BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. II. Abtheilung.

 

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[215]

Sieben und zwanzigstes Capitel.

 

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Von der Declamation.

 

Da die dramatische Kunst kein bestehendes Werk hinzustellen vermag und nur in der Erinnerung Spuren hinterläßt, hat man wenig über das, worin sie besteht, nachgedacht. Nichts ist leichter als diese Kunst in ihrer Mittelmäßigkeit auszuüben, aber nicht mit Unrecht erzeugt sie in ihrer Vollendung solchen Enthusiasmus für sich, und weit entfernt, diese ihre Wirkung als eine flüchtige herabsetzen zu wollen, glaube ich vielmehr, daß sich gerechte Gründe, worauf sie beruht, nachweisen ließen. Selten vermag man im Leben, das innere Geheimniß des Menschen zu durchdringen. Die Falschheit und der Schein, die Kälte und die Bescheidenheit verändern, übertreiben, unterdrücken oder verschleiern, was im Grunde des Herzens vorgeht. Ein großer Künstler ruft die Merkmale der Wahrheit in Gefühlen und Charakteren hervor und bietet uns untrügliche Zeichen der wirklichen Regungen und Affecte dar. So viele von uns gehen durch das Leben, ohne von den Leidenschaften und ihrer Gewalt nur eine Ahnung zu haben, daß oft die Bühne dem Menschen zu einer Offenbarung seiner selbst wird, die ihn vor den Stürmen der Seele mit religiöser Furcht erfüllt. Und in der That, welche Worte vermöchten diese zu schildern, wie ein Ton, eine Bewegung, ein Blick! – Die Worte drücken weniger aus als der Ton, der Ton selbst weniger als das Mienenspiel, und eben das nicht Auszusprechende ist es, das uns ein genialischer Schauspieler erkennen läßt. [216]

Dieselben Verschiedenheiten, die zwischen der deutschen Tragödie und der französischen obwalten, finden auch in ihrem dramatischen Vortrage statt. Die Deutschen halten sich aus allen Kräften an die Natur. Sie sind nur in ihrem Streben nach Einfachheit gesucht, und dieses kann auch wohl in den schönen Künsten zu einer Künstelei ausarten. Die deutschen Schauspieler greifen tief in das Herz des Zuschauers, oder sie lassen ihn ganz kalt. Sie bauen dann mit Zuversicht auf seine Geduld. Die Engländer haben mehr Majestät als sie im Vortrag der Verse, und sind doch von der gehaltenen Pracht entfernt, die bei den Franzosen die Tragödie von dem Künstler erfodert. Unsere Art verträgt das Mittelmäßige nicht, und man kommt in der Darstellung der französischen Tragödie nur durch die Vollendung der Kunst zur Natur zurück. In Deutschland sind die Schauspieler vom zweiten Range ohne Wärme und Bewegung, sie verfehlen oft die tragische Wirkung, aber sie werden fast nie lächerlich. Es geht in Deutschland auf der Bühne wie in der Gesellschaft zu; da sind Leute, die bisweilen langweilig werden, aber es hat dabei sein Bewenden. Auf der französischen Bühne aber werden uns die, die uns nicht rühren, völlig unerträglich. Durch solchen mißtönigen Wortschwall wird uns die Tragödie dergestalt zum Eckel, daß die pöbelmäßigste Parodie dieser erkünstelten Abgeschmacktheit vorgezogen werden muß.

Die Beihülfen der dramatischen Kunst, die Maschinerien und Dekorationen, erfodern in Deutschland mehr Sorgfalt als in Frankreich, da sie die Tragödie öfters in Anspruch nimmt. In Berlin hat Iffland alles zu leisten gewußt, was man in dieser Hinsicht wünschen kann; in Wien aber wird selbst das Nothdürftigste der Vorstellung vernachlässigt. [217] Die französischen Schauspieler üben ungleich mehr ihr Gedächtniß als die teutschen. In Wien mußte der Soufleur den mehrsten Schauspielern, jegliches Wort ihrer Rolle vorsagen, und ich habe ihn hinter den Coulissen den Othello nach dem Hintergrunde des Theaters zu verfolgen sehen, um ihm die Verse einzugeben, die er beim Morde Desdemonas herzusagen hat.

Die Einrichtung des Theaters zu Weimar ist unter allen Rücksichten weit vorzüglicher. Da haben ein geistreicher Fürst und ein Mann von Genie Kunst, Geschmack und Schönheitssinn mit der Kühnheit zu vermählen gewußt, die jedes neue Streben gewähren läßt.

In Weimar, wie überall in Teutschland, spielen dieselben Schauspieler tragische und komische Rollen. Man meint, daß diese Vielseitigkeit sie hindere, in einer Art das Außerordentliche zu leisten, aber die ersten Genien der Bühne, Garrik und Talma haben beides vereinigt. Die Beweglichkeit der Organe, die mit gleichem Erfolg das Verschiedenartige darzustellen vermag, scheint mir der Stempel des natürlichen Talents zu seyn, und in der Dichtung, wie in der Wahrheit, entspringen vielleicht der Ernst und der Scherz aus demselben Quell. Beide übrigens wechseln und vermählen sich so vielfach in den teutschen Tragödien, daß nothwendig der Künstler zu beiden Talent haben muß, und der erste Schauspieler Teutschlands, Iffland, bietet davon mit verdientem Beifall ein Beispiel dar. Ich habe in Teutschland keine Schauspieler gesehen, die im edlen komischen, im französischen Sinne, gut gewesen wären. Was unseren Marquis und ähnlichen Rollen Anmuth verleiht, ist, was die Italiener la disinvoltura nennen, und dieser zwanglosen Leichtigkeit widersteht eben die [218] Gewohnheit der Teutschen, alles mit Ernst und Gewicht zu behandeln. Es können aber die Originalität, die Laune und die Kunst, Charaktere zu schildern, nicht weiter gebracht werden, als es Iffland in seinen Darstellungen thut. Ich glaube nicht, daß wir je auf der französischen Bühne einen so überraschenden, vielgestaltigen Künstler gesehen hätten, der mit gleichem Ausdruck natürliche Fehler und Lächerlichkeiten zu schildern gewagt hätte. Die Comödie hat feststehende Muster von geizigen Vätern, liederlichen Söhnen, verschmitzten Bedienten, hintergangenen Vormündern. Ifflands Rollen, wie er sie faßt, können sich keinem dieser Muster anfügen, man muß sie alle bei Namen nennen, denn es sind wirkliche Individuen, und in jeder noch so verschiedenen Eigenthümlichkeit scheint der Künstler, ganz einheimisch geworden, sich frei wie in der eigenen zu bewegen.

Auch in der Tragödie finde ich sein Spiel von großer Wirkung. Seine Ruhe und Einfachheit im Vortrag der schönen Rolle Wallensteins prägen sich tief dem Gedächtniß ein. Stufenweise steigert sich mehr und mehr der Eindruck, man zweifelt Anfangs, daß seine anscheinende Kälte je in die Seele werde greifen können; aber im Fortgange wächst die Bewegung mit immer stärkerem Schritte, und gewaltig erschüttert jedes Wort, da im Ganzen eine edle Ruhe herrscht, die jeden Ton hervor hebt, ohne die Hauptfarbe des Charakters mitten unter den Leidenschaften zu zerstören.

Iffland, Meister in der Theorie, wie in der Ausübung, hat über dramatische Kunst mehrere ausgezeichnet geistreiche Schriften herausgegeben. Er fängt mit einer Skizze der verschiedenen Epochen des teutschen Theaters an; die frostige und steife Nachahmung der französischen Bühne, [219] die weinerliche Empfindsamkeit der Schauspiele, deren prosaische Natürlichkeit bis auf die Kunst Verse zu sprechen in Vergessenheit gebracht hatte; die Rückkehr endlich zu der Poesie und zu der Phantasie, die jetzt den deutschen Geschmack allgemein bezeichnen. Von jedem Ton, von jeder Bewegung, weiß Iffland als Denker und Künstler Rechenschaft abzulegen.

Eine Rolle aus einem seiner Stücke giebt ihm zu den scharfsinnigsten Bemerkungen über komische Darstellung Anlaß. Es ist die Rolle eines bejahrten Mannes, der mit einemmal seine bisherige Denkungsart und Gewohnheiten verläßt, um die Meinungen und das Costum der neuen Generation anzunehmen. Dieser Mann hat kein böses Gemüth, aber die Eitelkeit verleitet ihn so weit, als Verderbtheit es vermocht hätte. Er hat seine Tochter eine vernünftige, aber glanzlose Heirath schließen lassen. Nun giebt er ihr den Rath, sich scheiden zu lassen. Ein Spatzierstöckchen in der Hand, mit zierlichem Lächeln sich abwechselnd auf einem Fuße wiegend, macht er seinem Kinde den Vorschlag, die heiligsten Bande zu zerreissen. Was vom Alter durch diese erzwungene Zierlichkeit durchscheinet, was dieser angenommene Leichtsinn unbehülfliches hat, weiß Iffland mit bewunderungswürdigem Scharfsinn heraus zu heben.

Bei Gelegenheit der Rolle Franz Moors in den Räubern von Schiller untersucht Iffland, wie Bösewichter darzustellen sind. Er will, daß der Künstler sich bestrebt, die einwirkenden Ursachen darzuthun, die den Charakter zu einem solchen gebildet und die Umstände die ihn verderbt haben. Er soll gleichsam der gerichtliche Vertheidiger desjenigen seyn, den er darstellt und es giebt in der That keine Wahrheit, selbst in der vollendeten [220] Verderbtheit, als durch jene Abstufungen, die uns erinnern, daß der Mensch nur allmählig zum Schlechten ausarten kann.

Iffland erinnert auch an die wunderbare Macht, mit der Eckhoff in Emilia Galotti zu erschüttern wußte; als Odoardo von der Buhlerin des Fürsten erfährt, daß die Ehre seiner Tochter bedroht wird, will er dieser Frau, die er nicht achtet, den Zorn und den Schmerz verhehlen, die sie in seiner Seele erweckt hat, da rupften, ihm selbst unbemerkt, seine Hände mit krampfhafter Bewegung an den Federn, die er am Hute trug, und die Wirkung war furchtbar. Nach ihm haben die Schauspieler diese Federn auszuraufen nicht vergessen, aber sie sind stets unbeachtet zur Erde gefallen, denn es regte sich wirklich nicht im Herzen, was den geringsten Bewegungen jene göttliche Wahrheit einprägen kann, die den Zuschauer erheitert. – Ifflands Theorie von den Gebehrden ist äußerst sinnreich. Er spottet über jene Windmühlenarme, die nur moralische Sprüche zu deklamiren tauglich sind, und meint, daß in der Regel wenige Gesten, und nahe am Leibe die wahren Gefühle besser bezeichnen. Hierin aber, wie in vielem, besteht die Kunst aus zwei sehr verschiedenen Theilen. Diese beruht auf der poetischen Begeisterung, jene auf dem Beobachtungsgeiste. Nachdem das Gedicht, nachdem es die Rolle erheischt, muß die eine oder die andere vorwalten, die Gesten, die die Grazie und das Gefühl des Schönen eingeben, können keinen Charakter eigenthümlich bezeichnen. Die Poesie spricht mehr das Vollkommene aus im Allgemeinen, als eine bestimmte Art zu seyn oder zu empfinden. Demnach besteht in Hinsicht auf Gebehrden die Kunst des tragischen Schauspielers darin, das Bild des poetisch Schönen in seinen Attituden darzustellen, [221] ohne zu vernachlässigen, was die Verschiedenheit der Charaktere bezeichnen kann. – In der Vereinigung des Ideals mit der Natur besteht das ganze Gebiet der Kunst.

Als ich den vier und zwanzigsten Februar von zwei berühmten Dichtern aufführen sah, A. W. Schlegel und Werner, ward ich von der Art ihres Vortrages wunderbar überrascht. Sie holten lange aus, um endlich sicher zu treffen, und man merkte wie unlieb ihnen frühzeitiger Beifall bei den ersten Versen gewesen wäre. Sie hatten immer nur das Ganze im Auge, zu dessen Nachtheil im Einzelnen zu glänzen, sie sich für einen Fehler angerechnet hätten. Schlegel durch sein Spiel eröffnete mir im Wernerschen Stücke das ganze Interesse einer Rolle, die ich beim Lesen fast übersehen hätte. Es war die Unschuld eines Verbrechers, das Elend eines rechtschaffenen Mannes, der im siebenten Jahre seiner Kindheit, bevor er wußte, was Verbrechen sei, ein Verbrechen begangen, und der, im Frieden mit seinem Gewissen, den Aufruhr seiner Phantasie nicht zu stillen vermochte. Ich beurtheilte den Mann, den ich vorstellen sah, wie man im Leben einen Charakter durchdringt, den, ihm unbewußt, Bewegung, Blick und Ton verrathen. In Frankreich scheinen die wenigsten Schauspieler bewußtlos bei dem, was sie thun, vielmehr blickt in allem das Studium durch, und die bezweckte Wirkung läßt sich im Voraus berechnen.

Schröder, dem alle Teutschen Bewunderung zollen, konnte nicht ausstehen, daß man von ihm rühme, er sei in jener Stelle unvergleichlich gewesen, habe jenen Vers meisterhaft gesprochen. – Hab' ich die Rolle gut gespielt? frug er, war ich der, den ich vorstellte? Und in der That schien seine Kunst in jeder neuen Rolle eine andere zu [222] seyn. Man würde es in Frankreich nicht wagen, die Tragödie, wie er es oft that, im gewöhnlichen Gesprächs-Ton vorzutragen. In unsern Alexandrinern ist eine gewisse allgemeine Farbe, eine hergebrachte Betonung Pflicht, und auf dieses Fußgestell, das wie die nothwendige Bedingung der Kunst ist, stützen sich die leidenschaftlichsten Bewegungen. Die französischen Schauspieler trachten in der Regel nach dem Beifall und verdienen ihn fast für jeden Vers. Die deutschen Schauspieler wollen ihn nur am Schlusse des Stückes, und erhalten ihn gewöhnlich erst dann.

Der freiere Wechsel der Bilder und der Situationen in den deutschen Stücken giebt nothwendig einer vielgestaltigeren Kunst der Schauspieler Raum. Das stumme Spiel wird höher angerechnet und die Geduld der Zuschauer gestattet eine Menge Details, wodurch das Pathetische an Natur gewinnt. Die Kunst eines französischen Schauspielers besteht fast einzig im Vortrag der Verse. – Zu dieser Hauptkunst kommen in Deutschland mehr Nebenzweige hinzu und das Wort ist oft kaum nöthig, um zu rühren.

Als Schröder, in der deutschen Uebersetzung des König Lear, schlafend auf die Bühne gebracht ward, soll dieser Schlaf des Unglückes und des Alters schon Thränen erpreßt haben, und noch war er nicht erwacht, noch hatten nicht seine Klagen seine Schmerzen kund gegeben. Als er aber die Leiche Cordelias, seiner jungen Tochter, die ermordet worden, weil sie ihn nicht verlassen wollte, in seinen Armen trug, nichts soll herrlicher gewesen seyn, als die Kraft, die ihm die Verzweiflung gab. Ein leichter Zweifel hielt ihn noch empor. Er versuchte, ob Cordelia noch athme. – Er, der Greis, konnte sich nicht überzeugen, daß ein so junges [223] Leben dahin sey, zerreißend wirkte das Bild des leidenschaftlichen Schmerzes in einem halb erstorbenen Alter. Was man mit Recht den deutschen Schauspielern allgemein vorwerfen kann, ist, daß sie die in ihrem Lande so sehr verbreitete Kenntniß der bildenden Künste in der Ausübung ihrer eigenen Kunst selten darthun. Sie sind in ihren Attitüden nichts weniger als schön, sie erscheinen oft in ihrer übertriebenen Einfachheit linkisch, und selten kommen sie den französischen Schauspielern gleich in Hinsicht auf Adel und Zierlichkeit des Ganges und der Bewegungen. Doch haben seit ewiger Zeit die deutschen. Schauspielerinnen angefangen, die Kunst der Attituden zu studiren, und sich in jener Anmuth zu vervollkommnen, die auf der Bühne so nothwendig ist.

In Deutschland wird nur am Schlusse eines Aktes Beifall geklatscht, und sehr selten unterbricht man einen Schauspieler, um ihm die Bewunderung die er einflößt, zu bezeugen. Die Deutschen halten es für eine Art Barbarei, durch laute tumultuarische Aeußerungen die Rührung zu stören, die in der Stille zu hegen ihnen lieb ist. Aber es ist für den Schauspieler eine Schwierigkeit mehr. Denn kräftig fürwahr muß die Kunst seyn, die der Ermunterung des Zuschauers entbehren kann. In dieser Kunst, die ganz Gefühl ist, zuckt allmählig aus der versammelten Menge ein begeisternder elektrischer Funken, für den es keinen Ersatz giebt. Die große Gewohnheit des Theaters kann bewirken, daß, bei wiederholter Vorstellung eines Stücks, ein guter Schauspieler ohne neuen Antrieb, schon betretene Spuren wiederfinde, und dieselben Mittel wieder gebrauche, aber die erste Begeisterung hat er fast immer vom Parterre erhalten. Ein auffallender Gegensatz verdient bemerkt zu werden. In [224] den schönen Künsten, deren Schöpfungen in der Einsamkeit und durch Nachdenken reifen, weicht man von aller Natur ab, sobald man auf das Publikum Rücksicht nimmt, und nur die Eigenliebe denkt daran, aber in den extemporirten schönen Künsten, in der dramatischen Kunst besonders, wirkt der rauschende Beifall auf die Seele wie Kriegsmusik; dieser berauschende Lärm beschleuniget das Blut in den Adern, und nicht die frostige Eitelkeit ist es, die er befriedigt.

Tritt in Frankreich ein Mann von Genie auf, in welcher Laufbahn es auch sei, so gelangt er fast immer darinnen zu einem noch unerreichten Punkt der Vollendung; denn er muß mit der Kühnheit, die die Schranken der Gewöhnlichkeit durchbricht, den Takt des guten Geschmacks verbinden, von dem es so wichtig ist, ihn zu bewahren, wo die Eigenthümlichkeit nicht darunter leidet. So scheint es mir, kann Talma als ein Muster von Kühnheit und Maaß, von Natur und Würde, aufgestellt werden. Er besitzt aller Künste Geheimnisse. Seine Attituden erinnern an die schönen Statuen des Alterthums, sein Gewand, woran er nicht denkt, fällt bei jeder seiner Bewegungen in so kunstreiche Falten, als hätte er sie mit langem Bedacht gewählt. Der Ausdruck seiner Züge und seines Blickes müssen das Studium aller Mahler seyn. Er tritt zuweilen mit halb offenen Augen auf, und plötzlich läßt die Empfindung sie mit einem Lichte strahlen, das das ganze Haus zu erfüllen scheint.

Hebt er zu sprechen an, so erschüttert der Klang seiner Stimme noch bevor die Worte die er ausspricht, in die Seele gedrungen; Wo sich zufällig in den Tragödien beschreibende Verse befinden, läßt er ihre Schönheit fühlen, als rezitirte Pindar selbst seine Gesänge. Andere brauchen Zeit, [225] um Rührung hervorzubringen, und sie haben Recht, sie sich zu nehmen, aber in der Stimme dieses Mannes liegt, ich weiß nicht welch ein Zauber, der beim ersten Laut alle Sympathie des Herzens erweckt. Alle Gewalt der Tonkunst, der Malerei, der Bildhauerei und der Dichtkunst, und darüber noch die ganze Sprache der Seele, das sind seine Mittel, um in uns die ganze Macht erhabener Leidenschaften und des Schreckens aufzurufen.

Welch eine Kenntniß des menschlichen Herzens entfaltet er in der Art seine Rollen zu erfassen; er wird zum zweitenmal durch Ton und Mienenspiel zu ihrem Schöpfer. Als Oedipus der Iocaste erzählt, wie er den Lajus, den er nicht kannte, getödtet, hebt er mit den Worten an: «Ich war jung und stolz.» Die mehrsten Schauspieler vor ihm glaubten dieses stolz spielen zu müssen, und erhoben, indem sie es aussprachen, das Haupt. Talma, der es wohl fühlt, daß alle Erinnerungen des stolzen Oedipus sich ihm bereits in Gewissensangst verkehren, spricht mit schüchterner Stimme diese Worte aus, die ein schon gebrochenes Selbstgefühl ausdrücken. Phorbas kommt von Corinth zu der Zeit an, wo in dem Könige eine furchtbare Ahndung von seiner Geburt aufsteigt, er begehrt eine geheime Unterredung mit ihm. Andere Schauspieler vor Talma wandten sich schnell zu ihrem Gefolge, das sie mit einem Herrscherwink entfernten. Talma behält den starren Blick auf Phorbas geheftet, er kann ihn nicht aus dem Auge verlieren, und seine Hand nur heißt mit einer Bewegung die Umstehenden sich zurücke ziehen. Noch hat er nicht gesprochen, aber seine irren Gebehrden verrathen den Kampf seiner Seele, und wann er im letzten Aufzug Iocasta mit dem Ausruf verläßt:

 

Ja, Lajus ist dein Vater und ich bin dein Sohn! [225]

 

so wähnt man den Tartarus sich öffnen zu sehen, zu dem das Unheilfrohe Schicksal die Sterblichen hinabreißt.

In Andromache, als Hermione außer Sinnen den Orestes beschuldigt, den Pyrrhus meuchlings, ohne ihre Beistimmung, gemordet zu haben, antwortet Orestes:

 

Befahlst du nicht

Du selbst an diesem Ort mir seinen Tod?

 

Lekain soll bei diesen Versen auf jede Sylbe Nachdruck gelegt haben, als wolle er Hermionen alle Umstände des von ihr erhaltenen Befehles zurückrufen. Dies gienge bei einem Richter an, bei der Frau aber, die man liebt, muß der Schmerz, sie ungerecht und grausam zu finden, das Einzige seyn, was die Seele erfüllt, und so faßt es Talma; ein Schrei löset sich aus Orestes Herz, er spricht die ersten Worte mit Kraft, die folgenden mit zunehmender Ermattung; seine Arme sinken, die Blässe des Todes überzieht schnell sein Gesicht, und in dem Maaße seiner Entkräftung nimmt die Rührung zu in den Seelen der Zuschauer.

Die Weise, wie Talma den folgenden Monolog vorträgt, ist wunderbar schön. Bei den Worten:

 

Ungern ermord' ich den verehrten Fürsten,

 

flößt die Art Tugend, die in die Seele Orests zurückkehrt, um sie zu zerreißen, ein Mitleid ein, das selbst der genialische Dichter nicht ganz voraus berechnen konnte. Fast alle großen Schauspieler haben sich an Orestes Wahnsinn versucht, hier ist es aber besonders, wo der Adel des Gebehrden- und Mienenspiels zu der Wirkung der Verzweifelung vieles hinzufügt, desto furchtbarer ist die Macht des Schmerzes, wenn sie sich selbst in der Ruhe und Würde einer schönen Natur offenbart. [227]

In den Stücken, deren Stoff aus der römischen Geschichte entlehnt ist, entfaltet Talma ein ganz verschiedenartiges und nicht minder hervorstechendes Talent. Man versteht den Tacitus besser, wenn man ihn in der Rolle des Nero gesehen bat. Er zeigt darin den erstaunlichen Scharfsinn seines Geistes; denn nur durch Geist vermag ein rechtschaffener Mann die Symptome der Verderbtheit zu fassen. Dennoch scheint er mir in den Rollen, bei denen man gerne den von ihm ausgedrückten Empfindungen sich hingeben mag, eine noch größere Wirkung hervorzubringen. Er hat zuerst du Belloy's Bayard den Dienst erzeigt, ihn nicht wie einen Großthuer zu nehmen, wie es die andern Schauspieler thun zu müssen glaubten, und Dank sey es Talma, dieser aufschneiderische Held ist wieder in der Tragödie schlicht und einfach, wie in der Geschichte, geworden. In dieser Rolle erinnert Talma durch sein Kostüm und durch seine einfachen und gesammelten Gebehrden an die Ritter-Statuen, die man in den alten Kirchen sieht, und man erstaunt, daß ein Mann, der das Gefühl der antiken Kunst in so hohem Grade besitzt, sich auch in den Charakter des Mittelalters zu versetzen wisse.

Talma spielt manchmal in einer Tragödie arabischen Stoffes von Dücis, in Abuffar, die Rolle des Pharan. Viele entzückende Verse verbreiten über diese Tragödie einen großen Reiz. Die Farben des Orients, die träumende Schwermuth des südlichen Asiens, das Düstere eines Himmelstriches, wo die Sonne die Natur verzehrt, anstatt sie zu verschönern, blicken auf eine bewunderungswürdige Weise aus diesem Gedichte hervor. Derselbe Talma, Grieche, Römer. Ritter, ist ein Araber der Wüste, voller Kraft und Liebe. Wie gegen die Glut [228] der Sonnenstrahlen ist sein Blick verschleiert, in seinen Gebehrden wechseln zum Erstaunen Trägheit und Ungestüm. Bald drückt ihn das Schicksal nieder, bald sieht man ihn mächtiger als die Natur selbst, über die er zu triumphiren scheint. Verschlossen trägt er in seinem Busen die Leidenschaft, die ihn verzehrt, und deren Gegenstand ein Weib ist, die er für seine Schwester hält. Sein unsicherer Gang läßt denken, daß er sich selber zu entfliehen sucht. Seine Augen wenden sich von der Geliebten ab, seine Hände stoßen das Bild zurück, das stets ihm vorschwebt, und wenn er endlich Salena an sein Herz drückt mit dem bloßen Wort «mich friert» so drückt er zugleich den Schauder der Seele und die verzehrende Glut aus, die er verhehlen will.

Man kann in den Stücken Shakespears, wie sie Dücis für unsere Bühne bearbeitet hat, viele Fehler rügen: doch müßte man sehr ungerecht seyn, um nicht auch darinnen die größten Schönheiten anzuerkennen. In seinem Herzen trägt Dücis sein dichterisches Genie, und da ist es am guten Ort. Talma spielt seine Stücke als ein Freund des schönen Talentes dieses würdigen Greises. Im französischen Macbeth wird die Hexenscene bloß erzählt; man muß Talma sehen, wie er das Gemeine und Bizarre zugleich in den Reden der Hexen nachzuahmen sucht und dennoch bei dieser Nachahmung die ganze Würde, die unsre Bühne heischt, behauptet.

 

Es riefen wechselnd sich, bezeugten sich

Ihr Wohlgefallen diese Ungeheuer

Mit unverstandnen Lauten. An den Mund

Geheimnißvoll den Finger drückend, traten

Sie näher, deuteten auf mich und lachten

So grimmig wild. Ich redete sie an –

Sie wichen in die Finsterniß zurück.

Ein Zepter trug die Eine, einen Dolch [229]

Die Andre, giftgeschwollen schlang in Kreisen

Sich eine Natter in der Dritten Hand.

Und diesen Hallen zu in schnellem Flug

Entrückt sie, durch die Luft, ertönte noch

Der Gruß mir von den Scheidenden, du wirst

Die Krone tragen!

 

Die leise geheimnißvolle Stimme, mit der der Künstler diese Verse aussprach, seine Art, den Finger an den Mund zu legen, wie die Bildsäule des Stillschweigens; sein Blick, der bei einer grauenvollen Erinnerung sich veränderte; alles mußte zu der Schilderung einer Gattung des Wunderbaren beitragen, die auf unserer Bühne neu war, und von der keine Ueberlieferung einen Begriff geben konnte.

Othello hat jüngst auf unserer Bühne kein Glück gemacht. Es scheint, als ob Orosman den Othello gut zu verstehen hindere. Aber wenn Talma dieses Stück spielt, so ergreift der fünfte Aufzug eben so sehr, als geschähe der Mord vor unseren Augen. Ich habe Talma die letzte Scene mit seiner Frau, deren Stimme und Figur so gut für die Rolle Desdemona's passen, in einem Zimmer spielen sehen. Er strich nur die Hand über sein Haar, und zog die Stirne in Falten – der Mohr stand da, und zwei Schritt von ihm erfaßte ein Schrecken die Seele, als hätten ihn alle Blendwerke der Schaubühne umringt.

Hamlet ist unter den Tragödien fremder Gattung sein Triumph. Auf der französischen Bühne sieht der Zuschauer den Geist des alten Königes nicht, die ganze Erscheinung geht auf Talmas Gesichte vor, und wahrlich sie ist also nicht minder furchtbar. Als mitten in einem ruhigen und düsteren Gespräch er plötzlich den Geist gewahr wird, verfolgt man dessen Bewegungen alle in den Augen die ihn anstarren, und man bezweifelt die Gegenwart [230] eines Gespenstes nicht, wenn sie ein solcher Blick bezeugt.

Im dritten Act, als Hamlet allein auftritt, und in schönen französischen Versen das berühmte Monolog to be or not to be spricht:

 

«Sterben – Schlafen

Schlafen – vielleicht auch träumen – ja da liegts;

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,

Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,

Das zwingt uns still zu stehn, das ist die Rücksicht

Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.»

 

Talma machte nicht eine Bewegung, er schüttelte nur bisweilen den Kopf, um Erde und Himmel über den Tod zu befragen. Der Ernst der Betrachtung nahm sein ganzes Wesen in Anspruch und sein Körper war regungslos; man sah in der Mitte einer schweigenden Menge einen Menschen das Denken über das Loos der Sterblichen befragen, – von den dort Versammelten werden in wenigen Jahren keine mehr am Leben seyn, aber andere an ihrer Stelle werden in denselben Zweifeln schwanken und wie sie in den unergründeten Abgrund tauchen.

Als Hamlet seiner Mutter zumuthet, bei der dargehaltenen Urne, welche die Asche ihres Gemahls in sich schließt, zu schwören, sie sey an dessen Tod unschuldig: so schwankt sie, verwirrt sich, und gesteht endlich das Verbrechen, dessen sie sich bewußt ist. Dann zückt Hamlet den Dolch, den sein Vater ihm befiehlt, in die Mutterbrust zu tauchen; im Begriff aber zuzustoßen, siegen Zärtlichkeit und Mitleid. Er wendet sich gegen den Geist seines Vaters und ruft aus: «Gnade! Gnade! mein Vater.» Aus dem Herzen drängen sich in dem Laut alle Regungen der Natur, und sich der ohnmächtigen Mutter zu Füßen werfend, [231] sagt er ihr die zwei Verse, unerschöpflichen Mitleids voll.

 

«Die That ist furchtbar, scheußlich, unerhört

Doch übersteigt sie nicht des Himmels Huld.»

 

Man kann endlich nicht Talma nennen, ohne an Manlius erinnert zu werden. Dieses Stück machte auf dem Theater wenig Glück, der Stoff ist der des geretteten Venedigs von Otway, in die römische Geschichte übertragen. Manlius verschwört gegen den römischen Senat, er eröffnet sein Geheimniß Servilius, den er seit fünfzehn Jahren liebt. Er eröffnet es ihm, des Mißtrauens seiner anderen Freunde ungeachtet, die Manlius Schwachheit und seine Liebe zu seiner Gattin, der Tochter des Consuls, fürchten. Der Erfolg rechtfertiget ihren Verdacht. Manlius kann seiner Frau nicht verhehlen, daß das Leben ihres Vaters bedroht wird, und sie eilet, es ihm zu offenbaren. Manlius wird verhaftet, seine Anschläge entdeckt, und der Senat verdammt ihn, von dem tarpejischen Felsen gestürzt zu werden. Man hatte wohl kaum vor Talma in diesem schwach versifizirten Stück die leidenschaftliche Freundschaft von Manlius zu Servilius wahrgenommen; als ein Zettel von dem mitverschworenen Rutilius anzeigt, daß das Geheimniß verrathen ist, und durch Servilius verrathen, tritt Manlius auf, diesen Zettel in der Hand, nähert sich seinem strafbaren Freunde, den die Reue schon foltert, und, ihm die Zeilen zeigend, die ihn anklagen, fragt er ihn, «was sagst du dazu?» Ich frage alle die, die diese Worte von ihm gehört haben, können je Mienen-Spiel und Ton mehr verschiedenartige Regungen zugleich ausdrücken? Diesen Grimm, den eine innere Regung des Mitleids erweicht, diesen Zorn, den die Freundschaft [232] bald erhöht und bald schwächt, wer konnte sie anders verständlich darthun, als der Ton, der unmittelbar, ohne Dazwischenkunft der Worte, aus der Seele in die Seele dringt. Manlius zückt den Dolch, um Servilius zu durchbohren, er sucht sein Herz und zittert es zu treffen. Die Erinnerung so vieler Jahre, während deren er Servilius liebte, zieht wie ein Nebelflor von Thränen zwischen seine Rache und seinen Freund.

Man hat weniger von dem fünften Aufzug gesprochen, und vielleicht ist Talma darin unvergleichlicher noch, als in dem vierten. Servilius hat allem getrotzt, zur Sühne für seine Schuld und um Manlius zu retten. Er hat im tiefsten Herzen beschlossen, das Loos seines Freundes, wenn dieser untergeht, zu theilen. Der Schmerz des Manlius ist durch Servilius Reue gelindert, doch will er ihm nicht gestehen, daß er ihm seinen argen Verrath verzeihe, aber verstohlen ergreift er seine Hand und nähert sie seinem Herzen, unwillkührlich suchen seine Bewegungen den strafbaren Freund, den er noch vor dem letzten Scheiden umarmen will. Wenig, fast nichts, im Gedichte konnte diese ausnehmende Schönheit einer liebenden Seele andeuten, der eine langgenährte Liebe noch heilig ist, nachdem Verrath sie zertrümmert hat. – Die Rollen Pedro's und Jaffieri's im englischen Stücke deuten diese Situation mit großer Kraft an. Unsrer französischen Tragödie weiß Talma die Kraft, die ihr abgeht, zu geben, und nichts macht seiner Kunst mehr Ehre, als die Wahrheit, mit der er das Unüberwindliche in der Freundschaft ausdrückt. Wo Leidenschaft geliebt, kann Leidenschaft hassen, aber wo die heilige Uebereinstimmung der Seelen das Band geknüpft hat, scheint selbst Frevel es nicht vernichten zu können, und man erwartet die [233] Reue, wie nach einer langen Abwesenheit die Rückkehr.

Indem ich von Talma mit einiger Ausführlichkeit gesprochen, glaube ich nicht, mich bei einem diesem Werke fremden Gegenstande verweilt zu haben. Dieser Künstler theilt im möglichsten Maße, der französischen Tragödie mit, wovon, sey es mit Recht oder mit Unrecht, die Deutschen ihr vorwerfen, daß es ihr mangle, nämlich Eigenthümlichkeit und Natur. Er weiß in den verschiedenen Stücken, worin er spielt, fremde Sitten-Characteristik darzustellen, und kein Schauspieler hat je durch einfachere Mittel gewaltiger zu wirken sich erkühnt. In seiner Deklamation sind Shakespeare und Racine künstlerisch verbunden, warum sollten nicht auch die dramatischen Dichter versuchen, in ihren Dichtungen zu vereinen, was dem darstellenden Künstler in seinem Spiele zu verschmelzen so vortrefflich glückte?