BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 64v-65r (II, 15)

 

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Von der Harre

 

Jn meinem orden ist bechannt

Ain ler, ist harr genant;

Wer darynn verharret stätt

Vnd sich Harr nit verdriessen latt

5

Vnd verharrt vf ain zil,

Der erharret was er will.

Wie es stand gen seiner frawen,

Dannocht soll er harren trawen.

Hebt er ain gewerb an,

10

Darzu sol er harren havn.

Ob er in der lieb prynnet,

So sey ‹[er]› mit harren versynnet.

Will er dann wesen stätt,

Wiewol darzů harr tätt!

15

Hat er ainen lieben won,

So sol er harren nicht lavn.

Hatt er von lieb zoren,

Darzu sey Im Harr erkoren.

Ist er gewert ynd säldenreich,

20

So harr ‹[er]›: das ist pillich.

Wie die lieb sey gesitt,

Dannocht sol er harren mit;

Sy wöll v:bel oder wol,

Dannocht er stäts harren sol;

25

Er sey arm oder Reich,

Noch pfleg er der Harr geleich.

Chain sach ward nye so getavn,

Man mügs mit harr wol gehavn.

Als ichs erst emplicket an,

30

Also harr ich noch daran.

Ich harr vnd harr auch gern nu

Vnd hab geharret lang herzů;

Ich harr, harr vnd harr als noch,

Vnd in der harr verharr ich doch.

35

Ob sy des nit nymbt war,

Dannocht harr i‹c›h alles dar;

Ich geding vf gůten won

Vnd harr ymer mer daran!

Fraw, nun hab ich eüch beweiszt

40

Vnd mit ticht gepreiszt

Das nützest vnd das pest,

Das ich von meinem orden west,

Von mynneclicher lieb vnd mynn,

Als ich verstand in meinem synn,

45

Das ir gedencke‹n›t mein dabey,

Wann ich by eüch nit ensey.

Hab ich miszsprochen icht daran,

Des bitt ich eẅr huld ze han.

Damit gebt mir eẅr‹n› segen:

50

Gott müsz eẅr pflegen!

Mit ainem N hab ichs gelavn,

Vnd mit ainem J hůb ichs an.