Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
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[III] |
Vorrede.
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Den 1sten Oktober 1813.Im Jahre 1810 übergab ich die Handschrift dieses Werks über Deutschland dem Verleger meiner Corinna. Da ich darin die nämlichen Meinungen aufstellte und gleiches Stillschweigen über die gegenwärtige Regierung Frankreichs beobachtete, als in meinen früheren Schriften, so schmeichelte ich mir, sie, wie jene, bekannt machen zu dürfen; aber einige Tage nach Einsendung der Handschrift erschien ein Dekret sehr sonderbarer Gattung über die Preßfreiheit, in welchem es hieß: daß kein Werk ohne vorhergängige Prüfung von Censoren gedruckt werden solle.“ Das mochte hingehen, man war in Frankreich auch unter der alten Regierung gewohnt, sich der Censur zu unterwerfen; der öffentliche Geist neigte, sich damals zur Freiheit hin, und machte jenes Zwangmittel eben nicht furchtbar; aber ein kleiner Artikel am Ende des [IV] neuen Reglements setzte fest, daß, wenn die Censoren ein Werk geprüft und seine Bekanntmachung erlaubt hatten, die Verleger zwar autorisirt seyn sollten, es drucken zu lassen; jedoch unbeschadet des Rechts des Polizeiministers, es ganz zu unterdrücken, wenn ihm dies angemessen schiene.“ Das will so viel sagen, diese und jene neue Formen sollten so lange bestehen, bis man es zweckmäßiger finden würde, sich nicht mehr in sie zu fügen: es war wahrlich kein Gesetz nöthig, um eine Abwesenheit des Gesetzes zu decretiren, man hätte sich ganz einfach an die unbedingte Gewaltsamkeit halten dürfen.Demungeachtet übernahm mein Verleger die Verantwortlichkeit der Herausgabe meines Werkes, indem er es der Censurbehörde vorlegte, und unser Vertrag wurde in Gemäßheit dessen abgeschlossen. Ich kam bis auf vierzig Stunden weit von Paris, um den Druck zu besorgen – dort athmete ich zum letztenmal Frankreichs Luft. Ich hatte mir in meinem Buche, wie man später finden wird, jede Betrachtung über den politischen Zustand Deutschlands versagt; ich versetzte mich fünfzig Jahre hinaus von der Gegenwart, aber diese Gegenwart will nicht vergessen seyn. Mehrere Censoren prüften meine Handschrift, sie unterdrückten verschiedene Stellen, die ich in dieser Ausgabe wieder hergestellt, und in den Noten bezeichnet habe: [V] bis auf diese Stellen aber erlaubten sie den Druck des Buches, wie ich es hier gebe, denn ich glaubte, nichts darin verändern zu dürfen. Es scheint mir merkwürdig, zu zeigen, wie ein Werk gestaltet seyn muß, um im jetzigen Frankreich die grausamste Verfolgung auf das Haupt seines Verfassers herabzuziehen.Im Augenblick der Erscheinung desselben, und als die 10000 Exemplare der ersten Auflage bereits abgezogen waren, schickte der unter dem Namen General Savary bekannte Polizeiminister seine Gensd'armes zu meinem Verleger, mit dem Befehl, den ganzen Vorrath von Exemplaren zu zerstören, und die verschiedenen Ausgänge seines Gewölbes mit Schildwachen zu besetzen, aus Besorgniß, daß auch nicht ein einziges von einem so gefährlichen Werke entkomme. Ein Polizei-Commissair war zur Ober-Aufsicht über diese Expedition bestellt, in welcher der General Savary leicht Sieger bleiben konnte, und dieser arme Commissair sagt man, ist an der großen Anstrengung gestorben, die nöthig war, um mit der übertriebensten Kleinlichkeit eine so ungeheure Menge von Bänden zu zerstören oder vielmehr sie in eine Masse völlig weißer Pappen zu verwandeln, auf welchen keine Spur menschlicher Vernunft mehr sichtbar war. Der innere Werth dieser Pappen, der auf zwanzig Louisd'or abgeschätzt wurde, ist die einzige Entschädigung, [VI] die mein Verleger von dem General-Minister erhalten hat.In dem nämlichen Augenblick, wo man mein Buch in Paris vernichtete, empfing ich auf meinem Landsitze einen Befehl, die Abschrift auszuhändigen, nach welcher der Abdruck erfolgt war und Frankreich binnen 34 Stunden zu verlassen. Man muß ein Conscribirter seyn, um sich in 24 Stunden reisefertig machen zu können, ich schrieb deshalb an den Polizeiminister, daß ich 8 Tage brauche, um Geld und meinen Wagen kommen zu lassen. Hier seine Antwort.
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Ich werde diesem, wie es mir scheint, schon an und für sich hinlänglich merkwürdigen, Briefe noch einige Bemerkungen hinzufügen.Es hat mir geschienen, sagt der General Savary, als ob die Luft dieses Landes Ihnen [IX] nicht mehr bekäme; welche zarte Weise, einer Frau, damals ach! noch Mutter von drei Kindern, der Tochter eines Mannes, der Frankreich mit solcher Treue gedient, anzuzeigen, daß man sie auf immer aus ihrem Vaterlande verbanne, ohne ihr zu gestatten, auf irgend eine Art gegen eine Strafe Einwendungen zu machen, die jeder nach der Todesstrafe die härteste nennt. Es giebt ein französisches Vaudeville, in welchem ein Gerichtsdiener seine Höflichkeit gegen die, welche er ins Gefängniß führt, mit den Worten herausstreicht:
Mich liebet jedermann, den zum Verhaft ich bringe,
– ich weiß nicht, ob der General Savary Aehnliches beabsichtigt hat.Er sagt ferner: dahin ist es noch nicht mit uns gekommen, daß wir die Völker zu Vorbildern wählen sollten, die ich bewundere; diese Völker sind zunächst die Engländer und dann, in mehrerer Hinsicht, die Deutschen. Bei alle dem glaube ich, daß man mir eben nicht Schuld geben kann, Frankreich nicht zu lieben. Nur zu sehr habe ich gezeigt, wie sehnsuchtsvoll ich an einem Aufenthalte hänge, wo ich noch so viel Gegenstände meiner Neigung zähle, und die so liebenswürdig finde, die ich liebe. Aber folgt denn aus dieser vielleicht zu lebendigen Anhänglichkeit an ein so glanzreiches Land und seine geistvollen [X] Bewohner, daß es mir nicht gestattet seyn solle, auch England zu bewundern? Wir sah'n es, ritterlich gewappnet zur Vertheidigung des geselligen Zustandes, Europa zehn Jahre hindurch gegen Anarchie, zehn andre gegen Despotismus schützen. Seine glückliche Verfassung war, beim Beginn der Revolution, das Ziel des Hoffens und Strebens der Franzosen – mein Sinn ist auf dem Punkte stehen geblieben, wo ihrer damals stand.Bei meiner Rückkehr in die Besitzung meines Vaters 3) untersagte mir der Präfekt, mich weiter als vier Stunden im Umkreise von dort zu entfernen.. Ich erlaubte mir eines Tages bei einer einfachen Spazierfahrt zehn Stunden zurückzulegen; augenblicklich waren die Gensd'armes hinter mir her, den Postmeistern wurde anbefohlen, mir keine Pferde zu geben, man hätte denken sollen, das Wohl des Staates hänge von einer so gebrechlichen Existenz, als die mir verstattete, ab. Ich suchte mich jedoch auch in diese Gefangenschaft in ihrer ganzen Härte zu schicken, aber der letzte Schlag, der mich traf, machte mir sie vollends unerträglich. Einige meiner Freunde wurden ins Exil geschickt, weil sie die Großmuth gehabt hatten, mich zu besuchen; das war zu viel – die [XI] Pest des Unglücks an sich tragen, denen nicht nahe treten zu dürfen, die man liebt, fürchten zu müssen, ihnen zu schreiben, ihren Namen auszusprechen, bald sich als Gegenstand der zärtlichen Anhänglichkeit von Personen zu sehn, für die man darum zittern muß, und bald gekränkt mit den gesuchtesten Gemeinheiten, die nur Sklavenfurcht veranlassen kann, das war eine Lage, der man sich entziehen mußte, wollte man noch leben.Man sagte mir, um meinen Kummer zu mindern, daß diese unaufhörlichen Verfolgungen ein Beweis des Gewichts wären, das man auf meine Person legte; ich hätte wohl erwiedern können:
Nicht dieser Ehre bin ich werth, nicht der Entwürdigung,
aber ich gab diesen Tröstungen meiner Eigenliebe kein Gehör, denn ich wußte zu gut, daß, vom Größten bis zum Niedrigsten, es jetzt in Frankreich keinen giebt, der nicht gewürdigt werden könnte, elend gemacht zu werden. Man quälte mich in allen Verhältnissen meines Lebens, bei allen empfindlichen Seiten meines Charakters, selbst die Gewalt gab sich herablassend die Mühe, mich genauer kennen zu lernen, um mir gründlicheres Leiden zu bereiten. Da ich diese Gewalt nicht gradehin durch das Opfer meines Talents befriedigen konnte, und entschlossen war, es ihr nicht dienstbar zu machen, so glaubte ich, tief im Innern [XII] zu fühlen, was in dieser Lage mein Vater mir gerathen haben würde, und reißte ab.Es ist, glaube ich, von Wichtigkeit für mich, das Publikum mit diesem verleumdeten, mit diesem Buch bekannt zu machen, das so vieler Leiden Quelle für mich wurde, und obgleich General Savary mir in seinem Briefe erklärt hat, daß dies Werk kein Französisches sey, so will ich, mit eben der Ueberzeugung, mit welcher ich ihn nicht als Repräsentanten von Frankreich anerkenne, den Franzosen, wie ich sie sonst gekannt habe, eine Schrift vertrauensvoll überreichen, in welcher ich, nach den mir verliehenen Kräften, gesucht habe, den Ruhm der Arbeiten des menschlichen Geistes zu erheben.Deutschland kann, seiner geographischen Lage nach, für das Herz von Europa gelten, und der große Bund des Continents allein durch dieses Landes Unabhängigkeit die eigne wiedererlangen. Verschiedenheit der Sprachen, natürliche Gränzen, gemeinschaftliche Erinnerungen aus der Geschichte der Vorzeit, alles dies trägt dazu bei, um unter den Menschen die großen Individuen zu bilden, die man Nationen nennt; gewisse Verhältnisse sind nöthig zu ihrer Existenz, gewisse Eigenschaften, sie von einander zu unterscheiden; würde Deutschland mit Frankreich vereinigt, so folgte daraus auch die Vereinigung Frankreichs mit Deutschland; die [XIII] Franzosen von Hamburg und die von Rom würden stufenweise den Charakter der Zeitgenossen Heinrichs des Vierten entstellen, die Besiegten auf die Länge die Sieger umbilden, und am Ende alle gleich dabei verlieren.Ich habe in meinem Werke behauptet, die Deutschen seyen keine Nation, aber warlich, vor den Augen aller Welt strafen sie als Helden diese Besorgniß Lügen.Die Spanier, auf die man Southeys Vers anwenden kann:
Die tapfern Dulder sind es, die die Menschheit retten,
hatten alles bis auf Cadix verloren, und würden sich doch eben so wenig unter das fremde Joch geschmiegt haben, als jetzt, wo sie an der Gränze der Pyrenäen stehn, im Schutze Wellingtons, mit dem Charakter des Alterthums, dem Geist der neuen Zeit. Zur Erreichung dieser großen Zwecke gehört aber auch eine Ausdauer, erhaben über jedes Ereigniß. Die Deutschen trifft oft der Vorwurf, daß sie vom Unglück erst sich Ueberzeugungen haben geben lassen. Individuen müssen sich dem Schicksal fügen lernen, Nationen niemals; denn sie sind es allein, die diesem Schicksal zu gebieten vermögen - ein fester Wille mehr, und das Elend wäre gebändigt.Die Unterwerfung eines Volkes unter ein andres läuft gegen die Natur. Wer würde jetzt [XIV] noch an die Möglichkeit denken, Spanien, Rußland, England und Frankreich zu zerstückeln? Warum sollte dies nicht mit Deutschland der nämliche Fall seyn! Könnten die Deutschen sich nochmals unterjochen lassen, so würde ihr Unglück das Herz zerreißen, aber man würde immer in Versuchung seyn, ihnen zu sagen, wie Fräulein von Mancini zu Ludwig dem Vierzehnten: Sie sind König, Sire, und Sie weinen: – Ihr seyd ein Volk und weinet!!Das Gemälde einer Literatur und Philosophie scheint dem gegenwärtigen Augenblick wohl fremd zu seyn; doch ist es vielleicht dem armen, edlen Deutschland tröstlich, sich inmitten der Verwüstungen des Krieges an seine Geistesschätze zu erinnern. Vor drei Jahren nannte ich Preußen und die nordischen Länder, die es umgeben, das Vaterland des Denkens, in wie viel herrliche Thaten hat sich dies Denken nicht seitdem gestaltet; was die Philosophen in Systeme brachten, geht in Erfüllung, und der Seele Unabhängigkeit wird die der Staaten gründen!
―――――――― 1) Präfekt von Loir und Cher. 2) Der Zweck dieser Nachschrift war, mir die Häfen des Canals zu untersagen. 3) Coppet in der Nähe von Genf. A. d. Uebers.
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