BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Frau Ava

um 1060 - 1127

 

 

Das Jüngste Gericht

 

um 1190

 

Text:

Die Dichtungen der Frau Ava

Hrsg.: F. Maurer, Tübingen 1966

(Die Ausgabe von P. Piper, ZfdPh 19, 1887 im Internet Archive)

 

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Meister Gislebertus, Jüngstes Gericht, um 1130, Tympanon am Westportal der Kathedrale von Autun

 

 

Nu sol ich rede rechen    vil vorhtlîchen

von dem jungisten tage,    alse ich vernomen habe,

5

unde von der êwigen corone,    die got gibet ze lône

swelhe wole gestrîten    an dem jungisten zîte.

 

Finfzehen zeichen gescehent,    sô die wîsten jehent.

wir nevernâmen nie niht mêre    von sô bitterme sêre.

sô bibenet allez daz der ist,    sô nâhet uns der heilige Crist

 

15

An dem êrsten tage    sô hebet sich diu chlage,

sô wirt daz zeichen dâ ze stunt,    diu wazer smiegent sich an den grunt

vierzech clafter iz în gêt,    einen tach iz alsô gestêt.

 

An dem anderen tage,    daz sule wir iu sagen,

sô gêt iz aver wider ûz,    vil hôhe leinet iz sich wider ûf.

25

sô biginnet iz bellen    mit michelen wellen,

daz iz alle die hôrent,    die den sin dare chêrent.

uber elliu diu rîche,    sô stêt iz vorhtlîchen.

 

An dem driten tage,    alse ich vernomen habe,

sô wider fliuzet ob der erde    daz wazer al ze berge.

35

wider gêt im der strâm,    daz sihet wîp unde man.

sô trûret allez daz der ist,    wande daz urteile nâhen ist.

 

An dem vierden tage    sô hevet sich diu chlage,

sô hevet sich von grunde    viske unde allez merwunder.

ob dem mere si vehtent,    vil lûte si brahtent.

45

sô wirt des luzel rât    swaz flozen unde grât hât.

 

An dem vinften tage    sô wirt ein mêre chlage.

sô hevet sich daz gevugele,    daz ê flouch under himele

ûfen daz gevilde,    iz sî zam oder wilde.

si wuofent unde weinent    mit michelem gescreie.

55

si bîzzent unde chrouwent,    ein ander si houwent.

des tages harte zergât,    swaz vettech unde chlâ hât.

 

Sô chumet vil rehte    mit sêre tach der sehste.

der himel sich verwandelôt,    er wirt tunchel unde rôt.

an dem mânen unde an dem sunnen    siht man michel wunder.

65

der tach wirt alse vorhtlich,    in die erde bergent si sich.

 

An dem sibenten tage    sô wirt der luft al enwage.

sô vihtet an daz trum,    die winde an daz firmamentum,

diu wazer dar widere    diezent under dem himele.

[an dem mânen unde an dem sunnen    sihet man michel wunder.]

75

sô hôret man dicke    doner unde blicke.

sô chrimmet sich ze wâre    der arme suntâre,

deme sîn gewizzede daz saget,    daz er gotes hulde niene habet.

 

An dem ahtoden tage    sô wirt diu erde elliu enwage.

an der stunde    si erweget sich von grunde.

85

sô nemach niwiht des gestan,    des ûf der erde sol gân.

sô trûret wîp unde man,    si nemach getrôsten nieman.

 

An dem niunten tage,    alse ieh vernomen habe,

brestent die steine,    daz gescihet vor dem urteile.

si chlibent sich envieren,    sô zergêt iz allez sciere,

95

daz vurhtet wîp unde man    unde swer sich iht verstên chan.

 

An dem zehenten tage,    vil luzel sul wir daz chlagen,

sô zevallent die burge,    die durch ruom geworht wurden.

berge unde veste,    daz muoz allez zebresten.

sô ist got ze wâre    ein rehter ebenâre.

 

105

An dem einleften tage,    des sul wir unsich wol gehaben,

sô zergêt vil sciere,    da diu werlt mit ist gezieret:

golt unde silber    unde ander manech wunder,

nusken unde bouge,    daz gesmîde der frouwen,

goltvaz unde silbervaz,    chelche unde chirchscaz.

115

sô muoz daz allez zergân,    daz von listen ist getân.

nu wizet, daz iz wâr ist,    iz zergêt unde wirt ein valewisk.

 

An dem zwelften tage,    sô hilfet uns daz vihe chlagen.

sô diu tier gênt ûz dem walde    wider daz vihe ûf dem velde,

vil lûte si rêrent,    sô si zesamene chêrent

125

mit lûteme gescreie    ingegen dem urteile.

 

An dem drîzehenten tage    sô nemach sich niemen wol gehaben.

sô tuont sich diu greber ûf,    diu gebaine machent sich dâr ûz

alle gemeine    ingegen dem urteile.

iz ist allen den forhtlîch,    die gewizzen sint der sunden ane sich.

 

135

An dem vierzehenten tage    sô wirt diu biterste chlage.

sô gênt diu liute alle ûz,    ir nebestêt neheinez in deme hûs.

si wuofent unde weinent    mit lûteme gescreie.

in dem selben dinge    sô zergênt in die sinne.

sô nemach nieman gesagen    dienôt, diu ist in den tagen,

145

uber swen got des verhenget,    daz sich sîn leben dar gelenget.

 

Sô chumet der vinfzehente tach,    sô nâhet uns der gotes slach.

sô sculn alle die ersterben,    die der ie geborn wurden,

alle gemeine    vor dem urteile.

sô hevent sich vier winde    in allen den enden.

155

ein fiur sich enbrennet,    daz dise werlt verendet.

daz liuteret iz allez.    sô brinnet stein unde holze,

wazzer unde buhele,    die der sint under dem himele.

sô chumt der jungiste tach    alsô sciere sô ein brâslach.

 

Sô choment von Christe    die vier êvangeliste.

165

daz gebeine si chukent,    die tôten si wekent.

sô samenent sich mit êren    lîp unde sêle.

daz ist vil wunnechlîch,    die guoten sint dem sunnen gelîch.

die engel vuorent scône    daz criuce unde die corône

vor Christe an daz tagedinch,    daz werdent sorchlîchiu dinch.

 

175

Sô chumet Christ der rîche    vil gewaltichlîchen,

der ê tougen in die werlt quam:    dâ sihet in wîp unde man.

im ist sîn scare vil breit,    wâ er die versmâcheit leit

von sînen vîanden,    dâ wil er iz anden.

 

Sô chumet got in den luften    in sîner magencrefte.

185

sô rihtet er rehte    dem hêrren unde dem chnehte,

der frouwen unde der diuwe;    sô ist ze spâte diu riuwe,

die wir haben solden,    ob wir genesen wolden.

sô werdent die vil harte gêret,    die hie von der werlt chêrent.

die sizent dâ ineben gote    in der scare der zwelfpoten.

195

wande si durch gotes minne    verchurn werltlîche wunne.

die sint alle geheiligôt,    die wirseren sint erteilôt.

 

Sô wirdet der vil guot rât,    die die werlt gezogenlîchen hânt,

die gotes nie vergâzen,    dô si ze wirtscefte sâzen.

doch wil ich iu sagen da bî,    wie der leben sol getân sîn.

 

205

Si sulen got minnen    von allen ir sinnen,

von allem ir herzen,    in allen ir werchen.

si sulen wârheit phlegen,    ir almuosen wol geben,

mit mâzen ir gewant tragen,    mit chûske ir ê haben,

bescirmen die weisen,    die gevangen lôsen.

215

si sulen den vîanden vergeben,    gerihtes âne miete phlegen,

den armen tuon gnâde,    die ellenden vâhen.

si sulen ze chirchen gerne gên.    bîhte unde buoze bestên.

 

Swer niht vasten nemege,    der sol sîn almuosen geben.

nemege er des niht gewinnen,    sînen besemen sol er bringen,

225

dâ mite er sich reine,    der ist aller sâligiste, der sîne sunde weinet.

 

Swer daz mit triwen begât,    des wirt dâ vil guot rât.

ze dem sprichet der gotesun:    «var ze miner zeswen!

venite benedicti!    mines vater rîche ist iu gerihtet.»

 

Daz gescihet an dem jungisten zorne    da sceidet sich diu helewe von dem chorne,

235

diu guoten ze der zesewen,    daz sint die genesenen,

di ubelen ze der winstern,    si werdent al gewindet

an dem vrône tenne,    dar denche, swer sô welle!

 

Sô sprichet got mit grimme    ze sînen widerwinnen.

er zeiget in sîne wunden    an den vuozen unde an den henden.

245

vil harte si bluotent,    si nemegen dâ niht widere gebieten.

von sîneme rehte sprichet er in zuo:    «mînes willen newolt ir niht tuon.

ir hêtet mîn vergezzen,    ir negâbet mir trinchen noch ezzen,

selede noch gewâte,    ubel waren iuwere getâte.

dem tievele dienotet ir mit flîze,    mit im habet diu êwigen wîze.»

 

255

Dâ ist der tievel von helle    mit manegeme sînem gesellen,

sô vâhet er die armen,    vil luzel si im erbarment.

mit chetenen unde mit seilen, er bintet si algemeine.

er fuoret si mit grimme    zuo anderen sînen gesinden

in den êwigen tôt,    âne twâle lîdent si iemer nôt.

265

mit peche unde mit swebele    dâ dwinget si furder des tieveles ubele.

 

Dâ nehilfet golt noch scaz.    ê bedahten wir iz baz!

dâ ist viur unde swebel.    wir sturben gerne unde muozen leben.

durst unde hunger,    aller slahte wunder,

frost unde siechtuom    gêt uns alle tage zuo.

275

fiurîn gebende    dwinget uns die hende,

machet uns die vuoze    harte unsuoze.

mit viurvarwen seilen    bindet man si beide.

man scenchet uns den wîn,    des wir gerne ubere mohten sîn,

ezzich unde gallen    sam si viures wallen.

285

ezzen haizen si uns gebent,    daz ist pech unde swebel.

vil grôz wirt unser smerze,    die wurme ezzent uns daz herze.

daz ist uns gewizzenheit,    diu tuot uns alsô michel leit.

 

[Si stechent uns zedem nabele.    mit eisnînen gabelen.

ir angesiht tuot uns vil wê    guot wær uns mohte wir zergên.

295

durch smæh geluste    stechent sí uns an di bruste.

eínen worm haizzet aspis,    des sult ir sin vil gewis.

der ander basiliscus,    der gilt unrehtez huos.

diu wír ofte taten,    do wir sín stat heten.

aítter daz grune,    des git er uns genuge.

305

er spiet ez índen munt.    er tuot uns alt sunde chunt.

die wir níht chlagten    den bîhtern di wir haten.

daz gesun der ubeln geiste    daz ist witze aller meist.

vil michel weínen mít allen nôten    ettwene sehent si di toten.

in abrahames parme    daz habent si ze harme.]

 

315

Sô der tievel danne gevert,    vile wol unser dinch vert.

sô scînet uns scône    diu edele persône.

sich zaiget got mit minnen    allen sînen chinden.

sô sint die arbeite fure,    sô singe wir zwire

alleluja, daz frôsanch,    wir sagen got gnâde unde danch,

325

wir loben gotes êre    mit lîbe unde mit sêle.

 

Sô vâhet ane, daz ist wâr,    Jubileus, daz guote wunnejar.

sô beginne wir minnen    di inren sinne,

vernunst unde ratio,    diu edele meditatio.

dâ mit erchenne wir Crist,    daz er iz allez ist.

335

sô habe wir vil michel wunne,    sô sî wir siben stunde scôner denne der sunne.

zuo der selben scône    sô gibet uns got ze lône

eine vil stâtige jugent    unde manige hêrlîche tugent.

wir suln starche werden.    wolten wir di berge

zebrechen alse daz glas,    ze wâre sag ich iu daz,

345

die craft habent dâ diu gotes chint,    die hie mit flîzeo guot sint.

 

Dâ habe wir daz êwige lieht,    neheines siechtuomes nieht.

dâ ist diu veste winescaft,    diu milteste trûtscaft,

diu chunechlîche êre,    die haben wir iemer mêre.

daz unsagelîche lôn    in dem himeliscen trôn

355

habent die gotes erben,    die dâ nâch wolten werven.

enphliehe wir hie die sunde,    wir sîn dâ sneller denne die winde.

 

Nu vernemet alle dâ bî:    dâ sît ir edele ulule frî,

dâ nedwinget iuch sunde noch leit,    dâ ist diu ganze frîheit.

dâ ergezet uns got sciere    aller der sêre,

365

die wir manege stunde    liten in ellende.

 

Dâ ist daz êwige leben,    daz ist uns alzoges gegeben,

Crist, unser hêrtuom,    unser vernunst unde unser wîstuom.

der ist gechêret an in,    vil edele ist unser sin.

unser herze unde unseriu ougen    sehent die gotes tougen.

375

vil zierlîch wirt daz selbe lieht,    iz newirt zerganclîch nieht.

 

Daz habent allez diu gotes chint,    diu hie diemuote sint,

diu ir scephâre lobent    unde hie ir vîanden vergebent.

diu versmâhent hie nidene,    swie sô sî dâ ze himele

mit gote geren ze habene,    dâ ist vil guot ze lebene.

385

dâ wirt ir geloube ain wârheit,    ir gedinge mit habenne ein sicherheit,

ir minne vil innechlîche,    si sint den engeln gelîche.

daz habent si âne ende.    nu weset vil wol gesunde

in der selben râwe,    dar muozet ir chomen. Amen.

 

Dizze buoch dihtôte    zweier chinde muoter.

395

diu sageten ir disen sin.    michel mandunge was under in.

der muoter wâren diu chint liep,    der eine von der werlt sciet.

nu bitte ich iuch gemeine,    michel unde chleine,

swer dize buoch lese,    daz er sîner sêle gnâden wunskende wese.

unde dem einen, der noch lebet    unde der in den arbeiten strebet,

405

dem wunsket gnâden    und der muoter, daz ist AVA.