BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. I. Abtheilung.

 

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Siebentes Capitel.

 

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Von den berühmtesten Philosophen

Deutschlands vor und nach Kant.

 

Der philosophische Geist kann, seiner Natur nach, nicht füglich in irgend einem Lande allgemein verbreitet seyn. Indeß giebt es in Deutschland eine solche Hinneigung zum Grübeln, daß die deutsche Nation vorzugsweise als eine metaphysische Nation betrachtet werden kann. Sie hat einen solchen Ueberfluß an Menschen, welche im Stande sind, abstrakte Fragen zu fassen, daß das Publikum selbst Theil nimmt an den Argumenten, die in Erörterungen dieser Art angewendet werden. [78]

Jeder Mensch von Verstand hat seine eigenthümliche Ansicht von philosophischen Fragen. Schriftsteller der zweiten und dritten Ordnung haben in Deutschland noch Kenntnisse, welche gründlich genug sind, daß sie anderwärts an die Spitze treten könnten. Die Nebenbuhler hassen sich in diesem Lande, wie in jedem anderen; aber niemand würde in die Schranken zu treten wagen, ohne durch gründliche Studien seine aufrichtige Liebe für die Wissenschaft, die ihn beschäftigt, beurkundet zu haben. Es ist nicht genug, daß man den glücklichen Erfolg liebe; man muß ihn auch verdienen, um nur zur Mitbewerbung um denselben hinzugelassen zu werden. Wie nachsichtig die Deutschen auch seyn mögen, wenn blos von dem möglichen Mangel an Form in Hinsicht eines Werks die Rede ist: so sind sie doch unerbittlich in Rücksicht des reellen Werths desselben, und wenn sie bemerken, daß im Verstande, im Gemüthe, oder in dem Wissen eines Schriftstellers etwas oberflächlich ist, so nehmen sie sogar den französischen Spott an, um das Leichtfertige lächerlich zu machen.

Ich habe mir vorgenommen, in diesem Capitel eine schnelle Uebersicht von den Hauptmeinungen berühmter Philosophen vor und nach Kant zu geben; denn man würde über den Gang, welchen seine Nachfolger genommen haben, nicht richtig urtheilen, wenn man nicht zurückginge, um sich den Zustand der Geister in Deutschland in den Augenblick zu vergegenwärtigen, wo die Kantische Lehre sich daselbst verbreitete. Sie bestritt zugleich das Lockische System als nach Materialismus hinneigend, und die Leibnitzische Schule, als alles auf die Abstraktion zurückführend. [79]

Leibnitzens Gedanken waren groß; aber seine Schüler, und Wolf an ihrer Spitze, commentirten sie mit logischen und metaphysischen Formen. Leibnitz hatte behauptet, die Begriffe, welche uns durch die Sinne zu Theil würden, seyen verworren und nur diejenigen, welche den unmittelbaren Perceptionen des Gemüths angehörten, allein klar. Unstreitig wollte er dadurch anzeigen, daß die unsichtbaren Wahrheiten gewisser sind, und mit unserem moralischen Seyn mehr in Harmonie stehen, als alles, was wir durch das Zeugniß der Sinne in uns aufnehmen. Hieraus zogen Wolf und dessen Schüler die Folgerung, daß alles, was unseren Geist beschäftigen kann, auf abstrakte Ideen zurückgeführt werden müsse. In diesen Idealismus ohne Leben brachte Kant Interesse und Wärme; er gab der Erfahrung ihren gerechten Theil, wie den angebornen Ideen, und die Kunst, womit er seine Theorie auf alles anwandte, was den Menschen interessirt, ich meine die Moral, die Poesie und die schönen Künste, vermehrte den Einfluß derselben.

Drei vorzügliche Köpfe waren Kants Vorläufer auf der philosophischen Bahn: Lessing, Hemsterhuis und Jacobi. Keiner von ihnen wurde Stifter einer Schule, weil keiner von ihnen ein System gründete; aber sie waren es, welche den Angriff auf den Materialismus begonnen. Von allen dreien war Lessing der, dessen Meinungen am wenigsten entschieden waren; bei dem allen hatte er allzu viel Umfang des Geistes, um sich auf den engen Zirkel zu beschränken, den man durch Verzichtleistung auf die höchsten Wahrheiten sich so leicht ziehet. Lessings allmächtige Polemik weckte den Zweifel über die allerwichtigsten Fragen, und veranlaßte Erforschungen [80] aller Art. Er selbst kann weder als Materialist, noch als Idealist, betrachtet werden: aber das Bedürfniß zu Forschungen und Studien, um seine Kenntnisse zu erweitern, war das Triebrad seines Daseyns. „Wenn der Allmächtige,“ sagte er, „in der einen Hand die Wahrheit und in der andern die Erforschung derselben hielte: so würde ich ihn vorzugsweise um die letztere bitten.“

In der Religion war Lessing nicht orthodox. Als Gefühl war das Christenthum ihm nicht nothwendig; gleichwol wußte er es philosophisch zu bewundern. Er begriff seine Verhältniße zu dem menschlichen Herzen, und alle Arten von Ansichten betrachtete er immer aus einem universalen Gesichtspunkte. In seinen Schriften findet man nichts Ausschließendes, nichts Unduldsames. Stellt man sich in den Mittelpunkt der Ideen: so hat man immer Redlichkeit, Tiefe und Umfang; denn das Ungerechte, Eitele und Bekränzte rührt immer von dem Bedürfniß her, alles auf einige partielle Ansichten zu beziehen, die man sich angeeignet hat, und aus denen man einen Gegenstand der Selbstliebe macht.

Mit einem schneidenden und positiven Styl drückt Lessing Meinungen voll Wärme aus. Hemsterhuis, ein holländischer Philosoph, war der Erste, der, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, in seinen Schriften den größten Theil der hohen Ideen andeutete, auf welche die neue deutsche Schule gegründet ist. Seine Werke sind auch sehr merkwürdig durch den Contrast, welcher sich zwischen dem Charakter seines Styls und den Gedanken findet, welche er ausspricht. Lessing ist Enthusiast mit ironischen Formen; Hemsterhuis mit einer mathematischen Sprache. Nur unter den germanischen [81] Nationen findet man die Erscheinung von Schriftstellern, welche die abstrakteste Metaphysik der Vertheidigung der exaltirtesten Systeme widmen , und eine lebhafte Einbildungskraft unter einer strengen Logik verbergen.

Die Menschen, welche gegen eine Einbildungskraft, die nicht die ihrige ist, immer auf ihrer Huth sind, vertrauen sehr gern Schriftstellern, welche aus philosophischen Erörterungen das Talent und die Empfindlichkeit verbannen, gerade, als ob es minder leicht wäre, über dergleichen Gegenstände mit Syllogismen zu faseln, als mit Beredsamkeit. Denn der Syllogismus, der immer zur Grundlage annimmt, daß ein Ding ist, oder nicht ist, führt unter allen Umständen die unermeßliche Menge unserer Eindrücke auf einen einfachen Wechselfall zurück, während die Beredsamkeit das Ganze derselben umfaßt. Gleichwol, und obgleich Hemsterhuis nur allzu oft philosophische Wahrheiten durch algebraische Formen ausgedrückt hat, regt in seinen Schriften ein moralisches Gefühl, eine reine Liebe für das Schöne unsere Bewunderung an; er, früher als andere, hat die Einheit empfunden, welche zwischen dem Idealismus, oder, um es deutlicher auszudrücken, dem freien Willen des Menschen und der stoischen Moral Statt findet, und gerade in dieser Beziehung erhält die neue deutsche Lehre eine große Wichtigkeit.

Selbst ehe Kants Schriften erschienen waren, hatte Jacobi die Philosophie der Sensationen, und noch weit siegreicher die auf den Eigennutz gegründete Moral bestritten. In seiner Philosophie hatte er sich nicht ausschließend an die abstrakten Formen des Raisonnements gebunden. Seine Zergliederung [82] des menschlichen Gemüths ist voll Beredsamkeit und Zauber. In den folgenden Capiteln werde ich den schönsten Theil seiner Werke untersuchen, den, welcher die Moral berührt; aber er verdient als Philosoph einen besonderen Ruhm. Mehr als irgend ein Anderer in der Geschichte der alten und neuen Philosophie unterwiesen, hat er seine Studien der Unterstützung der einfachsten Wahrheiten gewidmet; und von allen Philosophen seiner Zeit ist er der erste gewesen, der unsere ganze geistige Natur auf ein religiöses Gefühl gestützt hat, so daß man sagen könnte, er habe die Sprache der Metaphysiker und der Gelehrten nur deshalb so gründlich gelernt, um auch in dieser Sprache der Tugend und der Gottheit zu huldigen.

Jacobi hat sich als einen Gegner Kants gezeigt; aber er greift die Kantische Philosophie nicht als Verfechter der Sensationen-Philosophie an. 1) Im Gegentheil macht er dem Königsberger Philosophen den Vorwurf, sich nicht genug auf die Religion zu stützen, die in allen übersinnlichen Wahrheiten als die einzig mögliche Philosophie gedacht werden muß.

Kants Lehre hat in Deutschland viele andere Gegner gefunden; aber man hat sie nicht angegriffen, ohne sie zu kennen, oder so, daß man ihr, statt aller Antwort, die Meinungen Locke's und Condillac's entgegengestellt hätte. Leibnitz hatte noch allzu viel Uebergewicht in den Geistern seiner Landsleute, als daß sie nicht für jede, der seinigen [83] ähnliche, Meinung hätten Achtung haben sollen. Zehn Jahre hindurch haben eine Menge Schriftsteller nicht aufgehört, die Werke Kants zu commentiren. Aber gegenwärtig haben die deutschen Philosophen, obgleich in Ansehung der freien Tätigkeit des Gedankens mit Kant einverstanden, jeder ein besonderes System in dieser Hinsicht angenommen. Nun, wer hat denn nicht versucht, das Räthsel seines Innern nach seinen Kräften zu lösen? Folgt denn daraus, daß der Mensch eine unzählbare Menge von verschiedenen Erklärungen seines Wesens gegeben hat, daß diese philosophische Forschung unnütz sey? Gewiß nicht. Gerade diese Verschiedenheit ist ein Beweis von dem Interesse, welches eine solche Forschung einflößen muß.

Man möchte sagen, es käme in unsern Tagen darauf an, über die moralische Natur des Menschen ins Reine zu kommen, und die Rechnung einmal für allemal abzuschließen, damit hinterher nicht mehr davon die Rede sey. Einige behaupten, die Sprache sey an dem und dem Tage fixirt worden, und seit diesem Augenblick sey die Einführung eines neuen Worts eine Barbarei. Andere meinen, die Regeln der dramatischen Kunst seyen in dem und dem Jahre definitiv festgestellt, und das Genie, welches daran das Mindeste verändern wolle, trage das große Unrecht, nicht vor diesem Jahre geboren zu seyn, wo alle vergangene, gegenwärtige und künftige literarische Erörterungen beendigt worden sind. In der Metaphysik vor allem hat man dahin entschieden, daß man seit Condillac's Zeiten keinen Schritt vorwärts thun könne, ohne sich zu verirren. Nur den physischen Wissenschaften gestattet man noch einige Fortschritte, weil man sie nicht [84] abläugnen kann; allein in der philosophischen und literärischen Bahn möchte man den menschlichen Geist zwingen, immer in demselben Zirkel in den Ring der Eitelkeit zu stechen.

Wahrlich, dadurch vereinfacht man das System des Universums nicht, daß man an jener Erfahrungs-Philosophie klebt, welche eine Art von Evidenz giebt, die in dem Princip falsch, wenn gleich in der Form scheinbar ist. Wenn man alles, was über die Kenntniß der Sinnenberührungen hinausgeht, als nicht vorhanden betrachtet: so ist nichts leichter, als Klarheit in ein System zu bringen, dessen Umkreis die Willkühr gezogen hat. Aber ist denn das, was über diese Gränzen hinausreicht, minder vorhanden, weil man es für nichts rechnet? Die nicht vollendete Wahrheit der spekulativen Philosophie nähert sich dem Wesen der Dinge unendlich mehr, als jene scheinbare Klarheit, die in der Kunst besteht, gewisse Schwierigkeiten zu entfernen. Wenn man in den philosophischen Werken des abgewichenen Jahrhunderts die so oft wiederholten Phrasen lieset: Wahr ist nur dies, alles Uebrige ist Chimäre; so erinnert man sich unwillkührlich an die bekannte Geschichte eines französischen Schauspielers, der, als er sich mit einem weit dickeren Mann, als er selbst war, schlagen sollte, den Vorschlag that, daß auf dem Körper seines Gegners eine Linie gezogen werden müsse, über welche hinaus die Stöße für nichts gerechnet würden. Gleichwol war sowohl diesseits als jenseits dasselbe Wesen, welches den Todesstoß empfangen konnte. Aus dieselbe Weise können die, welche die Säulen des Herkules an den Rand ihres Horizonts stellen, schwerlich verhindern, daß jenseits ihrer Natur es noch eine [85] gebe, wo die Existenz noch lebendiger, ist, als in der materiellen Sphäre, auf welche man uns beschränken möchte.

Die beiden berühmtesten Nachfolger Kants sind Fichte und Schelling. Auch diese legten es darauf an, sein System zu vereinfachen; aber nur dadurch glaubten sie zum Ziele gelangen zu können, daß sie eine noch übersinnlichere Philosophie an die Stelle der Kantischen brächten.

Mit fester Hand hatte Kant die Gebiete des Gemüths und der Sensationen abgemarkt. Dieser Dualismus war beschwerlich für Geister, welche in absoluten Ideen ausruhen wollen. Seit den Griechen bis auf unsere Zeiten hat man oft das Axiom wiederholt: daß das All ein Einiges ist, und die Bestrebungen der Philosophen haben immer darauf abgezweckt, in einem einzigen Princip, sey es der Seele, oder der Natur, die Auflösung des Räthsels der Welt zu finden. Ich will indessen die Behauptung wagen, daß einer von den Ansprüchen der Kantischen Philosoph[i]e auf das Vertrauen aller ausgeklärten Menschen, gerade darin besteht, daß Kant, wie wir alle es fühlen, den Satz aufgestellt hat: es gebe eine Seele und eine äußerliche Natur, und beide wirken nach gewissen Gesetzen wechselseitig auf einander. Ich weiß, weshalb man mehr philosophische Höhe in der Idee eines einzigen Princips findet, mag es materiell oder intellectuell seyn: aber eins oder zwei macht das Universum nicht begreiflicher, und unser Gefühl schließt sich lieber an diejenigen Systeme an, welche das physische und das moralische als verschieden erkennen.

Fichte und Schelling haben sich das Gebiet getheilt, welches Kant als getrennt betrachtet hatte, [86] und jeder hat gewollt, daß seine Hälfte das Ganze sey. Beide sind aus der Sphäre der Menschheit herausgetreten, und haben sich zur Kenntniß des Systems des Universums erheben wollen; hierin sehr verschieden von Kant, welcher eben so viel Geisteskraft daran gesetzt hat, nachzuweisen, was der menschliche Verstand nie begreifen wird, als zu entwickeln, was er wissen kann.

Indeß hatte, vor Fichte, kein Philosoph das System des Idealismus zu einer so wissenschaftlichen Strenge erhoben. Er construirt das ganze Universum aus der Thätigkeit der Seele. Von ihr rührt alles her, was gedacht, alles, was ersonnen werden kann. Um dieses Systemes willen, ist er des Unglaubens beargwohnt worden. Man hörte ihn sagen: in der folgenden Vorlesung wolle er Gott construiren, und mit Recht stieß man sich an diesen Ausdruck. Im Grunde wollte er nur sagen, daß er zeigen werde, wie die Idee der Gottheit entstünde und sich in der Seele des Menschen entwickelte. Das Hauptverdienst der Fichteschen Philosophie ist – die unglaubliche Kraft der Aufmerksamkeit, die sie voraussetzt. Denn er begnügt sich nicht damit, Alles auf die innere Natur des Menschen zu beziehen – auf das Ich, welches die Grundlage aller Dinge ausmacht; sondern er unterscheidet in dem Ich auch noch das Vorübergehende und das Dauerhafte. In Wahrheit, wenn man über die Operationen des Verstandes nachdenkt, so glaubt man seinem Gedanken zu Hülfe zu kommen, so glaubt man ihn wie die Welle verrinnen zu sehen, während der betrachtende Theil unseres Ich unverändert bleibt. Nicht selten begegnet es Personen, welche einen leidenschaftlichen Character mit einem beobachtenden [87] Geist verbinden, daß sie sich leiden sehen und in sich selbst ein über den Schmerz erhabenes Wesen fühlen, das ihn sieht und ihn abwechselnd tadelt oder beklagt. Durch die äußerlichen Umstände unseres Lebens werden fortdauernde Veränderungen in uns bewirkt, und doch behalten wir immer das Gefühl unserer Identität. Was bezeugt denn diese Identität, wofern es nicht durch das sich gleichbleibende Ich geschieht, welches vor seinem Richterstuhl das durch die äußeren Eindrücke abgeänderte Ich vorübergehen sieht?

Dieser unerschütterlichen Seele, die der Zeuge der veränderlichen ist, legt Fichte die Gabe der Unsterblichkeit und die Macht zu schaffen bei, oder, um es noch genauer zu übersetzen, die Macht, das Bild des Universums in sich selbst abzustrahlen. Dieses System, welche alles auf den Gipfel unseres Daseyns stützt, und die Pyramide auf die Spitze stellt, ist schwer zu fassen. Es entkleidet die Ideen der Farben, die so viel dazu beitragen, daß jene verständlich werden; und die schönen Künste, die Poesie und die Betrachtung der Natur verschwinden in diesen Abstraktionen, die sich mit keinem Zusatz von Einbildungskraft und Empfindsamkeit vertragen.

Die äußere Welt betrachtet Fichte nur als einen Markstein unseres Daseyns, auf welchem unser Gedanke arbeitet. In seinem System ist dieser Markstein von der Seele selbst geschaffen, deren fortdauernde Thätigkeit sich an dem von ihr gebildeten Gewebe übt. Was Fichte über das metaphysische Ich schreibt, gleicht ein wenig dem Erwachen der Bildsäule Pygmalions, die, indem sie abwechselnd sich selbst und den Stein befühlt, auf welchem sie aufgestellt ist, ausruft: das bin ich, das bin ich [88] nicht. Aber, als sie, Pygmalions Hand fassend, ausruft: auch das bin ich! da kommt es schon auf ein Gefühl an, welches über den Kreis abstrakter Ideen hinausgeht. Auch vom Gefühl entkleidet, hat der Idealismus den Vorzug, die Thätigkeit des Geistes im höchsten Grade anzuregen; aber Natur und Liebe verlieren durch dies System ihren ganzen Zauber. Denn wenn die Gegenstände, welche wir sehen, und die Wesen, welche wir lieben, nichts weiter sind, als das Werk unserer Ideen: so muß der Mensch selbst als der große Ehelose der Welt betrachtet werden.

Anerkennen muß man gleichwol zwei große Vorzüge der Fichteschen Lehre. Der eine ist seine stoische Moral, welche keine Entschuldigung zuläßt; denn da alles von dem Ich herrührt, so muß auch dies Ich den Gebrauch verantworten, den es von seinem Willen macht. Der andere ist die Uebung des Denkens, welche zugleich so stark und so fein ist. daß der, welcher dies System begriffen hat, selbst dann, wenn er es nicht zu dem seinigen machen sollte, eine solche Kraft der Aufmerksamkeit und eine solche Schärfe der Zergliederung erworben haben würde, daß er beide hinterher spielend auf jedes andere Studium anwenden könnte.

Wie man auch über die Nützlichkeit der Metaphysik urtheilen möge: so läßt sich nicht läugnen, daß sie die Gymnastik des Geistes ist. Den Kindern legt man mehrere Arten von Kämpfen in ihren ersten Jahren auf, wiewol sie nicht berufen sind, sich einstens auf diese Weise zu schlagen. Mit Wahrheit kann man behaupten, daß das Studium der idealistischen Metaphysik ein beinahe sicheres Mittel ist, die moralischen Fähigkeiten Derer zu entwickeln, [89] die sich ihm hingeben. Wie alles Köstliche, so wohnt auch das Denken in unserem Innersten; denn auf der Oberfläche ist nur Albernheit und Seichtigkeit. Allein, wenn man die Menschen von Jugend auf gewöhnt, in ihrem Nachdenken zu forschen und alles in ihrem Gemüthe zu sehen, so gewinnen sie dadurch eine Stärke und eine Aufrichtigkeit des Urtheils, die sich nie wieder verlieren.

In abstrackten Ideen ist Fichte ein mathematischer Kopf, wie Euler und La Grange. Er hat einen merkwürdigen Abscheu vor allen substantiellen Ausdrücken: das Daseyn ist für ihn schon ein allzu ausgesprochenes Wort. Seyn, Princip, Wesen – diese Wörter sind kaum ätherisch genug, um die zarteren Abstufungen seiner Meinungen auszudrücken. Man möchte sagen, er fürchte die Berührung reeller Dinge, und suche sich ihnen immer zu entwinden. Durch häufige Lectüre seiner Schriften und durch die Unterhaltung mit ihm verliert man das Bewußtseyn dieser Welt, und man fühlt das Bedürfniß, wie die Schatten, welche Homer uns mahlt, die Erinnerungen des Lebens zurück zu rufen. Der Materialismus verschluckt die Seele, indem er sie herabsetzt; der Fichtesche Idealismus trennt sie von der Natur dadurch, daß er sie allzu hoch erhebt. Weder in dem einen, noch in dem anderen Extrem behauptet das Gefühl, welches die wahrhaftige Schönheit des Daseyns ist, den Rang, den es verdient.

Schelling hat bei weitem mehr Kenntniß der Natur und der schönen Künste, als Fichte, und seine lebendige Einbildungskraft dürfte sich nicht mit abstrakten Ideen begnügen. Aber, wie Fichte, hat er es darauf angelegt, das Daseyn auf Ein Princip [90] zurückzuführen. Mit tiefem Abscheu behandelt er alle Philosophen, die deren zwei gestatten; und er will nur demjenigen System die Benennung eines philosophischen zukommen lassen, worin sich Alles verkettet, und welches alles erklärt. Unstreitig hat er darin Recht, daß dieses System das beste seyn würde. Aber wo findet man es? Schelling behauptet, nichts sey absurder, als der hergebrachte Ausdruck: Philosophie des Platon, Philosophie des Aristoteles. Sage man denn, Geometrie des Euler, Geome[t]rie des La Grange? Nach Schelling giebt es nur Eine Philosophie, oder es giebt gar keine. Und wahrlich, wenn man unter Philosophie nur den Schlüssel zum Räthsel des Universums versteht, so giebt es gar keine.

Kants System war für Schelling, wie für Fichte, unzureichend, weil er zwei Naturen, zwei Quellen unserer Ideen anerkennt, nemlich die äusseren Gegenstände und die Fähigkeiten der Seele. Aber, um zu der so sehr gewünschten Einheit zu gelangen – um sich von diesem doppelten (physischen und moralischen) Leben, welches den Anhängern abstrakter Ideen so misfällt, loszumachen, bezieht Schelling alles auf die Natur, während Fichte alles auf die Seele zurückführt. Fichte sieht in der Natur nur den Gegensatz der Seele; sie ist in seinen Augen nur eine Gränze oder eine Kette, von welcher loszukommen man unablässig arbeiten muß. Schellings System erfreut und beruhigt die Einbildungskraft; gleichwol tritt es nothwendig in das des Spinoza zurück. Doch, anstatt die Seele bis zur Materie herabzuwürdigen, wie dies in unsern Tagen geschehen ist, versucht Schelling, die Materie bis zur Seele zu erheben; und obgleich seine Theorie [91] ganz von der physischen Natur abhängt: so ist sie doch sehr idealistisch im Wesen, und noch weit mehr in der Form.

Das Ideale und das Reale nehmen in seiner Sprache die Stelle der Intelligenz und der Materie, der Einbildungskraft und der Erfahrung, ein, und in der Vereinigung dieser beiden Potenzen zu einer vollkommenen Harmonie, besteht, seiner Meinung nach, das einzige und absolute Princip des organisirten Universums. Diese Harmonie, von welcher die beiden Pole und das Centrum das Bild sind, und die in der Zahl drei, welche zu allen Zeiten geheimnißvoll war, eingeschlossen ist, gewährt dem Philosophen Schelling die sinnreichsten Anwendungen. Er glaubt sie wieder zu finden in den schönen Künsten, wie in der Natur, und seine Werke über die physischen Wissenschaften werden selbst von Gelehrten geschätzt, welche es nur mit Thatsachen und deren Resultaten zu thun haben wollen. In den Untersuchungen über die Seele sucht er zu beweisen, wie die Sensationen und die geistigen Begriffe sich in dem Gefühl vereinigen, welches seinerseits alles vereinbart, was in beiden unwillkührlich und reflectirt ist, und folglich das ganze Mysterium des Lebens enthält.

Was in diesen Systemen am meisten anzieht, sind die Entwickelungen. Die erste Grundlage der vorgeblichen Erklärung der Welt ist in den meisten Theorieen gleich wahr und gleich falsch; denn alle sind enthalten in dem unermeßlichen Gedanken, den sie umfassen wollen. Aber in ihrer Anwendung auf die Dinge dieser Welt sind diese Theorieen sehr geistreich; zugleich verbreiten sie über mehrere besondere Gegenstände großes Licht. [92]

Schelling nähert sich, dies läßt sich nicht läugnen, sehr den Philosophen, die man Pantheisten nennt, d. h. denen, welche der Natur die Attribute der Gottheit beilegen. Was ihn aber unterscheidet, ist der ungemeine Scharfsinn, womit er die Wissenschaften und Künste mit seiner Lehre in Verbindung zu setzen gewußt hat; er unterweiset, er giebt in jeder seiner Beobachtungen zu denken, und die Tiefe seines Geistes setzt besonders dann in Erstaunen, wenn er sie nicht auf das Geheimniß des Universums anwenden will; denn niemand kann irgend eine Art von Ueberlegenheit erreichen, welche nicht zwischen Wesen derselben Gattung Statt finden könnte, wie weit sie auch von einander entfernt seyn mögen.

Um inmitten dieser Vergötterung der Natur religiöse Ideen zu bewahren, nimmt die Schellingische Schule an, daß das Individuum in uns stirbt, daß aber die inneren Eigenschaften, die wir besitzen, in das große Ganze der ewigen Schöpfung zurücktreten. Diese Unsterblichkeit gleicht dem Tode auf eine furchtbare Weise; denn der physische Tod ist ja nichts, als die allgemeine Natur, die sich der Gaben wieder bemächtigt, womit sie das Individuum ausgestattet hatte.

Schelling zieht aus seinem System sehr edle Folgerungen über die Nothwendigkeit, in unserer Seele die unsterblichen Eigenschaften anzubauen, d. h. die, welche mit dem Universum in Verbindung stehen, und in uns selbst alles das verachten, was nur von den Umständen abhängt. Aber sind denn die Zuneigungen des Herzens und das Gewissen nicht an die Verhältnisse dieses Lebens geknüpft? In den meisten Lagen nehmen wir zwei ganz verschiedene [93] Bewegungen in uns wahr, von welchen die eine uns an die allgemeine Ordnung knüpft, die andere uns auf unser persönliches Interesse zurückführt: das Gefühl der Pflicht und die Persönlichkeit. Die edelste von diesen beiden Bewegungen ist die allgemeine. Aber gerade weil wir einen Instinkt haben, der das Daseyn erhält, ist es schön, ihn aufzuopfern; gerade weil wir in uns selbst concentrirt sind, ist unsere Anziehung an das Ganze großmüthig ; gerade weil wir individuell und abgesondert existiren, können wir uns unter einander wählen und lieben. Was hätte es denn auf sich mit dieser abstrakten Unsterblichkeit, welche uns unserer liebsten Zurückerinnerungen als zufälliger Modifikationen beraubte?

– „Ihr wollt also, sagt man in Deutschland, mit allen euren gegenwärtigen Umständen wieder aufleben, und als Baron und Graf von neuem geboren werden?“– Unstreitig, nein; aber wer sollte nicht wünschen, als Mutter und Tochter wieder aufzustehen, und wie würde man sein Ich wiederfinden, wenn man nicht dieselben Zuneigungen empfände ? Die unbestimmten Ideen von Wiedervereinigung mit der Natur zerstören auf die Länge die Herrschaft der Religion über die Geister; denn die Religion wendet sich an Jeden ins Besondere. Die Vorsehung beschützt uns in allen Einzelnheiten unseres Schicksals; das Christenthum paßt sich allen Geistern an, und antwortet, wie ein Vertrauter, auf alle individuellen Bedürfnisse unseres Herzens. Der Pantheismus im Gegentheil, d. h. die vergöttlichte Natur kann uns für das All keine Religion einflößen, ohne sie über das Universum zu zerstreuen ; es concentrirt sie nicht in uns selbst. [94]

Dies System hat zu allen Zeiten sehr viel Anhänger unter den Philosophen gehabt. Der Gedanke strebt immer, noch allgemeiner zu werden, und man nimmt bisweilen die fortgehende Arbeit des Geistes, die Schranken fortzuschaffen, für eine neue Idee. Man glaubt zum Umfassen des Universums zu gelangen, wie man den Raum umfaßt, durch Umsturz der Schranken und durch Entfernung der Schwierigkeiten, ohne diese zu lösen. Aber auf diesem Wege nahet man sich dem Unendlichen nicht. Nur das Gefühl enthüllt uns das Unendliche, ohne es zu erklären.

Was wahrhaft bewundernswerth in der deutschen Philosophie ist, besteht in der Erforschung, die sie uns an uns selbst vollziehen läßt. Sie steigt auf bis zum Ursprung des Willens, bis zur unbekannten Quelle des Stromes unseres Lebens; und hier, die innersten Geheimnisse des Schmerzes und des Glaubens ergründend, klärt sie uns auf und kräftigt uns. Allein alle die Systeme, welche das Universum erklären wollen, können durch kein Wort deutlich zergliedert werden; für Ideen dieser Art giebt es keine passende Worte, und wenn man sie dennoch dazu gebrauchen will: so verbreitet man über die Dinge dieselbe Finsterniß, welche der Schöpfung voranging, keinesweges das Licht, das auf sie folgte. Wissenschaftliche Ausdrücke, an einen Gegenstand verschwendet, auf welchen alle Menschen ein Recht zu haben glauben, empören die Eigenliebe. Diese unverständlichen Schriften geben, wie ernsthaft man auch seyn möge, Veranlassung zum Spott. Denn in der Dunkelheit giebt es immer Misgriffe. Man findet Vergnügen daran, diese Menge von Abstufungen und Einschränkungen, welche dem Verfasser [95] vollkommen heilig sind, welche aber von den Profanen vergessen und vermengt werden, auf einige hauptsächliche Behauptungen zurückzuführen, die nur allzu leicht widerlegt sind.

Die Orientalen sind zu allen Zeiten Idealisten gewesen, und Asien hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem mittäglichen Europa. Ein Uebermaaß von Wärme treibt im Morgenlande zur Beschaulichkeit, wie ein Uebermaaß von Kälte im Norden. Die religiösen Systeme der Hindus sind sehr melancholisch und sehr geistvoll, während die Völker des mittäglichen Europa immer einen entschiedenen Hang nach materiellem Heidenthum gehabt haben. Gelehrte Engländer, die in Indien gereiset sind, haben tiefe Untersuchungen über Asien angestellt; und die Deutschen, welche nicht, wie die Herren der Meere, Gelegenheit hatten, sich an Ort und Stelle zu unterrichten, sind, mit Hülfe sorgfältiger Studien, zu höchst anziehenden Entdeckungen über die Religion, die Literatur und die Sprachen der asiatischen Völker gelangt. Sie sind geneigt, nach vielen Anzeigen, zu glauben, daß ehemals übernatürliche Einsichten die Völker dieser Gegenden aufgeklärt haben, und daß davon unvertilgbare Spuren übrig geblieben sind. Die Philosophie der Hindus kann nur von den deutschen Idealisten begriffen werden; die Ähnlichkeit der Meinungen erleichtert das Auffassen.

Nicht damit zufrieden, beinahe alle Sprachen Europa's zu kennen, hat Friederich Schlegel unerhörte Kraft an die Kenntniß dieses Landes, der Wiege der Welt, gesetzt. Das Werk, welches er so eben über die Sprache und die Philosophie der Hindus bekannt gemacht hat, enthält tiefe Blicke [96] und positive Kenntnisse, welche die Aufmerksamkeit aller aufgeklärten Männer von Europa beschäftigen müssen. Er glaubt – und mehrere Philosophen, zu welchen man Bailly rechnen muß, haben dieselbe Meinung gehabt – daß ein Urvolk einige Theile der Erde, besonders aber Asien zu einer Zeit bewohnt habe, welche über alle Denkmäler der Geschichte hinausgeht. Friederich Schlegel findet die Spuren dieses Volks in der geistigen Kultur der Nationen und in der Bildung der Sprachen. Er bemerkt eine ungemeine Ähnlichkeit zwischen den Haupt-Ideen und selbst den sie ausdrückenden Wörtern bei mehreren Völkern der Welt, sogar zu einer Zeit, wo sie, nach allem, was wir von der Geschichte wissen, durchaus in keinen Beziehungen mit einander standen. Friederich Schlegel verwirft die allgemein angenommene Voraussetzung, daß die Menschen mit dem wilden Zustande angefangen, und daß gegenseitige Bedürfnisse die Sprachen allmählig gebildet haben. Es heißt, der Entwickelung einen rohen Anfang geben, wenn man sie unserer animalischen Natur zuschreibt, und die Vernunft bekämpft diese Hypothese, welche die Phantasie verwirft.

Man begreift nicht, auf welchem Stufengange es möglich sey, von dem wilden Schrei zur Vollkommenheit der griechischen Sprache zu gelangen; und man möchte behaupten, daß, bei den zum Durchlaufen dieses unendlichen Abstandes nöthigen Fortschritten ein Abgrund nach dem andern übersprungen werden müsse. In unseren Tagen wiederholen wir die Bemerkung, daß die Wilden sich nie von selbst civilisiren, und daß die benachbarten Nationen ihnen mit großer Mühe beibringen, was sie nicht wissen. Man ist also sehr versucht, zu glauben. [97] daß ein Urvolk das menschliche Geschlecht unterwiesen habe. Wer aber hat dies Urvolk gebildet, wenn es nicht durch eine Offenbarung geschehen ist? Alle Nationen haben zu allen Zeiten ihr Bedauern über den Verlust eines glücklichen Zustandes, der dem gegenwärtigen voranging, an den Tag gelegt. Woher diese so allgemein verbreitete Idee? Will man sagen: dies sey ein Irrthum? Die allgemeine Irrthümer gründen sich immer auf umgewandelte Wahrheiten, die vielleicht entstellt sind, aber Thatsachen zur Grundlage hatten, welche die Nacht der Zeiten bedeckte, oder auch gewisse geheimnisvolle Kräfte der Natur.

Die, welche die Civilisation des menschlichen Geschlechts solchen physischen Bedürfnissen zuschreiben, welche die Menschen unter sich vereinigt haben, werden schwerlich erklären, woher es kommt, daß die moralische Kultur der ältesten Völker poetischer, den schönen Künsten günstiger und in materiellen Beziehungen weit edler nützlich ist, als es die Verfeinerungen der neueren Zivilisation sind. Die Philosophie der Hindus ist idealistisch und ihre Religion mystisch. Wahrlich, nicht das Bedürfniß, die Ordnung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, hat dieser Philosophie und dieser Religion ihre Entstehung gegeben.

Die Poesie ist beinahe allenthalben früher da gewesen, als die Prosa, und die Einführung der Sylbenmaaße, des Rhythmus, der Harmonie, ist älter als die strenge Bestimmtheit, und folglich als der nützliche Gebrauch der Sprachen. Die Astronomie ist nicht blos studirt worden, um dem Ackerbau zu dienen; die Chaldäer, die Aegy[p]tier haben ihre Untersuchungen weit über den praktischen Nutzen hinausgetrieben, der sich davon ziehen ließ, und man [98] glaubt, die Liebe zum Himmel und den Cultus der Zeit in jenen so tiefen und so genauen Beobachtungen über die Eintheilung des Jahres, den Lauf der Gestirne und die Perioden ihres Zusammentreffens zu sehen.

Bei den Chinesen waren die Könige die ersten Astronomen des Landes; sie brachten Nächte mit der Beobachtung des Laufs der Sterne zu, und ihre königliche Würde bestand in diesen schönen Kenntnissen und in diesen uneigennützigen Beschäftigungen, welche sie über den großen Haufen erhoben. Das prächtige System, welches der Civilisation eine religiöse Offenbarung zum Ursprung giebt, stützt sich auf eine Gelehrsamkeit, deren die Anhänger der materialistischen Meinungen selten fähig sind. Um sich gänzlich dem Studium zu widmen, muß man beinahe schon Idealist seyn.

Gewohnt, tief und einsam zu grübeln, dringen die Deutschen so tief in die Wahrheit ein, daß man, wie es mir scheint, ein Unwissender oder ein Thor seyn muß, um eine von ihren Schriften zu verschmähen, ehe man sich lange damit unterhalten hat. Ehemals gab es viele Irrthümer und Wahnbegriffe, welche mit dem Mangel an Kenntnissen in Verbindung standen; allein wenn mit der Aufklärung unserer Zeit und mit unermeßlichen individuellen Arbeiten Meinungen ausgesprochen werden, welche über den Kreis gemeiner Erfahrungen hinausgehen: so muß man sich, um des menschlichen Geschlechtes willen, darüber freuen. Denn sein gegenwärtiger Schatz ist sehr arm, wenigstens wenn man nach dem Gebrauch urtheilt, den es davon macht.

Bei Durchlesung dieser Rechenschaft; die ich von den Haupt-Ideen einiger deutschen Philosophen gegeben [99] habe, werden ihre Anhänger mit Recht bemerken, daß ich sehr wichtige Untersuchungen höchst oberflächlich angedeutet habe. Auf der anderen Seite aber werden Weltmenschen sich selbst die Frage aufwerfen: wozu dies alles diene? Allein, wozu dienen der Apoll von Belvedere, die Gemählde Raphaels, und Racine's Trauerspiele? Wozu dient überhaupt das Schöne, wenn nicht das Gemüth dabei gewinnt? Eben so verhält es sich mit der Philosophie. Sie ist die Schönheit des Denkens, sie beurkundet die Würde des Menschen, der sich mit dem Ewigen und Unfühlbaren beschäftigen kann, wiewohl alles Rohe seiner Natur ihn davon entfernt.

Ich könnte noch manche andere Namen anführen, welche in der Bahn der Philosophie mit Recht geschätzt sind; allein ich glaube, daß dieser Abriß, wie unvollkommen er auch seyn möge, ausreicht, als Einleitung zu einer Untersuchung über den Einfluß, welchen die übersinnliche Philosophie der Deutschen auf die Entwickelung des Geistes und auf den Character und die Moralität der Nation gehabt hat, die diese Philosophie hat entstehen sehen. Denn dies ist der Hauptzweck meines Werks.

 

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1) Diese Philosophie hat in Deutschland allgemein die Benennung der empirischen Philosophie erhalten.