B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Eine Augsburger Sittenlehre
1476
     
   


E i n e   A u g s b u r g e r
S i t t e n l e h r e   1 4 7 6


f o l .   3 r   -   1 3 r

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[3r]
Hÿe nach volgen gůt nüczlich lere und underweÿsung in teütsch beschriben / auß den parabolen und beÿsprüchen Salomonis / Auch auß Kathone / Tulio / und auß andern lerern und Poeten gezogen. Darjnne ein iunger mensch underricht wirdet / wÿe er sich in erberkeÿt und gůten siten gegen got und dem menschen halten sol. Zů dem ersten.


Quid optimum et pessimum sit in homine.

     EJn junger fraget einen heÿdenischen meister der hieß Seneca / was das peßt und das pösest und auch dz scherpffest schwert wer an dem menschen. Er antwurt und sprach / Das ist die zung / wann also erkennet man den menschen an seiner zungen / als einen hafen an dem klang ob er gancz oder zerprochen seÿ / also [3v] klingt er herwider / also erkenn den menschen an der red / wann die zung dz wort außspricht durch den mund / Der mund ist ein öffnung und ein pot des gemütes oder des sinnes / wann es ist pesser underweilen schweigen denn reden wann vil von red wegen verdorben sind / Aber von schweÿgen niemant / wann der ist der aller krenckest mensch an im selber der seyn geprechen und torheit nit verschweigen mag / und darumb die kleffigkeit kempfft und krieget wider die verschwigenheit und spricht also Loquacitas contra taciturnitatem. &c.
      Der thůt nit unrecht der vil redt und gůte nücze ding redt. Aber der selten redt und redt unnücze ding und verlaßene vergebne wort der ist schuldig einer missetat. Verschwigenheit antwurt / wer nit wol reden kan der schweig und seÿ ein piderman / Wz du allein hörest dz verschweÿg als du sein nie gehört habest [4r] Schweÿgen hat mich nie gerauen / aber reden hat mich oft gerauen / wann sich gůt rede zů dem ersten an dem anfang offt erheben zů gůt und enden sich zů übel / Der zů vil redt der mag on lüge / on müssige wort und on sünd nit gesein / Darumb spricht Katho / Die erst tuge[n]t und weißheÿt ist meistern und zämen die zungen / Thů nach dem natürlichen ebenpild des Hanen / der schlecht sich dreÿstund mit den flügeln ee das er krät.


Jn loquela sex considera.

      Also betracht weißlichen Sechs ding in deinem můt ee dz du redest / Zů dem ersten schecz und sůch in dir selber wer du seÿest an dir selber. Zů dem andern mal / gedenck was du reden wilt Zum dritten / nymm war mit wem du reden wilt. Zum vierden betracht die ursach warumb du reden wilt. Zum [4v] fünfften fürtracht dÿe weÿse / in welcher maß und wie du reden wilt. Zum sechsten Merck die zeit zů reden oder zů schweÿgen.


Sex consilia in loquela considera

      Wilt du für weiß gehalten werden so betracht ordenlich die sechs räte. Der erst rat ee dz du redest oder antwurt gebest / So merck eben wer redet / ob man dir zůspreche oder einen andern. Jst dz es einem andern angeet so vermisch dich nit darein / und verantwurt nit dz dich nit berürt / wann es ist ein missetat der sich fremder krieg underwindet und dz sein nit außrichten mag. Der ander rat / so dich die red antrifft / ee das du antwurtest / gedenck in deinem můt ob du zornig seÿest und beÿ dir selber nit so schweÿg / wann der zorn verhindert dz gemüt dz es die warheÿt nit erkennen mag / noch vernemen weyßlich das [5r] recht. Der dritt rat / wer den andern leren wil oder straffen / der weiß und ler sich selber vor und wz du straffen wilt dz thů selber nit / Es ist ein schand dem lerer so in sein eÿgen laster strafft / wann wer gůts / raten / reden und lernen wil / und pöß würcken und tůn / der übersagt sich selber. Der vierde rat / Pist du wol beÿ deinen sinnen und kanst wol reden so antwurt deinem nechsten / Kanst du nit reden so schleüß deinen mund zů dz du nit aufgesagen werdest in deinen worten und schmach leÿdest. Der fünfft rat / betracht den anfang und dz end der rede und der wort wz nucz oder schaden mag bringen. Der sechst rate Red nit dz dich gereüen mag / und dz du es widersprechen müssest oder widerliegen / wann dz zů einem mal gesprochen ist dz mag man nit widersprechen dz es nit gesprochen seÿ / Das wort würt leycht und lindlich gesprochen [5v] und hart widerzogen / An ungewissen und zweÿffelhafftigen dingen ist pesser schweÿgen dann antwurten. wann dz recht ist lauter und klar an im selbs an dem liecht. aber der zweiffel bedarff bedewten. und darumb waran du zweÿfel hast dz thů nit.


Secundum consilium loquele considera

     Das ander stuck / wann du reden wilt so gedenck ee du redest wz du reden wilt. war oder gelogen. und vor aller meÿnung oder fürsacz sol vorgeen und fürgeseczt werden die warheÿt. und vor allem tůn hab ee gůten weisen rat. wann es ist ein pöse gewonheÿt der da verschmecht die warheit und weisen rat. wann der gerecht redt wz zů reden ist. und verschweÿgt dz zů schweigen ist / und vermischet nit dz war under dz gelogen. wann als unzimlicher ist zů [6r] reden wider die warheÿt. Also ist unzimlich zů thůn wider die warheÿt / und sag die das sÿ zů gelauben seÿ. dz sÿ nit üppig und zů einer lüg gescheczt werde / darumb üppige verlaßne red on nucz vermeÿd und verschweig / sÿ seÿen redlich oder unredlich. Jtem prüff dein red ob sÿ seÿ redlich oder unredlich / bescheiden oder unbescheiden. Jtem deine wort süllen seÿn gütig und süß. wann gůte wort die machen freünd und senfften den freündt und waÿchen in. Jtem linde wort prechen und vertreiben zorn Aber herte wort machen und enzünden zoren und ungestümikeÿt. Jtem schöne und zÿmliche wort sprich / und hüt dich vor newen pösen verlaßnen unzimlichen sprichworten das auß der weÿs ist. Jtem red nicht verholne wort die unverstentlich sind und ungemein den sinnen und zweÿfelhafftige wort sunder die klar und offenbar sind Es ist pesser [6v] zů verschweÿgen das / das nÿemandt versteet dann zů offenbaren. Jtem red nit betrogenlichen das man dich durch argkwon nicht hasse. und hüt dich vor dro rede das dein veind gen dir nit bewegt werden. dz du dein veind erpitest mit worten und wercken. desselben pist du auch von im wartende. Jtem ist das dir unpillichs und unrecht beschicht von dem sterckern und gewaltigern. so ist pesser mit schweÿgen in vermeÿden und fliehen denn mit red überwinden. Jtem red nit spötlich noch schimpfflich von freünden noch von veÿnden wann der geleÿdiget freündt würd hart zornig. Aber des veÿndes zoren kommt zů scheltworten und zů schlegen


Consilium Commune.

      Jtem ich gib dir den gemeinen rate Dein rede seÿ nuczpar und nit üppig / bescheÿden [7r] süß und lind / waich und nit hert. schön und nicht betrogen oder zweifelhafftig / nit hinderlistig / nicht spöttlich noch hoffertig / nicht müssig noch verlassen red die wider gůt siten sind / und nit ungelaublich rede.


Tercium Consilium considera

     Auff das dritt hab mercken gegen wem und mit wem du reden wilt ob er freünt oder veind seÿ. ist es ein freünd / so red süßlich mit dem freünd frölich und in geheÿm / dz auß dem freünde nicht werde ein veind / und daz die geheÿm müg beÿ im beleiben. Deinen heÿmlichen rate halt mit dir selber. und dein geheÿm offenbar nit einem ÿegklichen freünd wz du wilt verschwigen haben Deinen sin sag weder freünden noch veinden. jst es eÿn missetat so vahet er dich auff oder er spottet dein / darumb laß es beÿ dir begraben sein / es ist sicherer beÿ [7v] dir verschwÿgen den dz du einen andern pitest dz er es verschweÿge. Wilt du von heimlichen dingen rat habe. die heÿmlicheyt offenbar nür dem aller bewertisten getreüsten und aller heimlichsten freünd. den erwel auß tausenten einen Jtem den treüen arczet deines gelaubens leg für deinen geprechen und siechtum deÿnes leibes. und mit deinem veind red lüczel. und offenbar im nit dein heimlikeÿt. und deinen versünten veinde traw nicht zů wol. wann der dunst des hasses reücht in dem herczen des veindes wo dz feür lang leÿt da reücht es gern. Dem alten veind getraw nicht. wann wo im gefellet die stund und die stat. er wirdet nit gesetiget und benügt in nit an deynem plůte. so du einen andern magst haben so geselle dich [nit] zů deinem veinde. Den unerkanten meid und den arckwenigen als den veind piß [8r] du in erkennest. Jtem gen allen leüten halt dich weÿßlich mit wenig worten und wercken das du nit vermerckt werdest.
      Jtem dem unerkannten weggeferten sag dein geheÿm und geschefft oder gefert nit. Tregt er ein lanczen. so gee beÿ im an der rechten seiten Jtem aber merck gegen wem du redest. ob er weÿß oder unweiß seÿ Und ist er unweiß so verschmecht er dein red. wann ist das der weÿß mit dem toren zürnet oder krieget. oder schimpffet oder lachet. da vindet er kein rů oder frid. denn du redest dz er gern höret. Jtem red lüczel gen dem spöttigen. wann ir red ist als ein vergifftiges geschoß. das fleüch und ir geselschafft meid als den strick. daz sÿ dich nit verpinden und verknüpffen Jtem straf [8v] den spotter nit und den kriegischen dz er dich nit hasse. Straff den weisen und demütigen die haben für gůt. Straffest du aben den toren so erkückest du ungedult / und die entspringet auß hoffart Jtem mit dem kleffigen hab lüczel red / wann der erkucket trugenheit und poßheit. Jtem hab mit den toren und unweisen keinen rat / sÿ künnen anders nit geraten nür dz in wol gefelt / wann der hundt pilt nach seiner weÿs und art. Jtem hab mit dem zornigen pösen keinen rat wann er nit weißheit hat. So man mit dem pösen ÿe mer rates pfliget und hat / so er ÿe pöser würt Als wenn man ÿe mer holcz an dz fewr leget so es ÿe vester prynnet. Jtem / Sag dein heimlikeÿt nit truncken und kleffigen leüten weiben noch kinden noch unweisen / wann sÿ selten verschweigen mügen. Unverschwigenheÿt ist ein grosser geprech an dem menschen. [9r]


Quartum consilium. Loquele considera

     Auff dz vierd merck warumb du reden wilt. da merck den anfang und dz end. Jtem du solt an sach nichcz reden Eintweder red nüczlich ding durch götlich ere oder durch menschlichen gemach oder frides willen / oder durch notturfft deinem nechsten zů nucz und eren willen


Quintum consilium considera.

     Auff das fünfft merck was du reden solt und in welcher weis und maß du dein red fürbringen solt das man sÿ von dir weißlich aufneme. Halt rechte weiß und maß in worten und wercken das ist ein gůte schöne tugent und ist löblich Jtem es ist zů wissen dz fünfferleÿ weÿs ist außzesprechen die red an der fürlegung. Die erst weis dz sich beweg die zung [9v] und stymm mit dem wort / Der leÿb rür und beweg sich meßlichen und on kechiczen geleich und lindtlich und klerlich und teütigklich volbring ein ÿegklich wort nit zů laut noch zů still in mitler maß / Die ander weiß mit frölichem auffsehenden anplick / zů stat ÿegklichs wort bring für. Eins sprich schlechtigklichen / und das ander weißlich / und gewar dz es war seÿ und nit gelogen. wann wilt du zů eren kommen so fleiß dich all zeit der warheÿt. Die dritt weiß / das ein ÿegklich wort seÿ lustig / schön und czierlich zů hören / wenn du von grossen schweren dingen redest. dz sprich auß ernstlichen und wol gewegen und wol gezieret und mercklichen / besunder so du von hohen dingen redest. Die vierd weißheit so du schlechtigklich und gemechlich / Da mische nicht under hoche [10r] und scharpffe wort. Die fünfft weis. ob du icht außsprichst das zů loben oder zů schelten seÿ da halt maß und mittel erberlichen und lob meßlichen dz du geschelten mügest und schilt noch meßlicher überiges lob. Jtem überigs schelten ist argwenig und wirdig zů straffen / Jtem lob also den außwendigen das du nit leÿdest den gegenwurtigen. Jtem halt die maß dz du mit der red nit zů schnell seÿest noch zů seümig. Für die rechten sitlichen weÿs. Halt dich zů dem außsprechen das du deine wort herwider mügest rechtfertigen. Als Katho spricht. Es ward nÿe pesser list denn der seiner zungen meister ist Darumb verschewß dich nicht zů pald mit worten. Jtem / und wer da zů hand und schnelle die sinne der wort versteet und treglich verantwurt und urteilet der [10v] urteÿlt recht und nüczlichen / und betracht sich gemechlich dz ist sicherheÿt / wann wer schnell antwurt und urteilt dz gereüet offt und ist ein missetat. Jtem dem weisen zÿmt zů haben langen und stillen rat / wann schneller und weÿter rat gerätt gar selten zů dem pesten. Dreü ding zerstören den menschen / der weiß ist / dz ist schnell und behender rat / und der zornig rat / geitikeÿt und überige begirde. Item wes du über ein worden pist nach rat dz zů thůn ist dz thů drat und schnell / und dz waltet gelück. Schweÿg nit zů lang / und red nit zů vil / Hör vil und verantwurt lüczel Socrates spricht. So gefallest du manigen so du dz pest tůst mit wenig red / Gůte red ist ein anfang der freüntschafft / darumb deine wort süllen sein / erber / frölich / lauter klar und einfeltig / schon zů einander gesaczt wol gemütigklich. doch on gelechter und ge[11r]schreÿ sitigklichen und lindigklichen außgesprochen / und süßlichen mit gůter weise / zÿl und stat und stund.


Sextum consilium.

      Der sechst rat ist das du der rechten zeÿt solt warten zů reden / wann der weiß der schweÿget piß zů der rechten stund und zeit Aber der unweÿß wartet nit der rechten zeÿt Es ist ein zeÿt zů schweigen und ein zeÿt zů reden zů notturfft / Jtem wa dein red nit genem ist da man dich nit gern hört da vergeüß nit deine wort und übernymm dich nit deiner weißheÿt. Als hofiern / singen und ander seÿtenspil dz dem betrübten und traurigen ein leid ist / Also ist sprechen und sagen da man es nit hören und mercken wil / Zů geleicher weise als wenn man eÿnen schalaffenden weckt auß einem trawm / Darumb wer ee antwurt ee das er die red recht vernymmt und ver[11v]hört der ist ein tor gescheczet / und ist wirdig einer schand und gespött / Als ein alt gesprochen wort ist / man bedarff den toren keÿn schellen an den hals hencken dabeÿ man in erkenne / dann sein zung macht in wol kuntper und offenbar / darumb ee dz du für gericht kommest so gedenck ob du recht habest. und dz recht volrecken mügest / und ee du reden wilt so leren vor reden. Litteras facere.
      wilt du brÿeff und potschafft schreiben so ticht also / und secz zů dem ersten deinen grůß und willig dienst. Zů dem andern die maÿnung Zů dem dritten / sag dein notturff. Zů dem vierden / secz dein begerung und pet Zů dem fünfften secz dein beschliessung wz du vermainest an dem ende.


Ambasicum ducere.

      Jtem wilt du pot sein oder aber herrliche potschafft werben / so halt dich also. Zů dem [12r] ersten / wart stat und zeÿt und sag den darzů du gesant pist deÿner herrschafft grůß. Zů dem andern enpfilhe dich und dÿe mit dir poten seÿen / den darzů du gesant pist in huld und in genade. Zů dem dritten / Sag dein potschafft als sÿ dir bevolhen ist Zů dem vierden mal. Man und weise mit worten das du behabest dz dein herrschafft begert oder vodert. Zů dem fünfften mal. Gib dÿe weÿs bedeutung und weg wie dz müg gesein oder geschehen das deÿn herrschaffte maint gewert werden. Zů dem sechsten mal. So erzeig mit ebenpilden ob es anders geschehen ist ein sölichs / und erfarn hat geschehene ding / also und also. Zů dem sibenden mal / so sol er mit rechter bescheidenheit laÿten / füren / steüren bewaren und weÿsen also / dz sein potschafft krafft und fürgang hab.


Advocatus.

     [12v] Item wilt du als eÿn fürspreche ÿemant des rechten helffen weltlich oder geistlich. Zů dem ersten sihe an dz geschriben recht waz das sage zů deinen sachen. Zů dem andern / leg für dein sach. Zů dem dritten / Nymm war wie es die geschriben recht außlegen und bedeüten Zů dem vierden. Sůch sölch ebenpild und so getane ding in dem rechten / wie sÿ darüber urteil sagen Zů dem fünfften. betracht wz wider dich müg gesein in dem rechten. Gedenck dÿe widerwertikeÿt die dich jrre und widertreÿbe Zů dem sechsten. Sůch endung und beschließung deiner sach dz du wissest hinwider sagen wz du erworben habest. Also haben nun ein ende die rete von der rede da übe dich jnn mit worten und mit wercken / wann übung und gewonheÿt überwindet dÿ natur und den list und aller meister gesecze und lerer. Da[13r]von ist es ein unweißheÿt und ist unzimlich einen gelerten mann so er sich bekümert mit krieg und sich nit übet in tugenden.