BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln

übersetzt von Alfred Feilchenfeld

 

Fünftes Buch.

 

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[171]

Fünftes Buch.

Tod Chajim Hamelns.

Schicksale Glückels und ihrer Kinder

in ihrem Witwenstande.

 

Nun will ich das fünfte Buch anfangen zu meiner großen Betrübnis, meine herzlieben Kinder, und will von Anfang bis zu Ende von der Krankheit eures lieben Vaters erzählen bis zu seinem Tode. Es war am 19. Tebet 5449 (= Januar 1689), da ist euer lieber Vater gegen Abend noch in die Stadt gegangen; denn ein Kaufmann hatte ihn bestellt, der mit ihm Geschäfte machen wollte. Wie er nun in die Nähe des Hauses dieses Kaufmanns kommt, ist er über einen spitzigen Stein gefallen und hat sich leider eine solche Verletzung zugezogen, daß wir alle noch darüber zu klagen haben. So ist er ganz elend heimgekommen; ich bin gerade im Hause meiner Mutter gewesen und man hat mich heimgerufen. Wie ich nach Hause komme, steht mein Mann am Ofen und ächzt. Ich bin erschrocken und habe gefragt, was ihm fehlt. Da sagt er: Ich bin gefallen und fürchte, daß es mir viel zu schaffen machen wird. Er hat sich leider nicht regen [172] können und ich mußte ihm alles aus den Taschen nehmen. Denn wenn er in die Stadt ging, nahm er sich alle Taschen voll Juwelen mit. Wir haben nun – Gott sei's geklagt – seine Verletzung nicht verstanden; denn er hat schon seit vielen Jahren einen Bruch gehabt und beim Fallen ist er leider auf die Bruchstelle gefallen und die Gedärme haben sich ineinander verschlungen. Nun hatten wir allezeit ein Bett in der Stube liegen; aber er wollte es nicht benutzen und wir mußten ihn nach der Kammer hinaufbringen. Dabei war damals eine Kälte, daß Himmel und Erde zusammenfrieren wollten. Wir sind die ganze Nacht bei ihm gewesen und haben ihm getan, was wir konnten. Aber wir konnten es nicht länger aushalten und es war ihm auch sehr schädlich in der Kälte zu liegen. Endlich hat er selbst gesehen, daß es ihm nicht gut war; da haben wir ihn heruntergebracht. Wir hatten uns schon bis nach Mitternacht so gequält und es war immer noch keine Besserung. Ich habe mein trauriges Leid wohl vor mir gesehen und habe ihn um des Himmels willen gebeten, er solle sich einen Doktor rufen lassen und Leute zu sich bestellen. Darauf sagte er: „Ehe ich es Leuten offenbaren wollte, wollte ich lieber sterben.“ Ich habe vor ihm gestanden und geweint und geschrieen und gesagt: „Was redet Ihr da? Warum sollen es die Leute nicht wissen? Ihr habt es ja nicht von Sünde oder Schande bekommen.“ Aber all mein Reden hat nichts helfen wollen; denn er hat sich die Narrheit eingebildet, daß so etwas seinen Kindern schaden könnte; man würde sagen, daß ein solches Leiden erblich wäre. Denn er hat seine Kinder so sehr geliebt. Also haben wir uns die ganze Nacht [173] mit ihm geplagt und ihm allerhand Sachen aufgelegt. Aber es ist leider zusehends ärger geworden. Wie es nun Tag geworden ist, habe ich zu ihm gesagt: Gelobt sei Gott, daß es nun Tag ist; ich will nun nach einem Doktor und einem Bruchschneider schicken. Aber er hat es nicht leiden wollen und hat gesagt, man solle Abraham Lopez 1) rufen lassen – das war ein Portugiese, der zugleich Balbier und Doktor war. Ich habe sogleich nach ihm geschickt. Wie er gekommen ist, hat er die Wunde gesehen und gesagt: „Sorget nicht, ich will ihm etwas auflegen, daß es bald besser wird; ich habe solche Leute schon zu Hunderten gehabt und ihnen geholfen.“ Dieses war am Mittwoch früh; der Lopez hat ihm also von seinen Sachen aufgelegt, in der Meinung, daß es ihm helfen sollte. Aber – daß sich Gott erbarme – wie es um Mittag war, sagte der Lopez: Ich sehe wohl, meine Kur will ihm nicht helfen; ich will hingehen und einen Bruchschneider holen, der sehr geschickt ist. Dann kam der Bruchschneider und hat ihm den ganzen Tag etwas aufgelegt, in der Meinung, die wunde Stelle zu erweichen. Aber je länger es dauerte, desto ärger wurde es. Am Donnerstag habe ich noch einen Bruchschneider und zwei Doktoren holen lassen; einer von ihnen war Doktor [174] Fonseca 2). Als ich mit ihm geredet und ihm alle Umstände erzählt habe, sagt er: „Wir haben hier einen kurzen Prozeß; denn die Gedärme sind leider alle ineinandergeschlungen, da kann er keinen offenen Leib haben.“ Und was unten hätte herausgehen sollen, das hat er – Gott sei's geklagt – oben ausgebrochen. Alles was man angewendet hat, hat nichts geholfen, und doch hat er nichts Fremdes bei sich haben wollen und uns gebeten alles geheim zu halten. Aber ich habe mein Leid wohl verstanden und habe vor mir gesehen, daß ich in große Betrübnis kommen werde. So ist Donnerstag der Tag und die Nacht auch in so betrübten Nöten hingegangen. Am Freitag bringt der Lopez einen Arzt von Berlin, der viele Jahre Leibarzt des Kurfürsten gewesen ist. Der gibt ihm auch etwas ein und legt ihm Pflaster auf; aber es hat leider alles nichts geholfen. Am Sabbat morgens hat es mein Schwager Joseph erst erfahren, der damals mit meinem seligen Mann uneins war. Er kam nun zu uns ins Haus und bat, man solle ihn doch in die Stube hineinlassen. Als mein Mann es hörte, sagte er: Laßt ihn hereinkommen! Wie er hereingekommen ist, hat er leider sogleich seinen Zustand gesehen. Da hat er seinen Kopf gegen die Wand gestoßen, sich Hände voll Haare aus seinem Kopf gerissen und mit bitterlichem [175] Weinen gerufen: „Wehe mir, daß ich einen solchen Schwager verlieren soll!“ Dann hat er sich über das Bett des Kranken geworfen und ihn mit bitteren Tränen um Verzeihung gebeten. Mein seliger Mann hat ihm mit frischem Herzen erwidert: „Mein lieber Schwager, ich verzeihe Euch und allen Menschen; ich bitte Euch auch um Verzeihung.“ Darauf hat mein Schwager Joseph ihn zu beruhigen gesucht und gesagt, er solle sich nur gedulden; Gott werde ihm seine Hilfe schicken. Mein Mann sagte darauf, er sei mit allem, was Gott tue, zufrieden. Er hat sich mir gegenüber leider nicht halb über seine Krankheit ausgesprochen; aber mein Sohn Loeb, der damals ein junger Mann von 16 Jahren war, hat immer bei ihm sein müssen. Wenn ich herausgegangen bin, hat er den Jungen zu sich genommen und mit ihm geredet und ihn vermahnt; der Junge hat dabei sehr geweint. Aber sobald mein Mann gemerkt hat, daß ich in die Stube gekommen bin, hat er zu meinem Sohn Loeb gesagt: „Schweige um Gottes Barmherzigkeit willen! Die Mutter kommt herein; daß sie dich nur nicht weinen sieht!“ Er lag leider schon in Todesnöten und hatte noch Sorge mich nicht zu betrüben.

Am Sabbat morgens, nach dem Essen, ist meine Mutter zu ihm gekommen; sie hat sich über ihn geworfen, hat ihn unter Tränen geküßt und gesagt: „Mein Sohn, wollt Ihr uns denn so verlassen? Wollt Ihr mir nichts befehlen?“ Darauf sagte er: „Meine liebe Schwiegermutter, Ihr wißt, daß ich Euch wie eine Mutter geliebt habe. Ich weiß Euch nichts zu befehlen; tröstet nur mein Glückelchen.“ Das ist sein letztes Wort gewesen, das [176] er mit meiner Mutter geredet hat. Danach sind noch mehr Doktoren und Bruchschneider gekommen; aber es war alles umsonst. Am Ausgang des Sabbat ist keiner mehr bei ihm gewesen als ich und Abraham Lopez. Um Mitternacht hat Lopez noch nach dem Bruchschneider geschickt; denn er meinte, daß die Wunde sich jetzt (zur Operation) eignete. Als der Bruchschneider gekommen ist, hat er gleich gesehen, daß hier keine Heilung mehr möglich war, und ist wieder weggegangen. Da sagte ich zu ihm: „Mein Herz, soll ich dich anfassen? Ich durfte nämlich damals nicht mit ihm in Berührung kommen 3). Er sagte darauf: „Gott bewahre, mein Kind, es wird ja nicht so lange dauern, da,ß du dein Tauchbad nehmen wirst.“ Er hat es aber leider nicht mehr erlebt.

Ich ließ dann auf Lopez' Rat den Feibusch Levi rufen, der sehr tüchtig in der Behandlung von Kranken war. Als dieser um 2 Uhr nachts kam, ließ ich auch unseren Hauslehrer, der ein sehr wackerer Mann war, herbeikommen. Feibusch ging sogleich zu meinem Mann herein und sagte: „Rabbi Chaim, wollt Ihr nichts befehlen 4)?“ Da antwortete er: „Ich weiß nichts zu befehlen; meine Frau weiß von allem; laß sie tun, wie sie vorher zu tun pflegte 5).“ Dann sagte er zu Feibusch, [177] man solle ihm das Werk des gelehrten Rabbi Jesaja geben 6). Aus diesem hat er etwa eine halbe Stunde gelernt; dann sagte er zu Rabbi Feibusch und unserem Hauslehrer: „Wißt ihr nicht, wie es mit mir steht? Laßt meine Frau und meine Kinder herausgehen; es ist hohe Zeit.“ Da hat uns Reb Feibusch förmlich mit Gewalt herausgestoßen. Darauf hat Reb Feibusch noch das eine oder andere mit ihm reden wollen; aber er hat ihm nichts mehr geantwortet und hat nur in sich hinein geredet; man hat nur gesehen, daß seine reinen Lippen sich regten. Das hat ungefähr eine halbe Stunde gedauert: da sagte Feibusch zu Abraham Lopez: „Lege dein Ohr einmal auf Chaim Hamelns Mund, ob du hören kannst, was er sagt.“ Lopez tat so und hörte nach einer kleinen Weile, wie er die Worte sagte: Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist der einig-einzige 7). Damit ist ihm der Atem stehengeblieben und er hat seine reine Seele ausgehaucht. So ist er in Heiligkeit und Reinheit gestorben und an seinem Ende hat man gesehen, was er gewesen ist.

 

 

Was soll ich, meine lieben Kinder, viel von unserem bitteren Schmerz schreiben? Solch einen Mann zu verlieren! Ich bin in so großen Würden bei ihm gewesen und bin nun mit acht verwaisten Kindern zurückgeblieben, von denen meine Tochter Esther eine Braut war. Möge Gott sich unser erbarmen und der [178] Vater meiner verwaisten Kinder sein; denn er ist ja Vater der Waisen 8). Jetzt habe ich niemanden mehr, dem ich mein Leid klagen, niemanden, auf den ich mich stützen könnte, als nur unseren Vater im Himmel. Alle meine Sorgen hat mir der liebe Freund ausreden können und durch seinen Zuspruch kam mir alles leichter vor. Wer aber ist nun mein Tröster, wer spricht mir nun meine schweren Gedanken aus meinem betrübten Herzen wie mein lieber, herziger Freund? Ich glaube, ich werde den lieben Freund wohl alle meine Tage beweinen müssen. Am Sonntag, den 24. Tebet 5449 (d. i. am 16. Januar 1689), ist er in allen Ehren begraben worden 9).

 

Grabstein (Nr. 870) des Chajim Hameln, des ersten Mannes der Glückel,

auf dem alten jüdischen Friedhof an der Königstraße in Altona.

Das Begräbnis fand am 16. Januar 1689 statt. Die Kugeln über

der Randleiste sind zu ergänzen. Das Waschgefäß im oberen Zwickel

des Steines macht den Verstorbenen als Leviten kenntlich.

Die Inschrift: «Ein großer Stein auf der Mündung des Brunnens» des Lebens, für einen demutsvollen und frommen Manne, in den Geboten mühte er sich reichlich, ein geduldiger Weiser, «ein Langmütiger» und ein «Nachsichtiger», die Worte der Väter erfüllte er aus ganzer Seele, bevorzugte vorne und nicht hinten zu sein, nichts hinterließ er unvollendet und mit gutem Namen stieg er hinauf «um erleuchtet zu werden im Lichte des Lebens», «voll Wärme war seine Trauerrede», «denn erwählt ist der Tod von Chajim», es ist der Vornehme, der Einflussreiche, der geehrte Meister, Herr Chajim, sein Andenken zum Segen, Sohn des Vornehmen, des Einflussreichen, des Vorstehers und Leiters, unseres Lehrers und Meisters, Herrn Josef Hamel(n) SeGaL, das Andenken des Gerechten zum Segen, verschieden Tag 1, 24. Tewet und begraben an eben jenem Tag des Jahres 449 der kleinen Zählung. Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.

Quelle: Epidat- Epigrafische Datenbank

 

Der Schrecken und Schmerz über seinen schnellen Tod war in der ganzen Gemeinde unbeschreiblich groß. Ich habe mich mit meinen Kinderchen rund um mich her zur Abhaltung der sieben Trauertage hingesetzt 10); es muß ein trauriger Anblick gewesen sein mich betrübte Witwe mit meinen zwölf Waisenkindern so sitzen zu sehen. Wir haben sogleich die nötige Anzahl von 231 Leuten für den täglichen Gottesdienst im Trauerhause bekommen und haben Thoragelehrte bestellt um während des ganzen Jahres Tag und Nacht im Hause Thora zu [179] lernen und die Kinder haben dem verstorbenen Vater fleißig das Kaddisch-Gebet 11) nachgesagt. Alle unsere Bekannten, Männer und Frauen, sind an jedem Tage [der Trauerzeit] gekommen um uns zu trösten und an unseren Tränen hat es nicht gefehlt. Meine Kinder, Geschwister und andere Freunde haben mich getröstet, so gut sie konnten. Aber jeder ist dann mit den lieben Seinen in sein Haus gegangen und ich bin mit meinen Waisenkindern in Schmerz und Sorge sitzen geblieben.

Ich bin leider „vom Himmel zur Erde geworfen“ 11a) worden. Ich habe den lieben Mann dreißig Jahre lang gehabt und alles Gute von ihm gehabt, was sich eine ehrliche Frau nur wünschen mag. Er hat mich sogar nach seinem Tode wohl bedacht, so daß ich in Ehren hätte zurückbleiben können. Nun, meine herzlieben Kinder, unser getreuer Freund ist als ein Frommer gestorben; er hat nur vier Tage gelegen und ist bis zu seinem letzten Atemzuge bei vollem Verstand gewesen. „Möge mein Ende so sein wie das seinige!“ 11a) Sein Verdienst möge mir und seinen Söhnen und Töchtern beistehen! Er hat das Glück gehabt in Reichtum und Ehre von dieser sündigen Welt zu scheiden und hat keinen Kummer und kein Unglück bei seinen Kindern gesehen. Darauf paßt der Spruch: Vor dem Unglück wird der Fromme dahingerafft 11a). Aber ich bin mit meinen ledigen und meinen verheirateten Kindern in Kummer und Schmerz zurückgeblieben und Kummer und Schmerz sind mit jedem Tage größer geworden. „Meine Freunde und Verwandte standen von fern“ 11a). Ja, [180] meine Sünden haben das alles bewirkt; darum muß ich immer weinen und ich werde ihn mein ganzes Leben nicht vergessen.

Meine liebe Mutter und meine Geschwister haben mich getröstet; aber mit solcher Tröstung ist mein Leid nur alle Tage größer geworden und es ist damit nur Oel ins Feuer gegossen worden, so daß die Flamme noch größer geworden ist. Solcher Zuspruch und solche Tröstungen haben zwei bis drei Wochen gedauert; dann hat man mich nicht mehr gekannt und gerade diejenigen, denen wir große Wohltaten erwiesen hatten, haben sie uns mit Bösem vergolten, wie es so der Lauf der Welt ist. Wenigstens habe ich mir solches eingebildet; denn das Gemüt einer betrübten Witwe, die so ein Königreich plötzlich verliert, bildet sich leicht auch mit Unrecht ein, daß jeder einem nicht wohl tut. Gott möge es mir verzeihen! Meine herzlieben Kinder, an dem Tage, da ich den herzigen, lieben Freund noch tot vor mir liegen hatte, ist mir noch nicht so weh gewesen wie nachher. Da wurde mir alle Tage weher und mein Leid ist immer größer geworden. Aber der große, gütige Gott hat mich in seiner Barmherzigkeit zur Geduld geführt, so daß ich für meine Waisen gesorgt habe, so viel solches von einer schwachen Frau, die leider voller Gebresten 12) und Sorgen ist, sich tun läßt.

Nach den dreißig Trauertagen ist kein Bruder, keine Schwester und kein sonstiger Verwandter zu uns gekommen, der uns gefragt hätte: Was macht ihr oder wie kommt ihr zurecht? Wenn wir zeitweise zusammengekommen [181]sind, bevor die dreißig Trauertage aus waren, so sind ihre Reden unnütz gewesen und haben mir und meinen Waisenkindern wenig helfen können.

Vormünder hat mein seliger Mann nicht einsetzen wollen, wie schon [bei dem] erwähnt, was er Reb Feibusch gesagt hat 12a). Nach den dreißig Tagen bin ich nun über mein Buch gegangen und habe nachgesehen. Da habe ich gefunden, daß wir 20000 Reichstaler Schulden hatten. Das habe ich zwar gewußt und es war mir auch nicht bange dabei; denn ich wußte, daß ich die Schulden zahlen könnte und noch so viel übrig behalten würde um nebst meinen Kindern damit auszukommen. Es ist aber doch für eine betrübte Witwe eine schwere Sache so eine große Summe schuldig zu sein und nicht einmal 100 Reichstaler bar im Hause zu haben. Meine Söhne Nathan und Mordechai sind mir als ehrliche Kinder zu Hilfe gekommen; aber sie waren noch sehr jung. So habe ich denn alles zusammengenommen, meine Bilanz gemacht und mich entschlossen einen Ausruf zu machen 13), wie es dann auch geschehen ist.

Meine lieben Kinder, ihr habt gesehen, wie euer lieber, frommer Vater seinen Abschied von dieser sündigen Welt genommen hat. Er war euer Hirt, euer Freund. Nun, liebe Kinder, denkt nun ein jeder an sich selbst; denn ihr habt jetzt keinen Menschen, keinen Freund, auf den ihr euch verlassen könnt, und wenn ihr auch viele Freunde hättet und sie in der Not [182] brauchtet, so könntet ihr euch doch nicht auf sie verlassen; denn wenn man die Freunde nicht braucht, dann will einem ein jeder gern Freund sein; wenn man sie aber nötig hat, dann [sind sie nicht zu finden].

Also, meine lieben Kinder, haben wir uns auf keinen Freund zu verlassen als auf Gott; der soll uns beistehen und helfen, und wenn ihr auch euern getreuen, frommen Vater verloren habt, so lebt doch euer himmlischer Vater immer und ewig, der euch nicht verlassen wird, wenn ihr ihm treulich dient. Wenn euch aber – Gott behüte – eine Strafe zukommen sollte, so ist keiner daran schuld als ihr selbst und eure Taten.

Ich komme jetzt wieder darauf zurück, wie euer Vater in Heiligkeit und Reinheit gestorben ist.

Nun habe ich auch geschrieben, wie ich meine Bilanz gemacht habe. Ich bin dann zu meinem Schwager Joseph gegangen und habe ihn gebeten meine Sachen anzusehen, ob ich die einzelnen Stücke zu billig oder zu teuer angesetzt hätte. Er sah sich alles an und sagte: „Ihr habt alles zu billig angesetzt; wenn ich meine Waren so billig ansetzen wollte, so müßte ich Bankerott machen.“ Ich sagte ihm aber: „Mir deucht, daß es besser ist die Sachen billig anzusetzen und sie dann teuer zu verkaufen als umgekehrt. Ich habe meine Bilanz so gemacht, daß ich auch, wenn es so billig verkauft wird, wie es angesetzt ist, doch ein gutes Kapital für meine Waisenkinder behalte. So habe ich denn eine Auktion veranstalten lassen und sie ist sehr glücklich von statten gegangen. Es ist alles ganz gut verkauft worden, und obwohl man [den Käufern] eine halbjährige Frist gegeben hat, so ist es doch alles gut eingegangen und [183] Gottlob kein Verlust eingetreten. Sobald Geld eingegangen war, habe ich sofort bezahlt, was wir schuldig waren, und hatte innerhalb eines Jahres alles abgezahlt. Was weiter an Barschaften vorhanden war, habe ich dann auf Zinsen ausgeliehen.

Wie schon erwähnt, war meine Tochter Esther damals schon lange Braut, so daß wir von der Verlobung nicht gut abgehen, aber auch nicht recht damit vorwärtskommen konnten. Nach den dreißig Trauertagen schrieb ich an die Mutter des Bräutigams nach Metz, stellte ihr meinen betrübten Witwenstand vor und bat sie, damit wir einander nicht länger aufhielten, den Bräutigam hierher zu schicken um zu sehen und gesehen zu werden. Aber sie antwortete mir: Da ich so viel über ihren Sohn geschrieben und man ihr so viel Schlechtes über meine Tochter gesagt habe, so wolle sie den Bräutigam nicht schicken. Wenn ich meinte, daß solche Verleumder die Wahrheit sprächen, so möchte ich jemanden von meinen Freunden nach Metz schicken und den Bräutigam ansehen lassen. Ueberdies wäre es, weil damals ein großer Krieg zwischen dem König von Frankreich und den Deutschen war, für sie zu gefährlich den Bräutigam zu schicken. So ist länger als ein Jahr mit solchem verdrießlichen Hin- und Herschreiben dahingegangen 14).

Unterdessen ist mein Sohn Loeb auch ein großer, hübscher junger Mann geworden und es sind ihm viele vornehme Partien angetragen worden. Mein Schwager [184] Joseph hat selbst mit mir geredet, er wollte ihm seine Tochter geben; er sollte fordern, was er haben wollte. Aber mein Sohn Loeb hatte keine Lust dazu; er hatte mehr Lust zu der Partie in Berlin, die mein und unser aller Unglück geworden ist. Doch ich beschuldige niemanden. Der Höchste hat solches über uns beschlossen und hat meinen frommen Mann von dieser sündigen Welt hinweggenommen, damit er nichts Böses an seinen Kindern erleben sollte.

Mein Sohn Loeb war damals noch jung und hat sich von bösen Leuten verführen lassen viel Kinderei und Torheit zu treiben. Nun habe ich mir gedacht: Wenn ich meinen Sohn nach Hamburg gebe (d. h. wenn ich ihn in Hamburg verheirate), dann ist die Verführung gar groß; ich bin eine Witwe und die Leute hier sind große Geschäftsleute und können nicht gut auf meinen Sohn achten. Da hat mir mein Schwager Elia Ries vorgeschlagen meinen Sohn mit der Tochter seines Bruders Hirschel Ries 15) in Berlin zu verheiraten. Diese Partie hat mir leider sofort gefallen; ich habe mir gedacht, der Mann hat wenig Kinder und hat sein Geschäft meist im Hause; er ist auch ein strenger Mann und wird gewiß auf meinen Sohn gut acht geben. So habe ich denn meinen Sohn mit seiner Tochter verlobt und meinte, ich hätte es sehr gut getroffen. Als nun die Hochzeit herankam, bin ich mit dem Bräutigam und meinem andern Sohn Samuel, meinem Schwager [185] Elia Ries und Isachar Cohen nach Berlin gereist. Dort war ich bei Benjamin Mirels 16) zu Gast. Die Ehre, die mir von Hirschel Ries, seinem Onkel Benjamin Mirels und von allen Leuten in Berlin erwiesen wurde, kann ich nicht beschreiben. Besonders wurde ich auch von dem reichen Juda Berlin und seiner Frau sehr geehrt. Wenn Juda Berlin auch mit allen Wienern uneinig war 17), so hat er mir doch am Sabbat die feinsten Konfitüren geschenkt, die man nur finden konnte, und mir eine große Mahlzeit gegeben. Kurz – ich hatte dort mehr Ehre, als ich verdiente.

 

 

So ist die Hochzeit in großer Freude und Ehre gefeiert worden. Einige Tage nach der Hochzeit sind wir allesamt fröhlich wieder nach Hamburg gereist. Bevor ich von Berlin wegfuhr, habe ich noch mit Hirschel Ries gesprochen und ihn gebeten, er möchte doch gut nach meinem Sohn sehen; denn er wäre ein junges [186] Kind, das noch nichts vom Geschäft verstünde; also sollte er (Hirschel) nach ihm sehen. Ich hätte mich darum mit ihm verschwägert, weil ich der Meinung sei, daß mein Sohn an ihm wieder einen Vater haben würde. Hirschel Ries gab mir darauf zur Antwort, ich brauchte für meinen Sohn nicht zu sorgen; ich sollte wünschen, daß ich für alle meine Kinder so wenig zu sorgen hätte wie für diesen Sohn. Aber mein Gott und Herr, wie ist das Blatt so unglücklich umgeschlagen!

Hirschel Ries hatte in den Verlobungsvertrag hineingeschrieben, er wolle dafür bürgen, daß mein Sohn drei Jahre bei ihm Kost haben und jährlich 400 Reichstaler zurücklegen sollte. Aber eines ist so wenig gehalten worden wie das andere.

Inzwischen hatten wir wegen der Heirat meiner Tochter Esther viele Briefe gewechselt und nicht zum Ziel kommen können. Da nun der Bräutigam mit seinem Vater nicht nach Hamburg kommen wollte oder konnte und ich mit meiner Tochter nicht nach Metz reisen wollte, so haben wir uns endlich dahin verglichen, daß der Vater des Bräutigams, der reiche Gemeindevorsteher Abraham Krumbach, mit seinem Sohne nach Amsterdam kommen sollte. Dorthin wollte ich mit meiner Tochter auch kommen und dort sollten Bräutigam und Braut einander sehen um dann nach beider Gutbefinden die Hochzeit dort zu halten. Darauf bin ich eingegangen und bin dann zur bestimmten Zeit mit meiner Tochter und meinem Sohne Nathan nach Amsterdam gereist. Wir hatten sehr gute Gesellschaft und die Reise war sehr schön und vergnüglich. Wir waren bei meinem Schwiegersohn Koßmann [Gomperz] in Amsterdam zu [187] Gast; der Bräutigam, der einige Tage früher dort war, war bei Moses Emmerich zu Gast. Gegen Abend nach dem Nachmittagsgebet kommt der Bräutigam in unser Haus. Ich habe mich sehr mit ihm gefreut und mit ihm geredet und er hat mir in jeder Beziehung gut gefallen; von allen den Fehlern, die die Leute von ihm gesagt hatten, habe ich nichts gesehen. Wir waren zwei bis drei Stunden zusammen und ich habe Gott in meinem Herzen gelobt und bin sehr zufrieden gewesen. In Amsterdam haben mein Sohn Nathan und ich alle Tage Geschäfte mit Edelsteinen gemacht. Als wir acht Tage dort waren, schrieb mir Mirjam, die Mutter meines Schwiegersohns, die Frau des verstorbenen Elia Gomperz aus Cleve, wir sollten ihr doch die Ehre antun und mit dem Brautpaar nach Cleve kommen. Da sie ja die Partie vermittelt und viele Unannehmlichkeiten davon gehabt hätten, so solle man ihr doch jetzt die Befriedigung bereiten und zu ihr kommen. Obwohl wir nun wegen unseres Geschäftes nicht gut abkommen konnten, habe ich ihr doch ihre Bitte nicht abschlagen können und wir sind zusammen nach Cleve gereist. Beim ersten Anblick haben wir uns zwar mit Freudentränen benetzt, da wir uns beide in unserm betrübten Witwenstande zum ersten Male sahen 18). Aber nachdem die erste Betrübnis vorbei war, hat sich alles in Freude und Wonne umgewandelt und wir haben voneinander großes Vergnügen gehabt.

Meine Tochter Zipora war auch mit bei uns. Mirjam [188] Gomperz hat gewünscht, daß wir die Hochzeit in Amersfoort 18a) machen sollten; aber dieser Ort war für mich nicht gut gelegen, denn wir haben wieder in Amsterdam sein müssen.

So blieben wir denn fünf Tage sehr vergnügt in Cleve; dann reisten wir sämtlich mit unserem Brautpaar wieder nach Amsterdam. Sobald wir nach Amsterdam gekommen waren, wurden Anstalten zur Hochzeit gemacht, und während wir gemeint hatten nur dreißig bis vierzig Leute zu haben, hatten wir über 400 Personen. Kurz, wir haben eine so vornehme Hochzeit gehabt, wie sie in 100 Jahren in Amsterdam nicht gewesen ist. Sie hat uns auch über 400 Reichstaler gekostet.

 

 

Nach der Hochzeit bin ich noch einige Wochen in Amsterdam gewesen und habe unsere Geschäfte besorgt. Dann haben wir uns zur Rückreise fertig gemacht. Ich habe meinen Schwiegersohn Moses gebeten, sie sollten mit uns nach Hamburg reisen; ich wollte sie freihalten; aber mein Schwiegersohn hat nicht gewollt. So sind wir von Amsterdam [weggefahren und] vergnügt in Hamburg angelangt und haben unsere Kinder und alle guten Freunde gesund gefunden.

An allen Posttagen habe ich von meinem Sohn Loeb Brief gehabt und gehört, daß er gute Geschäfte mache; auch hat ihn jedermann gerühmt, was er für ein guter Geschäftsmann wäre. Er ist nach Leipzig gereist und hat dort Waren eingekauft und hat ein großes Gewölbe in Berlin gehabt. Meine Kinder (in Hamburg) haben mit ihm Geschäfte gemacht. Ich habe verschiedene Male an seinen Schwiegervater Hirschel Ries geschrieben und [189] ihn angefragt, ob er auch gut auf ihn aufpasse; denn mein Sohn sei noch ein junges Kind und sei noch in keinem Geschäft, sondern nur immer in der Schule und im Lehrhause gewesen. Hirschel Ries antwortete mir darauf mehrere Male, ich sollte mir um das Kind keine Sorge machen. Nun habe ich mich damit zufrieden geben müssen und habe gemeint, daß mit meinem Sohn Loeb alles gut bestellt sei.

Nun war meine Tochter Hendele damals eine Jungfrau, die nicht ihresgleichen hatte an Tugenden und an Schönheit. Da hat uns der Heiratsvermittler Josel wieder zu einer traurigen Heiratspartie in Berlin geraten. Dort war nämlich die Witwe des Baruch 19), der als ein sehr angesehener und reicher Mann in Berlin gestorben war und zwei Söhne und zwei Töchter hinterlassen hatte. Der Heiratsvermittler schlug mir für meine Tochter eine Verbindung mit dem älteren Sohne vor. Er sagte mir, der junge Mann wäre ein feines Kind, er lernte gut und hätte 5000 Reichstaler bereit liegen, außerdem ein halbes Haus, das auch 1500 Reichstaler wert sei, und noch silberne Thorageräte und andere Sachen. Seine Mutter wollte ihn bei sich behalten und ihm zwei Jahre Kost an ihrem Tische geben; denn sie hatte noch das ganze Geschäft inne. Ich erwiderte dem Heiratsvermittler, daß ich die Partie nicht ausschlage; ich wollte es mir nur überlegen und ihm dann Antwort sagen. Dann habe ich meinen Schwager Joseph und andre gute Freunde gefragt; die [190] haben mir alle zu der Partie geraten, aber doch alle gesagt: Du hast doch deinen Sohn Loeb in Berlin wohnen; der wird dir alles schreiben. So habe ich denn an meinen Sohn Loeb geschrieben, er sollte mir die ganze Wahrheit darüber mitteilen. Drauf hat er mir geschrieben und mir zu der Heiratspartie geraten; denn der junge Mann hätte 5000 Reichstaler und auch die übrigen Sachen, wie der Heiratsvermittler gesagt hatte. So habe ich denn meinem Sohn Vollmacht geschickt und er hat die Verlobung in Berlin abgeschlossen – zu meiner großen Betrübnis. Die Hochzeit ist auf 1½ Jahre später festgesetzt worden.

Ich meinte, daß alles gut wäre, und dachte mir: weil ich ein Kind in Berlin hätte, dem es gut ginge, wollte ich das andre Kind auch dorthin verheiraten, damit eins an dem anderen Herzensfreude hätte. Aber es ist leider ganz anders herausgekommen. Denn mein Sohn Loeb war, wie erwähnt, noch sehr jung und verstand nichts vom Geschäft. Statt daß nun sein Schwiegervater ihm eine besondere Fürsorge zugewendet hätte, hat er ihn gehen lassen wie „Schafe ohne Hirten“. Mein Sohn hatte, wie schon erwähnt, ein großes Geschäft in Berlin angefangen und hatte ein großes Gewölbe mit allerhand Waren. Sein Schwiegervater Hirschel Ries hatte seinen Sohn Model mit der Tochter meines Schwagers Joseph verheiratet. Dieser Model war auch noch sehr jung und nicht gut erzogen. Seine Mitgift von 4000 Talern hat sein Vater Hirschel Ries meinem Sohn Loeb ins Geschäft gegeben. Mein Sohn hat nun den Model immer in seinem Gewölbe sitzen gehabt; es hieß, daß er mit aufpassen sollte. Aber – Gott soll [191] sich erbarmen – wie hat er aufgepaßt! Gehilfen und Gehilfinnen haben leider alles gestohlen; auch andre nichtswürdige Leute, wie es solche in Berlin und drum herum gibt, haben sich an ihn herangemacht und scheinbar mit ihm gehandelt, dabei aber ihm das Weiße aus dem Auge herausgestohlen. Er hat viele Tausende an Polacken verborgt und das Geld ist leider alles verloren gegangen. Ich und meine Kinder haben nichts davon gewußt; wir meinten, daß er ein großes Geschäft machte und viel verdiente. Darum haben wir ihm viel kreditiert. Ich hatte damals eine Fabrik von Hamburger Strümpfen, in der ich selbst für viele Tausende [von Talern] arbeiten ließ. Da schrieb mir der Unglückssohn, ich sollte ihm für 1000 Taler und mehr Strümpfe schicken, und ich habe es auch getan.

Dann traf ich auf der Braunschweiger Messe Amsterdamer Kaufleute, die für ungefähr 800 Reichstaler Wechsel auf meinen Sohn Loeb hatten. Loeb schrieb mir nach Braunschweig, ich möchte doch seine Wechsel in Ehren bezahlen; er wollte mir das Geld nach Hamburg remittieren. Wie ich nun allezeit für meine Kinder gewesen bin, dachte ich mir, ich wollte ihm keine Schande antun lassen, daß ich seine Wechsel hätte protestieren lassen, und habe alles in Ehren bezahlt. Wie ich nun von der Braunschweiger Messe zurückkam, war ich der Meinung, Wechsel von meinem Sohn Loeb vorzufinden. Aber es war nichts vorhanden, und wenn ich meinem Sohne davon geschrieben habe, hat er mir allezeit Antworten geschrieben, die mir nicht gefallen haben. Nun, was sollte ich tun? Ich mußte mich zufrieden geben. 14 Tage danach kam ein guter Freund zu mir und sagte: [192] „Ich kann es dir nicht verschweigen und muß dir sagen, daß mir die Geschäfte deines Sohnes Loeb gar nicht gefallen; denn er steckt in großen Schulden. Seinem Schwager Model ist er 4000 Taler schuldig und derselbe sitzt in Loebs Gewölbe, wie es heißt um aufzupassen; aber er ist ein Kind und nicht kapabel dazu; er nascht und frißt und sauft. Ein jeder ist Herr und Meister im Gewölbe. Dein Sohn Loeb ist zu gut und fromm, läßt einen jeden schalten und walten. Zudem saugen ihn die Berliner mit Zinsen aus. Er hat auch zwei Wölfe über sich; der eine ist Wolf Mirels, der Sohn des Hamburger Rabbiners Salomon Mirels 20); der andere ist der Schwager des gelehrten Benjamin Mirels. Dieser letztere Wolf geht ihm alle Tage in sein Gewölbe und trägt heraus, was er (Loeb) sieht und was er nicht sieht. Außerdem macht er Geschäfte mit Polacken; soviel ich weiß, ist er dabei in kurzem schon mehr als 4000 Taler losgeworden.“ Diese und ähnliche Mitteilungen machte mir dieser Mann; mir ging dabei fast das Leben aus und ich wurde auf der Stelle ohnmächtig. Als der Freund sah, daß ich so sehr erschrocken war, fing er an mich zu trösten und [193] meinte, wenn man beizeiten zusehe, könnte meinem Sohn Loeb noch geholfen werden. Ich sagte das, was ich gehört hatte, meinen Söhnen Nathan und Mordechai. Diese erschraken auch sehr und sagten, sie hätten auch ein jeder mehrere Tausende von ihm zu fordern. Nun, Gott weiß, wie mir bei solchen unangenehmen Sachen zumute war. Mein Sohn Loeb war mir mehr als 3000 Taler schuldig; aber ich hätte das alles nicht geachtet, wenn nicht meine beiden frommen Kinder so tief mit darin gesteckt hätten. Was haben wir betrübten Leute nun tun sollen? Wir haben es keinem Menschen sagen dürfen. Wir haben miteinander verabredet, daß ich mit meinem Sohn Mordechai nach der Leipziger Messe reisen wolle um zu sehen, wie alle Sachen stehen. Ich bin auch mit Mordechai dorthin gereist. Als wir dort ankamen, war mein Sohn Loeb schon dort, wie er auch sonst zu jeder Leipziger Messe reiste, und hatte viele Waren dort. Da habe ich mit ihm geredet: „So und so spricht man von dir; denke an Gott und an deinen frommen, ehrlichen Vater, daß du dich und uns alle nicht in Schande bringst! Darauf antwortete er: „Ihr braucht nirgends für mich zu sorgen. Kürzlich – es sind noch keine vier Wochen her – hat mein Schwiegervater seinen Schwager Wolf aus Prag bei sich gehabt; der hat mit mir gerechnet und hat gefunden, daß ich gottlob ganz gut stehe.“ Darauf sagte ich zu ihm: „Zeige mir deine Bilanz. Er erwiderte: „Ich habe sie nicht bei mir; tue mir den Gefallen und reise mit mir nach Berlin in mein Haus; da will ich euch alles zeigen, so daß ihr vergnügt sein werdet.“ „Jedenfalls, habe ich zu ihm gesagt, „kaufe jetzt kein Stück Ware. Aber Isaak und [194] Simon, der Sohn des Rabbi Man, von Hamburg sind hinter meinem Rücken hingegangen und haben ihm für mehr als 1400 Taler Waren verkauft und geborgt. Als ich es gewahr wurde, bin ich zu ihnen gegangen und habe sie um des Himmels willen gebeten, sie sollten doch den Kauf zurückgehen lassen; denn mein Sohn sollte sich von dem Warenhandel zurückziehen, weil es sein Verderben wäre. Aber es hat mir alles nichts helfen wollen und sie haben meinen Sohn gezwungen die Waren zu nehmen.

 

Leipziger Messe um 1800

 

Nach der Leipziger Messe bin ich mit meinem Sohn Mordechai, mit Hirschel Ries und allen Berlinern nach Berlin gereist. Als ich im Hause meines Sohnes in Berlin war, sagte er mir: „Es fehlt mir nichts anderes, als daß ich zu viel Geld in Waren hineingesteckt habe. Darauf sagte ich zu ihm: „Du bist mir mehr als 3000 Taler schuldig; ich will meinetwegen dafür lauter Waren von dir annehmen (für so viel), wie sie dich gekostet haben.“ „Wenn du das tun willst, liebe Mutter,“ antwortete er, „so kann ich aus aller meiner Not herauskommen und keiner braucht durch mich zu kurz zu kommen.“

Am anderen Tage bin ich mit meinem Sohn in sein Gewölbe gegangen; dort ist wirklich eine viel zu große Menge von Waren gewesen. Er hat mir nun für 3000 Taler Waren gegeben, so wie sie ihn gekostet haben. Nun kann man sich wohl denken, was ich für ein Gesicht gemacht habe 21); aber ich wollte alles nicht [195] achten und meinte nur meinem Kinde zu helfen. So haben wir denn die Waren alle in Ballen eingepackt um sie nach Hamburg zu schicken. Nun standen die zwei Ballen mit Waren, die mein Sohn in Leipzig von den Hamburger Kaufleuten Isaak und Simon gekauft hatte, noch zugepackt in seinem Gewölbe, und ich sagte zu meinem Sohne: „Die beiden Päckchen mit Waren schicke den Leuten zurück; ich will schon dafür sorgen, daß sie die Waren wiedernehmen, wenn es mich auch Geld aus meiner Tasche kosten sollte. Nun habe ich das Meinige, habe ich zu meinem Sohn gesagt, „wie bekommen nun meine Söhne Nathan und Mordechai das Ihrige? Da hat er Wechsel und polnische Membranen 22) über 12 000 Reichstaler genommen und sie meinem Sohn Mordechai gegeben; davon sollte er bezahlt werden. Dann sind wir zusammen heimgegangen, nachdem wir den ganzen Tag in seinem Gewölbe gesessen waren. Das Nachtessen hat mir nicht gut geschmeckt, wie sich wohl denken läßt. Am anderen Morgen in aller Frühe kommt mein Sohn Loeb zu mir in meine Kammer und sagt, sein Schwiegervater hätte mit ihm geredet, er wollte die Waren nicht aus Berlin herauslassen, da mein Sohn Loeb seinem Sohn Model 4000 Taler schuldig wäre; die sollte ich ihm bezahlen, dann könnte ich die Waren hinschicken, wohin ich wollte. Solches hat mir mein Sohn Loeb mit schreienden (= weinenden) Augen gesagt. Da ist ein großer Schrecken und eine Todesangst über mich gekommen. Ich konnte nicht aufstehen, und so lange ich in dem Unglücksort Berlin war, konnte ich nicht aus [196] meinem Bett herauskommen. Da habe ich Hirschel Ries kommen lassen und ihm gesagt, was er mir da tut, ob er denn mich und mein Kind auf einmal schlachten wolle. Aber was soll ich viel schreiben? Zehn Bogen würden nicht ausreichen 23). Ich habe Hirschel Ries einen Wechsel geben müssen, daß ich binnen vierzehn Tagen in Hamburg 2500 Reichstaler zahlen wolle. Dabei hat mir Hirschel Ries noch gesagt: „Ich hoffe nicht, daß einer dabei zu kurz kommt; denn er behält noch so viele Waren in seinem Gewölbe übrig. In Frankfurt a. d. Oder hat er auch noch für ungefähr zweitausend Taler Waren stehen, außer den vielen Wechseln und Membranen, die dein Sohn Mordechai in Händen hat, damit ihr davon bezahlt werden könnt.“ Was sollten wir nun tun? Wir mußten uns alles gefallen lassen; ich habe den Wechsel unterschrieben, dann habe ich meine Waren nach Hamburg geschickt. Ich bin dann mit Hirschel Ries in Loebs Gewölbe gegangen und habe ihm die beiden Päckchen mit Waren von Isaak und Simon gezeigt und ihm gesagt, er sollte sie sogleich an die Leute schicken, damit mein Sohn aus seiner Verpflichtung herauskäme. Die Wechsel und Membranen, die mein Sohn Mordechai in Händen hatte, konnten uns wenig nützen; wir haben sie Hirschel Ries gegeben und der hat meinem Sohn Mordechai durch Handschlag versprochen, was davon einkommt, uns sofort nach Hamburg zu remittieren. Nun war mein Sohn Loeb dem Loeb Beschere und dem Loeb Goslar ungefähr 2000 Taler schuldig; darum hat er mir diese Wechsel geschickt um [sie an] sie zu bezahlen. Ich hätte nun [197] die Wechsel wohl behalten können um uns davon bezahlt zu machen. Aber ich dachte mir, wenn ich das täte, wäre mein Sohn gewiß bankrott; ich habe ihnen also die Wechsel gegeben. Wir sind nun mit traurigem, verbittertem Gemüt heimgereist. Ich habe kaum mehr die Seele in mir gehabt. Mein liebes, frommes Kind Mordechai hat mir zwar meine Traurigkeit auszureden gesucht; aber Gott weiß, daß ihm noch viel weher als mir war, wie es sich leider auch gezeigt hat.

Nun war die Messe in Frankfurt an der Oder nahe und wir haben alle unsere Hoffnung darauf gesetzt, daß wir von dort Ersatz bekommen würden. Aber statt dessen ist ihm sein Schwiegervater in sein Gewölbe eingefallen und hat alles, was er hatte, an sich genommen – nicht nur alle seine Waren, auch alle seine Wechsel und die zwei Päckchen mit Waren (die zur Rücksendung nach Hamburg bestimmt waren). Es ist ihm und uns auch nicht ein Pfennig geblieben. Ja noch mehr – mein Sohn war einem Kaufmann 1000 Taler schuldig, wofür er ihm Wechsel auf Hamburg geben sollte. Aber der Kaufmann war dies alles gewahr geworden und wollte nicht von ihm weichen; er wollte ihn in Berlin einsperren lassen. Was sollte mein Sohn nun tun? Sein Schwiegervater hätte ihn im Gefängnis verrotten und verfaulen lassen, ehe er ihm mit hundert, geschweige mit tausend Talern geholfen hätte. Mein Sohn redete also mit dem Kaufmann: „Du siehst ja wohl, daß hier nichts zu bekommen ist; ich will mit dir nach Hamburg reisen. Meine Mutter und meine Brüder werden mich nicht verlassen. Du kannst mich doch in Hamburg auch verhaften lassen.“ Dann schrieb mein Sohn mir zugleich: „Ich werde am [198] Freitag bei dir sein; ich kann dir die Ursache nicht schreiben, ich werde dir alles mündlich sagen.“

Diesen Brief habe ich einen Tag vor seiner Ankunft bekommen. Es läßt sich denken, wie mir zumute war und daß ich nichts Gutes davon erwarten konnte, da ich wohl wußte, daß sein Schwiegervater ihm alles genommen hatte und daß er in Hamburg viel schuldig war und nichts zu bezahlen hatte. Aber ich bin bald aus meinem Traum herausgerissen worden. Am Freitag in der Morgenfrühe bekam ich eine Botschaft, mein Sohn Loeb wäre im Hause des Kaufmannes; ich oder eines meiner Kinder sollte zu ihm kommen. Ich erschrak über die Maßen und konnte nicht einen Schritt gehen. Mein Sohn Mordechai ist zu ihm gegangen und hat mir die bittere, betrübte Zeitung gebracht. Nun habe ich mit meinen Schwägern Joseph und Elia (Ries) beraten, was hierbei zu tun ist. (Wir haben uns gesagt:) Wenn es länger währt und andere Kreditoren es gewahr werden, ist er sicher verloren. Endlich sind wir dabei geblieben, man solle tausend Reichstaler von der Hinterlassenschaft nehmen um ihn aus den Händen des Kaufmannes zu befreien. Er sollte noch bis gegen Abend im Hause des Kaufmanns bleiben und sich dann bis Sonntag bei mir aufhalten. Sonntag früh sollte ich ihn mit meinem Schwager Samuel Bonn 24) nach Hameln schicken; er sollte dann einige Zeit bei meinem Schwiegersohn Samuel in Hameln 25) sein, bis man sähe, was [199] man mit ihm anfangen könnte. Solches ist nun geschehen; es hat mich wieder viel Geld gekostet. Mein Sohn ist nach Hameln gereist; unterwegs mußte er sich in Hannover aufhalten. Obschon der reiche Jakob Hannover 26) viel Mitleid mit ihm hatte, so ist dies doch ohne Wirkung geblieben und hat meinem Sohn keine Hilfe gebracht. Sie haben mir zwar von Hannover tröstlich geschrieben und mich getröstet; ich habe ihnen wieder gebührlich geantwortet und mich für ihre Tröstungen bedankt; aber damit wäre es nicht getan; sie sollten sich ins Mittel legen und helfen, daß mein Sohn wieder zurecht käme. Ich habe aber von Jakob Hannover zur Antwort bekommen: er wolle ihm mit fünfhundert Reichstalern assistieren, wenn meine Söhne Nathan und Mordechai ihm schriftlich geben wollten, daß sie die Bürgschaft für das Geld übernähmen. Hieraus ist auch wieder zu ersehen, daß man keinen für einen Freund halten soll, ohne daß man ihn erprobt hat. Ich hatte geglaubt, daß Jakob Hannover, der ein naher Freund meines Kindes ist, um der Ehre meines seligen Mannes willen ein Mehreres getan und Tausende für die Ehre seines Onkels aufgewendet hätte; aber es war, wie ich schon erwähnt habe.

Nun ist mein Sohn Loeb ein halbes Jahr in Hameln gewesen. Einige Zeit danach ist der Kurfürst von Brandenburg nach Hannover gereist. Das habe ich sofort erfahren und an meinen Schwager Leffmann Behrens in Hannover geschrieben: er möchte sehen ihm bei dem [200] Kurfürsten ein freies Geleit zu erwirken, daß er wieder nach Berlin kommen dürfte und etwas von seinen Außenständen einziehen und auch seine Gläubiger befriedigen .könnte. Denn er war bei Juden und Nicht Juden wohlgelitten und man wußte wohl, daß böse und leichtfertige Menschen – ihre Namen sollen ausgelöscht werden – ihn um das Seinige gebracht hatten, weil er viel zu gut war und einem jeden vertraute. Es sind noch einige kleine Schuldforderungen dagewesen, von denen er noch hat zupfen können, und er hat gemeint, Gott würde sich erbarmen und ihm wieder zurechthelfen. Aber es scheint, daß der Himmel auf uns viel zu sehr erzürnt war.

Mein Sohn Loeb ist nun wieder nach Berlin gereist und hat angefangen wieder ein bißchen zu quackeln 27) und zu handeln; er hat ein Loch zugestopft und ein anderes wieder aufgemacht, wie es solche Leute tun, und hat immer gemeint sich zu helfen.

Wie erwähnt, hatte ich meine liebe, fromme Tochter zu jener Zeit nach Berlin verlobt, als ich meinte meinen Sohn dort im Wohlstand sitzen zu haben. Aber nachdem es nun so unglücklich gekommen war, ist mir Berlin sehr zuwider geworden. Außerdem sagte mir mein Sohn Loeb, daß der Bräutigam nicht so viel hätte, als sie von ihm geschrieben hatten. Obschon er (Loeb) es bezeugt hätte, so wäre er doch damals schon in seiner Notlage gewesen und die Eltern des jungen Mannes hätten ihm leider mit Geld zu seinem Untergang assistiert, so daß er an mich hätte schreiben müssen, was sie gewollt [201] hätten. Ich habe solches meinen Freunden und anderen Leuten zur Kenntnis gegeben; denn die Zeit der traurigen Hochzeit war schon herangekommen. Da haben sie mir von Berlin geschrieben, daß der Bräutigam nicht mehr als 31/2 Tausend Taler und sein halbes Haus hätte. Nun habe ich die Partie nicht machen wollen, da sie mir nicht gehalten hatten, was in dem Verlobungsvertrag versprochen war. So hat das Schreiben und Mahnen länger als ein Jahr gedauert, bis ich – Gott sei es geklagt – förmlich mit den Haaren dazu gezogen worden bin und mich endlich habe resolvieren müssen mit meiner Tochter nach Berlin zu reisen und Hochzeit zu machen. Die Mitgift meiner sel. Tochter ist hier in Hamburg auf Zinsen geblieben und die Mitgift des Bräutigams ist auch in Berlin bei zuverlässigen Leuten auf Zinsen gelegt worden. Obwohl ich schon wegen meines Sohnes Loeb mit wenig Freude zu der traurigen Hochzeit gereist bin und dann auch, weil mir die Verbindung sehr zuwider war, so habe ich mich doch gezwungen und mir nichts merken lassen um meines Kindes Freude nicht zu stören. Ich war bei meinem Sohn Loeb zu Gast; seine Lage war zum Erbarmen. Er hat das Seinige getan, ist gelaufen und gerannt; aber, wie schon erwähnt, obwohl mir das Herz förmlich im Leibe zersprungen ist, habe ich mich doch nicht dem Schmerze hingeben wollen.

 

 

Also ist die Hochzeit in Freude und Lust und mit allen Ehren gefeiert worden. Der reiche Juda Berlin (= Jost Liebman) hat uns mit seiner Frau und allen seinen Hausgenossen die Ehre angetan und ist auf der Hochzeit gewesen, so daß alle Welt darüber erstaunt war; denn sie waren sonst niemals auf einer Wiener Hochzeit [202] gewesen 28). Er hat auch der Braut ein wertvolles Geschenk als Einwurf 29) gegeben und uns nach der Hochzeit mit dem Brautpaar eingeladen und eine herrliche Mahlzeit angerichtet.

 

Juda Berlin (Jost Liebman)

 

Als dies vorbei war, haben wir uns wieder gerüstet nach Hause zu ziehen, aber mit Elend und Schwermut, da ich doch leider die schlechte Lage meines Sohnes Loeb vor mir gesehen habe. Aber ich habe mir doch noch die Hoffnung gemacht: vielleicht wird ihm Gott wieder helfen, daß er zurechtkommen wird. So sind wir nach Hamburg gereist und ich habe meine liebe, fromme Tochter in Berlin gelassen; ich habe sie leider nimmermehr zu sehen bekommen. Der Schmerz, den meine fromme Tochter und ich beim Abschied hatten, ist nicht zu beschreiben; es war so, als wenn wir gewußt hätten, daß wir uns in dieser sündigen Welt nie wiedersehen sollten. So sind wir denn auf ewig voneinander geschie­den.

Ich bin nun nach Hamburg gekommen und habe alle Posttage ziemlich vergnügte Briefe von meiner Tochter gehabt. Wenn sie auch von meinem Sohn Loeb viel Kummer und Schmerz hatte, so wollte sie doch als ein frommes, kluges Kind nichts davon erwähnen und wollte mich nicht betrüben. Sie scheint die Betrübnis in ihrem frommen Herzen allein verschlossen zu haben. Loeb hat sich bald in Berlin nicht mehr halten können. Er ist von dort weggegangen und nach Altona unter den Schutz [203] des Präsidenten 30) gekommen. Was ich für Schmerz und Herzeleid hierdurch und von seinen Gläubigern gehabt habe, soll eine Sühne für unsere Sünde sein. Es hat mich täglich viel Geld gekostet. Mein Sohn ist todkrank geworden; ich habe alle Tage zwei Aerzte von Hamburg nach Altona geschickt, dazu seine Wärter und die übrigen Bedürfnisse; das hat mich wieder viel Geld gekostet. Endlich ist er wieder besser geworden.

Danach ist meine fromme Tochter Hendele in Berlin krank geworden und hat die Krankheit leider mit ihrem jungen Blut bezahlen müssen, zu großem Herzeleid für mich und alle, die sie gekannt haben. O, mein Gott, was für eine harte Strafe ist das gewesen! So ein liebes, wackeres Menschenkind, (so schlank) wie ein Tannenbaum, und alle Wohlkindigkeit 31) und Frömmigkeit ist an ihr gewesen, wie sie wohl bei unseren Stammüttern sich hat finden mögen. Was für einen großen Schmerz alle Leute in ganz Berlin und besonders ihre Schwiegermutter, die sie so sehr geliebt hat, über ihren Tod gehabt haben, ist nicht zu beschreiben. Aber was hilft das alles meinem betrübten mütterlichen Herzen? Er war siebzehn Wochen nach ihrer Hochzeit. Nun, ich will meine Wunden nicht aufs neue wieder aufreißen.

Nach den sieben Trauertagen hat mein Sohn Loeb zu mir geschickt, ich möchte zu ihm kommen. [204] Als ich zu ihm gekommen bin, haben wir beide geweint; mein Sohn hat mich getröstet, so gut er gekonnt hat. Dann hat er zu mir gesagt: „Liebe Mutter, was wird aus meinem traurigen Zustand? Ich bin ein junger Mann und gehe müßig herum. Meine fromme Schwester ist gestorben und hat kein Kind hinterlassen; ihr Mann muß ihre Mitgift wiedergeben, die meinen Brüdern gehört. Wenn meine Brüder noch diesmal Erbarmen mit mir haben und mir mit dem Gelde helfen wollten, daß ich mich mit meinen Gläubigern einigen und wieder nach Hamburg kommen könnte, so meine ich mich mit Gottes Hilfe wieder ernähren zu können.“

Mein betrübtes Herz ist mir schwer und voll gewesen; ich habe ihm vor bitteren Tränen nicht antworten können. Dann habe ich ihm gesagt: „Was ist das doch für ein Unrecht von dir! Du weißt, wie deine frommen Brüder durch dich zu kurz gekommen sind; sie können leider den Verlust wirklich gar nicht mehr tragen; und jetzt, wo sie das traurige bißchen Geld wider ihren Willen bekommen, willst du ihnen das auch aus ihrem bitterlich betrübten Herzen reißen! Da haben wir beide wohl eine Stunde jämmerlich geheult und geschrieen und weiter kein Wort miteinander reden können. Dann habe ich stillschweigend mein Regenkleid 32) umgenommen und bin mit Weinen und bitteren Klagen nach Hamburg in mein Haus gegangen, habe aber keinem von meinen Kindern etwas davon gesagt. Aber mein Sohn Loeb hat nicht nachgelassen; er hat zu meinen Kindern geschickt und hat sie so viel gebeten, daß sie, die ohnedies so mitleidig waren, ihm [205] zugesagt haben ihm damit auszuhelfen. Das ist auch in kurzer Zeit geschehen; er ist mit seinen Gläubigern einig geworden und ist zu mir in die Stadt gekommen. Als sein Schwiegervater dies gewahr wurde, hat er seine Tochter, Loebs Frau, mit einem Kinde auch zu mir nach Hamburg geschickt und seiner Tochter jede Woche zwei Reichstaler zu verzehren gegeben. Nun, was sollte ich tun? Ich mußte mir alles wohl gefallen lassen.

Ich habe damals ziemlich stark mit Waren gehandelt, so daß ich jeden Monat für mehr als fünfhundert oder sechshundert Reichstaler verkauft habe. Außerdem bin ich alle Jahre zweimal auf die Braunschweiger Messe gereist und habe auf jeder Messe mehrere Tausende gelöst, so daß ich den Schaden, den ich an meinem Sohn Loeb hatte, wohl hätte verschmerzen können, wenn ich Ruhe gehabt hätte. Ich habe gute Geschäfte gemacht, habe mir von Holland Waren kommen lassen, habe auch in Hamburg viele Waren gekauft und in einem eigenen Gewölbe verkauft.

Ich habe mich auch nicht geschont, bin Sommer und Winter gereist und den ganzen Tag über in der Stadt herumgelaufen. Außerdem habe ich einen schönen Handel mit Unzenperlen gehabt; ich habe sie von allen Juden gekauft, dann ausgelesen und sortiert und sie wieder an Orten verkauft, wo ich wußte, daß sie angenehm sind. Ich habe großen Kredit gehabt. Wenn ich auf der Börse zur Börsenzeit 20 000 Taler Banco hätte haben wollen, hätte ich sie bekommen können. „Aber alles dieses hat mir nichts gegolten“ 33). Ich habe da meinen Sohn Loeb vor mir gesehen, einen jungen, [206] wackern Menschen, der fromm und im Talmud bewandert war, und der sollte so zugrunde gehen! Da habe ich eines Tages zu ihm gesagt: „Ich sehe leider für dich keinen Zweck. Ich habe ein großes Geschäft; es wird mir sogar ein wenig zu schwer; du sollst mir in meinem Geschäfte behilflich sein; ich will dir von allem, was ich verkaufen werde, zwei vom Hundert geben.“ Loeb hat dies mit großer Freude angenommen; er ist auch sehr fleißig gewesen und hätte sehr gut zurechtkommen können, wenn seine Gutmütigkeit ihn nicht zugrunde gerichtet hätte. Durch meine Kundschaft ist er unter Kaufleuten sehr bekannt geworden und hat großen Kredit bei ihnen gehabt; er hatte fast alles Meinige unter Händen.

Mein Sohn Joseph war damals ein Junge von vierzehn Jahren; er war ein sehr feines Kind und hat sehr gut „gelernt“ 34). Darum hätte ich ihn gern zum „Lernen“ weggeschickt, wußte aber nicht, wohin ich ihn schicken sollte. Da war nun ein Hauslehrer bei Isaak Polak, ein wackerer junger Mann aus Lissa und ein großer Talmudist. Dieser hörte, daß ich meinen Sohn zum „Lernen“ fortschicken wollte; da sagte er, ich sollte ihn ihm mitgeben. Er begehrte keinen Pfennig Kost- oder Lehrgeld bis nach zwei Jahren; dann wollte er ihn so ausstellen, daß er „Halacha mit Tossaphot“ 35) perfekt vortragen [207] könne. Ich habe mich über ihn erkundigt und alle Welt hat mir zugeraten. Darauf habe ich einen Vertrag mit ihm gemacht und meinen Sohn in Gottes Namen mit seinem Lehrer nach Lissa geschickt. Ich habe auch Briefe aus Lissa von ihm erhalten, zuerst von seiner glücklichen Ankunft; dann hat er wirklich jede Woche geschrieben, daß er mit seinem Lehrer wohl zufrieden ist und ernstlich lernt; etwas anderes habe ich nicht verlangt. Etwa vierzehn Tage danach schreibt mein Sohn Joseph und bittet mich sehr, ich möchte doch seinem Lehrer für ein halbes Jahr Kostgeld und Lehrgeld schicken. Zwar wäre ich nicht verpflichtet es zu tun; aber es wäre augenblicklich in Lissa eine große Teuerung, daß sein Lehrer besorgt sein müsse, woher er das Geld nähme; das hindere sie ein wenig im Lernen. Aber wenn der Lehrer diese Sorge nicht hätte, so könnten sie desto fleißiger lernen. Er hätte noch mehr Kinder von Hamburg; deren Eltern schickten ihm alle Geld; so möchte ich doch auch nicht zurückstehen. Nun war mir eben nicht viel daran gelegen, ob ich das Geld früher oder später bezahlt habe; ich habe ihm also sein Geld für ein halbes Jahr hingeschickt. So ist alles gut gewesen und ich habe auch von Durchreisenden vernommen, daß mein Sohn bei dem Lehrer fleißig lernt. Aber als das halbe Jahr bald zu Ende war, bekam ich von meinem Joseph – es war gerade Freitag Nachmittag, als man eben zur [208] Synagoge gehen wollte – einen Brief mit folgendem Wortlaut: „Meine liebe Mutter, Du weißt ja wohl, daß ich Dir alle meine Tage ein treues Kind gewesen bin und niemals etwas gegen Deinen Willen getan habe. So wirst Du mir auch Deine treue mütterliche Liebe nicht entziehen und wirst nicht zugeben, daß man mich in die Hand von NichtJuden gibt. Denn Du mußt wissen, meine liebe Mutter, daß die Gemeinde Lissa Gewalthabern sehr viel schuldig ist 36) und weder Kapital noch Zinsen zahlen kann. Da weiß sich die Gemeinde keinen Rat, als daß sie die deutschen Kinder den Gewalthabern zum Pfand geben; die deutschen Eltern müssen sie dann wohl wieder auslösen. Solches haben die Vorsteher in aller Heimlichkeit den Lehrern gesagt, die deutsche Kinder bei sich haben. Ein Talmudjünger, der mein guter Freund ist, hat es mir im Vertrauen mitgeteilt. Ich habe es Dir nun nicht selbst geschrieben, sondern es durch diesen jungen Mann tun lassen. Denn mein Lehrer wendet mir eine gar zu große Aufmerksamkeit zu und liest alle meine Briefe. Darum, meine liebe Mutter, sieh doch Gott den Allmächtigen an und schreibe an Tockels [209] Eidam 37), daß er mir fünfzig oder sechzig Reichstaler geben soll, damit ich mich mit meinem Lehrer ausgleiche und er mich in aller Heimlichkeit wegschickt, daß ich aus ihren Händen komme. Ich bitte Dich um Gottes willen, vernachlässige es nicht; denn wenn es versäumt werden sollte und ich – Gott behüte – in ihre Hände fiele – es ist Polen – so wäre es um mich geschehen, und sollte dann auf Geld gesehen werden, so kostete es zehnmal so viel als jetzt. Darum, meine liebe, herzige Mutter, verlaß Dein Kind nicht um ein bißchen Geld und sieh zu, daß man mich nicht in ihre Hände liefert, aus denen man schwerlich wieder befreit wird.“

Als ich den Brief gelesen hatte, ist mir ganz schwach geworden. Ich habe meinen Sohn Mordechai rufen lassen und ihm den Brief gegeben. Der hat sich auch sehr erschreckt. Es war gerade Sabbat. Nach Ausgang des Sabbat haben wir zusammen beschlossen, daß mein Sohn Mordechai sogleich nach Lissa reisen und sehen sollte meinen Sohn Joseph mit sich heimzunehmen. So ist mein Sohn Mordechai nach Berlin und von da nach Frankfurt a. d. Oder gereist. Aber als er zum Tor von Frankfurt a. d. Oder hinausfahren will, kommt mein Sohn Joseph in einem polnischen Wägelchen zu demselben Tore hineingefahren. Mein Sohn Mordechai sieht ihn, heißt ihn absteigen und fragt ihn, woher er so unvermutet komme und was das für ein Brief sei, den er an die Mutter geschrieben habe. Dabei zeigt er ihm [210] den Brief. Joseph liest ihn und sagt: „Was ist das für ein Brief? Ich weiß nicht das geringste von dem Brief zu sagen. Gewiß hat ihn mein Lehrer – sein Name soll ausgelöscht werden – geschrieben und gemeint ein Stück Geld von mir zu bekommen, wie er doch schon viel mehr Geld von mir bekommen hat, als ihm gebührt hat. Er hat mir alle meine Habseligkeiten genommen, hat mir die silbernen Knöpfe aus meinem Rock herausgeschnitten und alles versetzt. Als ich es von ihm wieder haben wollte, hat er mich fälschlich beschuldigt, ich hätte alles vernascht und verfressen und überhaupt für mich versetzt. Nun habe ich gesehen, daß das nicht gut tun kann. Da habe ich Tockels Eidam gebeten mit ihm einen Ausgleich zu machen. Dieser hat ihm dreißig Reichstaler gegeben und mich von ihm weggenommen und hierher geschickt. Ich danke Gott, daß ich von dem bösen Menschen losgekommen bin; denn er hat doch nichts mit mir gelernt.“

Mein Sohn Mordechai ist froh gewesen, daß er ihn da angetroffen hatte, und sie sind sogleich in ihrer Kutsche nach Hamburg zurückgefahren. Ich habe eine große Freude gehabt und habe sogleich einen rechtschaffenen Lehrer ins Haus genommen und den Jungen bei ihm lernen lassen.

In dieser Zeit ungefähr ist in Hamburg etwas Schlimmes geschehen. In Altona wohnte ein Familienvater, namens Abraham Metz, der meine Verwandte Sara, die Tochter des Elia Cohen 38) zur Frau hatte. Er hatte, [211] bevor er nach Hamburg kam, in Herford gewohnt und war mit der Tochter von Loeb Herford verheiratet gewesen. Zwei Jahre nach der Hochzeit starb ihm seine Frau; da zog er nach Hamburg und vermählte sich mit der oben erwähnten Sara. Er brachte ungefähr 3000 Reichstaler oder mehr an Vermögen mit; aber er war in Hamburg fremd und kannte die Manier und die Geschäftsart des Landes nicht. Daher ging es abwärts mit ihm, so daß er in etlichen Jahren fast um das Seinige kam. Er wohnte dann in Altona und war als Wechsler tätig. Eines Morgens kam seine Frau nach Hamburg und fragte in allen ihr befreundeten Häusern, ob ihr Mann nicht in der Nacht dort gewesen sei. Aber nach allem Herumfragen fand sie keinen, bei dem er die Nacht gewesen war. Die Frau überließ sich nun großem Schmerz. Manche sagten, sie hätte sich mit ihm gezankt; deshalb sei er von ihr weggelaufen. Es dauerte ungefähr drei Jahre, daß ein jeder [über den Fall] sagte, was ihm gefiel. Manche haben viel Böses von ihm gesagt, was ich von dem Heiligen 39) – Gott räche sein Blut – nicht schreiben mag. Aber unsere menschliche Schwachheit ist leider so, daß wir oft mit dem Munde reden, was unsere Augen gar nicht gesehen haben. So ist die Sara mehr als drei Jahre, lang eine „lebendige Witwe“ gewesen 39a) und hat mit ihren betrübten Waisenkindern dagesessen und mußte die Leute nach deren Gefallen über ihren Mann reden und judizieren lassen. [212]

Danach ist ein Familienvater von der Hamburger Gemeinde gewesen [dem ebenso Schlimmes passiert ist] 40). Es war ein Geldwechsler, ein ehrlicher Mensch, zwar kein reicher Mann, aber er hat seine Frau und seine sieben Kinder ehrlich ernährt. Nun müssen die Wechsler den ganzen Tag herumlaufen um ihren Erwerb zu suchen und gegen Abend zur Zeit des Nachmittagsgebetes kommt ein jeder heim und geht in die Betschule. Ein jeder hat auch seinen Verein, in dem er Talmud lernt; dann geht er heim nach seinem Hause. Nun ist es ganz Nacht geworden; die Frau wartet darauf, daß ihr Mann von seinem Verein heimkehre, damit sie zusammen essen können. Aber all ihr Warten ist vergebens gewesen; sie ist bei allen befreundeten Familien herumgelaufen um ihn zu suchen; aber sie hat ihn nicht gefunden. So ist er also leider verloren geblieben. Am folgenden Tage ist überall das Geschrei gewesen. Der eine sagte, man hätte ihn da, der andre, man hätte ihn dort gesehen. Mittags sind die Leute auf der Börse zusammengekommen und haben davon geredet. Da erzählte Samuel, der Sohn des Meir Hekscher: „Gestern war eine Frauensperson bei mir, die etwas Geld hatte; sie fragte mich ob ich nicht 6–700 Taler hätte; dann sollte ich mit ihr gehen; es sei .ein vornehmer Fremder bei ihnen im Hause, der viel Geld und Edelsteine zu verkaufen hätte. Aber ich hatte kein Geld; daher ging ich nicht [213] mit 41).“ Als er dies erzählte, stand ein Mann namens Lipmann 42) dabei; der fragte ihn, was für eine Person es gewesen und wie (d. h. in welcher Kleidung) sie gegangen sei. Da sagt Samuel Hekscher: „So und so ist sie gegangen.“ Darauf sagt der Lipmann: „Ich kenne die Person und weiß auch, bei wem sie dient. Ich traue dem Herrn, bei dem sie dient, nicht viel Gutes zu.“ Unter solchen Gesprächen gehen sie von der Börse weg und jeder geht in sein Haus. Als der Lipmann nach Hause kommt, sagt er zu seiner Frau: „Weißt du, was ich dir sagen will? Die Person, die bei dem Sohne des Wirts in der Schiffergesellschaft dient, war bei Samuel Hekscher und wollte ihn mitnehmen, wenn er 600 bis 700 Taler bei sich hätte. Ich fürchte sehr, daß das Männchen, das man verloren hat, mit ihr gegangen ist, und daß man es ums Leben gebracht hat.“ Da schlägt sich die Frau vor den Kopf und sagt: „Bei meinen Sünden! jetzt erinnere ich mich daran, die Frauensperson ist auch bei mir gewesen und hat mich oder dich mithaben wollen. Du weißt wohl, was der Wirt für ein schlimmes Haupt ist; er ist ein Mörder; sicher ist das brave, fromme Männchen in seinem Hause ums Leben gekommen.“ Die Frau, die eine sehr tüchtige Person war, sagte nun, sie wolle nicht ruhen oder rasten, bis [214] es an den Tag käme. Der Mann aber erwiderte ihr: „Du Närrin! Wenn es auch wirklich wahr wäre, was könnte man denn tun! Es ist Hamburg, man dürfte keine Silbe dazu sagen“ 43). So ist es etliche Tage dabei geblieben. Man bewirkte, daß der Rat mit Trommelschlag ausrufen ließ: wer von dem vermißten Juden zu sagen wüßte, ob er lebe oder tot sei, der sollte kommen und es sagen; er solle hundert Dukaten zur Belohnung haben und sein Name solle immer verschwiegen bleiben. Es kam aber niemand, der etwas aussagte. So wurde die Sache fast vergessen, wie es so der Lauf der Welt ist: wenn eine Sache auch noch so wichtig ist, wenn kein Effekt erfolgt, gerät sie in Vergessenheit. Aber die „lebendige Witwe“ und ihre Waisen sind betrübt dagesessen.

Da konnte einmal an einem Sabbat in der Frühe die Frau des Lipmann nicht schlafen, [ähnlich wie es in der folgenden Erzählung vorkommt] 44):

Ein spanischer König fragte einst einen jüdischen Gelehrten, was das auf deutsch heißt: Hineh lau jonum welau jischon schaumer jissroël. Der Gelehrte verdeutschte nach dem einfachen Wortsinn: Es schläft und schlummert nicht der Hüter Israels. Der König aber [215] sagte: „Das ist nicht der richtige Sinn; ich finde, daß es auf deutsch heißt: Gott der Hüter läßt nicht schlafen noch schlummern. Hätte ich diese Nacht wie sonst geschlafen, wie man gegen euch etwas Verruchtes angezettelt hat, so wäret ihr alle verloren gewesen. Aber Gott, der euer Hüter ist, hat mich nicht schlafen lassen; so habe ich gesehen, wie man das Kind in eines Juden Haus geworfen hat 45). Wenn ich das nicht gesehen hätte, so wären alle Juden ums Leben gekommen.“

So hat auch die Frau des Lipmann nicht schlafen können und sich alle Morgen ans Fenster gestellt, denn sie wohnte auf dem Ellern Steinweg (jetzt: Alter Steinweg); dort ist eine Passage, wo jeder, der nach Altona hinaus oder von dort herein will, vorbeikommen muß. Freitag Nacht hat die Frau gar nicht schlafen können und alles im Hause verrückt gemacht. Der Mann machte ihr Vorwürfe, was das für ein Leben sei; sie würde sich noch ganz verrückt machen. Aber sie sagte, das könne nichts helfen; solange der Mord nicht gerächt sei, könne sie nicht ruhen, denn sie wüßte gewiß und ihr Herz sage es ihr, daß dieser Mensch der Mörder- sein müsse. Inzwischen wurde es Tag; sie stand wieder am Fenster [216] und sah auf die Gasse hinaus. Da sah sie den Menschen (den sie für den Mörder hielt) mit seiner Frau vorbeigehen und ein Knecht ging neben ihnen, der eine große Kiste vor sich hatte. Als die Frau das sieht, fängt sie an zu schreien: „O Gott, steh mir bei; jetzt, hoffe ich, soll ein Anfang von meinem Vergnügen sein. Und [dabei] läuft [sie] sogleich, rafft ihren Schurz und ihr Regenkleid 46) zusammen und läuft den Saal 47) herab. Der Mann springt ihr aus dem Bett nach und will sie halten, daß sie nicht weglaufen solle. Aber es wollte alles nichts helfen; sie lief den Leuten nach. Diese gingen nach Altona zur Elbe und stellten die Kiste am Wasser nieder. Die Rebekka – so hieß die Frau – bildete sich nichts anderes ein, als daß der Mensch den Erschlagenen bei sich in der Kiste hätte. Sie lief darum zu den Leuten in Altona und bat um Gottes willen, daß man ihr helfen solle; denn sie wüßte gewiß, daß sie den Mörder vor sich hätte. Aber die Leute wollten nicht gerne heran und sagten: Man kann wohl schnell etwas anfangen; aber was das Ende ist, weiß man nicht. Sie schrie aber, man solle nur mit ihr zum Präsidenten gehen. So gingen zwei Hausväter mit ihr [217] zum Präsidenten und erzählten ihm alles. Der Präsident sagte auch zu ihnen: „Ihr fangt etwas an; wenn ihr aber solches nicht beweisen könnt, will ich all euer Hab und Gut nehmen.“ Die Rebekka wollte sich aber nicht abweisen lassen und sagte, daß sie ihr Hab und Gut daran setze: „Ich bitte um Gottes willen, Herr Präsident, schickt hin und laßt den Mörder holen samt allen Sachen, die er bei sich hat' Darauf schickte der Präsident Schutzleute und Soldaten nach der Elbe um sie zu holen. Da waren sie eben auf ein Schiff gestiegen und wollten miteinander nach Harburg fahren, das nur eine Stunde von Altona entfernt ist. Wenn sie nach Harburg gekommen wären, so wären sie frei gewesen; denn Harburg ist ein anderes Gebiet. Aber die Schutzleute kamen noch gerade zur rechten Zeit dorthin und brachten den Mörder und seine Frau samt der Kiste zum Präsidenten. Dieser ließ die Kiste öffnen, fand aber nichts anderes darin als Kleider des Mörders und seiner Frau. Nun kann man wohl denken, was die armen Juden für Schrecken und Angst hatten. Man verhörte den Mörder auf jede Weise; aber er wollte nichts gestehen; im Gegenteil, er drohte noch sehr, so daß alle Juden eine Angst befiel. Denn der Mörder war von sehr großer Familie in Hamburg. Alle liefen vor Schrecken weg; nur die Rebekka sagte immer: „Ich bitte euch, liebe Leute, verzagt doch nicht; ihr werdet sehen, wie Gott uns helfen wird' In ihrer Angst lief sie von Altona in die Stadt hinein. Als sie auf das Feld zwischen Hamburg und Altona kam, begegnete ihr das Frauenzimmer, das bei dem Mörder gedient hatte. Rebekka kannte diese Person ganz gut; [218] es war dieselbe, die zu den Juden herangegangen war um sie mit 600 oder 700 Talern in das Haus des Mörders mitzunehmen. Die Rebekka sagte sogleich zu ihr: „Zu deinem Glück und zum Glück für deinen Herrn und deine Frau bist du mir begegnet. Denn dein Herr und deine Frau sind beide wegen des Mordes, den sie begangen haben, in Altona gefangen. Sie haben schon alles eingestanden; es fehlt nur an dir, daß du auch eingestehst, und wenn dies geschehen ist, so steht schon das Schiff bereit, daß du mit deinem Herrn und deiner Frau wegfahren kannst. Denn wir Juden wollen nur wissen, daß der Abraham 48) tot ist, damit die Frau wieder einen Mann nehmen kann. Sonst wünschen wir nichts anderes von euch.“

Derlei redet die Rebekka noch mehr mit dem Frauenzimmer. Sie ist eine sehr kluge und beredte Frau. Durch ihr Schwätzen läßt sich das Frauenzimmer auch bereden und sagt ihr alles miteinander, wie sie den Abraham bei der Börse angetroffen, nachdem sie auch bei ihrem Mann Lipmann und bei andern Juden gewesen wäre. Aber keinen hätte das Unglück treffen wollen als den armen Abraham, der zu seinem Unglück einen großen Beutel mit Geld bei sich gehabt hätte. So hätte sie ihm ein goldenes Kettchen gezeigt und ihm gesagt, daß ein Offizier im Hause ihres Herrn wäre, der gar viel Gold und Diamanten zu verkaufen hätte. „So ist der Abraham mit mir gegangen, [fuhr [219] sie fort;] wie er aber in unser Haus gekommen ist, ist seine Schlachtbank schon fertig gewesen. Mein Herr hat ihn in seine Kammer hinuntergeführt und wir haben ihn zusammen ums Leben gebracht und unter unserer Türschwelle begraben.“ Nun sagte die Dienstmagd [weiter]: „Rebekka, ich sage Euch das alles vertraulich; Ihr werdet mich ja nicht ins Unglück bringen.“ Rebekka antwortete ihr: „Bist du eine Närrin? Kennst du mein treues Herz nicht? Alles, was ich tue, tue ich nur für deinen Herrn und deine Frau, damit sie bald von Altona in Freiheit kommen; sobald du nur kommst und das (was du eben gesagt hast) vor unseren Leuten sagst, ist alles gut und wohl.“ So geht die Dienstmagd mit der Rebekka in des Präsidenten Haus. Der Präsident verhört die Magd, und obwohl sie anfängt zu stottern und bereut, daß sie etwas gesagt hat, so war es doch einmal heraus, und besonders, daß sie gesagt hat, wo der Ermordete begraben liegt. So sagt sie denn dem Präsidenten alles, wie sie es der Rebekka gesagt hat. Darauf hat der Präsident den Mörder und seine Frau jeden für sich verhört; diese haben aber beide geleugnet und gesagt: „Alles, was unsere Dienstmagd gesagt hat, das hat sie als eine Dirne erlogen.“ Da war man nun wieder übel daran und der Präsident sagte: „Ich kann euch weiter nicht helfen; sollte ich den Mörder auf die Rede seiner Magd hin foltern lassen und er würde auf der Folter auch nichts eingestehen, was sollte das für ein Spiel geben? Ihr müßt zusehen euer Recht in Hamburg zu suchen und zwar sobald als möglich; ihr müßt euch von der Obrigkeit in Hamburg Erlaubnis geben lassen in dem Hause [220] des Mörders nach dem Erschlagenen zu suchen. Wenn ihr den Erschlagenen nach der Aussage der Magd gefunden habt, so laßt mich weiter sorgen.“

Die Vorsteher liefen sofort und erreichten, daß sie zwanzig Soldaten nehmen und an den Ort, den die Dienstmagd gesagt, nachgraben lassen durften. Man gab ihnen auch die Erlaubnis, wenn sie den Erschlagenen fänden, ihn nach Altona zu einer jüdischen Grabstätte zu bringen. Man sagte ihnen aber dabei: „Seht euch wohl vor; solltet ihr den Erschlagenen nicht finden, so wäre es um euch alle geschehen. Denn ihr wißt wohl, was für ein Pöbel hier in Hamburg ist; es wäre uns unmöglich ihm zu wehren.“

Wir waren nun alle in großer Gefahr; aber die Rebekka war allerwegen, hinten und vorn, und sagte, man solle nicht verzagen; sie wüßte gewiß, daß man den Erschlagenen da finden würde. Denn die Dienstmagd hätte ja um ihr Leben geredet und alle sicheren Zeichen und Beweise gesagt. Darauf nahm man zehn beherzte Männer und etliche Bootsleute, von denen man wußte, daß sie beherzt und treu waren 49), und einige Schutzleute dabei; die gingen in Gottes Namen in des Mörders Haus, der nicht weit von den Alten Schrangen bei des Büttels Hause 50) wohnte.

Unterdessen hat sich in der ganzen Stadt ein Geschrei erhoben und es haben sich allerhand Werkleute, alle [221] Kanaille, unzählige Menschen versammelt und sind vor die Tür des Mörders gekommen. Sie haben alle einmütig beschlossen: „Wenn die Juden den Erschlagenen finden, so ist es gut; wenn aber nicht, dann bleibt keine Klaue von den Juden übrig.“ Aber der gütige Gott hat uns nicht lange in unseren Nöten gelassen. Sobald unsere Leute in das Haus gekommen sind, haben sie den bestimmten Ort geöffnet und gefunden, was sie gesucht haben – mit Tränen in den Augen und zugleich mit Freude im Herzen. Sie haben geweint, daß sie den frommen, 24jährigen jungen Mann so elendiglich gefunden habe, und sich wiederum gefreut, daß die Gemeinde aus der Gefahr gewesen ist und daß man bald Sühne sehen werde. Man hat nun den ganzen Rat holen lassen und ihm den Erschlagenen gezeigt und an welchem Ort man ihn nach der Aussage der Magd gefunden hatte. Der Rat hat solches auch protokolliert und ein Attest darüber gegeben. Dann hat man den Erschlagenen auf einen Wagen gelegt und nach Altona gebracht. Eine Menge von Bootsleuten und von Handwerksburschen ist dabei gewesen – es ist nicht zu beschreiben, vielleicht hunderttausend Menschen; aber es hat doch keiner von ihnen ein böses Wort geredet. Wenn es auch ein böses Volk ist und man in ruhigen Zeiten viel Drangsal und Bosheit von ihm zu leiden hat, so ist doch in dieser Zeit alles still gewesen und ein jeder ist wieder [222] an seinen Ort gegangen. I>en andern Tag danach haben die Vorsteher das Attest genommen und es dem Präsidenten nach Altona gebracht, der den Mörder und die Gerichtsbarkeit in Händen hatte. Die Juden haben es damals auch lieber gehabt, daß in Altona gerichtet wurde. So hat denn der Präsident den Mörder wieder vor sich kommen lassen und ihm vorgehalten, was passiert war. Darauf hat er alles eingestanden; die Witwe hat auch einen Teil von dem Gelde ihres ermordeten Mannes, soweit es noch vorhanden war, wieder bekommen. Den Mörder hat man noch gefangen gehalten, bis man ihm den Prozeß gemacht hat.

Unterdessen ist die Sara 51) noch immer eine „lebendige Witwe“ gewesen, wie ich geschrieben habe, hat aber von ihrem Manne nichts gewahr werden können und hat sich, wie schon erwähnt, viel Gerede gefallen lassen müssen. Nachdem nun leider dieser neue Mord passiert war und jeder den Mörder wohl kannte, erinnerte man sich daran, daß er früher, bevor er in dem Hause bei den alten Schrangen wohnte, im Hause seines Vaters, in der „Schiffergesellschaft“, gewohnt hatte, welches das vornehmste Wirtshaus in ganz Hamburg ist. Dieses liegt hart an der Börse und sowohl jüdische als nichtjüdische Kaufleute, die etwas miteinander zu tun oder abzurechnen haben, gehen dorthin und trinken dort aus silbernen Gefäßen. So ist denn der Sohn des Wirtes bei den Juden sehr bekannt gewesen. Als es nun herauskam, daß der Sohn des Wirts der Mörder war, da erinnerte man sich, daß der Mann der Sara ein Geldwechsler gewesen war und daß die Geldwechsler allezeit in dem [223] Wirtshaus verkehrt und dort Geld für ihre Wechselgeschäfte empfangen und auch zugezählt hatten – denn es ist ein gar ehrliches, vornehmes Wirtshaus gewesen. Die Sara wußte also auch, daß ihr Mann mit dem Sohne des Wirts gut bekannt gewesen war. Sie ging nun und sagte zu ihren Freunden: „Ihr wißt, daß mein Mann vor einigen Jahren so verloren gegangen ist. Nun ist dieser Mord herausgekommen. Mein Mann ist aber in dem Haus auch viel aus- und eingegangen; ich glaube nicht anders, als daß der Mörder meinen Mann auch ums Leben gebracht hat. Helft mir, vielleicht wird man gewahr, daß mein Mann auch durch dessen Hand ums Leben gekommen ist.“

Um es kurz zu sagen: sie gingen zum Präsidenten und stellten ihm das vor. Der Präsident nahm den Mörder mit guten und bösen Worten vor und drohte ihm mit Folterqualen, er solle eingestehen, daß er den Abraham Metz auch ums Leben gebracht habe. Er wollte lange nicht daran und gab nur zu, daß er den Abraham Metz gut gekannt habe. Aber der Präsident redete so lange mit ihm, bis er endlich eingestand, daß er im Hause seines Vaters in der Schiffergesellschaft den Abraham Metz auch getötet und ihn in einem kleinen Käsekämmerchen in ein tiefes Loch gesteckt und dieses mit Kalk zugeworfen hätte.

Wie man das nun herausgehabt hat, sind die Vorsteher sogleich zum Rat nach Hamburg gegangen und haben ihn um Erlaubnis gebeten wieder wie zuvor nachzusehen. Wieder sind die Juden dadurch in schwere Gefahr gekommen und in noch viel ärgere als früher; denn so ein hochgeachtetes, vornehmes Haus sollte man [224] zu einer Mörderhöhle machen! Es wäre schlimm gewesen, wenn der Erschlagene nicht gefunden worden wäre. Zum Glück hat man ihn gefunden; er hat noch ein rotes Futterhemd mit etlichen Silberknöpfchen und sein Arbakanfes 52) angehabt. So hat man ihn auch herausgenommen und in ein jüdisches Grab gebracht 53).

Es ist große Trauer in unserer Gemeinde gewesen; denn es war damals so, als wären beide Erschlagene an jenem Tage ums Leben gekommen. Die Freunde meiner Verwandten Sara haben den Körper des Erschlagenen, ehe sie ihn begraben ließen, genau besichtigt; denn Sara hatte ihnen einige Merkmale an seinem Körper gesagt, damit man daraus ersehen könne, daß es ihr verstorbener Mann und sie wirklich verwitwet sei. So geschah es auch und es wurde ihr (vom Rabbinatsgericht) erlaubt sich wieder zu verehelichen. Darauf ist dem Mörder sein Urteil gesprochen worden, daß man ihn rädern und seinen Leib auf einen Pfahl stecken und in eiserne Bande schlagen solle, damit er lange Zeit zum Exempel zu sehen sei. Die Frau und die Dienstmagd aber sind freigesprochen und nur des Landes verwiesen worden. An jenem Tage, als der Mörder hingerichtet wurde, ist ein solcher Tumult in Hamburg gewesen, wie er seit hundert Jahren noch bei keiner Hinrichtung vorgekommen [225] war. Die Juden sind damals alle in großer Lebensgefahr gewesen, denn es wurde großer Haß gegen sie erregt 54). Aber Gott, der uns in seiner Gnade immer beschützt hat – nach der Verheißung: „Auch im Lande ihrer Feinde habe ich sie nicht verschmäht und verworfen“ 54a) – hat uns auch an jenem Tage nicht verlassen. Wenn wir sündigen Menschen nur die großen Wunder erkennen könnten, die Gott alle Tage an uns armen Menschen tut! So ist dieses auch zum Guten und ohne Schaden für die Juden abgelaufen.

Nun will ich wieder anfangen, wo ich gehalten habe. Für meinen Sohn Joseph sind nun verschiedene Heiratspartien vorgeschlagen worden, aber keine davon war von Gott bestimmt als die Verbindung mit [der Tochter von] Meir Stadthagen, der in Kopenhagen wohnt. Wir haben also diese Verbindung verabredet und die Verlobung in [226] Hamburg gefeiert; die Hochzeit wurtie auf ein Jahr später festgesetzt. Als nun die Hochzeit herankam, die in Kopenhagen gefeiert werden sollte, habe ich mich bereit gemacht mit meinem Sohne Nathan dorthin zu reisen. Nun hatte aber Nathan große Geschäfte mit dem reichen Samuel (Oppenheim) 55) und seinem Sohn Mendel (in Wien); er hatte sehr viele Wechsel im Betrage von 20 000 Talern von ihnen akzeptiert und die Wechsel waren bald fällig; aber mein Sohn hatte keine Rimessen von ihnen um die Wechsel ordnungsgemäß zu bezahlen; er hatte auch nicht einmal Briefe von ihnen (aus denen zu ersehen gewesen wäre), warum sie die Rimessen nicht geschickt hatten. Aus diesem Grunde konnte mein Sohn Nathan nicht mit zur Hochzeit nach Kopenhagen reisen; er mußte sehen seine Ehre und die Ehre seiner Korrespondenten zu beobachten. Man kann sich wohl denken, was uns dies für Kummer und Herzeleid machte. Ich bin also mit meinem Sohn Joseph allein zur Hochzeit gefahren. Gott weiß, mit welcher Betrübnis und welcher Bitterkeit des Herzens ich fortgereist bin. Denn ich wußte nicht, wie es mit den Oppenheimers in Wien stand. Ich reiste nun von Hamburg mit dem Bräutigam Joseph und mit Moses, dem Sohne von Meir Stadthagen, dem Schwiegersohne von Chaim Cleve 56), nach Kopenhagen und wir kamen auch glücklich dort an. Ich glaubte dort Briefe von meinem Sohn Nathan vorzufinden und von ihm zu erfahren, daß er von den Geschäftsfreunden in Wien Nachricht und Rimessen erhalten hätte. Ich fand [227] zwar einen Brief von ihm vor; aber er schrieb mir darin als ein frommes Kind, daß er zwar noch keine Nachricht hätte; ich sollte mir aber deswegen keine Sorge machen, sondern auf der Hochzeit recht fröhlich sein. Obschon mir nun dabei nicht wohl war, habe ich doch alles Gott befohlen und mich um weiter nichts gekümmert. Wir haben einander die Mitgiften ausgeliefert und die Hochzeit sollte in der folgenden Woche sein. Unterdessen hoffte ich von einer Post zur andern auf gute Nachricht von meinem Sohn Nathan und diese ist auch Gottlob am Tage vor der Hochzeit gekommen. Er schrieb mir, daß Mendel Oppenheimer ihm gute Rimessen und noch etliche Tausende mehr geschickt hätte, als meinem Sohn gebührte. Er hätte sich auch in seinem Schreiben entschuldigt, daß er nicht zu Hause gewesen wäre; sonst hätte er das Geld früher geschickt. So haben wir die Hochzeit froh und wohlgemut gefeiert und sind beiderseits sehr vergnügt gewesen.

Nach der Hochzeit wollte ich gern sehr schnell wieder nach Hause; aber ich hatte keine andere Reisebegleitung als Moses, den Sohn des Meir Stadthagen, der es nicht so eilig hatte von seinen Eltern wegzureisen. So mußte ich wider meinen Willen wohl vierzehn Tage nach der Hochzeit dort bleiben. Wenn ich nun auch alle guten Traktamente und alle mögliche Ehre dort hatte, so hat mir doch alles nicht zugesagt und ich wäre lieber bei meinen Kinderchen zu Hause gewesen. Endlich habe ich den Moses Stadthagen so gedrängt, daß er sich entschließen mußte mit mir die Heimreise nach Hamburg zu machen. Wir sind also gereist und Gott Lob glücklich und wohl angekommen. Ich habe mir von meinem Sohn Loeb über die Waren, die ich ihm zurückgelassen hatte, Rechnung [228] ablegen lassen und er hat mir von allem gute Abrechnung gegeben, so daß ich ganz vergnügt war.

Nun habe ich noch vier Kinder im Hause gehabt: meine Söhne Samuel und Moses und meine Töchter Freudchen und Mirjam. Obwohl mir nun viele prinzipale Heiratspartien vorgeschlagen wurden, so daß ich (durch eine zweite Heirat) wieder zu Ehre und Reichtum hätte kommen können, so dachte ich, daß solches meinen Kindern zuwider wäre und habe – zu meinem Unglück, wie später zu vernehmen sein wird – alle diese Vorschläge zurückgewiesen. Mein Sohn Samuel ist unterdessen auch groß geworden und ich habe ihn zuweilen mit zur Braunschweiger Messe genommen; denn da er nicht hat „lernen“ wollen, so sollte er zum Kaufmann tauglich werden. Meinen Sohn Moses dagegen, der sehr gut „gelernt hat, habe ich nach Frankfurt geschickt um in der dortigen Klaus zu „lernen. Zu gleicher Zeit habe ich meinen Sohn Samuel auch mit Waren dorthin geschickt.

Während Samuel in Frankfurt war, bekam mein Schwager Joseph einen Brief von seinem guten Freunde Moses (Brilin aus) Bamberg. Dieser fragte ihn um Rat wegen einer Heiratspartie, die ihm in Hamburg für seine Tochter vorgeschlagen war. Mein Schwager bekam diesen Brief am Sabbat und ließ mich sofort in sein Haus rufen. Er ging gerade mit meiner Schwester Elkele im Garten spazieren. Wie ich komme, sagt er mir: „Viel Glück! Dein Sohn Samuel ist verlobt.“ Ich lache und sagte: „Wenn er verlobt ist, so gehört sich's doch, daß ich auch etwas davon weiß.“' Darauf zeigte er mir den Brief von Moses Bamberg, der damals gerade in [229] Wien war und der hochgelehrte Oberrabbiner Samson (Wertheimer) hatte auch an ihn geschrieben und ihn gebeten, er solle ihm aufrichtig schreiben, was ihm bei dieser Heiratspartie geraten zu sein schiene 57). Ich lese also die Briefe und sage meinem Schwager Joseph: „Hieraus sehe ich noch nicht, daß mein Sohn Samuel verlobt ist“ Darauf sagte mein Schwager: „Ich garantiere Euch dafür, wenn ich einen Brief nach Wien schreiben werde, so wird Euer Sohn Samuel mit der Tochter von Moses Bamberg verlobt werden“ Moses Bamberg ist nämlich der Schwager des Oberrabbiners Samson Wertheimer in Wien gewesen. Mein Schwager Joseph hat also sogleich über meinen Sohn Samuel geschrieben. So ist durch zwei Briefe die Heiratspartie zustande gekommen und Samson Wertheimer hat geschrieben, man solle ihm Samuel sofort nach Wien schicken und er solle bis zur Hochzeit bei ihm bleiben. Die Hochzeit ist auf zwei Jahre später festgesetzt worden. Samson Wertheimer hat mir große Versprechungen gemacht und mir geschrieben, daß es meinem Sohne und allen seinen Brüdern wohl ergehen solle.

 

Samson Wertheimer

 

Danach habe ich von dem reichen Samson Wertheimer noch viele Briefe gehabt und er hat sich sehr freundlich gegen mich gezeigt. Mein Sohn Samuel ist damals auf der Messe in Frankfurt am Main gewesen. Ich habe ihm also geschrieben, daß er mit der Tochter von Moses Bamberg verlobt sei; er solle gleich nach der [230] Messe nach Wien reisen und dort bis zur Hochzeit bleiben. Samuel ist darauf nach Wien gereist. Samson Wertheimer hat ihn mit Ehren aufgenommen und hat an mich geschrieben, daß er mit ihm zufrieden sei und auch einen Lehrer für ihn angenommen habe. Samuel ist aber noch sehr jung gewesen und hat in Wien viele Kindereien getrieben; Samson Wertheimer hat auch nicht sehr auf ihn aufgepaßt. So hat er in den zwei Jahren viel Geld vertan. Mein Sohn Samuel hat mir zwar alles geschrieben und mich gebeten, man sollte ihm doch Hochzeit machen; denn es gefiele ihm nicht länger in Wien zu bleiben. Aber da seine Braut noch sehr jung und klein war, ist er fast drei Jahre verlobt geblieben. Dann ist sein Schwiegervater Moses Bamberg in Wien gewesen und hat auf mein vielfältiges Schreiben eingewilligt, daß sie am 1. Tamus in Bamberg Hochzeit machen sollten. Samuel hat mir nun geschrieben, daß er mit seinem Schwiegervater von Wien abreisen; ich sollte mich so einrichten, daß ich am 1. Tamus in Bamberg wäre. Da ich nun ohnedies zur Leipziger Messe reiste, so habe ich von dort aus nach Bamberg fahren wollen. Nun hat mir Samson Wertheimer geschrieben: Da doch in Hamburg großer Judenhaß herrsche, so sollte ich von der Hochzeit aus gleich nach Wien kommen und in seinem Hause wohnen; er wollte mir zwei seiner besten Zimmer geben; es solle mir auch freistehen alle Geschäfte zu treiben, die ich wollte. Zu diesem Zwecke habe ich von ihm einen mächtigen kaiserlichen Paß bekommen. Ich habe mich nun darauf eingerichtet und nicht anders gedacht als von der Hochzeit nach Wien zu fahren. Zu dem Ende habe ich schon für 50000 Taler Juwelen bei mir gehabt, die ich mit nach [231] Wien habe nehmen wollen. Aber „viele Gedanken sind im Herzen des Menschen; doch nur der Ratschluß Gottes besteht 57a)“. So bin ich mit meinem Sohne Nathan und meinem jungen Sohne Moses nach Leipzig gereist. Wie wir in Leipzig sind, bekommt mein Sohn Nathan Briefe aus Hamburg, in denen man ihm geschrieben hat, er solle wegen einiger Geschäfte von der Messe aus sogleich nach Hause kommen. Dadurch ist meine Wiener Reise ganz zurückgegange 57b); denn ich habe ohne meinen Sohn Nathan nicht nach Wien fahren wollen. So habe ich ihm alle meine Juwelen wieder nach Hamburg mitgegeben und nur noch für einige Tausende bei mir behalten und bin mit meinem Sohne Moses ganz allein von Leipzig nach Bamberg gefahren. Auf dieser Reise habe ich große Beschwerden ausgestanden; denn es ist ein sehr böser Weg und ich bin nur als einzelne Frau mit einem Jungen von fünfzehn Jahren gefahren. Doch wenn man Geld hat, kann man allerwegen zurechtkommen; die Reise hat aber viel Geld gekostet. Um Mitternacht bin ich nach Bamberg gekommen. Am folgenden Morgen haben die Brauteltern und die Braut mich empfangen. Ich bin nun der Meinung gewesen, daß die Hochzeit sogleich am Neumondstage des Tamus sein sollte. Aber es ist eine große Störung dazwischengekommen; denn mein Schwager Joseph hatte ohne mein Wissen in den .Verlobungsvertrag hineinschreiben lassen, daß die Mitgift meines Sohnes Samuel 5000 Taler betrage, während er [in Wahrheit] nicht mehr als 4000 Taler hatte. Wir hatten das zwar in Hamburg schon gewußt und ich hatte [232] sofort an Samson Wertheimer geschrieben, daß es mit den 5000 Talern ein Irrtum sei und daß mein Sohn nicht mehr als 4000 Taler deutsches Geld hätte. Aber Rabbi Samson hatte mir darauf geantwortet, daß nichts daran gelegen sei; man sollte den Verlobungsvertrag nur so lassen; es wäre dies nur ein bißchen mehr Ehre, aber bei der Hochzeit würde keine Erörterung darüber stattfinden. Jetzt aber hat Moses Bamberger ganz anders gesprochen: er kehre sich an nichts als an seinen Vertrag. Wir haben also große Auseinandersetzungen miteinander gehabt, so daß die Hochzeit noch nicht am 1. Tamus hat sein können. Moses Bamberg hat in dieser Angelegenheit erst nach Wien geschrieben; Samson Wertheimer hat ihm geantwortet und nichts anderes als die reine Wahrheit geschrieben. Unterdessen aber, bevor die Briefe gekommen sind, hat Moses Bamberg gemeint von mir noch etwas herausquetschen zu können. Da er aber gesehen hat, daß von mir nichts mehr herauszuquetschen war, und der Brief aus Wien mir auch Recht gegeben hat, so ist die Hochzeit um die Mitte des Tamus mit aller Ehre und Herrlichkeit, so viel wir Juden haben können, gefeiert worden. Es sind viele vornehme Juden aus dem (dortigen) Lande zur Hochzeit gekommen. Unter ihnen sind zwei Söhne des Samson Baiersdorf gewesen 58), die einen auch Heiratsvermittler mitgebracht hatten. Es war mir nämlich schon in Hamburg für meinen Sohn Moses eine Heiratsverbindung mit der [233] Tochter von Samson Baiersdorf vorgeschlagen worden, und da Baiersdorf nur drei Meilen von Bamberg entfernt ist, so habe ich dem Heiratsvermittler versprochen meinen Sohn Moses zur Hochzeit nach Bamberg mitzunehmen um zu sehen und gesehen zu werden. In Bamberg haben dann die beiden Söhne Samson Baiersdorfs, die schon verheiratet waren, mit mir gesprochen und mir gesagt, was ihr Vater als Mitgift geben wolle. Ich habe ihnen zur Antwort gegeben, daß wir nach der Hochzeit eine Spazierfahrt nach Fürth machen wollten, das zwei Meilen von Baiersdorf entfernt ist 59); dann wollten wir sehen miteinander zurechtzukommen. Für meinen Sohn war mir noch eine Heiratspartie in Bamberg und eine in Fürth vorgeschlagen worden. So habe ich mit dem Schwiegervater meines Sohnes Samuel, Moses Bamberg, verabredet eine gemeinsame Reise nach Fürth zu machen. Wir hatten nun in Bamberg die Hauptsache gesehen; nun wollten wir auch sehen, wie es in Fürth und in Baiersdorf stand. So haben wir denn – Moses Bamberg und seine Frau und ich mit meinem Sohne Moses – diese Lustreise angetreten. Wir sind nach Baiersdorf gekommen und haben dort die Tochter Samson Baiersdorfs gesehen. Er hat meinen Sohn auch gesehen und wir sind schon sehr nahe daran gewesen (abzuschließen); aber um 1000 Mark haben wir nicht einig- werden können. So sind wir zusammen nach Fürth gereist und über Nacht dort geblieben. Ich kann nicht beschreiben, was für Ehre uns dort angetan wurde. Die vornehmsten Familienväter der Gemeinde mit ihren [234] Frauen sind in unser Wirtshaus gekommen und haben uns mit Gewalt mit in ihre Häuser mitnehmen wollen. Endlich haben wir es meinem Verwandten Man, dem Sohn meines Verwandten Mordechai Cohen, nicht abschlagen können und mußten mit ihm gehen. Wir sind dort abends sehr gut traktiert worden. Am andern Morgen sind wir dann wieder weggereist ohne inbetreff der Fürther Partie etwas verrichtet zu haben. Ich bin nun wieder nach Bamberg gekommen und habe mich sogleich fertig gemacht um wieder mit meinem Sohne Moses nach Hamburg zu reisen. Nun ist der Heiratsvermittler, der die Partie in Baiersdorf vorgeschlagen hatte und selbst in Fürth wohnte, während der ganzen Zeit in Bamberg gewesen und hätte gern gesehen, daß die Heirat zustande käme, aber ich habe ihm meine Resolution gesagt: So und also muß es sein und anders nicht. Endlich hat -der Vermittler gesagt: „Nun, ich sehe wohl, daß Ihr nicht anders wollt und daß Ihr reisefertig seid. So bitte ich Euch, tut mir den Gefallen und bleibt hier bis 2 Uhr nachmittags. Ich habe ihnen alles nach Baiersdorf geschrieben; ich weiß gewiß, wir werden nachmittags vor 2 Uhr Antwort bekommen, daß alles in Ordnung ist. Wenn aber um 2 Uhr keine Antwort kommt, so will ich Euch nicht länger aufhalten. Ich bin damit zufrieden gewesen und wir haben uns unterdessen fertig gemacht. Mein Sohn Samuel und sein Schwiegervater Moses Bamberg wollten noch ehrenhalber einige Meilen mit uns reisen. Mittlerweile ist eine Mahlzeit hergerichtet worden „wie die Mahlzeit König Salomos zu seiner Zeit“. Ich kann nicht beschreiben, was für ein wackerer und kluger Mann Moses Bamberg ist und welch große Ehre er den Menschen antut. [235]

Als wir nun gut gegessen und getrunken hatten, ist es schon 3 Uhr gewesen; aber von Baiersdorf ist noch nichts zu sehen oder zu hören gewesen. So haben wir uns denn mit unserer ganzen Gesellschaft aufgesetzt und sind ungefähr um 5 Uhr von Bamberg abgereist. Obschon Moses Bamberg sehr in mich gedrängt hat, da es schon auf die Nacht zuging, bei ihm zu bleiben und morgen in aller Frühe fortzureisen, so habe ich es doch durchaus nicht gewollt und wir sind in Gottes Namen fortgefahren. Wir sind aber kaum eine Viertelstunde von der Stadt entfernt gewesen, da kommt der Heiratsvermittler uns nachgeritten und bittet uns um Gottes Willen wieder nach Bamberg zu kommen; denn die Söhne von Samson Baiersdorf wären dort und wollten alles in Richtigkeit bringen. Aber ich habe nicht zurückfahren wollen 60). Da sagte Moses Bamberg: „Seht, hier liegt ein hübsches Dorf vor uns, da ist ein gutes Wirtshaus. Es ist doch nun bald Nacht, daß wir nicht weiterfahren können; so wollen wir über Nacht in dem Wirtshaus bleiben, und wenn Samson Baiersdorfs Kinder zu uns kommen wollen, mögen sie es tun. Ich war damit zufrieden und der Vermittler ist auch froh gewesen, daß er uns zum Stillstand gebracht hatte, und ist gleich nach Bamberg zurückgeritten. Es dauerte keine Stunde, da kamen zu uns in die Herberge: der Rabbiner Mendel Rothschild von Bamberg 61) [236] und die Söhne von Samson Baiersdorf, auch noch Loeb Biber von Bamberg und sein Bruder Wolf, lauter wackere und sehr reiche Leute. Um es kurz zu sagen – wir haben keine langen Auseinandersetzungen gehabt und die Verlobung ist zum Guten zustande gekommen. Die beiden Söhne haben Vollmacht von ihrem Vater gehabt und haben alles unterschrieben. So haben wir die Nacht in großer Freude und Lust zugebracht. Nun ist Samson Baiersdorf damals nicht zu Hause gewesen, sondern er war in Bayreuth bei Seiner Hoheit dem Markgrafen, bei dem er in großem Ansehen stand – er war, wie bekannt, sein Hofjude. Die Söhne haben uns nun sehr gebeten ihnen den Gefallen zu tun und ihrem Vater die Ehre zu erweisen mit nach Bayreuth zu fahren. Das deuchte mir zuerst sehr schwer zu sein; denn wir hatten unseren Kutscher schon bis nach Halberstadt gedungen. Aber wir haben ihn gefragt und mit ihm ausgemacht, daß wir ihm zwei Taler mehr geben wollten; dafür sollte er mit uns gen Bayreuth und von dort gen Naumburg fahren, wo damals Messe war. Seckel Wiener ist auch bei uns gewesen und hat mich dazu beredet. Moses Bamberg hat zu mir gesagt, wenn er mir eine Freundschaft damit erweisen könnte, so wollte er auch mit mir nach Bayreuth reisen. Obschon ich nun solches Anerbieten mit höflichen Komplimenten ablehnte und ihm die große Bemühung nicht zumuten wollte, so ist es doch schließlich so gekommen, daß wir mit der ganzen Gesellschaft nach Bayreuth fuhren, wo wir Samson Baiersdorf antrafen, der [237] mit uns eine große Freude hatte. Zwar hatte der Monat Aw gerade begonnen, bei dessen Eintritt man die Freude verringern soll 62) – daher gab es auch am ersten Abend nur eine geringe Mahlzeit, weil nichts (jener Trauerzeit Entsprechendes) zu bekommen war. Aber am folgenden Tage hat Samson Baiersdorf Boten ausgeschickt und verschiedene Arten vorzüglicher Fische holen lassen; er hat auch sonst „milchige“ Speisen zurichten lassen, die man in der Hast hat bereiten können; denn ich wollte mich nicht länger aufhalten lassen. Mein neuer Verwandter hat mir auch zugesagt mich nicht länger als bis 1 Uhr aufzuhalten. Nach dem Essen haben wir von einander Abschied genommen und ich und mein Verlobter Sohn Moses und Seckele Wiener haben uns zusammengesetzt und uns wirklich unter Tränen von Moses Bamberg verabschiedet. So habe ich mich von dieser glücklichen Zusammenkunft vorerst trennen müssen. Wir sind auch glücklich wieder nach Hamburg gekommen und ich habe meine Kinder und die ganze Familie, nachdem ich zwölf Wochen abwesend gewesen war, Gottlob recht gesund wiedergefunden.

Nach dieser Zeit hat Gott meine Verwandte Bela 63), die Frau des reichen Rabbi Bär Cohen, mit einer außergewöhnlichen Krankheit heimgesucht, daß sie ihr Wasser nicht hat lassen können. Dieser Zustand hat [238] wohl vier Wochen gedauert. Obwohl nun der reiche Bär Cohen alle treue Pflege und alle möglichen Aerzte bei seiner Frau gebraucht und kein Geld gescheut hat um alle Heilmittel in der Welt herbeizuschaffen, so hat doch alles nichts helfen wollen. Denn es scheint, daß solches (ihr Tod) bei Gott dem Allmächtigen beschlossen war 63a). Als nun meine Verwandte Bela sah, daß es alle Tage ärger mit ihr wurde und daß alle Heilmittel nicht anschlugen, so nahm sie meinen Schwager Joseph und Rabbi Samuel Orgels 64) zu Zeugen, ließ ihren Mann Rabbi Bär Cohen zu sich rufen und redete sehr beweglich mit ihm wegen des Waisenkindes Glückchen, das sie bei sich hatten und erzogen und das damals ungefähr elf oder zwölf Jahre alt war. Sie hatten beide das Mädchen unbeschreiblich lieb. Nun bat Bela ihren Mann gar sehr, er solle ihr vor ihrem Tode die Beruhigung geben und ihr durch Handschlag versprechen nach ihrem Ableben keine andere zu nehmen als das Waisenkind Glückelchen, die Tochter des Feibusch Cohen, deren Onkel Bär Cohen [239] war. Babbi Bär Cohen sagte das mit schreienden Augen zu; er gab meinem Schwager Joseph und dem Rabbi Samuel Orgels die Hand darauf und verpflichtete sich feierlich sein Versprechen zu halten. Darauf beruhigte sie sich und sagte, sie wolle nun gern sterben, weil sie wüßte, daß sie ihr Glückchen wohl versorgt hätte. Aber, mein Gott, es kommt nicht immer so, wie wir Menschen es denken! Sie schrieben an Glückchens Bruder Selig in Hannover, den sie auch erzogen und mit der Tochter des reichen Hirz Hannover 65) verheiratet hatten, und forderten ihn auf zu seiner Tante Bela zu kommen, die gefährlich krank sei und ihn gern noch vor ihrem Tode sehen wolle. Unterdessen hatten die Heilmittel ihre Wirkung getan und es waren verschiedene Eimer Wasser von ihr abgegangen, so daß man meinte, daß das zu ihrer Genesung führen werde. Aber das hat im Gegenteil leider gerade ihren Tod beschleunigt. Als ihr Neffe Selig ankam, hat er sie zwar in vermeintlicher Besserung gefunden. Aber als er noch keinen Tag bei ihr war, hat Gott sie zu sich genommen – zu großem Leidwesen ihres Mannes und unserer ganzen Freundschaft und der ganzen Gemeinde. Denn sie war – Gott sei ihr gnädig – eine wackere, verständige Frau, die das Herz ihres Mannes gar wohl zu regieren wußte. Aber was hat ihr das alles geholfen? All ihr Geld und Gut und alles Gute, was ihr Mann um ihretwillen getan, hat nichts helfen wollen. Er hat wohl für sie „lernen“ lassen und [240] große Spenden ausgeteilt; aber es scheint, daß ihre Zeit um war und daß am Neujahrsfest, wo über die Menschen bestimmt wird, wer leben und wer sterben soll, über sie beschlossen worden war. So ist sie in allen Ehren gestorben und zu Grabe getragen worden. Ihr Mann und alle ihre Freunde haben sie sehr betrauert und besonders mein Verwandter Anschel [Wimpfen] und seine Frau Mate, die eine Schwestertochter der Verstorbenen war, und Ruben, der Bruder der Mate, der auch im Hause von Bär Cohen erzogen worden war. Mate Wimpfen war die Muhme und ihr Bruder Ruben der Onkel des Waisenkindes Glückchen 66).

Nach den sieben Trauertagen haben sie sich wieder ein wenig getröstet und haben gedacht, daß Bär Cohens Haus ihnen doch nicht entfremdet würde, da ihre nahe Verwandte Glückchen wieder hineinkäme. Als eine Zeit nach den sieben Trauertagen vergangen war, drängten die Verwandten der Glückchen Bär Cohen, er solle es veröffentlichen, daß er eine zweite Ehe mit Glückchen eingehen wolle, damit er vor den Vermittlern Ruhe hätte und sie los würde. In Wirklichkeit hatte er auch keine Ruhe vor ihnen; denn ein jeder, der eine Tochter hatte, hätte sich gern mit Bär Cohen verschwägert, wenn er sich auch darüber hätte zugrunde richten sollen 67). [241] Bär Cohen hat nun die Verwandten von einer Zeit zur anderen vertröstet und hat vorgegeben, es wäre noch zu früh. Endlich aber ist herausgekommen: es wäre ihm nicht möglich Glückchen zu heiraten; denn er hätte sie als sein Kind im Hause erzogen und wäre auch mit ihr wie mit einem Kinde umgegangen. Außerdem sei er ein kinderloser Mann und kein Jüngling mehr; wie solle er da eine Frau nehmen, die in den, nächsten Jahren noch keine Kinder haben könne? Wenn er auch noch einige Jahre auf sie warten wolle, bis sie dazu imstande sei, wer wisse denn, wie lange der Mensch lebt? Wenn er noch wartete, würde er seine Schuldigkeit nicht tun. Solche Reden Bär Cohens haben die Freunde allesamt sehr erschreckt. Sie führten ihm sehr bewegt zu Gemüte, daß er seiner Frau in ihrer Todesnot die Hand gegeben und sich vor Zeugen verpflichtet habe nach ihrem Tode Glückchen zu heiraten. Bär Cohen erwiderte darauf: „Ja, es ist wahr; aber ich habe solches zur Beruhigung für meine selige Frau getan. Außerdem habe ich damals in solchem Leid gesteckt, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte. Ich bitte euch, laßt Glückchen auf mein Versprechen verzichten. Ich will ihr ein großes Stück Geld als Mitgift geben, daß sie einen ebenso feinen Mann bekommen kann, wie ich bin. Fürchtet ihr euch aber, daß mein Haus euch entfremdet werden wird, so sagt mir doch, ob ihr sonst ein heiratsfähiges junges Mädchen in eurer Verwandtschaft habt, dann will ich dieses nehmen und doch an Glückchen tun, wie ich erwähnt habe.“ Aber Anschel und seine Frau Mate und ihr Bruder Ruben Rothschild gönnten keiner anderen als Glückchen diese Heirat. Sie fürchteten vielleicht, daß, wenn eine [242] andere Heirat, sogar mit einem Mädchen aus ihrer Familie, zustande käme, sie im Hause von Bär Cohen nichts mehr gelten würde. Damals aber galten sie sehr viel bei ihm; tatsächlich sind nach ihrer Bestimmung alle im Hause aus- und eingegangen 68).

Damals war meine Tochter Freudchen erst zwölf Jahre alt, aber sie war schon sehr groß für ihr Alter und ein schönes Menschenkind ohnegleichen. Nun ist mein Bruder Wolf zu mir gekommen und hat gesagt: „Was sitzest du hier still? Bär Cohen heiratet Glückchen nicht; da will ich ihm deine Tochter vorschlagen.“ Ich habe meinen Bruder ausgelacht und dabei geschimpft: „Was redest du da, daß ich dem Waisenkind Glückchen schaden soll?“ Mein Bruder hat mir aber geschworen, er wüßte gewiß, daß Bär Cohen Glückchen nicht nehmen würde, und wenn es nicht meine Tochter wäre, so würde er eine wildfremde nehmen. Nun, wer hätte sich nicht gern mit Bär Cohen verschwägert, der alle Vorzüge in der Welt an sich hat! So ist denn mein Bruder zu Bär Cohen gegangen und hat ihm die Verbindung vorgeschlagen. Dieser antwortete, er kenne zwar meine Tochter nicht, aber man sollte mit Anschel Wimpfen und seiner Frau und Ruben Rothschild reden. Wenn er bewirken könnte, daß sie Glückchen veranlaßten auf sein Versprechen, das er ihrer Tante Bela gegeben habe, zu verzichten, so wäre er es zufrieden. Als aber mein Bruder mit den genannten Verwandten redete, gerieten sie sehr in Wut und Mate Rothschild soll sogar gesagt [243] haben: Ehe sie erlaubte, daß meine Tochter Bär Cohen bekäme, wollte sie viel lieber haben, daß eine Wildfremde ihn bekäme. Als ich das hörte, habe ich mich nicht weiter daran gekehrt. Unterdessen redete Bär Cohen mit Glückchen und bat sie auf sein Versprechen zu verzichten; er wollte ihr eine große Mitgift geben und sie mit einem feinen jungen Manne verheiraten. Aber sie wollte nichts davon wissen. Darauf schrieb Bär Cohen an einige Rabbiner, brachte die Angelegenheit vor und bat um die Erlaubnis eine andere Frau nehmen zu dürfen.

 

Rabbi Zewi Aschkenasi

 

Der hochgelehrte Rabbiner (Rabbi Zewi Aschkenasi) an der Talmudklause zu Altona 69) hat ihm die Erlaubnis nicht geben wollen, aber er hat, wie man sagte, von anderen Rabbinern die Erlaubnis bekommen. Anschel Wimpfen hätte nun zwar sehr gern gesehen, daß Bär Cohen Glückchen heiratete; aber er sah ein, daß nicht daran zu denken war. Es scheint, daß Bär Cohen schon längst sein Herz darauf gesetzt hatte die Tochter von Tewele Schiff zu heiraten. Diese heiratete er auch und ehe ein Jahr zu Ende war, hatte er von ihr einen jungen Sohn. Man kann sich wohl denken, was für eine Freude Bär Cohen mit dem Sohne hatte. Aber kurz zuvor war Anschel Wimpfen [244] eines schnellen Todes gestorben. Er war noch frisch und gesund zu Bett gegangen; aber als er kaum eine Stunde zu Bett gelegen hatte, hauchte er seine reine Seele aus 70). Er wurde von der ganzen Gemeinde sehr betrauert; denn er war ein sehr trefflicher und gottesfürchtiger Mann, der nicht seinesgleichen hatte. Etwa anderthalb Jahre nach Bär Cohens zweiter Verheiratung war ich auf der Leipziger Messe 71), da kam die Nachricht dorthin, daß Bär Cohens Frau sehr krank sei; mit der nächsten Post kam die Nachricht, daß sie tot sei. Nicht lange danach heiratete Bär Cohen die Schwester seiner seligen Frau. Bei allen diesen Sachen hat der Rabbiner Samuel Orgels seine Hand im Spiele gehabt, der bei Bär Cohen in hoher Achtung stand. Nicht lange danach wurde Samuel Orgels an einem Freitagabend in der Synagoge von einer Schwäche befallen und war sofort tot. Man kann sich den Schrecken in der Gemeinde denken. So starben in kurzer Zeit Anschel Wimpfen, der Rabbiner Samuel Orgels und die Frau des Bär Cohen. Ob nun meiner Verwandten Bela durch Mißachtung des Versprechens, das Bär Cohen ihr in Gegenwart der beiden genannten Zeugen gegeben hatte, zu nahe getreten worden ist, das ist nur Gott allein bekannt. Wir Menschen sind zu schwach darüber nachzudenken, wir haben nur Gott den Allmächtigen zu [245] bitten, daß er seinen Zorn von uns und von ganz Israel abwenden möge! Danach hat Bär Cohen seine Nichte Glückchen sehr gut verheiratet; er hat sie dem Sohne des reichen Juda Berlin gegeben und an allen ihren Geschwistern sehr viel getan, wie es allbekannt ist. Ich habe die ganze Sache nur deshalb in meinem Buche beschrieben, weil sie so ungewöhnlich ist und weil man daraus die Veränderlichkeit des menschlichen Glückes ersehen kann. Denn meine Verwandte Bela hat vor ihrem Tode gemeint auf der höchsten Staffel des menschlichen Glückes zu sein, wie es auch nach menschlicher Berechnung der Fall war. Sie hatte Bär Cohen zum Manne, der ein großer Talmudkenner, vom Priesterstamm, ein Mann aus bester Familie, ein hervorragend reicher, ein gutherziger und wohltätiger Mann war. Sie lebten sehr glücklich zusammen, und wenn sie auch kein Kind hatten, so hatten sie die Kinder des Feiwesch Cohen, Seligmann und Glückchen, bei sich, die sie ganz wie ihre eigenen Kinder erzogen. Belas ganzes Sorgen und Trachten war auf das Wohl der beiden Kinder gerichtet und sie hat es noch erlebt den Seligmann mit der Tochter des reichen Hirz Hannover zu verloben. Ich habe es aus ihrem eigenen Munde gehört, daß der Junge sie über 15 000 Reichstaler gekostet hat. Als der junge Mann sich nach ihrem Wunsch verlobte, war die Freude bei ihr unbeschreiblich. Damals stand sie in solcher Achtung und Ehre wie keine [jüdische] Frau in ganz Deutschland. Aber – leider – „Wenn das Seil am straffsten ist, so bricht es. In ihrer besten Zeit und in ihren besten Jahren hat meine Verwandte Bela von den Ihrigen fortgehen müssen. Wenn sie in ihrer Todesnot [246] noch gemeint hat die Befriedigung zu haben, daß ihr Mann Glückchen heiraten würde, so ist das später doch nicht geschehen. Was hilft nun der guten Frau all ihr Reichtum und alle ihre Ehre? „Es gilt keine Gewalt am Tage des Todes.“ (Kohelet 8,8.) Ihre große Demut und das viele Gute, das sie getan hat, wird ihr beistehen; das ist ihr von all ihrem Reichtum übrig geblieben. Sie ist ungefähr 51 Jahre alt geworden. Sie haben wenig Geld in die Ehe gebracht, noch keine neunhundert Taler zusammen, und der Höchste hat sie so mildreich gesegnet, wie bekannt ist. Gott hat dem Bär Cohen großen Reichtum gegeben und nun auch bleibende Nachkommenschaft. Der Allgütige möge ihn dabei erhalten und sein Gebiet immer mehr erweitern! Denn er hat ein freigebiges Herz und man findet wenige seinesgleichen. . . .

 

Samuel Oppenheimer

 

Nun will ich wieder auf meinen Hauptzweck zurückkommen. Nach einiger Zeit habe ich meine Tochter Freudchen mit dem Sohne des reichen und angesehenen Mose ben Rabbi Loeb verlobt 72). Unterdessen hatten wir wieder ein Anstößchen, das aber Gott noch gnädig abgewendet hat. Mein Sohn Nathan stand, wie schon erwähnt, in Geschäftsverbindung mit dem reichen Samuel [247] Oppenheimer und seinem Sohne Mendel in Wien und hatte gerade damals viele Wechsel für sie akzeptiert, von denen eine Anzahl schon bald verfallen waren. Nun war mein Sohn Nathan gewöhnt, bevor die Wechsel verfallen waren, von den Oppenheimers Rimessen zu erhalten. Aber zu jener Zeit gerade hatte er weder Briefe noch Rimessen von ihnen erhalten. Endlich kam die Trauerbotschaft, daß Samuel Oppenheimer und sein Sohn verhaftet worden seien 73). Sobald diese Nachricht nach Hamburg kam, war der ganze Kredit weg, den mein Sohn Nathan gehabt hatte, und wer einen Wechsel auf ihn in Händen hatte, sei es von Oppenheimers oder einem anderen, der drängte auf sofortige Zahlung. So hatte mein Sohn viele Wechsel auf dem Hals, die zu bezahlen waren, und es kamen noch viele hinzu, die er akzeptieren mußte, und er ließ doch keinen davon mit Protest zurückgehen. Nun kam gerade die Leipziger Messe heran, zu der mein Sohn reisen mußte. Also zahlte er, was er konnte, und reiste mit betrübtem Herzen nach Leipzig, nachdem er alle silbernen und goldenen Geräte versetzt hatte. Beim Abschied von mir sagte er: „Meine liebe Mutter, ich gehe jetzt von dir; Gott weiß, wie wir wieder zusammenkommen; ich habe noch einige Tausende zu bezahlen; ich bitte dich, sei mir behilflich, soviel du kannst – ich weiß, die Oppenheimers werden uns nicht im Stich lassen. So reiste mein Sohn Nathan am Sonntag mit seiner Gesellschaft nach Leipzig; am [248] Montag fing sogleich mein Leid mit dem Bezahlen von Wechseln an. Ich habe getan, was mir möglich war, habe alles Meinige versetzt und mich bis über den Kopf hineingesteckt, so daß ich nicht mehr weiter konnte. Am Freitag hatte ich immer noch 500 Reichstaler zu bezahlen, konnte sie aber nicht mehr aufbringen. Dabei hatte ich noch gute Wechsel auf vornehme Häuser in Hamburg, die ich an der Börse Verkaufen wollte, und ging betrübt an der ganzen Börse herum, um sie den Maklern zu geben. Aber nach der Börse brachten mir die Makler meine Wechsel wieder; denn keiner hatte die Wechsel ansehen wollen. Endlich hat mir Gott anderweitig geholfen, daß ich die 500 Reichstaler bezahlen konnte. Am Sabbat habe ich mich denn entschlossen Sonntag nach Leipzig zu fahren, und wenn ich in Leipzig fände, daß Oppenheimers Rimessen dorthin geschickt hätten, so wollte ich sogleich wieder zurückfahren. Hätten sie aber keine Rimessen geschickt, so wollte ich von Leipzig nach Wien zu Samson Wertheimer fahren, der uns ein treuer Freund war und uns gewiß zu dem Unsrigen helfen würde. So bat ich meinen Bruder Wolf mit mir zu reisen. Wir fuhren also in einem Hauderwagen 73a) von Hamburg nach Leipzig. Kurz vor Leipzig blieb ich in einem Dorfe liegen und schickte einen Boten zu meinen Kindern in die Stadt hinein und ließ sie zu mir herauskommen. Diese berichteten mir, daß die Oppenheimers aus dem Arrest entlassen seien und Rimessen geschickt hätten um alle ihre Wechsel in Ehren zu bezahlen. Sofort, als ich das gehört hatte, habe ich [249] mich mit meinem Bruder wieder auf den Wagen gesetzt und wir sind zurückgefahren und Freitag bei guter Zeit 74) wieder daheim gewesen. So bin ich in sechs Tagen nach Leipzig und von Leipzig wieder nach Hamburg gefahren. Soll ich nun die Freude beschreiben, die meine Kinder, besonders meine Schwiegertochter Mirjam, die Frau meines Sohnes Nathan, mit mir hatten? Denn wir hatten uns so betrübt voneinander getrennt, daß wir nicht meinten so einfach wieder zusammenzukommen. Nun aber hat uns Gott wirklich wie in einem Augenblick geholfen – dem Höchsten sei Lob und Dank! Wenn auch die Oppenheimers uns alle unsere Auslagen bezahlt haben, so können sie uns doch ihr ganzes Leben lang nicht bezahlen, was für Schrecken und Sorge wir durch sie gehabt haben. Der gepriesene Gott möge nur weiter an uns Barmherzigkeit üben und uns unser tägliches Brot in Ehren geben! So ist das Gottlob noch gut abgelaufen.

Hierauf habe ich meine Tochter Freudchen mit dem Sohne des Moses ben Rabbi Loeb in Altona verheiratet. Die Hochzeit wurde in Altona sehr schön in aller Freude gefeiert. Dann kam die Zeit der Hochzeit meines Sohnes Moses heran und ich schrieb an Samson Baiersdorf, daß ich mich schon rüste zur Hochzeit zu fahren. Aber Samson Baiersdorf schrieb mir sofort, daß es ihm nicht möglich sei in der [verabredeten] Zeit Hochzeit zu machen. Da Gott ihm die Gnade erweise sein jüngstes Kind zu verheiraten, so könne er die Hochzeit nicht in seinem alten Hause machen, sondern habe angefangen ein neues Haus zu bauen. Sobald dieses fertig sei, wolle er mir [250] schreiben, daß wir kommen sollten um in Reichtum und Ehre die Hochzeit zu feiern. Aber der Bau seines neuen Hauses war nicht allein der Grund, sondern der Markgraf in Bayreuth hatte sich einen neuen Ratgeber genommen, der sich wie ein Haman gegen Samson Baiersdorf stellte und ihn zu vernichten trachtete 75). Wirklich hat er ihm auch sehr weh getan, so daß er sich nicht zu drehen und zu wenden wußte, besonders da er alles Seinige bei dem Markgrafen stehen hatte. Das war also der Hauptgrund, weshalb er die Hochzeit nicht zur Zeit machte. Aber der gepriesene Gott, der doch sah, wieviel Gutes aus seinem Hause kam, mit welcher Gastlichkeit er Reiche und Arme bei sich aufnahm und welche Wohltaten er den Juden in dem ganzen Lande erwies und wie er förmlich das ganze Land erhielt und was er in Zukunft noch Gutes tun konnte – Gott hat in seiner Bamherzigkeit und Gnade die bösen Absichten jenes Hamans zunichte gemacht und zum Guten gewendet, so daß der Böse ganz erniedrigt wurde und Samson Baiersdorf von Tag zu Tag höher stieg. Es ist unbeschreiblich, welch großes Ansehen er als Jude bei dem Landesfürsten hat. Möge ihn der Allgütige bis zur Ankunft des Erlösers dabei erhalten!

Es dauerte doch noch ein volles Jahr, ehe wir die Hochzeit feiern konnten. Hiermit will ich nun mein fünftes Buch beschließen.

 

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1) Abraham Lopez, gestorben 1700. Siehe Grunwald, Portugiesengräber auf deutscher Erde, S. 115. Die Ausübung der Chirurgie war in dieser Familie nicht vereinzelt. Der Küster der portugiesischen Synagoge Bet Israel in Hamburg, Samuel Lopez (gest. 1676), war zugleich von der Gemeinde angestellt, um die Armen der Gemeinde zur Ader zu lassen. Siehe Cassuto, Aus dem ältesten Protokollbuch der jüdisch-portugiesischen Gemeinde in Hamburg (Jahrbuch der jüdisch-literarischen Geseilschaft 1Q08), S. 19.  

2) Aus der hochangesehenen Familie Fonseca sind eine Reihe von Aerzten hervorgegangen. (S. das Verzeichnis der Grabinschriften bei Grunwald, S. 104.) Ein Dr. Josua Fonseca, gestorben 1701, im portugiesischen Protokollbuch zum Jahre 1656 als Nachfolger seines Vaters erwähnt, würde am besten hierher passen. Kaufmann vermutet, daß dessen Sohn Abraham Fonseca, promoviert in Leyden 1712, mit einer Abhandlung de peste, gestorben 1727, hier gemeint sei.  

3) Zu gewissen Zeiten ist nach den talmudischen Vorschriften jede Berührung der Ehegatten untereinander verboten, bis die Frau das vorschriftsmäßige Tauchbad genommen hat.  

4) d. h. Wollt Ihr keine letzwillige Verfügung über Euer Vermögen und die Zukunft Eurer Kinder treffen?  

5) Glückel sollte also die ganze Hinterlassenschaft verwalten und die Vormundschaft über die unmündigen Kinder selbst führen. Siehe S. 181.  

6) Gemeint ist das wegen der daraus hervorleuchtenden tiefinnerlichen Frömmigkeit damals vielgelesene und hochverehrte Werk des Frankfurter Rabbiners Rabbi Jesaia Hurwitz mit dem Titel: Sehne luchot habrit (= zwei Tafeln des Bundes).  

7) Diese Worte des Glaubensbekenntnisses soll der fromme Israelit in seiner Sterbestunde sprechen.  

8) Die folgenden 3 Sätze sind aus Seite 84/85 der Kaufmannschen Ausgabe entnommen.  

9) Der Grabstein Chajim Hamelns befindet sich auf dem alten israelitischen Friedhof an der Königsstraße zu Altona (Verzeichnis Nr. 870). Die Inschrift zeugt von der großen Verehrung, die ihm gezollt wurde, namentlich aber von der Liebe und Anhänglichkeit der hinterbliebenen Gattin.  

10) Nach den israelitischen Trauergebräuchen setzen sich die Leidtragenden während der ersten 7 Tage nach der Bestattung auf die Erde oder auf niedrige Sitze, um ihre Trauer zu bekunden und empfangen so die Trostbesuche ihrer Freunde und Bekannten.  

11) Siehe S. 155, Anm. 45.  

11a) Biblische Wendungen aus: Klagel. II, 1. IV. B. M. 23, 10. Jesaia 57, 1. Psalm 38, 12.  

12) vgl. Schillers Teil I, 2: „Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten.“  

12a) s. S. 176.  

13) d. h. die vorhandenen Warenbestände durch eine Auktion zu verkaufen.  

14) Glückel hat über die ersten schriftlichen Verhandlungen mit der Familie Krumbach -Schwab (S. 159) fast genau mit den selben Worten berichtet.  

15) Hirschel Ries war ein Sohn des (S. 147 erwähnten) Model Ries und ein Bruder des Elia . Ries, der mit einer Schwester Glückels verheiratet war (s. S. 103). Er gehörte zu den ersten eingewanderten Wienern in Berlin. Siehe Kaufmann, Die letzte Vertreibung, S. 212.  

16) Benjamin Mirels, Bruder der Pessel Ries-Neumark, der Mutter des Hirschel R., war seit 1673 Vorsteher der aufgenommenen Judenschaft in Berlin; er starb 1691. Siehe Kaufmann, a. a. O., S. 213.  

17) Die in Berlin 1670 eingewanderten Wiener Exulanten, kurz „die Wiener“ genannt, insbesondere die Familien Ries und Veit, bemühten sich mit Erfolg um die Gunst der kurfürstlichen Regierung und zogen sich dadurch, wie leicht erklärlich, die Feindschaft des dem gleidien Ziele zustrebenden Jost Liebmann zu. Wegen der Konzession zur Errichtung von Synagogen gerieten später Koppel Ries, ein Bruder des Hirschel Ries und Jost Liebmann in erbitterten Streit. Aber auch abgesehen von diesen Differenzen galten die „Wiener“ in Berlin, trotz der vielen vortrefflichen Männer, die aus ihrer Mitte hervorgegangen waren, in der ersten Zeit noch als Fremde, auf die die Einheimischen oder aus größerer Nähe Eingewanderten etwas herabsehen zu dürfen glaubten. Siehe Landshuth, Toldot Ansehe Haschern, S. 6. Kaufmann, a. a. O., S. 217.  

18) Elias Gomperz war in demselben Jahre wie Chajim Hameln, am 10. Tamus 5459 = 168Q, in Cleve gestorben. Siehe Kaufmann-Freudenthal, Familie Gomperz, S. 37.  

18a) kleine Stadt in Holland, in der Nähe von Utrecht.  

19) Baruch, der Sohn des Menachem Manes Rausnitz aus Wien, von den Behörden Benedictus Veit genannt, war einer der Vorsteher der in Berlin aufgenommenen Wiener Juden; er starb 1689. Vgl. Kaufmann, Letzte Vertreibung, S. 215.  

20) Rabbi Salomon Mirels, auch Meschulam Salomon Neumark, gleichfalls aus Wien eingewandert, gehörte mit seinem Bruder Benjamin Mirels zu den Gründern und ersten Vorstehern der „heiligen Bruderschaft“ in Berlin 1676. Er hatte 1678 den Auftrag, in Wien für den Großen Kurfürsten eine Anleihe aufzunehmen. Von 1680 bis zu seinem Tode 1706 war er Oberrabbiner der drei Gemeinden Altona, Hamburg, Wandsbek. Er ist auf dem alten Friedhof zu Altona beerdigt. (Grabstein 871.) Sein Sohn Wolf Mirels, Schwiegersohn des (S. 189 erwähnten) Baruch Rausnitz = Benedictus Veit, ist als Drucker hebräischer Werke bekannt geworden und 1716 in Berlin gestorben. Siehe Kaufmann, a. a. O., S. 210 ff. Landshuth, Seder Bikur Cholim, S. 36.  

21) Es war ihr nicht sehr wohl zumute, daß sie statt des baren Geldes, das sie zu fordern hatte, eine so große Masse von Waren mitnehmen sollte.  

22) Membranen = Pergamente mit Schuldverschreibungen. Vgl. Kaufmann, Letzte Vertreibung, S. 52, Anm. 1.  

23) Glückel gebraucht hier das Wort klecken = ausreichen, langen. Vgl. Heyne, Dtsch. Wörterb., II 367. Grimm, V 1056.  

24) Samuel Bonn, der Sohn ihres Schwagers Loeb Hameln, war mit Glückels Schwester Rebekka verheiratet und dadurch auch ihr Schwager, siehe S. 148.  

25) Samuel, der Sohn des Abraham Hameln, war mit Glückels Tochter Hanna vermählt, siehe S. 150.  

26) Gemeint ist der Sohn des Kammeragenten Leffmann Behrens und der Jente Hameln, Jacob Cohen in Hannover, ein Neffe Glückels. Siehe S. 160. Anm. 49.  

27) quackeln = nicht wissen, was man eigentlich will. Heyne, Deutsches Wörterbuch II 1229.  

28) Siehe oben S. 185, Anm. 17.  

29) Die Hochzeitsgeschenke der Verwandten und Freunde nannte man damals „Einwurf“ Siehe Güdemann, Geschichte des Erziehungswesens bei den Juden, III 119. Landau, a. a. O., S. 51.  

30) Altona wurde im Auftrage der dänischen Regierung von einem Präsidenten verwaltet. Loeb Hameln durfte wegen der Gläubiger in Hamburg, deren Forderungen er nicht befriedigen konnte, damals nicht wagen, das Hamburger Gebiet zu betreten.  

31) Wohlkindigkeit = kindliche Liebe oder = kindlichfrommer Sinn.  

32) Siehe Anm. 49 zu S. 216.

33) Zitat aus Esther, Kap. 5, V. 13.  

34) Siehe S. 122, Anm. 15.  

35) In der Talmudschule wurden die Schüler zuerst in die Halacha, d. i. in den einfachen Talmudtext eingeführt, dessen Verständnis durch die fortlaufenden Wort- und Sacherklärungen des Rasdhi-Kommentars unterstützt wurde. Erst wenn eine gewisse Gewandtheit im „Lernen auf dem Blatte“ (d. h. ohne Rücksicht auf einschlägige Stellen in anderen Traktaten) erzielt war, ging man dazu über, das „Lernen“ durch Hinzunahme der Tossaphot, d. i. der speziellen Erörterungen, die die Schüler und Nachfolger Raschis an einzelne Talmudstellen geknüpft haben, zu erweitern und zu vertiefen. Güdemann, Geschichte des Erziehungswesens bei den Jd. III, 63.  

36) Die Gemeinde Lissa hatte noch kurz vor dem Uebergang des Herzogtums Posen in preußische Herrschaft eine erdrückende Schuldenlast und zwar betrugen

die Schulden an Klöster

140896 ⅔ Gulden

die Schulden an Propsteien

194139 ⅔ Gulden

die Schulden an weltliche Gläubiger

12000     Gulden

――――――――――――――――――――――――――――――

Zusammen

347036 ⅓ Gulden

 

(Siehe Perles in Frankels Monatsschrift f. Wissensch. des Judent., Jahrg. 1865, S. 177, Anm. 18.) Der polnische Gulden war der sechste Teil eines preußischen Talers. Die erwähnten Schulden rührten alle aus dem 18. Jahrhundert her.  

37) Tockel war die Gönnerin des Rabbi Mordechai ben Abraham aus Lissa, der nach ihr den Namen Tockels annahm und später Rabbiner in Berlin wurde. Siehe Landshuth, Toldot Ansehe Haschern, S. 21.  

38) Elia Cohen, gestorben 1653, war mit einer Schwester von Glückels Mutter verheiratet. Siehe S. 27, Grunwald, Hamburgs deutsche Juden S. 17 gibt irrtümlich an, daß Abr. Metz in erster Ehe (?) mit einer Tochter Elia Ballins, des Verwandten der Glückel, verheiratet gewesen sei.  

39)Hier nur im Sinne von „Märtyrer“ oder „Erschlagener“.  

39a)Eine „lebendige Witwe“ bedeutet eine Frau, deren Mann verschollen ist, ohne daß sein Tod festgestellt werden kann. Vgl. Raschi zu II. B. M. 22, 23.  

40) Ueber die im Sommer 1687 erfolgte Ermordung des Hamburger Geldwechslers Ahron ben Moscheh gibt eine Aufzeichnung des Samuel ben Meir Heckscher (abgedruckt am Schlusse der Kaufmannschen Glückel-Ausgabe S. 394–400) speziellere Auskunft. Vgl auch Adelungk, Kurze historische Beschreibung der Stadt Hamburg (Hamburg 1696).  

41) In Samuel Hekschers Aufzeichnungen, p. 395 ff. ist es ein Mann in schwarzer Seide, der ihn auf der Straße anspricht und ihn in das Wirtshaus führt. Hekscher geht auch mit und wird nur dadurch vor den bösen Anschlägen des Wirts und des Fremden gerettet, daß er sie merken läßt, daß er nur wenig Geld bei sich hat.  

42) Lipmann Osterode heißt er in den Aufzeichnungen des Sam. Hekscher p. 399  

43) Da die deutschen Juden in Hamburg damals nur stillschweigend – ohne Vertrag – von den Behörden geduldet wurden, so mußten sie es vermeiden irgendwie an die Oeffentlichkeit zu treten um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und sich Verfolgungen zuzuziehen. Siehe A. Feilchenfeld, Aelteste Geschichte der deutschen Juden in Hamburg (Monatsschrift f. Wissensch, des Judent. 43, 272 ff.).  

44) Aus der jüdisch-deutschen Uebersetzung von Salomon ibn Verga's „Schebet Jehuda“, vgl. Grünbaum, Jüdisch deutsche Chrestomathie, p. 357 ff.  

45) Böse Menschen hatten ein totes Christenkind heimlich in das Haus eines Juden gelegt um nachher gegen die Juden die Beschuldigung des Ritualmordes zu erheben. Der König aber, der in jener Nacht nicht schlafen konnte, blickte aus dem Fenster seines Palastes und sah bei Mondschein, wie etliche Leute einen Leichnam trugen. Die Diener, die er aussandte um sich danach umzusehen, stellten fest, daß die Leute den Leichnam in das Haus eines Juden warfen und dann davonliefen. Der König ließ später die Schuldigen töten. „So steht die Erzählung, die hier von Glückel nur nebenbei angeführt und ungenau wiedergegeben wird, bei Grünbaum, a. a. O., S. 359/60.  

46) „Regenkleid“ hieß in Hamburg ein langes schwarzes Tuch, das über den Kopf geschleiert und um die Taille leicht zusammengeschlagen wurde. „Regenschurz“ ist ein langer Frauenrock, der zu einem Regenkleid gehörte. Beides zusammen wurde von Hamburger Bürgerfrauen auf der Straße getragen. Landau, Glossar, a. a. O., S. 59. Vgl. auch Schrader, Hamburg vor 200 Jahren, S. 36.  

47) „Saal“ bedeutet in Hamburg und Altona eine Wohnung geringer Leute in den oberen Stockwerken, zu der von der Gasse oder vom Gange hinauf eine eigene Treppe führte. Landau, Glossar, S. 60.  

48) „Abraham“ steht wohl hier und an den gleich folgenden Stellen irrtümlich für „Ahron“, da es sich zunächst nicht um den 3 Jahre zuvor ermordeten Abraham Metz, sondern um den eben getöteten Ahron ben Moscheh handelt. 

49) Im Gegensatz hierzu ist an einer früheren Stelle (S. 16) hervorgehoben, daß bei den Bootsleuten wie bei dem geringen Volk in Hamburg überhaupt großer Judenhaß herrschte.  

50) Die zugleich als Gefängnis dienende Wohnung des Büttels befand sich gegenüber den Alten Schrangen (Schranne = Fleischbank). Die Lesung Bödelei = Büttelshaus beruht auf der Konjektur Landaus (a. a. O., S. 66); „Berlei“ in der Handschrift ist wahrscheinlich durch Verwechslung der im Hebräischen ziemlich gleich aussehenden Buchstaben r und d entstanden.  

51) Die Witwe des getöteten Abrah. Metz, s. oben S, 210/11.  

52) Arbakanfes = viereckiges Gewand mit Schaufäden, das nach biblischem Gebot von den männlichen Israeliten zu tragen ist.  

53) Der Grabstein des Abraham Metz befindet sich mit wohlerhaltener Inschrift, die das traurige Schicksal des Ermordeten gebührend beklagt, etwas abseits von den Grabreihen auf dem alten Friedhof zu Altona. Siehe Monatsschr. f. Wiss. d. Jdt. 43, S. 373. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, S. 297, gibt die Inschrift etwas fehlerhaft wieder. 

54)Der Senat sah sich auch veranlaßt gegen solche Unruhstifter einzuschreiten und erließ am 19. September 1687 ein Dekret folgenden Inhalts: „Demnach E. E. Rate glaublichst hinterbracht, wesmaßen einige unbändige Leute wegen der dieser Tage in Altona über den bekannten Judenmörder ergangenen Exekution den hiesigen Juden allerlei Unlust zu erregen und an dero Personen und Wohnungen vielen Unwillen zu verüben sich gelüsten lassen, so mahnt E. E. Rat ernstlich, die Juden auf den Gassen und in ihren Häusern unmolestiert zu lassen. Wer diese Verordnung verletzt, soll in Haft gebracht, vor Gericht gestellt und soll wider ihn als einen Frevler und Störer innerlicher Ruhe mit exemplarischer, nach Befindung mit Leibund Lebensstrafe verfahren werden.“ (Abdruck bei den Akten des Hamburger Staatsarchivs.)  

54a) 3. B. Mos. 26, 44.  

55) Siehe S. 134, Anm. 29.  

56) Kaufmann will aus dem Worte «Discheri» den Namen eines sonst unbekannten Gasthauses «Die Schere» herauslesen. Gemeint ist Manuel Texeira, der schwedische Resident in Hamburg, der daselbst ein glänzendes Haus führte. Siehe A. Feilchenfeld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinde in Hamburg. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte X, 226.  

57) Samson Wertheimer in Wien, der berühmte kaiserliche Hoffaktor und Oberlandesrabbiner, war mit einer Schwester des Mose Brilin in Bamberg vermählt. Siehe Kaufmann, Samson Wertheimer, S. 77 ff.  

57a) Zitat aus Proverb. 19, 21.  

57b) = beiseite geschoben worden.  

58) Samson Baiersdorf (gestorben 1712) war Hoffaktor des Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth und einer der angesehensten Juden in Franken. Siehe Hänle, Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstentum Ansbach, S. 80. Jewish Encyclopedia, Artikel „Baiersdorf“.  

59) Die Entfernungen sind hier etwas ungenau angegeben; die Strecke Fürth – Baiersdorf beträgt ca. 3 (siehe S. 263), Bayersdorf – Bamberg ca. 4 deutsche Meilen.  

60) Glückel ist hier, wie auch sonst, eifrig darauf bedacht sich gerade den reichsten und angesehensten Leuten gegenüber nichts zu vergeben.  

61) Mendel Rothschild, Landesrabbiner von Bamberg, zugleich Rabbiner von Baiersdorf und Bayreuth, später Rabbiner in Worms, war ein Enkel des Isaak Rothschild in Frankfurt a. M., von dem auch die Freiherrn von Rothschild abstammen. Vgl. Eckstein, Juden in Bamberg, S. 167. Kaufmann, Letzte Vertreibung usw., S. 203.  

62) Die neun ersten Tage des Monats Aw bis zu dem Gedenktage der zweimaligen Zerstörung Jerusalems gelten den gläubigen Israeliten als Trauertage; besonders ist es ein frommer Brauch sich in dieser Zeit (mit Ausnahme des Sabbats) des Genusses von Fleischspeisen und Wein zu enthalten.  

63) Bela war eine Tochter von Jakob Ree und Glücklein Melreich, einer Tante unserer Glückel (siehe S. 20). Ihr Grabstein auf dem alten Friedhof in Altona (Nr. 882) besagt, daß sie als Frau des Vorstehers Bär Cohen im Sommer 1696 gestorben ist. Bär Cohen, genannt Berend Salomon, hervorragender Thorakenner und berühmter Gemeindevorsteher, gründete 1709 die Talmudklause in Hamburg, auf deren Grundstück später die Elbstraßen-Synagoge erbaut wurde, und war auch sonst durch seine fürstliche Wohltätigkeit bekannt. Er starb hochbetagt 1728 und ist auf dem Friedhof in Altona begraben (Grabst. 399). Siehe Kaufmann, Monatsschrift, Jahrgang 1896, S. 220 ff. Duckesz, Chachme A H W, S. 20 ff.  

63a) Die Darstellung Glückels ist hier ein wenig verkürzt.  

64) Rabbi Samuel Orgels, hervorragender Talmudgelehrter, früher Beisitzer des Rabbinats in Krakau, Verfasser eines Kommentars zum Schulchan Aruch, war zu damaliger Zeit Beisitzer des Rabbinatskollegiums zu Altona. Siehe Duckesz, Chachme A H W, S. 10/11.  

65) Kaufmann hält den hier erwähnten Hirz Hannover für identisch mit Juda Naphtali Hirz, dem 1709 in Hannover verstorbenen Sohne des Kammeragenten Leffmann Behrens. Siehe Kaufmann, Samson Wertheimer, S. 86 und Monatsschrift 1896, S. 221. 

66) Mate Wimpfen (gest. 1712), die Tochter von Juda Rothschild, war ebenso wie die Waise Glückchen eine Schwestertochter der Bela. Muhme bedeutet also hier nicht Tante, sondern Cousine, und Ruben Rothschild kann auch nicht Glückchens Oheim, sondern nur ihr Vetter gewesen sein.  

67) Das heißt wohl: Jeder Vater hätte sich noch angestrengt eine ansehnliche Mitgift zu geben um seine Tochter mit dem reichen Witwer Bär Cohen zu verheiraten. 

68) Zitat aus der Bibel (Numeri 27, 21): „Auf seinen (des Hohepriesters) Befehl sollen sie ausziehen und auf seinen Befehl sollen sie einziehen.“  

69) Gemeint ist Rabbi Zewi Aschkenasi, bekannt unter dem Namen Chacham Zewi, der auch hierbei seine sonst oft bewiesene Charakterfestigkeit zeigte. Er war fast 20 Jahre lang (seit 1690) Rabbiner der von einigen wohlhabenden Männern für ihn gegründeten (noch jetzt bestehenden) „Klaus“ in Altona und bekleidete nach dem Tode seines Schwiegervaters Rabbi Salomon Mirels eine Zeitlang das Ober-Rabbinat der drei Gemeinden. Später war er Rabbiner der deutschen Gemeinde in Amsterdam; er starb als Rabbiner von Lemberg, Siehe Kaufmann, Letzte Vertreibung, S. 220. Duckesz, Iwoh Iemoschaw, S. 11 ff. Graetz, Geschichte der Juden, X, 318 ff.  

70) Anschel Wimpfen starb am 27. Tamus 1697 (Grabstein Nr. 944 zu Altona), Reisele, die Tochter des David Teblisch, Frau des Bär Cohen, am 16. Ijar 1699 (Grabstein Nr. 886), Samuel Orgels am 1. Adar 1700 (Grabstein Nr. 1232).  

71) Bei Freudenthal, Die jüdischen Besucher der Leipziger Messen, S. 28, ist zum Jahre 1699 die Witwe des Hein Goldschmidt (= Chajim Hameln) als Besucherin verzeichnet.  

72) Mose ben Loeb war der Hauptgründer der Talmudklause in Altona, der auch mit großer Munificenz für den oben erwähnten Rabbiner Chacham Zewi sorgte. Sein Sohn Mardochai, der sich mit Freudchen Hameln vermählte, lebte später in London und schaffte sich durch längeren Aufenthalt in Indien große Reichtümer. In London gründete er eine eigene Gemeinde, deren Bethaus unter dem Namen Hambro Synagogue bekannt geworden ist. Siehe Duckesz, Chachme A H W, S. 11/12. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, S. 76.  

73) Die beiden Oppenheimer wurden am 19. September 1697 auf Grund einer falschen Beschuldigung verhaftet, aber am 5. Oktober gegen eine Kaution wieder aus der Haft entlassen. Siehe Kaufmann, Urkundliches aus dem Leben Samson Wertheimers. S. 23 ff.  

73a) Hauderwagen = Mietwagen. Vgl. heuern (niederdeutsch) = mieten.  

74) d. h. noch vor Eintritt des Sabbats.  

75) Die Stellung der Hofjuden war immer eine sehr unsichere und schwankende. Wie es scheint, wirkte damals ein andrer Jude (Philipp Simon aus Fürth) dem Samson Baiersdorf am Bayreuther Hofe entgegen und wußte seine Stellung vorübergehend zu erschüttern. Siehe Hänle, Geschichte der Juden im Fürstentum Ansbach, S. 80.