BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johannes Harsch

um 1530 - nach 1562

 

Ein Gaistlicher Bremberger

 

1562

 

Textgrundlage:

Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit

bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts,

Vierter Band (S. 196 ff. Nr. 288) von Philipp Wackernagel

Leipzig: B. G. Teubner, 1874

Faksimile: Internet-Archive

 

____________________________________________________________

 

 

 

Ein Gaistlicher Bremberger, Klag, warnung vnd weissagung

uber die vndanckbare vnd verkerte welt, auch die zukunftige straaff,

raach vnd Gottes zorn uber die selbigen, aus göttlicher

Schrift gezogen vnd in gesangs weiß verfaßt.

 

1

WAch auff, o welt, aus deinem schlaff, das bitt ich dich,

vnnd bis ain weile munderhafft,

bis ich dir klag mein kummer:

Ich bin betrübt, das ich dich so vermessen sich,

5

wahrlich der solches in dir schafft,

das wurdt je thun kein frommer.

Weil dir Gott gibt sein hailigs Wort,

das leuchtet wie der morgenstern,

klarer denn ein carfunckel:

10

Das solt je sein dein höchster hort,

vnnd deinen füßen ein latern,

das du nit giengst im tunckel.

So bist verkert vn blind' dan ein aichner stock,

zu allen gutten tugenden feüler dann ain block:

15

durch dich sein großmechtiger Nam solt werden preißt,

so wurdt im durch dein böße art

all schmach vnnd groß vnehr beweißt.

 

b

Esaias singt seinem volck ain liedlin schon,

wie im der Herr ain Weingart zart

an aim faißt ort hab zogen,

Hab in vmbmaurt, ain keller darein bawen lon,

5

vnnd hab auff frucht vnnd trauben gwart,

er aber hab in trogen,

Vnd hab doch nichts dann herling bracht,

darumb die von Jerusalem

das vrtheil solten geben:

10

Der Herr sprach “Ich hab selbs bedacht,

was seinem Weingart wol gezäm,

wie er mit im wott leben:

Sein wend vnd zeun werde gerissen zu d'Erd,

dz er wiest lig, nicht gehackt noch beschnite werd,

15

darmit er hinfurt nicht den dorn vnnd distel tragt,

kein taw noch reg kompt vber in,”

hatt der Herr Zebaoth gesagt.

 

3

Jesus Christus des höchste eingeborner son,

vom gschlecht David vnnd Abraham

ein warer Mensch geboren,

Er ka auff Erd wol aus de höchste himels thro,

5

vnnd wolt da an des Creutzes stamm

stillen seins Vatters zoren.

Er hatt solchs mit gutthat beweyßt,

in Galilea frue vnnd spatt,

mit mirackeln vnd wunder:

10

Er hatt sie inn der wůsten gspeißt,

macht sie gesund, erweckt vom Todt,

noch wurden sie nit munder.

Da schrey er wee, wee vber alle solche Stett,

da Er sein wunderwerck erzaiget vn predgt hett,

15

das sie sich nit bekert vnnd buß hetten gethon,

er sprach, Sodom vnnd Gomorrha

am letsten gricht wurdt baß ergohn.

 

4

Als der Herr zu Jerusalem ein reutten sölt,

bald er die statt ansichtig war,

da waint Er bitterlichen:

Er sprach “wie offt hab ich dich vnterschleuffen gwölt

5

wie ain brůthenn jr junge schar,

almal bist mir entwichen;

Jerusalem, du bist im bann,

du mordest die ich zu dir send,

solt ich dir das vergessen?

10

Alles grecht blut von Abel an

will ich fordern von deiner hend

vnnd will dirs als zu messen.

Jerusalem, wißtest, was zu deim frid gehört,

das du durch rechte buß zu mir wurdest bekoert,

15

es ist laider vor deine gsicht verborgen gar,

dein feind werden umbgeben dich

vnnd bringen inn groß noth vnnd gfar.”

 

5

Was Gott seim volck durch die Propheten hatt verkundt,

das wurden sie mit schmertzen gwar,

weil sie Gott thett verlassen:

Salmannessar fierts inn Syriam durch sein gesind,

5

vnnd brachte ander völcker dar,

die Israhel besassen.

Juda hatt woll gesehen das,

wie Gott Israhel hett gethon,

wolten sich doch nit keren,

10

Darumb in Gott auch wurdt gehaß,

vnnd schickt sie hin gehn Babilon,

jr unglück thet sich mehren.

Letzlich als Gott sie haimsuchte durch seine son,

sie wolten in kurtzumb zu keinem könig hon,

15

da musten sie all jemerlich gantz gen zu grund

durch Titum, des Vespasi Sohn,

als vns Josephus das thut kundt.

 

6

Nur sagt Christus, die warheit selbs, mit seinem mund

“so das am grienen holtz geschicht,

was will am dirren werden?”

So gott laßt gen die naturliche zweyg zu gr[u]nd,

5

als wie der hailig Paulus spricht,

so steht die Impf in gferden.

Das laß dir, welt, zu hertzen gohn:

was dirr zukunfftig gschehen soll

ist an den juden zsehen:

10

Gott gibt das Euangelion,

wie mans annimpt, das sicht man woll,

wer köndt doch anders jehen,

Wan das du, wellt, must bsten ainen heftige stand,

vnd du zuuor vnd furnemlich, o Teutsches land,

15

weil dich Gott hatt aus de letste zu erste gmacht:

wie mainstn, das du werdest bstehn,

weil du sein wort nit hast in acht?

 

7

Hör zu, O welt, wz der Herr fur ein antwort gab,

die jm sagten von Pilato,

wie er hat blut vergossen:

Er sprach zu jn “was habt jr fur verwunderung drab?

5

es wurdt euch gschehen aach also,

so jr die sund nit lassen.”

Er sagt “maint jr, das die allain

gesundet hand zu Siloha

die der thurn hatt erschlagen?”

10

Er sprach “laßt euch ein warnung sein:

es sind noch ander straffen da,

die jr müssen ertragen.”

Dz merck, O welt, vn faß es in dein steinen hertz,

laß dirs bej leib in keine weg nur sein ein schertz,

15

dan wz Got vor zu ander zeit der welt hat tho,

weil du den lebst in gleichem fall,

so must du auch die gferd beston.

 

8

Auch sagt Petrus, Gott hab der Engel nit verschot,

habs mit ketten der finsternus

gar hart vnnd starck gebunden,

Hab auch der welt zur zeit Noah greulich gelont,

5

vnnd sie ertrenckt mit dem sundfluß

weil sie fleischlich erfunden.

Auch Sodoma vnnd gomorrha

mit schwebel, bech vnnd fewr verbrent

weil sie den Lott verachten,

10

Quellten ein grechte seele da,

da er sie straafft vnnd hoch ermant:

o welt, thu das betrachten!

So Gott die welt ertrenckt vnd die Stett hatt umbkeert,

vnd sie doch nur ein ainiger prediger leert,

15

wie wiltu dan am jungste tag vor Gott beston?

du hast doch mer dann tausent Lott,

auch bawt Noa die Archen schon.

 

9

Ich bitt durch Gott, habt mein gesang fur keinen spott,

denckt nit, das ichs aus zoren thüe,

euch darmit zu stumpfieren:

Was mich bewegt, das waißt allein der Ewig Gott,

5

dieweil ich sich dich spat vnd frühe,

o welt, so jubelieren,

Weil dir Gott zaigt am firmament

durch wunderwerck sein grossen zorn

mit vilfeltigen zaichen,

10

Darzu er dir vil plagen sendt:

es ist laider an dir verlorn,

er kan dich nit erwaichen.

O welt, o welt, es ist fürwar nun kinder rutt:

weil du dan nit aus solcher zucht bist worde gut,

15

so wirt er dich regiren mit dem eisnen stab,

nit hie allain, auch ewiglich,

du thuest dann buß vnnd bittsts im ab.

 

10

O welt, denck nit, du habst kain wasser nie betrübt,

derhalben dich der höchste Gott

ohn vrsach mueste straffen:

Aus hertzen grund hatt dir vor allen dingen gliebt

5

was gwesen ist widder sein gbott,

bist ganz in sund entschlaffen:

Es darff je nit beweisens vil,

all deine werck sind offenbar

vnnd laider vnuerborgen:

10

Dann wer den bawm erkennen will,

derselbig nemb der fruchten war,

er urtheilt ohne sorgen:

Furwar, du bist d' feigenbau, d' kein frucht tregt,

dir ist die art schon vnden an die wurzel glegt,

15

hast nichts den laub vnnd doch kein frucht nie recht verbracht,

darumb ist dein in diser zeit

jm himmels thron vor Gott bedacht.

 

11

Wer es betracht, wie Gott hatt thon zu aller zeit,

der wurt daraus erlernen wol,

das groß straff seind vorhanden:

Sie sind schon reiff, auch grausam schwer vnd nimer weit,

5

ein jeder das betrachten soll,

das er nit werd zu schanden.

Ernsthafft vnnd grecht ist vnser Gott,

dem Gottloß wesen nit gefalt,

er mag es auch nit dulden;

10

Doch wil er nit des sünders todt,

sein zoren laßt er fallen bald,

so mir jm nur thun hulden.

Welt, merck sein art: so er will straffe stet vn land,

hat ers zwar alle weg durch seine knecht ermant,

15

ob sie villeicht oder zum thail buß hetten thon,

wie es zu Niniue geschach,

das er sein straaff thet vnterlon.

 

12

Zu Nohas zeit ließ er der welt verkunde bueß

zuuor hundert vnnd zweintzig Jar,

ob er sie möcht bekeren:

Zu diser zeit man aber diß betrachten muß,

5

das wir nit hand so lang beuor,

wie Christus selbs thut leren.

Denk, wie du, welt, in viertzig Jar

inn geitz, hofart, schand, üppigkait

vnnd vntrew hast zů gnommen:

10

Hetstn noch achtzig Jar beuor,

als es geschach zů Nohas zeit,

ach warzu wurt es kommen?

Der Herr sagt selbs, dein tag mueßen werden verkurtzt,

aller hochmůt, falsch vn betrug werde gesturtzt,

15

auff das die ausserwelten nit werden verfuert:

wo das nit gschech, sagt selbs der Herr,

kain mensch auff erd mehr selig wurdt.

 

13

Merk auf, o welt, vnnd nimb der zeit gantz eben war,

darin der Herr sein buß verkunt,

das will ich jetzt erzelen.

Das ist gmainglich alwegen gwesen viertzig Jar,

5

wie ich es oft geschriben find,

die im Gott thut erwelen.

Als Moises alt war viertzig jar,

da zeigt Er an mit einer that,

er wolt Ißrahel loesen,

10

Aber sie wurdens nit gewar,

wie Steffanus actorum sagt,

ist ein buß predig gewesen

Dem Pharao vnnd dem gantzen Egipten land,

dan jn der Herr doch widerum zu pharao sand,

15

nach de die zeit wurdent erfullt, die viertzig jar,

weil sie es nit wolten verstehn,

jm rotten meer ersoffens gar.

 

14

Die grewlich thatt, die in Egipte Gott hat gthan,

das wirt den Cananitern sein

ain recht buß predg gwesen:

Sie achtens nit, vnd kerten sich gantz nicht daran,

5

biß das das viertzigst jar erschein,

da mochten sie nit gnesen.

Elias hat bey viertzig jar

dem Achab vnnd der Ißabel

zuuor buß thun verkunden,

10

Desgleichen Esaias jwar

dem gantzen hauß von Ißrahel,

als wir es klerlich finden.

Jeremias auch viertzig jar zuuor ermant,

eh das die Stat Jerusalem ward gar verbrant,

15

gar hart vnnd starck on vnterlaß er jnen trewt,

aber sie woltens glauben nit,

biß das die statt wurdt gar zerstrewt.

 

15

Als der Herr Christ den rechten pharon hat ertrenckt,

durch sein leiden vnd bittern todt,

sund, Helle, tod vnnd Teuffel,

Vnd sonderlich der Herr sich zu den Juden lenckt,

5

aber sie hieltens für ein spot,

das bracht in grossen zweiffel:

Er gab in fristung viertzig jar,

ließ in das Euangelion

die zeit gar woll verkunden,

10

Darzu auch wunderzaichen zwar

sach man woll an dem himmel stehn,

kain besserung thett sich finden:

Da kamen sie in jamer, angst vnnd große not,

vn blibe mehr dan ailffmal hundert tausent tod,

15

wurde verkaufft, veracht, verspot vn gantz zertrennt,

Josephus das beschriben hatt,

vnnd namen gar ein grewlich endt.

 

16

Dieweil vns Gott sein hailigs wort zur letsten zeit

zu einer zeugnus hatt gesendt,

wie Christus selbs thut sagen:

Wir achtens nit, wie vnser wanndel zeugnus geit,

5

drumb ist die welt schon an dem endt,

geht an die letsten plagen.

Gott hatt vnns wol vil straffen gsendt,

mit krieg, teurung, brand, Tod vnnd mord,

wie man es thut erfaren:

10

Vil zaichen an dem firmament

zu kainer zeit ist nie erhoert

als jetz bey dreissig jaren.

Wer nimpts zu hertz, das Gott sein gůt in zoren kert,

all creatur im wasser, lufft, himel vnnd Erdt,

15

die haben sich gegn dir, o welt, zur raach gewent:

so du es nit erkennen wilt,

furwar so bist wie Pharo blendt.

 

17

Christus vns selbs seiner zukunfft ain zaichen geit:

wan er die welt haimsuchen werdt,

kain glauben werd Er finden.

Er spricht “gleich wie es ist gangen zu Nohas zeit,

5

also werd sie auch sein verkert,

genaigt zu allen sunden.”

Ob man sich schon vil glaubens riempt

von Christo vnnd der seligkait,

wie man artlich kan sagen,

10

All sachen seind mit gschrifft verbluembt,

doch verrath vns die vppigkait,

dan wir ein falsch hertz tragen:

Das ist genaigt auff zeitlich gut, wollust vn bracht,

hand aus der Erd vnnb Sathans Raich ain himmel gmacht,

15

so es doch Gott vnd Christus nie benothen hat,

es hats auch kain Apostel glert,

kain Patriarch thett solche that.

 

18

Warlich Gott hat sein letsten zorn schon gnomen fur,

die Engel mit den siben schaln

anthon mit rainer seiden:

Glaubs oder nit, sie seind dir lengest vor der thür,

5

dein boßheit wurt er dir bezaln,

so du sie nit wilt [m]eiden.

Du waist den weg vnnd gehst in nit,

dich hatt verblendt das jrrdisch gut,

bringt dir ein nagend gwissen,

10

Deim glauben volgt kain tugent nit,

das muestn zalen mit deim blut,

der Sathan hatt dich bschissen.

Gwalt, kunst, weißheit braucht niemand nit zu Gottes Ehr,

allain zum geytz vnd leibs wollust, drumb zurnt der Herr,

15

sendt zeitlich straf, ob er vns bringe möcht zur buß,

drum lestert man den hoechste Gott,

sein hailigs wort dschuld haben muß.

 

19

O wee, Achab: die Jessabel hatt dich verfuert,

Ramath das ligt in irem sinn,

dein Priester dich verkurtzen:

Furwar, Gott hatt dem Jehn schon sein hertz beruert,

5

der Jessabel mit seinem grim

von der zinnen wurt sturtzen.

O Josabat, du gibst die flucht,

die vile dich betrogen hatt,

Micha der hat nichts golten:

10

Will das bej dier nicht schaffen frucht,

so wais ich ich[t] dir hinfur kain rath,

der Herr hat Achab gscholten:

Der streyt geschicht jm reyßthal zu hormagedon,

da wurt jrn schein verliern die Son vnnd auch der Mon,

15

vnd auch die stern werden verhalten jren schein,

doch wurdt der aller hoechste Gott

seim volck ain grosse zuflucht seinn.

 

20

O Magistrat, die jr euch nennten Gottes knecht,

wie euch die schrift des zeugnus geit

vnnd ich euch auch bekenne:

Habt acht auff euch, das Gott durch euch nit werd geschwecht!

5

der welt pracht wert ein kurtze zeit,

die Hell thut ewig brennen.

Besecht durch Gott die hailig gschrifft,

all Histori durch leßt mit vleis,

so werd jr gwiß drinn finden,

10

Wie ewer stand ein sueße gifft

vnnd ewer weg glat wie ein eyß,

dem wenig volgen könden.

Was dvrsach ist, des stehnd doch alle bucher vol,

vnd ist nit ohn, der mehrer thail der waißt es wol,

15

– – – – – – – – – – – –

noch hat euch geitz, wollust verblendt,

das jr den selben weg auch gehnd.

 

21

Wacht auff, wacht auff, jr, die man Gottes Hirten nent!

es geht ein grosses gwülck daher:

thund schaaff inn pferrich treiben.

Saumpt euch nit lang, vnd nembt den stab in ewer hand,

5

es darff furwar nit schlaffens mer,

will man vorm wetter bleiben.

Tracht nit nach ruw vnnd gutter zeit,

nach wollust, Ehr vnd müssigang,

die zeit mags nimmer leiden:

10

Warlich, der Herr ist nimmer weit,

er wurdt doch nit verziehen lang,

wurdt seine feind austreiben.

Dann findt Er euch schlemmen, brassen mit jhenem knecht,

vnnd als die jm sein Ewigs Reich habend verschmecht,

15

weil jr auff Erd euch widerum ein and's bawt,

furwar, jr gebt da mit vrkund,

das jr im nicht vmbs Ewig trawt.

 

22

Nun blasend starck mit der pufaunen zu Zion,

das sich darnon das land bewegt:

des Herren tag ist kommen!

Ist finster, schwartz, wölckig, neblig, das zeigen an,

5

ein grausam volck sich jetzund regt,

dergleichen nie vernomen:

Vor jhm geht ein verzerent fewr,

vnnd nach jm ain brinnender flam,

niemand mag jm entrinnen.

10

Warlich, all frewd wurdt werden tewr,

dieweil jm niemands weren kann,

das wurdt groß weehklag bringen:

Vor jm zitert dz land, d'himl wurdt bewegt,

Son, Mon vnnd stern werden mit finsternus bedeckt,

15

vor seinem heer laßt d'Herr seinen donder gehn,

grewlich, schrecklich wurdt sHerren tag:

ach, wer will doch vor jm bestehn?

 

23

So spricht der Herr “kert euch zu mir mit hertz vnnd gmueth,

zerreyst die hertz, die klaider nit,

mit fasten, wainen, klagen.”

Gnedig ist er, barmhertzig vn von grosser guet,

5

jnn rewt die straff, so man jn bitt,

vnnd thut mitleiden tragen.

Drumb hailg ein fasten in der gmein,

baid, jung vnnd alt, samlet zu hauff,

auch die jungen seuglingen;

10

Der breutigam laß die kammer sein,

jr priester, hept die hende auff,

laßt euch zu hertzen tringen,

Vnd bitten Gott, das er sein straaf in guete lend,

Vn sich mit gnad, wie sein art ist, her zů vns went,

15

das er den feind vnnd was vns btruebt treib von vns ferr,

auff das wir jm hin für vnnd für

sagen groß lob, preyß, danck vnnd ehr.

 

24

Zeuch aus, zeuch aus, o Gottes volck, aus diser welt,

mit gantzem hertzen, sin vnnd můht,

seel, Leib vnd allen krefften!

Wend ab dein hertz von wollust, pracht, geitz, gůt vnnd gelt,

5

betracht allein das hoechste gůt,

daran dein hertz thu hefften.

Gedenck, wie bist so thewr erkaufft

durch des vnschuldig lambes blůt,

am creutz fur dir gestorben.

10

Darumb bist auff sein namen taufft,

das du thail habst an seinem gůtt,

sonst werst ewig verdorben.

Drum laß dirs sein de hoechste schatz, dz hoechste gůt,

betracht es recht, so bringt es dir frid, frewd vn můt,

15

vnd sprich mit hertz “Herr, dein will gschech, der vnser nit,

dein Reich allein kom zu vns, Herr,

so sind wir grosser sorgen quit.”

 

25

Ich bitt durch Gott, dz ma mir dz zum besten halt,

ob ich nit hab ains jeden gaist

hie inn meim gsang getroffen.

Alweil ich wais, das Gott ein ainfalt gwissen gfalt,

5

nach seiner maß, wie ers im laist,

neben dem thu ich hoffen,

Es werd doch nit gantz leer abgon,

sonder es werd etlicher leut

hertz, gmueht vnnd sinn erwaichen.

10

Aber wer sich nit kert daran,

raach vnnd Gottes zorn ist nit weit,

schmach schand wurdt jn errichen.

Von hertze grud so bitte gott vo himelreich,

schreit, růft zu jn, dz er vns vnser sind verzeich,

15

oren, hertz, sin vn gmuet machet jm vntertho,

dorffen wir vns gantz förchte nit,

so schon sein zorn werd ahne gohn.

 

 

___________

 

 

Melodie im Bremberger Ton:

 

 

Zum Ton:

Der im Codex Manesse für Reinmar von Brennenberg überlieferte ausladende Spruchton wurde bereits im 13. Jahrhundert von anderen Sängern verwendet (der von Wengen, Schulmeister von Esslingen). Die meisten Handschriften nennen ihn Bremberger, Brandenberger, Prenberger o. ä., im 15. Jahrhundert erhielt er außerdem den Namen «Hofton».

Er zeichnet sich durch lange Verse mit sechs bis acht Hebungen, durchgehenden Auftakt und einen repetierten Steg aus:

.7:bJ _.6a _.7_-_b_ //_._4c _.7_-_d_ / .4c_._7_-_d _// -6e_.6e_.6f .8f

Die Melodie ist in k und - in gekürzter Form - in gi überliefert.

Ihre Struktur stützt die Auffassung des Mittelteils als repetierten Steges (Kischkel, S. 364f.):

||: α β :||: γ β :|| δ γ1 ε ζ (nach Brunner, S. 34).

Schon in der Kolmarer Liederhandschrift k weisen die Langzeilen einiger Strophen Zäsuren auf; in der Überlieferung des 16./17. Jahrhunderts sind diese Verse nach der vierten Hebung geteilt, manchmal an den Bruchstellen sogar mit Reimen versehen (Brunner, S. 267, 269).

Quelle: Lyrik ds deutschen Mittelalters

 

___________

 

Anmerkungen von Philipp Wackernagel:

 

Erstausgabe: 8 Blätter in 8°, Tübingen 1562.

Die letzte Strophe enthält in den Anfangsbuchstaben, zum Teil den Anfangswörtern, der Verszeilen den Namen Johannes Harsch von Schorendorff.

Vers 1.2 Bis, 2.3 ain, 2.15 tregt, 3.11 mach, 3.12 mit wunder für n. m., 3.17 ger., 4.1 ain für ein. 4.10 vom, 4.13 deinem, 5.7 hatte, 5.14 inn für in, 6.8 gesch. 6.13 ain. 7.3 fehlt blut, 7.13 steine, 7.17 fehlt du, 8.17 Noe, 11.11 zorn, 11.15 villeucht, 12.11 Nahos, 14.1 Die Gott in Egipte hat gethan, 14.14 ehe, 15.3 Hell, 15.11 ann für an dem, 16.6 ahn, 16.17 Pharao, 17.7 sie für sich, 17.16 giert, 18.4 vor thür, 18.14 leibes, dran für drumb, 20.10 süß, hinter 20.14 fehlt eine Zeile: ich habe angenommen, es sei 20.15, es könnte sich aber auch so verhalten, daß 20.16 fehle und innerhalb der vorangehenden (mit verblendt endigenden) Zeile vier Sylben zu ergänzen seien; Vers 22.16 des, 23.7 hailge, 23.14 sich für her, 23.15 betrübt, 23.17 eher, 25.15 macht.

Der aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammende Ton, den man im Verlauf der Zeit kurzweg den Brennenberger oder Bremberger nannte, erscheint hier noch einmal in sehr später Zeit: ich kenne kein noch späteres Vorkommen. Die Art der Abweichungen desselben in diesem Gedicht von dem Strophenbau in anderen spricht für das höhere Alter der hier aufbewahrten Form.