BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. I. Abtheilung.

 

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Neunzehntes Capitel.

 

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Von der Liebe in der Ehe.

 

In der Ehe ist die Empfindsamkeit eine Pflicht. In jedem anderen Verhältniß mag die Tugend ausreichen; allein in diesem, wo die Schicksale in einander verflochten sind, wo ein und derselbe Antrieb so zu sagen zwei Herzen schlagen macht, scheint ein tiefes Gefühl beinahe ein nothwendiges Band zu seyn. Der Leichtsinn der Sitten hat zwischen Gatten so viel Kummerstoff geworfen, daß die Moralisten des abgewichenen Jahrhunderts sich gewöhnt hatten, alle Genüsse des Herzens auf die väterliche und mütterliche Liebe zu beziehen, und in der Ehe kaum noch etwas anderes erblickten, als die Bedingung, welche erforderlich sey, um das Glück, Kinder zu haben, zu genießen. Dies ist falsch, wenn von der moralischen Seite, noch falscher, wenn von Glück die Rede ist.

Gut in Beziehung auf seine Kinder zu seyn, ist so leicht, daß man daraus kein Verdienst machen [183] sollte. In ihren ersten Jahren können sie keinen anderen Willen haben, als den ihrer Aeltern; und sobald sie zur Jugend gelangen, existiren sie durch sich selbst. Gerechtigkeit und Güte machen die vornehmsten Pflichten eines Verhältnisses aus, welches die Natur so leicht macht. So steht es nicht um die Beziehungen mit dieser Hälfte unserer Selbst, welche Glück und Unglück in den geringsten unserer Handlungen, unserer Blicke, unserer Gedanken finden kann. Hier gerade kann sich die Moralität in ihrer ganzen Stärke zeigen; und gerade hier ist auch die wahre Quelle der Glückseligkeit.

Ein Freund von demselben Alter, an dessen Seite man leben und sterben soll; ein Freund, dessen sämmtliche Angelegenheiten die unsrigen sind, dessen Aussichten ohne Ausnahme (so daß selbst das Grab darin begriffen ist) auf uns übergehen: dies ist das Gefühl, welches das ganze Schicksal enthält. Es ist wahr, bisweilen werden unsere Kinder, noch öfter unsere Eltern, unsere Gefährten durchs Leben; aber dieser seltene und erhabene Genuß wird von den Gesetzen der Natur bekämpft, während die Verbindung durch die Ehe in Uebereinstimmung mit dem ganzen menschlichen Daseyn ist.

Woher kommt es denn, daß diese so heilige Verbindung so oft verunheiligt wird? Ich will den Muth haben, es zu sagen. Von der seltsamen Ungleichheit kommt es, welche die Meinung der Gesellschaft in die Pflichten der beiden Gatten bringt; und an diese muß man sich halten. Das Christenthum hat die Weiber aus einem Zustande gerissen, welcher der Sklaverei glich. Da die Gleichheit vor Gott die Grundlage dieser bewundernswürdigen Religion ist: so strebt sie auch dahin, die Gleichheit [184] der Rechte auf Erden beizubehalten; die göttliche Gerechtigkeit, die allein vollkommen ist, gestattet keine Art von Privilegium, am wenigsten das der Stärke. Gleichwol sind vom Sklavenzustande der Weiber her Vorurtheile geblieben, die, indem sie sich mit der großen Freiheit verbinden, welche die Gesellschaft ihnen gestattet, große Uebel herbeigeführt haben.

Mit Recht hat man die Weiber von den politischen und bürgerlichen Angelegenheiten ausgeschlossen; nichts ist ihrem natürlichen Berufe so sehr entgegen, als alles, was ihnen Beziehungen von Nebenbulerei mit den Männern aufdringt, und der Ruhm selbst würde nur ein glänzender Traueranzug verlornen Glücks für das Weib seyn. Allein, wenn die Bestimmung der Weiber einmal in einem fortdauernden Act von Aufopferung, der ehelichen Liebe dargebracht, bestehen sollte: so ist die gewissenhafte Treue Dessen, der der Gegenstand dieser Aufopferung ist, die Belohnung derselben

Die Religion macht keinen Unterschied zwischen den Pflichten beider Gatten; aber die Welt macht einen sehr großen, und aus diesem Unterschied geht die Verschlagenheit der Weiber und die Erbitterung der Männer hervor. Wo ist das Herz, das sich ganz hingeben könnte, ohne ein anderes Herz zu wollen, das sich gleichfalls ganz giebt? Wer nimmt also mit Aufrichtigkeit die Freundschaft als den Preis der Liebe an? Wer verspricht mit Ueberzeugung die Beständigkeit dem, der nicht treu seyn will? Unstreitig kann die Religion es fordern; denn sie allein hat das Geheimniß jener dunklen Gegend, wo die Opfer zu Genüssen werden. Aber wie ungerecht ist [185] der Tausch, welchen sich die Lebensgefährtin nach dem Willen des Mannes gefallen lassen soll!

„Ich werde dich, sagt er, zwei oder drei Jahre mit Leidenschaft lieben, und nach Verlauf dieser Zeit vernünftig mit dir reden.“ (Und was sie Vernunft nennen, ist die Entzauberung des Lebens.) „Ich werde in meinem Hause Kälte und Langeweile blicken lassen; ich werde anderweitig zu gefallen suchen. Aber du, die du in der Regel mehr Einbildungskraft und Empfindsamkeit hast, als ich; du, für welche es weder eine Laufbahn, noch Zerstreuung giebt, während die Welt mir von allen Seiten dergleichen darbietet; du, die du nur für mich vorhanden bist, während ich tausend andere Gedanken habe – du sollst dich begnügen mit der untergeordneten, erkalteten und getheilten Zuneigung, die ich für gut befinden werde, dir zuzuwenden, und dabei sollst du alle die Huldigungen verschmähen, welche stärkere und zärtlichere Gefühle ausdrücken würden.“

Welch ein ungerechter Vertrag! Alle menschlichen Gefühle versagen sich demselben. Es existirt ein seltsamer Contrast zwischen den Formen der Hochachtung, welche der Geist des Ritterthums in Beziehung auf die Weiber in Europa eingeführt hat, und der tyrannischen Freiheit, welche die Männer sich zugesprochen haben. Dieser Contrast bringt alle Verirrungen der Gefühle hervor: die unerlaubten Zuneigungen, den Meineid, die Verlassenheit, die Verzweiflung. Weniger, als andere Nationen, sind die germanischen von diesen traurigen Wirkungen berührt worden; allein sie müssen in dieser Hinsicht den Einfluß fürchten, welchen die neuere Civilisation auf die Dauer ausübt. Es wäre besser, die [186] Weiber wie Sklaven einzusperren, und weder ihren Verstand, noch ihre Einbildungskraft anzuregen, als sie mitten in die Welt zu schleudern, und alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln, um ihnen hinterher das Glück zu versagen, das diese Fähigkeiten nothwendig machen.

In einer unglücklichen Ehe hat der Schmerz eine Kraft, wodurch er über alle übrigen Leiden dieser Welt hinausgeht. Das ganze Gemüth einer Frau ruht auf ehelicher Anhänglichkeit. Allein gegen das Schicksal ankämpfen, sich dem Grabe nähern, ohne daß ein Freund uns aufrecht hält, ohne daß ein Freund uns bedauert: dies ist eine Vereinzelung, von welcher die Wüsten Arabiens nur ein schwaches Bild geben; und wenn die Schätze unserer jungen Jahre vergeblich aufgeopfert sind, wenn wir für das Ende unseres Lebens keinen Wiederschein der ersten Strahlen mehr hoffen, wenn die Abenddämmerung nichts in sich trägt, was an die Morgenröthe erinnert, und bleich und farblos ist, wie ein Gespenst, das die Nacht verkündet – dann empört sich unser Herz, dann kommt es uns vor, als seyen wir der Gaben Gottes hienieden beraubt worden; und wenn wir noch immer Denjenigen lieben, der uns als eine Sklavin behandelt, weil er uns nicht angehört und doch über uns verfügt: so bemächtigt sich die Verzweiflung aller unserer Fähigkeiten, und das Gewissen selbst verwirrt sich in Kraft des Unglücks.

Die Weiber könnten dem Gatten, der ihre Bestimmung leichtsinnig behandelt, die beiden Verse aus einer Fabel zurufen:

 

Ja wohl ein Spiel für dich;

Doch ach! der Tod für mich. [187]

 

Und so lange in den Ideen nicht eine Umwälzung vorgeht, welche die Meinung der Männer über die Beständigkeit, die das Band der Ehe ihnen auflegt, verändert, wird zwischen den beiden Geschlechtern immer Krieg seyn – ein geheimer, ewiger, listiger, meineidiger Krieg, bei welchem die Moralität beider leidet.

In Deutschland giebt es in der Ehe beinahe gar keine Ungleichheit zwischen den beiden Geschlechtern. Dies rührt daher, daß die Weiber die heiligsten Bande eben so oft zerreissen, wie die Männer. Die Leichtigkeit der Ehescheidung hat in die Familien-Verhältnisse eine Art von Anarchie gebracht, welche nichts in seiner Wahrheit und in seiner Stärke bestehen läßt. Um etwas Heiliges auf Erden zu bewahren, ist es doch wohl besser, daß es in der Ehe eine Sklavin, als zwei starke Geister gebe.

Die Reinheit des Gemüths und der Aufführung ist die erste Glorie eines Weibes. Welch ein entwürdigtes Wesen würde sie nicht ohne die eine und die andere seyn! Allein das allgemeine Glück und die Würde des menschlichen Geschlechts würden vielleicht nichts destoweniger durch die eheliche Treue der Männer gewinnen. In der That, was ist schöner in der moralischen Ordnung, als ein Jüngling, der dieses erhabene Band achtet? Die Meinung fordert es nicht von ihm; die Gesellschaft spricht ihn frei; eine Art von barbarischer Spötterei würde sich angelegen seyn lassen, selbst die Klagen des von ihm zerrissenen Herzens zu ersticken: denn der Tadel wendet sich so leicht gegen die Schlachtopfer; er kann also nach Belieben walten. Aber er selbst legt sich Pflichten auf. Aus seinen Fehltritten können keine Nachtheile hervorgehen; aber er fürchtet [188] das Uebel, welches er derjenigen zufügen würde, die seinem Herzen vertraut hat, und die Großmuth fesselt ihn noch weit mehr, als die Gesellschaft ihn frei spricht.

Den Weibern wird die Treue durch tausend verschiedene Betrachtungen geboten: sie können die Gefahren und Demüthigungen fürchten, welche die unvermeidlichen Folgen einer Verirrung sind. Dagegen ist die Stimme des Gewissens die einzige, die sich für den Mann vernehmen läßt: er weiß, welche Leiden er verursacht; er weiß, daß er durch die Unbeständigkeit ein Gefühl zum Welken bringt, das bis zum Tode vorhalten und im Himmel sich erneuern soll. Einsam mit sich selbst, einsam mitten unter allen Arten von Verführungen, bleibt er rein, wie ein Engel. Denn wenn die Engel nicht mit weiblichen Zügen dargestellt werden: so geschieht dies, weil die Vereinigung der Stärke mit der Reinheit noch schöner, noch himmlischer ist, als selbst die allervollkommste Bescheidenheit in einem schwachen Wesen.

Hat die Einbildungskraft nicht die Erinnerung zum Zügel: so trennt sie von dem, was man besitzt, so verschönert sie, was man nicht zu erhalten fürchtet, so macht sie aus dem Gefühl eine überwundene Schwierigkeit. Allein, wie in den Künsten die überwundene Schwierigkeit nicht wahres Genie erfordert: so bedarf es für das Gefühl der Sicherheit, um die Zuneigungen zu empfinden, welche Unterpfänder der Ewigkeit sind, weil sie allein uns die Idee von dem zuführen, was nicht endigen kann.

Der treue junge Mann scheint Derjenigen, die er liebt, täglich von neuem den Vorzug zu geben. Die Natur hat ihm eine gränzenlose Unabhängigkeit [189] geschenkt, und weit, weit im Hintergrunde stehen für ihn die bösen Tage des Lebens. Sein Roß kann ihn tragen bis ans Ende der Welt; der Krieg, dessen er voll ist, befreiet ihn wenigstens augenblicklich von allen häuslichen Beziehungen. und scheint das ganze Interesse des Daseyns auf Sieg oder Tod zu beschränken. Ihm gehört die Erde, alle Freuden werden ihm entgegen gebracht, keine Beschwerde schreckt ihn, keine innige Verbindung ist ihm nothwendig; er drückt die Hand eines Waffengefährten, und der nöthige Bund ist geschlossen. Unstreitig steht sie bevor, die Zeit, wo die Bestimmung ihm ihre schrecklichen Geheimnisse enthüllen wird; aber er braucht sich jetzt noch nicht darauf einzulassen. So oft eine neue Generation in den Besitz ihrer Domäne tritt – glaubt sie nicht, daß alles Unglück nur aus der Schwäche ihrer Vorgänger hergestammt hat? überredet sie sich nicht, sie seyen so zitternd und kraftlos geboren worden, wie sie sie jetzt sieht? Nun gut! Wie tugendhaft, wie gefühlvoll ist Derjenige, der im Schooße so vieler Täuschungen sich der dauerhaften Liebe weihen will, ihr, die dies Leben mit dem andern verbindet! Ha, wie schön ist ein stolzer, männlicher Blick, wenn er zu gleicher Zeit bescheiden und rein ist! Man glaubt darin einen Strahl von jener Schaam zu entdecken, der sich von der Glorie heiliger Jungfrauen lösen kann, um selbst die Stirn eines Kriegers zu schmücken.

Wenn der junge Mann die glänzenden Tage seiner Jugend mit einem einzigen Gegenstande theilen will: so wird er unstreitig unter seinen Zeitgenossen Spötter finden, die über ihn das große Wort: Betrogenheit, dies Schrecken der Kinder des Jahrhunderts, aussprechen werden. Aber ist denn der betrogen, [190] der allein wahrhaft geliebt wird? denn die Beklemmungen und Genüsse der Eigenliebe bilden das ganze Gewebe leichtfertiger und lügenhafter Zuneigungen. Ist der betrogen, der seine Freude nicht darin findet, zu betrügen, um hinterher noch mehr betrogen, noch mehr zerrissen zu seyn, als selbst sein Schlachtopfer? Ist endlich der betrogen, der das Glück seines Lebens nie in den jämmerlichen Combinationen der Eitelkeit, wohl aber in den ewigen Schönheiten der Natur gesucht hat, welche ohne Ausnahme Beständigkeit, Ausdauer, Tiefe predigen?

Nein, Gott hat den Mann, als die edelste der Kreaturen, zuerst geschaffen; die edelste Kreatur aber ist die, welche die meisten Pflichten übt, und es ist ein seltsamer Mißbrauch, den man von dem Vorrecht einer natürlichen Ueberlegenheit macht, wenn man es benutzt, um sich von den heiligsten Banden zu befreien, während die wahre Ueberlegenheit in der Stärke des Gemüths besteht. Die Stärke des Gemüths aber ist die Tugend.