BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. I. Abtheilung.

 

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Viertes Capitel.

 

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Von der Spötterei, die eine gewisse Art

von Philosophie eingeführt hat.

 

Das in einem Lande angenommene philosophische System übt einen großen Einfluß über die Richtung der Geister aus; es ist die allgemeine Form, in welcher sich alle Gedanken modeln; selbst Diejenigen, welche dies System nicht studirt haben, bequemen sich, ohne es zu wissen, nach der allgemeinen Stimmung, welche es einflößt.

Man hat, seit beinahe einem Jahrhundert, in Europa einen hohnlächelnden Scepticismus entstehen und sich verbreiten gesehen, dessen Grundlage gerade die Metaphysik ist, welche alle unsere Ideen unseren Sensationen zuschreibt. Das erste Prinzip dieser Philosophie ist: nur das zu glauben, was als Thatsache oder als Calcul bewiesen werden kann; und an dieses Princip schließen sich auf der einen Seite die Geringschätzung der Gefühle, die man exaltirte nennt, aus der andern die Hinneigung zu materiellen Genüssen an. Diese drei Punkte der Lehre enthalten alle Arten von Ironie, deren Gegenstände die Religion, die Empfindsamkeit und die Moral seyn können.

Bayle, dessen gelehrtes Wörterbuch von den Weltleuten wenig gelesen wird, ist gleichwohl die Rüstkammer, wo man alle Spöttereien des Scepticismus gefunden hat. Durch Witz und Anmuth hat Voltaire sie anziehend gemacht; aber der Grund von dem allen ist und bleibt, daß man zu den Träumereien rechnen müsse, was nicht eben so evident [38] ist, wie eine physische Erfahrung. Es erfordert Gewandtheit, die Unfähigkeit zur Aufmerksamkeit als den höchsten Grund aufzustellen, welcher alles Dunkle und Zweifelhafte verwirft: aber dem gemäß macht man die größten Gedanken lächerlich, wenn man, um sie zu fassen, das Nachdenken anstrengen, oder, um sie zu fühlen, sein Herz befragen muß. Man spricht zwar noch mit Achtung von einem Pascal, einem Bossuet, einem J. J. Rousseau u. s. w., weil die Autorität sie geheiligt hat, und weil die Autorität in allen Dingen etwas sehr Klares ist; allein, indem die Mehrzahl der Leser überzeugt ist, daß Unwissenheit und Trägheit in geistigen Dingen die Attribute des Edelmannes sind: so halten sie es unter ihrer Würde, sich Mühe zu geben, und wollen Schriften, welche den Menschen und die Natur zum Gegenstande haben, wie einen Zeitungsartikel lesen.

Kurz, wenn dergleichen Schriften zufälligerweise von einem Deutschen herrührten, dessen nicht französischer Name sich eben so schwer aussprechen ließe, als der des Baron im Candide; welche Menge scherzhafter Einfälle würde man nicht daraus ziehen? und alle diese Späße sagen nichts weiter, als: ich habe Anmuth und Leichtigkeit, während ihr, die ihr das Unglück habt, an etwas zu denken und euch an gewissen Gefühlen zu halten, euch nicht mit derselben Eleganz und Gewandtheit über alles lustig macht. –

Die Philosophie der Sensationen ist eine von den Hauptursachen dieser Leichtfertigkeit. Seitdem man die Seele als leidend betrachtet hat, sind viele philosophische Arbeiten abschätzig behandelt worden. [39] Von dem Tage an, wo man sagte, es gebe keine Geheimnisse in dieser Welt, wenigstens brauche man sich nicht damit zu befassen, alle Ideen kämen durch die Augen und die Ohren, und nur das Handgreifliche sey wahr – seit diesem Tage haben sich die für die wahren Philosophen gehalten, die im Vollgenuß ihrer Sinne waren. Wer Ideen genug hat, um Geld zu gewinnen, wenn er arm ist, und Geld zu verthun, wenn es ihm gelungen ist, reich zu werden, gilt für einen Mann, der sich in dem Besitz einer vernünftigen Philosophie befindet, und Träumer sind alle Diejenigen, die noch an etwas anderes denken. In der That, die Sensationen lehren keine andere Philosophie, und wenn man nichts weiter wissen kann, als was von ihnen herstammt: so muß alles, was nicht einer materiellen Evidenz unterthan ist, mit der Benennung der Thorheit belegt werden.

Gäbe man im Gegentheil zu, daß die Seele durch sich selber wirkt, daß man in sich selbst schöpfen müsse, um die Wahrheit zu finden, und daß diese Wahrheit nur durch ein tiefes Nachforschen erhascht werden könne, weil sie nicht in dem Kreise irdischer Erfahrungen liege: so würde man nicht die höchsten Gedanken verwerfen, weil sie eine überlegte Aufmerksamkeit erfordern, was man aber unerträglich finden würde, wäre das oberflächliche Gemeine; denn das Leere ist auf die Dauer im höchsten Grade plump.

Den Einfluß der metaphysischen Systeme auf die allgemeine Richtung der Geister fühlte Voltaire so gut, daß er seinen Candide nur schrieb, um Leibnitz zu bekämpfen. Er war aufgebracht gegen die Endursachen, den Optimismus, den freien Willen, [40] kurz gegen alle philosophische Meinungen, welche die Würde des Menschen erheben, und machte seinen Candide, dieses Werk höllischer Freude; denn es scheint von einem Wesen geschrieben, das, von ganz anderer Art, als wir übrigen, gleichgültig ist gegen unser Schicksal, sich in unsere Leiden gefunden hat, und wie ein Dämon oder wie ein Affe über die Armseligkeiten dieser menschlichen Gattung lacht, mit welcher er nichts gemein hat. Der größte Dichter seiner Zeit, der Verfasser von Alzire, Tancred, Merope, Zaire und Brutus, verkannte in dieser Schrift alle moralischen Größen, die er so würdig gepriesen hatte.

Wenn Voltaire, als tragischer Dichter, in der Rolle eines Anderen dachte und fühlte, dann war er bewundernswürdig; wenn er aber in seiner eigenen blieb, so war er nur Spötter und Zyniker. Dieselbe Beweglichkeit, die ihn den Charakter der Personen annehmen ließ, welche er mahlen wollte, hat ihm nur allzugut die Sprache eingehaucht, die ihm in gewissen Augenblicken zukam. Candide setzt diese spöttische Philosophie, die dem Anscheine nach so nachsichtig, dem Wesen nach hingegen so grausam ist, in Thätigkeit; er stellt die menschliche Natur unter dem bejammernswerthesten Anblick dar, und läßt uns zu unserem Troste nichts übrig, als das sardonische Lächeln, das uns von dem Mitleid gegen Andere losspricht, indem es uns vermag, für uns selbst darauf Verzicht zu leisten.

In Folge dieses Systemes legt Voltaire in seiner Universal-Geschichte es darauf an, die tugendhaften Handlungen, wie die größten Verbrechen, zufälligen Ereignissen zuzuschreiben, welche jenen das Verdienst, diesen das Unrecht nehmen. In der [41] That, wenn in der Seele nichts weiter vorgeht, als was die Sensationen darein niedergelegt haben: so kann man auf Erden nur zwei Dinge für recht und dauerhaft halten, die Stärke und das Wohlbehagen, dieTactik und die Gastronomie; aber wenn man dem Geiste, wie die moderne Philosophie ihn gebildet hat, noch einige Gnade widerfahren läßt: so wird man sich bald zu dem Wunsche genötigt sehen, daß noch ein klein wenig exaltirte Natur zum Vorschein trete, damit doch etwas da sey, woran man sich üben könne.

Die Stoiker haben oft wiederholt, daß man allen Schlägen des Schicksals trotzen und sich nur mit dem beschäftigen müsse, was von unserer Seele, unseren Gefühlen und unseren Gedanken abhängt. Die Sensationen-Philosophie würde zu einem ganz entgegengesetzten Resultate gelangen; denn gerade von unseren Gefühlen und Gedanken würde sie uns loszureißen suchen, um alle unsere Bemühungen einem materiellen Wohlseyn zuzuwenden. Sie würde zu uns sagen: Haltet fest an dem gegenwärtigen Augenblick, betrachtet das , was aus dem Umkreis der Freuden oder Geschäfte dieser Welt heraustritt, als Schimäre, und bringt dies kurze Leben so gut hin, als ihr könnt, indem ihr für eure Gesundheit sorgt, welche die Grundlage eures Glücks ist. – Zu allen Zeiten hat man diese Maximen gekannt, aber man glaubte, sie wäre für die Bedienten im Lustspiel da, bis man sie in unseren Tagen zu einer Vernunftlehre gemacht hat, die sich auf Nothwendigkeit stützt; zu einer Lehre, die sich sehr wesentlich von der religiösen Ergebung unterscheidet, indem jene eben so gemein und pöbelhaft, als diese edel und erhaben ist. [42]

Das Sonderbarste ist, daß man aus einer so gemeinen Philosophie die Theorie der Eleganz hat ableiten wollen. Unsere arme Natur ist nicht selten selbstisch und gemein; man muß darüber trauren. Sich dessen rühmen, ist neu. Gleichgültigkeit und Abschätzigkeit gegen erhabene Dinge sind der Typus der Anmuth geworden, und die Spöttereien haben sich gegen das lebendige Interesse gerichtet, das man an allem finden kann, was in dieser Welt kein positives Resultat giebt.

Die Metaphysik, welche alle unsere Ideen auf unsere Sensationen zurückführt, ist das erklügelte Princip der Leichtfertigkeit des Herzens und des Geistes; denn von außen her kommt uns nur Oberflächliches, und das ernste Leben ist im Innern der Seele. Führte jene materialistische Schicksalslehre, als Theorie des menschlichen Geistes, eben so zum Eckel gegen alles Aeußere, wie sie zum Unglauben in Beziehung auf alles Innere führt, dann würde in diesem System noch ein gewisser Adel, eine orientalische Indolenz enthalten seyn, die nicht alle Größe ausschließt; und griechische Philosophen haben das Mittel gefunden, in die Apathie sogar Würde zu bringen. Allein die Herrschaft der Sensationen hat, indem sie stufenweis das Gefühl schwächte, die Thätigkeit des persönlichen Vortheils bestehen lassen, und diese Triebfeder ist um so mächtiger geworden, je mehr die übrigen zerbrochen sind.

Zu dem Unglauben des Geistes, zu der Selbstheit des Herzens muß man noch die Lehre vom Gewissen hinzufügen, welche Helvetius entwickelte, als er behauptete, die tugendhaften Handlungen hätten in sich den Zweck, die physischen Genüsse zu erwerben, deren man hienieden theilhaftig werden [43] kann. Entstanden ist hieraus, daß man die Opfer, welche der idealen Verehrung irgend einer Meinung oder irgend eines Gefühls dargebracht werden können, als eine Art von Einfältigkeit betrachtet hat; und da den Menschen nichts so furchtbar scheint, als für Betrogene gehalten zu werden, so haben sie sich beeilt, jeden Enthusiasmus, welcher unglücklich abläuft, lächerlich zu machen. Denn die, welche den Erfolg auf ihrer Seite hatten, entgingen der Verspottung, indem das Glück bei den Materialisten immer Recht hat.

Die dogmatische Ungläubigkeit, d. h. diejenige, welche alles, was nicht durch die Sensationen bewiesen ist, zweifelhaft macht, ist die Quelle der großen Ironie des Menschen gegen sich selbst; alle moralische Herabwürdigung rührt von ihr her. Diese Philosophie muß unstreitig mehr als die Wirkung, denn als die Ursache der gegenwärtigen Richtung aller Geister betrachtet werden, gleichwol giebt es ein Uebel, das sie allein hervorgebracht hat: sie hat nehmlich der Fahrlässigkeit des Leichtsinns den Anstrich eines überlegten Raisonnements gegeben. Sie gewährt dem Egoismus scheinbare Argumente, und stellt die alleredelsten Gefühle in das Licht einer zufälligen Krankheit, von welcher äußerliche Umstände die einzige Ursache sind.

Es ist also nicht unwichtig, zu untersuchen, ob die Nation, welche sich standhaft gegen eine Metaphysik gesträubt hat, die zu solchen Folgerungen führte, nicht Recht hatte, sowohl im Princip, als auch in der Anwendung, die sie von diesem Princip auf die Entwickelung der geistigen Vermögen und auf das moralische Betragen gemacht hat.