BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Namenlose Lieder

12. Jahrhundert

 

Namenlose Lieder

 

Text:

Minnesangs Frühling (MF)

Hrsg.: K. Lachmann/M. Haupt u.a.,

Leipzig/Stuttgart 1875/1959

Digitale Version:

Jean Putmans 1998

 

Namenlose Spruchdichtung

Namenlose Liebeslieder

 

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Namenlose Spruchdichtung

 

Minnesangs Frühling I. I

 

1

Swer an dem maentage dar gât,

2

dâ ér den vuoz lât,

3

deme ist alle die wochun

4

dést úngemacher.

 

Minnesangs Frühling I. II

 

1

Tíef vúrt truobe

2

und schône wîphúore

3

sweme dár wírt ze gâch,

4

den gerûìt iz sâ.

 

Minnesangs Frühling I. III

 

1

Der ze chílchùn gât

2

und âne rûè dâ stât,

3

der wirt zeme iungistime tage

4

âne wâfin resclagin.

5

swer dâ wirt virteilt,

6

dér hêt imir leit.

 

Minnesangs Frühling I. IV

 

1

Al diu welt mit grimme stêt,

2

der dar undir muozic gêt,

3

der ginge wol verwerden,

4

sîn êre muoz ersterben.

 

Minnesangs Frühling I. V

 

1

Ubermuot diu alte

2

diu rîtet mit gewalte,

3

untrewe leitet ir den vanen.

4

girischeit diu scehet dane

5

ze scaden den armen weisen.

6

diu lant diu stânt wol allîche en vreise.

 

 

 

 

Namenlose Liebeslieder

 

Minnesangs Frühling I. VI

 

1

Swaz hie gât úmbè,

2

daz sint alle mégedè,

3

díe wéllent ân mán

4

allen disen sumer gân.

 

Minnesangs Frühling I. VII

 

1

«Gruonet der walt allenthalben.

2

wâ ist mîn geselle alse lange?

3

der ist geriten hinnen.

4

owî! wer sol mich minnen?»

 

Minnesangs Frühling I. VIII

 

1

Dû bist mîn, ich bin dîn.

2

des solt dû gewis sîn.

3

dû bist beslozzen

4

in mînem herzen,

5

verlorn ist daz sluzzelîn:

6

dû muost ouch immêr darinne sîn.

 

Minnesangs Frühling I. IX

 

1.1

«Waere diu werlt alle mîn

1.2

von deme mere unze an den Rîn,

1.3

des wolt ich mich darben,

1.4

daz chunich von Engellant

1.5

laege an mînem arme.»

 

2.1

Tougen minne diu ist guot,

2.2

sî chan geben hôhen muot.

2.3

der sol man sich vlîzen.

2.4

swer mit triwen der nit pfliget,

2.5

deme sol man daz wîzen.

 

Minnesangs Frühling I. X

 

1

«Mich dunket niht sô guotes  noch sô lobesam

2

sô diu liehte rôse  und diu minne mîns man.

3

diu kleinen vogellîn

4

diu singent in dem walde:  dêst menegem herzen liep.

5

mir enkome mîn holder geselle,  ine hân der sumerwunne niet.»

 

Minnesangs Frühling I. XI

 

1

«Diu linde ist an dem ende  nu jârlanc líeht únde blôz.

2

mich vêhet mîn geselle.  nu engílte ich, des ich nie genôz.

3

sô vil ist unstaeter wîbe,  die benement ime den sin.

4

got wizze wol die wârheit,  daz ime diu hóldèste bin.

5

Si enkunnen niewan triegen  vil menegen kíndèschen man.

6

owê mir sîner jugende!  diu muoz mir al ze sórgèn ergân.»

 

Minnesangs Frühling I. XII

 

1

«Mir hât ein ritter», sprach ein wîp,

2

«gedienet nâch dem willen mîn.

3

ê sich verwándèlt diu zît,

4

sô muoz ime doch gelônet sîn.

5

Mich dunket winter unde snê

6

schoene bluomen unde klê,

7

swenne ich in umbevangen hân.

8

und waerz al der welte leit,

9

sô muoz sîn wille an mir ergân.»

 

Minnesangs Frühling I. XIII

 

1

Dir enbíutet, edel rîter guot,

2

ein vrowe, der dîn scheiden tuot

3

alse herzeclîchen wê.

4

nu lis den brief, er seit dir mêr,

5

Wáz dír enbiutet,

6

diu dich ze herzen triutet.

 

Minnesangs Frühling I. XIV

 

1.1

Der walt in grüener varwe stât.

1.2

wol der wünneclîchen zît!

1.3

mîner sorgen wirdet rât.

1.4

saelic sî daz beste wîp,

1.5

Diu mich troestet sunder spot.

1.6

ich bin vrô. dêst ir gebot.

 

2.1

Ein winken und ein umbesehen

2.2

wart mir, dô ich si nâhest sach.

2.3

dâ moht anders niht geschehen,

2.4

wan daz si minneclîche sprach:

2.5

«Vriunt, du wis vil hôchgemuot.»

2.6

wie sanfte daz mînem herzen tuot!

 

3.1

«Ich wil weinen von dir hân»

3.2

sprach daz aller beste wîp,

3.3

«schiere soltu mich enpfân

3.4

unde trôsten mînen lîp.»

3.5

Swie du wilt, sô wil ich sîn,

3.6

lache, liebez vrowelîn.