe Kunst auch auf gewisse

Masse gar nöthig, damit man in methodo

disputandi nicht verstiesse und qvid pro qvo

427:20 

probirete, oder im antworten auff die vorgebrachten

objectiones Sachen vorbrächte, die sich nicht

ad rhombum reimeten. {XXVI.} wäre zu erinnern,

wie der Herr T. habe befinden können, daß

man auf einerley Weise in andern disciplinen, wie

427:25 

in der Mathesi, hinter die verborgene Wahrheit

gelangen könte, wenn er die andern disciplinen

und sonderlich Philosophiam moralem

428 

sich zuvor nicht wohl bekandt gemacht.

{XXVII.} Daß der Herr T. p. 27. vorgebe, es könne

ein Mensch so gewiß bey sich selbst das wahre von

dem falschen unterscheiden, als gewiß er wäre, was

428:5 

ihm wohl oder übel thue / scheine nicht allein dem

zuwider zu seyn, wenn er p. 4. & 5. vorgiebet, es

sey nicht zu verwundern, daß die Menschen de vero

& falso mit einander zanckten, weil hiervon unterschiedene

Sachen verborgen wären, aber davon

428:10 

solten sie nicht disputiren, was ihnen wohl oder

übel thäte; sondern es ist auch wider seine folgende

hypotheses, wenn er den Verstand von der Einbildung

will unterschieden haben. {XXVIII.} ead.

pag. schliesse der Herr T. à particulari ad universale

428:15 

und mache aus wenig exempeln eine

Haupt=Regel. {XXIX.} So stehe auch sein Haupt=Grund

auf welchem das gantze Gebäude ruhe gar

auf schwachen Füssen, wenn er vorgebe, daß das

die Ursache sey, warum man das für wahr hielte,

428:20 

daß ein gantzes grösser als ein Stück, und das Gegentheil

für falsch; weil nehmlich man jenes begreiffen,

dieses aber nicht begreiffen könne. Denn

was werde er dazu sagen, wenn man an statt seiner

Ursache eine andere und nemlich diese vorbrächte,

428:25 

daß jenes durch den Augenschein dargethan würde,

dieses aber dem Augenschein zuwider wäre. Denn

er würde doch diese Ursach mit der seinigen nicht

429 

vor einerley halten, weil der Augenschein evidentiam

sensuum bedeute, welche er, der Herr T.

zur Einbildung referirte. {XXX.} Zweiffelte man

sehr, ob der Herr T. wider die Scepticos viel ausrichten

429:5 

würde, wenn er kein ander argument wider

sie brauchen, und sie nur auf seine Exempel verweisen

wolte {XXXI.} Noch weniger würde

er wider diejenigen viel erhalten, die ein ander

principium pro primo ausgeben, denn

429:10 

dieselben würden nur läugnen dürffen, daß sie deshalben

das ihrige für wahr, das andere aber für unwahr

hielten, weil sie jenes begreiffen, dieses aber

nicht begreiffen könten. Sie würden also vielmehr

sagen, daß es deßhalben geschehe, weil der

429:15 

Augenschein die Wahrheit des ihrigen bestätigte.

{XXXII.} Daß aber der Herr T. seine Erklärung

gethan, daß die gantze Welt wider ihn nichts ausrichten

würde, wenn sie ihn gleich eines andern bereden

wolte, zeige ein grosses præjudicium an,

429:20 

welches allezeit der Erforschung der Wahrheit wäre

zuwider gewesen. Vielmehr wolte er, mein guter

Freund im Gegentheil diese Erklärung gethan

haben, daß, wenn der Herr T. ihm seine objectiones

gründlich und deutlich würde heben können so

429:25 

solte ihn die gantze Welt nicht abhalten seiner Lehre

beyzupflichten. {XXXIII.} Ob aber für dem Herrn

T. kein ander Philosophus dieses pro principio

430 

veritatis ausgegeben oder nicht, könte man zum

Theil aus dem præsupposito I. abnehmen, sowohl

auch, wenn man in historia Philosophica sich

umsähe, was ehe dessen Heraclitus, Anaxagoras,

430:5 

und Antisthenes de criteriis veritatis für

Meinungen behaupten wollen. {XXXIV.} Daß

die deductiones ad absurdum so viel Nachdruck

hätten, wäre nicht die Ursach, daß man zwischen der

Einbildung und dem Verstand einen Unterscheid

430:10 

machen müste sondern, weil in dieser allemahl

die conclusion dahin gienge den andern seines

Irrthums zu überzeugen, und darzuthun,

qvid res non sit. Weil nun die Wahrheit nur

einerley wäre, aber tausenderley Irrthümer, und

430:15 

auf die Frage: qvid res sit? nur eine Antwort gegeben

werden könte, auf die quæstion: qvid res

non sit? tausend für eine im Vorrath wären; so

könne es nicht fehlen, es müsten die demonstrationes

ostensivæ viel schwerer seyn, als die deductiones

430:20 

ad absurdum. {XXXV.} Der Verstand,

wie ihn der Herr T. beschreibe, daß er ohne

Zuthuung derer Sinne von dem Menschen selbst

herrühre sey ein non ens, weil man nicht

ein einig Exempel einer Sachen geben könte, die

430:25 

der Mensch ohne Zuthuung derer Sinnen begriffen

hätte, wenn man auch das bekannte chiliogonum

der Cartesianer auf den Platz bringen wolte,

431 

und also fiele die distinction zwischen dem Verstande

und der Einbildung von sich selbst weg.

{XXXVI.} Daß der Herr T. meinete der Mensch

begriffe die objecta sensuum als Farben, Klang,

431:5 

und die Schmertzen nicht, in diesem Stück käme er

denen Scepticis nahe, ja er gienge noch weiter, als

diese, weil ein Scepticus noch zweiffelte, ob sich diese

Sachen so verhielten oder nicht, der Herr T.

aber hielte vermöge seines principii dieselbe gar

431:10 

für falsch und für ein non ens, welcher Meinung

beyzupflichten er (mein Freund) nicht die geringste

Regung in seinem Gewissen befände. {XXXVII.}

So verlange man ein Exempel dessen, was der

Mensch einem andern mit blossen Worten ohne

431:15 

Zuthuung derer Sinnen beybringen könte.

und so lange dieses nicht geschehe, wäre das criterium

des Herrn T. von denen Sachen, die man

begriffe, vergebens. {XXXVIII.} Glaube er nicht

daß der Herr T. eine machinam valde compositam

431:20 

ohne præsentirung derer Sinnen

in seinem Verstande habe, viel weniger, daß er dieselbige

einen blinden, der die Zeit seines Lebens keine

machinam simplicem gesehen hätte, mit leeren

Worten beybringen könte. {XXXIX.} Wenn

431:25 

der Herr T. nicht begreiffen könte, daß das Feuer

wärmte und brennte, ob er denn Vermöge

seines principii darvor hielte, daß die Erwärmung

432 

und Brennung des Feuers Unwahrheiten

wären? {XL.} Wenn wir keine Wissenschafften

davon hätten, wie wir unsere

Hände bewegten warumb hätte er denn

432:5 

gesagt, daß wir solches eben so gewiß

wüsten, als die Wahrheit seines principii. {XLI.}

Der Nutzen, den der Herr T. rühmet, daß

man Vermöge seines principii alle Zanckhändel

gar leichtlich schlichten könte sey in vita civili nicht

432:10 

practicabel. Denn es könte kommen und würde

zum öfftern geschehen, daß unter denen disputanten

keiner dem andern seine Meinung beybringen

könte, und würden sie sich also allezeit um den Vorzug

zancken, wer den Anfang hierzu machen solte.

432:15 

{XLII.} Endlich so folget aus des Herrn T. principio,

daß zwey propositiones contradictoriæ

zugleich wahr und nicht wahr wären, welches dem

eingeräumten principio: Impossibile est idem

simul esse & non esse schnur stracks zuwider wäre.

432:20 

Denn zum Exempel der Herr Puffendorff

habe seine Meinung in moralibus vielen Gelehrten

beygebracht. Seine Widersacher, die ihm contradiciren,

hätten auch ihre Anhänger. Nichts

destoweniger könte keiner unter ihnen beyden den

432:25 

andern dahin bringen, daß er bekennete Gegentheil

habe ihm seine Meinung beygebracht. Wenn

man nun nach des Herrn T. seinen principio gehen

433 

wolte, so wären beyder Meinungen zugleich

wahr, wenn man diese beyde Partheyen in regard

ihrer adhærenten betrachtete, und wären doch

auch zugleich beyde falsch, we%?n man sie unter einander

433:5 

selbst ansähe, und so ferne keiner den andern disponiren

könte, daß er abträte, indem sich Herr

Pufendorff auf die Deutlichkeit seiner Gründe bezöge;

sein Gegentheil aber, wenn nichts mehr Stich

halten wolte, auf der Versicherung seines Gewissens

433:10 

sich verliesse. {XLIII.} Bey der ersten objection

hätte der Herr T. præsupponiret, als wenn dieselbige

nur von denen Scepticis könnte vorgebracht

werden. Allein sie könnte auch wohl von denen

Philosophis Dogmaticis (und zwar von

433:15 

allen denen, die davor gehalten, daß die Wahrheit

nicht in convenientia rei cum intellectu, sed

intellect%[us cum re) ihm gemacht werden. Dannenhero

träffe die Philosophos von dieser Classe

die erste Antwort des Herrn T. auf diese objection

433:20 

p. 40. nicht. {XLIV.} fiele auch solcher Gestalt die

andere Antwort p. 41. hinweg, als welche principium

petirete, weil es ietzo die Frage wäre, ob des

Herrn T. Principium einen grossen Nutzen

schaffe oder nicht. {XLV.} Ob nun gleich die andere

433:25 

objection ohne dem so viel nicht auf sich hätte,

so wäre doch die wahre Ursache, warum so viel gelehrte

Leute bißhero in dem primo principio und

434 

methodo inqvirendi veritates verstossen hätten,

nicht, daß sie die Einbildung und den Verstand

mit einander vermischet p. 44. sondern daß

sie sonst sich nicht hätten bemühen wollen, vielfältige

434:5 

præjudicia, die sowohl im Verstande als im

Willen eingenistelt, abzuschaffen. {XLVI.}

die Sätze des Herrn T. daß der Verstand

in uns Menschen tanquam in mente infinita

seu Deo sey; ingleichen {LXVII.} Daß

434:10 

die Einbildung bey uns wie in allen andern creaturis

seu mentibus finitis sey, brauchten eine

weitläufftige Erklärung, und wäre höchstnöthig,

daß der Herr T. seine definitionem Dei, mentis,

hominis, & reliqvarum creaturarum etwas

434:15 

deutlicher proponirete. {XLVIII.} Gleichwie

aber die dritte objection von dem meisten Nachdruck

wäre; also wäre beyder Antwort, mit welcher

sich der Herr T. hieraus zu drehen suchte, viel

zu erinnern. Denn es wäre die Auslegung von

434:20 

der Regul, (daß das, was nicht begriffen werden

könte / falsch wäre, welche der Herr T. p. 45. machte,

dunckel, Tautologisch und zweydeutig, weil

er die phrasin eine Sache nicht begreiffen können,

in zweyerley Verstande brauchte {XLIIX.} So

434:25 

könne man auch den Unterscheid, den der Herr T.

zwischen unerkannten und falschen Sachen daselbst

n. 1. machte, nicht passiren lassen. Denn

435 

der Herr T. habe p. 29. gesetzt, daß sein principium,

wie er es dort gesetzt den Unterscheid inter

ens & non ens weise, und daß also verum &

ens, ingleichen falsum & non ens synonyma

435:5 

wären. Wenn nun der Herr T. zugeben wolte,

daß zwischen wahren und falschen Sachen etwas

im Mittel wäre, daß unerkannt hiesse, so müste

auch etwas im Mittel inter ens & non ens seyn,

welches dem Principio: Qvodlibet est vel non

435:10 

est, das der Herr T. admittirte, zuwider wäre.

{XLIX.} Daß der Herr T. vorgebe p. 45. n. 2.

diejenigen Sachen, die von GOTTES Offenbahrung

dependirten, wären dem menschlichen

Verstand unerforschlich, contradicirte gantz

435:15 

offenbahr demjenigen, was der Herr T. p. 44.

gesetzet qvod concipiendi facultas ita sit in nobis,

tanqvam in mente infinita seu Deo.

{L.} Eine gleiche contradiction wäre darinnen,

wenn er spräche, daß nur von denen Sachen, die

435:20 

man begreiffen könnte, der Verstand wissen

könte, ob der solche begreiffen könte oder

nicht, {LI.} daß der Herr T. spräche, es

wären viel Sachen gewiß, die man nicht wisse,

ob sie wahr oder falsch wären, wäre eben so obscur,

435:25 

als das, was ietzo wegen des Unerkanten angeführet

worden, weil das, was gewiß wäre und doch

weder zu dem Wahren noch zu den Falschen referiret

436 

werden könte, abermahls etwas inter ens

& non ens seyn müsse. {LII.} Zugeschweigen,

daß bißhero unter denen Gelehrten das, was wahr

und gewiß sey, nur einerley wäre gebraucht

436:5 

worden. {LIII.} Ebenmäßig wäre auch ein conceptus

compositus, den der Mensch nicht begreiffen

könte (unter welche Classe der Herr T.

conceptum omnium stellarum p. 45. n. 3.

referiret) ein ens non ens. {LIV.} So wäre

436:10 

auch an eben den Ort wohl zu mercken, daß

der Herr T. daselbst den Menschlichen Verstand

p. 46. gar deutlich pro finito ausgebe, den er

doch p 44. zum infinito gemacht. {LV.} bey seiner

Antwort auff die vierdte objection p. 46.

436:15 

wäre eben die Frage: ob der Herr T. in seinem

principio die causam effectricem veritatis

recht getroffen habe oder nicht? Und wenn

{LVI.} ein Mensch bey des Herrn T. principio

der Wahrheit nicht versichert wäre, als gewiß

436:20 

er wäre, daß er die Hand ausstrecken könte, so

würde er nach des Herrn T. seiner eignen Meinung

hiervon wenig Gewißheit haben, weil er

p. 37. gedacht, daß man von Bewegung der

Hand wenig wüste. {LVII.} Ob aber des Herrn

436:25 

T. sein principium allen Zweiffel benehme,

wie er p. 47. meldet, das weisen die bißher gemachten

objectiones aus. {LVIII.} So könten

437 

auch anderer Philosophorum ihrer principia,

die veritatem in convenientia cogitationum

cum rebus suchten mit ihm, der es umkehrete /

in der That nicht übereinkommen, ob er es gleich

437:5 

p. 48. dafür hielte. {LIX.} Was er p. 215. von

Vortrefflichkeit der Physic für der Ethic angeführet,

brauche abermahls einer deutlichen Erklärung,

absonderlich, was der Herr T. per

Deum realiter existentem verstehe, weil er

437:10 

nicht hoffen wolle, daß der Herr T. diese phrasin

in dem Verstande des oben angeführten ungenannten

Philosophi brauchen werde {LX.}

Welches auch bey dem, was er p. 217. von dem

Göttlichen Rathschluß und sonsten discouriret,

437:15 

zu beobachten wäre.

Gleichwie aber ermeldter mein Freund

der Meinung ist, daß die dem Herrn Tschirnhausen

gemachte Einwürffe meistentheils so deutlich

wären, daß er sich daraus, zu Behauptung

437:20 

seiner Meinung nicht würde wickeln können,

gleichwohl nichts destoweniger im übrigen

in conclusionibus den Herrn Tschirnhausen

für einen excellenten Mathematicum und

Physicum passiren läst; also hat er hinzu gesetzt,

437:25 

würde es einem wunderlich vorkommen,

wie es doch geschehen, daß so ein wackerer Mann

auf dergleichen Meinungen, die so viel Anstössen

438 

unterworffen wären, kommen sey. Wenn

er aber seine Meinung davon sagen solte, so

düncke ihm, daß der Brunnqvell darinnen zu

suchen sey, daß der Herr Tschirnhausen auff

438:5 

seinen Reisen von oben besagten Philosopho gar

zu sehr müsse charmiret und eingenommen worden

seyn, daß er das præjudicium gar zu feste

bey sich einwurtzeln lassen / als wenn derselbe Philosophus

in seinen fundamentis richtig wäre.

438:10 

Hieraus wäre nun ferner gefolgt, daß der Herr

Tschirnhausen, nach Anleitung dieses Philosophi

einen irrigen concept, erstlich de Deo, hernach

de Homine, und folglich de Vero & Bono

erlanget hätte. Und wäre also hieraus leicht

438:15 

zu urtheilen, auff was Weise er zu Erkäntniß

dessen mit guten Glimpff nach und nach disponiret

werden müste.

Dieses sind die Gedancken, welche mir der

gute Freund über des Herrn Tschirnhausens seine

438:20 

medicinam mentis communiciret. Ich

muß bekennen, daß mich die Anzahl derer objectionum,

die ich bißhero erzehlet, anfänglich

etwas stutzig gemacht, ja ich sehe eben nicht, was

ich auff dieselben antworten solte. Jedoch weil

438:25 

ich mir des Herrn Tschirnhausens Doctrin feste

imprimiret, und denselbigen guten Freund

für so solide nicht halte, sondern mir einbilde /

439 

daß diese objectiones lauter sophismata seyn,

als glaube ich dennoch, daß die medicina mentis

in allen recht habe, und daß er nur der Unfähigkeit

meines Verstandes, und Unerfahrenheit

439:5 

im disputiren zuzuschreiben sey, daß ich auf die

angeführten Einwürffe nicht antworten könne.

Weil ich demnach wohl weiß, daß Monsieur

Nicanor den Methodum disputandi wohl innen

hat, als ersuche ich ihn dienstlich, mir den

439:10 

Gefallen zu erweisen und zu melden, wie man

auff die vorgebrachten objectiones respondiren

solle, auch ohnbeschwert die Mühe zu nehmen

und nachzusuchen, was das für ein Autor seyn

müsse, aus dem der Herr Tschirnhausen seine hypotheses

439:15 

soll genommen haben. Ich habe fast

alle Cartesianer durchgeblättert, aber in keinem

die excerpirten loca angetroffen u.s.w.

Nicanor endigte hiermit seinen Brieff

und übergab selbigen dem Polydor, weil ihm

439:20 

dieser begehrte / und ihn zu seiner Nachricht wolte

abschreiben lassen. Clarindo fragte Nicanor,

ob er auff diesem Brieff nicht bald antworten

wolte? Ey, sagte Nicanor, wenn ich sonst

nichts zu thun hätte. Ich werde wohl mich entschuldigen,

439:25 

denn er kömmt bey mir in diesen

Stück gantz an dem Unrechten. Das dachte ich

wohl, replicirte Clarindo, daß der Herr Bruder

440 

sich ein Gewissen machen würde etwas zu

der defension eines Neoterici, der die Peripateticos

ein wenig herunter gemacht, auszusinnen.

Nicanor wolte hierauf wieder antworten,

440:5 

aber Polydor verstörete die Fortsetzung seines

Vorhabens, indem er Clarindo fragte, ob

er denn sonst nichts von neuen Schrifften zu referiren

hätte. Denn er habe ja, als er von des Marets

seinen Buche zu raisoniren angefangen,

440:10 

erwehnet, daß er viel in Vorrath hätte, und Nicanor

beschämen wolte, er habe aber biß hernach

wenig specimina von seinem Vorrath abgeleget.

Clarindo antwortete, wenn es Seiner Excellence

beliebte, wolte er wohl den Catalogum

440:15 

dererjenigen Bücher, die er durchsehen, ablesen

und könte Seiner Excellence hernach befehlen,

von welchen Autore sie was hören wolten. Fienge

auch an folgende herzulesen:

La France Galante ou Histoire Amoureuse de

440:20 

la Cour. A Cologne 1688. 12mo. Philadelphe Nouvelle

Egyptienne par le Sieur Girault de Sainvelle.

A la Hage 1687. 12mo. Annales Galants de

Grèce par Me de Villendieu Tome I. A la

Hage 1688. 12mo. Zamire Histoire Persone par M le ***

440:25 

Première Partie à la Hage 1687 12mo.

L'Etat present de la Puissance Ottomanne avec

les causes de son Accroissement et celles de sa

Dicadence, par le Sieur de Vignau. A la Hage 1688.

441 

12mo. Ouvrage de Prose et de Poesie des Sieurs

Maucroy et de la Fontaine deux Tome à

Amsterdam 1688. 12mo. Presage de la Decadence

des Epires ou font mêlées plusieurs

441:5 

observations curieuses touchant la religion

et les Affaires du Temps, à Meckelbourg

1688. 12mo. Plan et dessein du Poème

Allegoriqve et Tragico. Burlesqve inutile les

Couches de l'Académie Par Messire Antoine

441:10 

Furetiere à Amsterdam 1688 12mo.

Sentimens d'Erasme de Roterdam, conformes

à ceux de l'Eglise Catholiqve sur tous les points

controversez à Cologne 1688. in 12mo.

Lettres diverses de M. le Chevalier d'Her augmentées

441:15 

d'un second Tome à Amderd. 1687.

12mo. Testament Politiqve du Cardinal de Richelien

à Amsterdam 1688. 12mo. La vie de

Gvillaume Bedell Eveqve de Kilmore en Irlande

traduite de l' Anglois de M. le Docteur

441:20 

Bournet par L. D. M. à Amsterdam 1687.

Oevres meslées du sicur de S. Evremont

à Paris 1688. in 12mo. Dialoqves

Satyriqves et Moraux par Monsieur

Petit à Amsterdam 1688.

441:25 

12mo. Verbessertes und

vermehrtes Kippe die Wippe nach der ietzigen Mode

oder Müntz=Betrug. Leipzig 1688. in 4to.

Ausführlicher Entwurff der zwischen ietzigen

442 

Pabst und Könige in Franckreich schwebender Irrung

die Quartiers=Freyheit betreffende samt denen

biß daher darinnen ergangenen Acten Leipzig

bey J. F. Gleditschen 1688. in 4to. Recueli de

442:5 

qvelqves Pieces concernant l' affaire des

Qvartiers à Rome. A Dologne 1687. in 8vo.

Meibomii scriptores rerum Germanicarum

Tomi tres Helmstadii sumptibus Wolff.

Georgii Ham 1688. in fol.

442:10 

Nicanor erwartete mit grosser Ungedult biß

Clarindo fertig war, weil er auch noch unterschiedenes

in reserve hatte. Deshalben kriegte er seinen

Zettel auch hervor und lase folgende: Eusebii

Pamphili de Praeparatione Evangelica libri

442:15 

qvindecim Graece et Latine. Nova Editio juxta

Parisinam anni 1627. adornata. Coloniae sumptibus

Mauritii Georgii Weidemanni in fol. Ejusdem

de demonstratione Evangelica libri decem, qvibus

accessere libri duo contra Marcellum Ancyrae

442:20 

Episcopum et de Ecclesiastica Theologia libri tres.

Ibid. apud eund. Eusebii Pamphili de Praeparatione

Evangelica libri qvindecim Graece et Latine. Nova

Editio juxta Parisinam anni 1627. adornata. Coloniae

sumptibus Mauritii Georgii Weidemanni in fol.

442:25 

Ejusdem de demonstratione Evangelica libri

decem, qvibus accessere libri duo contra

Marcellum Ancyrae Episcopum et de

Ecclesiastica Theologia libri tres. Ibid. apud eund.

443 

Les Larmes de Jacqves Pineton de Chambrun, ou les

Persecutions arrivées aux Eglises de la Principauté d'Orange

de pais l'anno 1660. La chute et le relèvement de l' Auteur.

Avel le retablissement de S. Pierre en son Apostolat ou sermon

443:5 

sur les Paroles de notre Seigneur sélon S. Jean XXI. 15. à la

Hage 1688. 12mo. Les Idylles de Bion et de Moschus traduites de Grec

en Vers François avec de Remarqves à Amsterdam

1688. in 8vo. Le Convertisseur sans Dragons, ou

response aux entretiens de deux Catoliqves Romains. A

443:10 

Rotterdam 1688. 12mo. Centcinqvante Maximes Chretiennes,

Politiqves et Morales traduite de l'Anglois d'une Personne

de qvalite par Gvillaume Gray le Jeune pendant son

Vogage de l'Ameriqve, pour l'usage de ses Enfans. A Amsterdam

1688.12mo. La morale Domestiqve ou la science des Familles divisee

443:15 

en deux parties et en huit tomes 1688. in 8vo. D. Adriani Beieri tyro

opificiarius editione secunda comtior apparens. Jenae 1688. in 4to.

Zachariae Hogelii descriptio Historico-Geographica Budae.

Erfurti 1688. in 4to. Philippi Mulleri observatio ad Jac. Benigni

Bosuetti Expositionem doctrinae Catholicae Jenae 1685.

443:20 

Erhardi Weigelii Consiliarii Palatini & Professoris

Publici Wegweiser zu der Unterweisungs=Kunst

nicht nur des Verstandes, sondern

auch des Willens, nebst einen Vorschlage;

wie nach wohlgerathener privat probe zum

443:25 

Versuch nur eine auch gemeine Prob der

Vortheilhafften Kunst= und Tugend=Schul

durch sonderlich darzu bestellte Præceptores

vorgenommen werden mag, Jena 1688. in 4to.

444 

Der zugleich Christliche, Edle und tapffere Hoffmann,

aus dem Frantzösischen ins Deutsche übersetzt

durch Hans Loesern, Leipzig bey R. Wächtlern

1688. 12mo. Herrn Samuel Puffendorffs

444:5 

von Natur und Eigenschafft der Christlichen Religion

und Kirche in Ansehen des Bürgerlichen Lebens

und Staats, verteutscht durch Immanuel

Webern Leipzig J. F. Gleditschen 1688 in 12mo.

Historie vom Falle und Abnehmen des Königreichs

444:10 

Franckreichs, so durch seine gegenwärtige

übele conduite bewähret und dargethan wird

durch Sumature Drivium, Friedburg 1688.

12mo. Le ministre d' Etat de M. Silhon ins

Teutsche übersetzet, durch Sumature Drivium

444:15 

Franckfurth und Leipzig 1688. 12mo. Ich dencke,

setzte Nicanor hinzu, ich will mit diesen Büchern

des Clarindo seinen schon die Wage halten, und

bin eben so bereit, als Clarindo, Eurer Excell.

Befehle in referirung, was sie daraus verlangen,

444:20 

ein Gnügen zu leisten. Polydor sagte, ich bin denen

Herren beyden für die Mühewaltung, die sie

sich meinethalben machen, verbunden, und damit

ich ihnen beyden bezeige, daß ich dißfalls keinen unter

ihnen dem andern nachsetzen, so wollen wir ferner

444:25 

Discours hiervon biß auff eine andere Zeit

versparen, und dimittirete solchergestalt seine

beyden Clienten biß auf weitern

Bescheid.