Martin Opitz
1597 - 1639
Buch von der Deutschen Poeterey
1624
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[I4b] |
Das VIII. Capitel.Beschluß dieses buches.
SO viel ist es/ was ich von vnserer Poesie auffsetzen wollen. Wiewol ich keinen zweiffel trage/ es sey noch allerseits eines vnd das andere zue erinnern/ welches nicht weniger notwendig seyn mag/ als etwas von denen sachen/ derer ich erwehne. Es kan auch wol sein/ das mir in dem eilen (denn ich vor fünff tagen/ wie meine freunde wissen/ die feder erst angesetzt habe) diß vnd jenes mag einkommen sein/ das entweder gar außengelassen/ oder ja im minsten verbeßert sollte werden. Jch hoffe aber/ es wird mir der guethertzige Leser/ in betrachtung der kurtzen zeit so ich hierbey verschloßen/ etwas vbersehen/ vnd bedencken/ Rom sey nicht auff einen tag gebawet worden. Was noch vbrig ist/ wil ich entweder inkünfftig selbst gründtlicher verführen/ oder denen lassen/ die mir an liebe gegen vnsere sprache gleiche/ vnd an geschickligkeit vberlegen sein. Von denselben zue lernen bin ich so begierig/ als ich willig gewesen bin/ andere/ die auch dieses nicht gewust haben/ zue vnterrichten. Welche meine geringschätzige arbeit bey statlichen auffgeweckten gemütern/ wo nicht mehr/ doch so viel verfangen wird/ das sie gleichsam als durch einen sporen hiermit auffgemuntert/ vnserer Muttersprache die hand bietten/ vnd jhrer Poesie den glantz/ welchen sie lengest hette kriegen sollen/ geben werden. Welches aber alsdenn vollkömlich geschehen kan/ wenn zue dem was hiebevor in diesem buche erzehlet ist worden/ die vornemlich jhren fleiß werden anlegen/ welche von natur selber hierzue geartet sein/ vnnd von sich sagen können was Ovidius:
Est Deus in nobis, agitante calescimus illo.
Es ist ein Geist in vns/ vnd was von vns geschrieben/Gedacht wird vnd gesagt/ das wird durch jhn getrieben.
Wo diese natürliche regung ist/ welche Plato einen Göttlichen [K1a] furor nennet/ zum vnterscheide des aberwitzes oder blödigkeit/ dürffen weder erfindung noch worte gesucht werden; vnnd wie alles mit luft vnd anmutigkeit geschrieben wird/ so wird es auch nachmals von jederman mit dergleichen lust vnd anmutigkeit gelesen. An den andern wollen wir zwar den willen vnd die bemühung loben/ der nachkommenen gunst aber können wir jhnen nicht verheißen.Wiewol wir die vbung vnd den fleiß nicht verwerffen: daß im fall dieselbigen mit der natur vereiniget werden/ muß etwas folgen das böse mäuler leichtlicher tadeln können als nachmache{n}.Eine guete art der vbung aber ist/ das wir vns zueweilen auß den Griechischen vnd Lateinischen Poeten etwas zue vbersetzen vornemen: dadurch denn die eigenschafft vnd glantz der wörter/ die menge der figuren/ vnd das vermögen auch dergleichen zue erfinden zue wege gebracht wird. Auff diese weise sind die Römer mit den Griechen/ vnd die newen scribenten mit den alten verfahren: so das sich Virgilius selber nicht geschämet/ gantze plätze auß andern zue entlehnen; wie sonderlich Macrobius im fünfften vnd sechsten buche beweiset. Wir sollen vns auch an vnserem eigenen fleiße nicht genügen laßen, sondern/ weil viel augen mehr sehen als eines/ vber die sachen welche wir an das liecht zue bringen vermeinen/ berühmbter männer vrtheil ergehen laßen. Welches inngleichen die Römer so wol verstanden/ vnd in acht genommen/ das sie nicht leichtlich etwas offentlich außkommen laßen/ das nicht zuevor von einem vnd dem andern geschätzet vnd durchgezogen worden. Ja/ wie man keinen ringer oder fechter in offentlichen schawplatze auffführete/ er mußte vorher seinen namen geben/ vnd eine probe thun welches sie ἀπογράφεσθαι vnnd ἐγκρίνεσθαι. einschreiben vnnd approbiren hiessen: so gaben auch die/ welche in der zahl der Poeten wolten gerechnet werden/ jhre getichte anderen Poeten zue vbersehen/ vnd erkündigten sich darüber jhrer meinung: dieses war [K1b] jhre ἀπογραφὴ vnnd ἔγκρισις; wie Casaubonus vber den Persium erinnert/ vnd auß einer alten Jnscription zue sehen ist:
HIC . CVM . ESSET . ANNORVM .XIII . ROMAE . CERTAMINE .IOVIS . CAPITOLINI . LVSTRO .SEXTO . CLARITATE . INGENI .CORONATVS . EST . INTER .POETAS . LATINOS . OMNIBVS .SENTENTIIS . IVDICVM .
Plinius der Jüngere/ welcher vber alle seine sachen gelehrter freunde guet achten erfodert/ saget in der 17. Epistel des 7. Buches/ das jhn diese gewohnheit gar nicht rewe. Denn er bedächte/ welch ein grosses es sey/ durch der leute hände gehen/ vnd könne jhm nicht einbilden/ das man dasselbe nicht solle mit vielen vnd zum offtern vbersehen/ was man begehret/ das es allen vnd immer gefallen solle. Welches denn der grösseste lohn ist/ den die Poeten zue gewarten haben; das sie nemlich inn königlichen vnnd fürstlichen Zimmern platz finden/ von grossen vnd verständigen Männern getragen/ von schönen leuten (denn sie auch des Frawenzimmer zue lesen vnd offte in goldt zue binden pfleget) geliebet/ in die bibliothecken einverleibet/ offentlich verkauffet vnd von jederman gerhümet werden. Hierzue kömpt die hoffnung vieler künfftigen zeiten/ in welchen sie fort für fort grünen/ vnd ein ewiges gedächtniß in den hertzen der nachkommenen verlassen. Diese glückseligkeit erwecket bey auffrichtigen gemüttern solche wollust/ das Demosthenes sagete/ es sey jhm nichts angenemers/ als wenn auch nur zwey weiblein welche wasser trügen (wie zue Athen bräuchlich war) einer den andern einbliesse: Das ist Demosthenes. Welcher ob er zwar als der vornemeste redener in hohen ehren gehalten worden/ ist doch der rhum nicht geringer denn Homerus erlanget. Vnd wie der Autor des gespreches von den Oratoren saget/ des Euripidis [K2a] oder Sophoclis berhümbter name ist so weit erschollen als des Lysiae oder Hyperidis; vnd viel begehren weniger den rhum des Ciceronis alß Virgilii. Es ist auch kein buch des Asinii oder Messallae so beschrieen/ als des Ouidii Medea, oder Varii sein Thyestes. Vnd/ redet er weiter/ ich schewe mich nicht den zuestand der Poeten vnd jhr glückhafftes wesen mit dem vnruhigen vnd sorglichen leben der Redner zue vergleichen. Ob zwar diese durch streitsachen vnnd gefahr zue dem Bürgermeister ampte sind erhoben worden; so wil ich doch lieber Virgilii sichere vnnd geheime einsamkeit/ in welcher es jhm weder an gnade bey dem Keyser Augusto/ noch an kundschafft bey dem Römischen volcke gemangelt hat.Nebenst dieser hoheit des gueten namens/ ist auch die vnvergleichliche ergetzung/ welche wir bey vns selbst empfinden/ wenn wir der Poeterey halben so viel bücher vnnd schrifften durchsuchen: wenn wir die meinungen der weisen erkündigen/ vnser gemüte wieder die zuefälle dieses lebens außhärten/ vnd alle künste vnnd wissenschafften durchwandern? So war ich dieses für meine grösseste frewde vnd lust auff der Welt halte/ so war wündsche ich/ das die die in ansehung jhres reichthumbs vnnd vermeineter vberflüssigkeit aller notdurfft jhren stand weit vber den vnserigen erheben/ die genüge vnd rhue/ welche wir schöpffen auß dem geheimen gespreche vnd gemeinschafft der grossen hohen Seelen/ die von so viel hundert ja tausendt Jharen her mit vns reden/ empfinden solten; ich weiß/ sie würden bekennen/ das es weit besser sey/ viel wissen vnd wenig besitzen/ als alles besitzen vnd nichts wissen. Vber dieser vnglaublichen ergetzung haben jhrer viel hunger vnd durst erlitten/ jhr gantze [K2b] vermögen auffgesetzt/ vnd fast jhrer selbst vergessen. Zoroaster/ welcher/ wie oben erwehnet/ alle seine gedancken Poetisch auffgesetzt/ soll zwantzig Jhar in höchster einsamkeit zuegebracht haben/ damit er in erforschung der dinge nicht geirret würde. Vnd da alle andere wollüsten vns vnter den händen zuegehen/ auch offtermals nichts von sich vbrig lassen als blosse rewe vnd eckel; so begleitet vns diese vnsere durch alle staffeln des alters/ ist eine ziehr im wolstande/ vnd in wiederwertigkeit ein sicherer hafen. Derentwegen wolle vns ja niemandt verargen/ das wir die zeit/ welche viel durch Fressereyen/ Bretspiel/ vnnütze geschwätze/ verleumbdung ehrlicher leute/ vnd sonderlich die lustige vberrechnung des vermögens hinbringen/ mit anmutigkeit vnsers studierens/ vnd denen sachen verschliessen/ welche die armen offte haben/ vnd die reichen nicht erkauffen können. Wir folgen dem/ an welches vns Gott vnd die natur leitet/ vnd auß dieser zueversicht hoffen wir/ es werde vns an vornemer leute gunst vnd liebe/ welche wir/ nebenst dem gemüte vnserem Vaterlande zue dienen/ einig hierdurch suchen/ nicht mangeln. Den verächtern aber dieser göttlichen wissenschafft/ damit sie nicht gantz leer außgehen/ wollen wir inn den Tragedien so wir künfftig schreiben möchten die Personen derer geben/ welche in dem Chore nach erzehlung trawriger sachen weinen vnd heulen mussen: da sie sich denn vber jhren vnverstand vnd grobheit nach der lenge beklagen mögen. |