BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gottfried von Straßburg

um 1210

 

Tristan

 

I. Prolog (1 - 244)

 

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Die Heidelberger Handschrift (Cod. Pal. germ. 360, Ende 13. Jh.) mit dem Beginn des Tristan

 

 

Gedaehte mans ze guote niht,

von dem der werlde guot geschiht,

sô waere ez allez alse niht,

swaz guotes in der werlde geschiht.

 

5

Der guote man swaz der in guot

und niwan der werlt ze guote tuot,

swer daz iht anders wan in guot

vernemen wil, der missetuot.

 

Ich hoere es velschen harte vil,

10

daz man doch gerne haben wil:

dâ ist des lützelen ze vil,

dâ wil man, des man niene wil.

 

Ez zimet dem man ze lobene wol,

des er iedoch bedürfen sol,

15

und lâze ez ime gevallen wol,

die wîle ez ime gevallen sol.

 

Tiure unde wert ist mir der man,

der guot und übel betrahten kan,

der mich und iegelîchen man

20

nâch sînem werde erkennen kan.

 

Êre unde lop diu schepfent list,

dâ list ze lobe geschaffen ist:

swâ er mit lobe geblüemet ist,

dâ blüejet aller slahte list.

 

25

Rehte als daz dinc z'unruoche gât,

daz lobes noch êre niene hât,

als liebet daz, daz êre hât

und sînes lobes niht irre gât.

 

Ir ist sô vil, die des nu pflegent,

30

daz si daz guote z'übele wegent,

daz übel wider ze guote wegent:

die pflegent niht, si widerpflegent.

 

Cunst unde nâhe sehender sin

swie wol diu schînen under in,

35

geherberget nît zuo z'in,

er leschet kunst unde sin.

 

Hei tugent, wie smal sint dîne stege,

wie kumberlîch sint dîne wege!

die dîne stege, die dîne wege,

40

wol ime, der si wege unde stege!

 

Trîbe ich die zît vergebene hin,

sô zîtic ich ze lebene bin,

sône var ich in der werlt sus hin

niht sô gewerldet, alse ich bin.

 

45

Ich hân mir eine unmüezekeit

der werlt ze liebe vür geleit

und edelen herzen z'einer hage,

den herzen, den ich herze trage,

der werlde, in die mîn herze siht.

50

ine meine ir aller werlde niht

als die, von der ich hoere sagen,

diu keine swaere enmüge getragen

und niwan in vröuden welle sweben.

die lâze ouch got mit vröuden leben!

55

Der werlde und diseme lebene

enkumt mîn rede niht ebene.

ir leben und mînez zweient sich.

ein ander werlt die meine ich,

diu samet in eime herzen treit

60

ir süeze sûr, ir liebez leit,

ir herzeliep, ir senede nôt,

ir liebez leben, ir leiden tôt,

ir lieben tôt, ir leidez leben.

dem lebene sî mîn leben ergeben,

65

der werlt wil ich gewerldet wesen,

mit ir verderben oder genesen.

ich bin mit ir biz her beliben

und hân mit ir die tage vertriben,

die mir ûf nâhe gêndem leben

70

lêre unde geleite solten geben:

der hân ich mîne unmüezekeit

ze kurzewîle vür geleit,

daz sî mit mînem maere

ir nâhe gênde swaere

75

ze halber senfte bringe,

ir nôt dâ mite geringe.

wan swer des iht vor ougen hât,

dâ mite der muot z'unmuoze gât,

daz entsorget sorgehaften muot,

80

daz ist ze herzesorgen guot.

ir aller volge diu ist dar an :

swâ sô der müezege man

mit senedem schaden sî überladen,

dâ mêre muoze seneden schaden.

85

bî senedem leide müezekeit,

dâ wahset iemer senede leit.

durch daz ist guot, swer herzeclage

und senede nôt ze herzen trage,

daz er mit allem ruoche

90

dem lîbe unmuoze suoche.

dâ mite sô müezeget der muot

und ist dem muote ein michel guot;

und gerâte ich niemer doch dar an,

daz iemer liebe gernde man

95

dekeine solhe unmuoze im neme,

diu reiner liebe missezeme:

ein senelîchez maere

daz trîbe ein senedaere

mit herzen und mit munde

100

und senfte sô die stunde.

 

Nû ist aber einer jehe ze vil,

der ich vil nâch gevolgen wil:

der senede muot sô der ie mê

mit seneden maeren umbe gê,

105

sô sîner swaere ie mêre sî.

der selben jehe der stüende ich bî,

wan ein dinc, daz mir widerstât:

swer inneclîche liebe hât,

doch ez im wê von herzen tuo,

110

daz herze stêt doch ie dar zuo.

der inneclîche minnen muot,

sô der in sîner senegluot

ie mêre und mêre brinnet,

sô er ie sêrer minnet.

115

diz leit ist liebes alse vol,

daz übel daz tuot sô herzewol,

daz es kein edele herze enbirt,

sît ez hie von geherzet wirt.

ich weiz es wârez alse den tôt

120

und erkenne ez bî der selben nôt:

der edele senedaere

der minnet senediu maere.

von diu swer seneder maere ger,

der envar niht verrer danne her.

125

ich wil in wol bemaeren

von edelen senedaeren,

die reiner sene wol tâten schîn:

ein senedaere unde ein senedaerîn,

ein man ein wîp, ein wîp ein man,

130

Tristan Isolt, Isolt Tristan.

 

Ich weiz wol, ir ist vil gewesen,

die von Tristande hânt gelesen;

und ist ir doch niht vil gewesen,

die von im rehte haben gelesen.

 

135

Tuon aber ich diu gelîche nuo

und schepfe mîniu wort dar zuo,

daz mir ir iegelîches sage

von disem maere missehage,

so wirbe ich anders, danne ich sol.

140

ich entuon es niht: sî sprâchen wol

und niwan ûz edelem muote

mir unde der werlt ze guote.

binamen si tâten ez in guot.

und swaz der man in guot getuot,

145

daz ist ouch guot und wol getân.

aber als ich gesprochen hân,

daz sî niht rehte haben gelesen,

daz ist, als ich iu sage, gewesen:

sîne sprâchen in der rihte niht,

150

als Thômas von Britanje giht,

der âventiure meister was

und an britûnschen buochen las

aller der lanthêrren leben

und ez uns ze künde hât gegeben.

155

Als der von Tristande seit,

die rihte und die wârheit

begunde ich sêre suochen

in beider hande buochen

walschen und latînen

160

und begunde mich des pînen,

daz ich in sîner rihte

rihte dise tihte.

sus treip ich manege suoche,

unz ich an eime buoche

165

alle sîne jehe gelas,

wie dirre âventiure was.

waz aber mîn lesen dô waere

von disem senemaere,

daz lege ich mîner willekür

170

allen edelen herzen vür,

daz sî dâ mite unmüezic wesen.

ez ist in sêre guot gelesen.

guot? jâ, inneclîche guot.

ez liebet liebe und edelet muot,

175

ez staetet triuwe und tugendet leben,

ez kan wol lebene tugende geben;

wan swâ man hoeret oder list,

daz von sô reinen triuwen ist,

dâ liebent dem getriuwen man

180

triuwe und ander tugende van:

liebe, triuwe, staeter muot,

êre und ander manic guot,

daz geliebet niemer anderswâ

sô sêre noch sô wol sô dâ,

185

dâ man von herzeliebe saget

und herzeleit ûz liebe claget.

liebe ist ein alsô saelic dinc,

ein alsô saeleclîch gerinc,

daz nieman âne ir lêre

190

noch tugende hât noch êre.

sô manec wert leben, sô liebe vrumet,

sô vil sô tugende von ir kumet,

owê daz allez, daz der lebet,

nâch herzeliebe niene strebet,

195

daz ich sô lützel vinde der,

die lûterlîche herzeger

durch vriunt ze herzen wellen tragen

niwan durch daz vil arme clagen,

daz hie bî z'etelîcher zît

200

verborgen in dem herzen lît!

War umbe enlite ein edeler muot

niht gerne ein übel durch tûsent guot,

durch manege vröude ein ungemach?

swem nie von liebe leit geschach,

205

dem geschach ouch liep von liebe nie.

liep unde leit diu wâren ie

an minnen ungescheiden.

man muoz mit disen beiden

êre unde lop erwerben

210

oder âne sî verderben.

von den diz senemaere seit,

und haeten die durch liebe leit,

durch herzewunne senedez clagen

in einem herzen niht getragen,

215

sone waere ir name und ir geschiht

sô manegem edelen herzen niht

ze saelden noch ze liebe komen.

uns ist noch hiute liep vernomen,

süeze und iemer niuwe

220

ir inneclîchiu triuwe

ir liep, ir leit, ir wunne, ir nôt;

al eine und sîn si lange tôt,

ir süezer name der lebet iedoch

und sol ir tôt der werlde noch

225

ze guote lange und iemer leben,

den triuwe gernden triuwe geben,

den êre gernden êre:

ir tôt muoz iemer mêre

uns lebenden leben und niuwe wesen;

230

wan swâ man noch hoeret lesen

ir triuwe, ir triuwen reinekeit,

ir herzeliep, ir herzeleit,

 

Deist aller edelen herzen brôt.

hie mite sô lebet ir beider tôt.

235

wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt

und ist uns daz süeze alse brôt.

 

Ir leben, ir tôt sint unser brôt.

sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt.

sus lebent si noch und sint doch tôt

240

und ist ir tôt der lebenden brôt.

 

Und swer nu ger, daz man im sage

ir leben, ir tôt, ir vröude, ir clage,

der biete herze und ôren her:

er vindet alle sîne ger.