BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. I. Abtheilung.

 

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Drei und zwanzigstes Capitel.

 

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Faust.

 

Unter den gemeinen Puppenspielen giebt es eines: Doctor Faust betitelt, welches von jeher viel Glück in Deutschland gemacht hat. Vor Göthe hatte schon Lessing sich mit der Bearbeitung des Stoffs beschäftigt. Das Wundermährchen von Doctor Faust beruht auf einer allgemein bekannten Volkslegende. Einige englische Schriftsteller haben gelehrte Werke über den Doctor Faust und sein Leben herausgegeben; sie schreiben ihm die Erfindung der Buchdruckerkunst zu. Seine ausgebreitete Wissenschaft konnte ihn vor der Langweile des Lebens nicht schützen; er versuchte (so erzählt die Legende), um diesem Seelenaussatze zu entgehen, einen Bund mit dem Teufel zu schließen, und der Teufel holte ihn am Ende. Diese wenigen Umstände haben Göthe den Stoff zu dem seltsamen Werke gegeben, welches ich mir zu zergliedern vornehme.

Man darf in diesem Werke weder den Geschmack, noch die Regelmäßigkeit, noch die Kunst suchen, welche auswählt und vollendet; wenn sich aber die Einbildungskraft ein geistiges Chaos eben so denken könnte, wie man oft das materielle Chaos beschrieben hat, so hätte Göthe's Faust das Kind, das Werk dieses geistigen Chaos seyn müssen. Es ist unmöglich, die Keckheit der Gedanken weiter zu treiben, und nach dem Lesen des Faust, oder wenn [133] man auch nur daran denkt, ergreift uns immer eine Art von Schwindel. Der Teufel selbst ist der Held des Stücks; der Verfasser denkt sich ihn aber nicht als ein scheußliches Schreckbild, wie man es den Kindern gewöhnlich vormalt; er hat ihn, wenn ich so sagen darf, zur Quintessenz des Bösen gemacht, in Vergleichung dessen alle Bösen, selbst der Méchant des Gresset, lauter Neulinge, und kaum würdig sind, dem Mephistopheles (so heißt der Teufel, der sich Faust zum Freunde und Begleiter anbietet) die Schuhriemen aufzulösen. Göthe hat sich in diesem zugleich wirklichen und phantastischen Wesen, den bittersten Spott erlaubt, dem der Hohn je Worte lieh, und zugleich eine ergötzliche Keckheit von guter Laune. Es herrscht in den Reden des Mephistopheles eine höllische Ironie, die die gesammte Schöpfung angreift und die Welt als ein schlechtes Buch beurtheilt, zu dessen Recensenten sich der Teufel gemacht hat.

Mephistopheles spottet über den Verstand selbst, und sucht ihn lächerlich zu machen, sobald er uns auffordert, an irgend etwas ernsthaftem Antheil zu nehmen, vorzüglich aber, wenn er uns Vertrauen in unsre eigene Kräfte einflößt. Es ist sonderbar, daß gerade die größte Bosheit und die göttliche Weisheit in diesem Punkt zusammentreffen; daß beide die Leere und die Schwäche von allem, was auf Erden ist, anerkennen; wenn aber jene diese Wahrheit nur deswegen aufstellt, uns das Gute zu verleiden, so thut es diese nur, uns über das Böse zu erheben.

Fände sich in Faust nichts weiter als stechender philosophischer Spott, so würde man diese Gattung von Witz mit dem vergleichen können, der in mehreren Schriften Voltaire's zu Hause ist; so aber liegt in diesem Stücke eine Einbildungskraft [134] von ganz andrer Art zum Grunde. Nicht allein die moralische Welt, wie sie ist, wird darin vernichtet; die Hölle selbst tritt an ihre Statt. Es ist eine Kraft der Zauberei, eine Poesie des bösen Princips, ein Rausch der Verführung, eine Verirrung der Gedanken, worüber man zugleich schaudern, lachen und weinen muß. Man sollte einen Augenblick glauben, die Regierung der Welt sey den Händen des Teufels anvertraut. Man schaudert, weil er unerbittlich ist; man lacht, weil er jede befriedigte Selbstliebe erniedriget und lächerlich macht; man weint, weil die menschliche Natur, aus dem Standpunkt der tiefsten Hölle genommen, ein schmerzhaftes Mitleiden einflößt.

Milton hat seinen Satan größer als den Menschen gemacht. Michel-Angelo und Dante haben dem ihrigen die scheußlichen Züge des Thiers zugleich mit der menschlichen Gesichtsbildung gegeben. Göthe's Mephistopheles ist ein ausgebildeter, gesitteter Teufel. Er läßt ihn mit Kunst den anscheinend leichten Spott handhaben, der sich so gut mit einer tiefen Bosheit verträgt; läßt ihn alles Albernheit oder Ziererei nennen, was Empfindung ist; seine Gesichtszüge sind boshaft, falsch, niedrig-gemein; er ist linkisch, aber nicht blöde; herrisch ohne Stolz, süßlich beim Frauenzimmer, weil er hier allein nöthig hat zu betrügen, um zu verführen; unter verführen, versteht er bloß, der Leidenschaft eines andern behülflich seyn, denn er selbst kann sich nicht einmal stellen, als liebe er. Dieses ist die einzige Verstellung, die ihm unmöglich wird.

Um den Charakter des Mephistopheles entwerfen zu können, muß man eine unerschöpfliche Kenntniß der Gesellschaft, der Natur und des Wunderbaren besitzen. Göthe's Faust drückt auf den [135] Geist, wie der Alp, aber wie ein Alp, der des Geistes Kraft zugleich verdoppelt. Man findet in diesem Stücke die teuflische Offenbarung des Unglaubens, desjenigen Unglaubens, der sich auf alles anwenden läßt, was hier auf Erden für gut gilt. Vielleicht würde diese Offenbarung gefährlich seyn, wenn die Umstände, welche Mephistopheles durch seine schändlichen Absichten herbeiführt, nicht von der Art wären, daß sie gegen seine übermüthige Rede Abscheu erregen, und die tiefe Bosheit aufdecken, die dahinter verborgen liegt.

Faust vereinigt in seinem Charakter alle Schwachheiten der menschlichen Natur, das Streben nach Wissenschaft und die Ermüdung bei der Arbeit, die Nothwendigkeit des Erfolgs und die Sättigung im Vergnügen. Faust ist ein vollkommenes Vorbild des veränderlichen beweglichen Wesens, dessen Gefühle noch ephemerischer sind als das kurze Leben, worüber er sich beschwert. Faust hat mehr Ehrgeiz als Kraft; die Bewegung in seinem Innern empört ihn gegen die Natur, läßt ihn zu Zaubereien greifen, um den harten, aber nothwendigen Bedingnissen zu entgehen, die dem sterblichen Menschen auferlegt sind. Man sieht ihn, wenn der Vorhang aufgerollt wird, mitten unter seinen Büchern, und einer ungeheuern Menge physikalischer Instrumente und chemischer Gläser und Flaschen sitzen. Sein Vater, der sich ebenfalls mit diesen Wissenschaften abgab, hat ihm den Geschmack daran hinterlassen, und ihn an diese Beschäftigung gewöhnt. Eine einzige Lampe beleuchtet das düstere Zimmer. Faust studiert unabläßig die Natur, und vor allem die schwarze Kunst, worin er es schon ziemlich weit gebracht hat.

Itzt ruft er einen Geist der zweiten Classe herbei; der Geist, seinem Befehle gehorsam, erscheint, [136] und giebt ihm den Rath, sich nicht über die Sphäre des menschlichen Verstandes zu erheben.

 

In Lebensfluthen, im Thatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff' ich am hauchenden Webstuhl der Zeit,

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. . . .

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!

 

Der Geist verschwindet, und Faust verfällt in die tiefste Verzweiflung und will sich vergiften.

 

Ich Ebenbild der Gottheit, das sich schon

Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,

Sein selbst genoß, im Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn;

Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fließen

Und, schaffend, Götterleben zu genießen

Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich's büßen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.

Hab' ich die Kraft dich anzuziehn besessen,

So hatt' ich dich zu halten keine Kraft

In jenem sel'gen Augenblicke.

Ich fühlte mich so klein, so groß,

Du stießest grausam mich zurücke,

Ins ungewisse Menschenloos.

Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen innerm Drang?

Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsers Lebens Gang.

Dem herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle. [137]

Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu;

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

Du bebst vor allem, was nicht trift,

Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.

Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich' ich, der den Raub durchwühlt;

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.

Ist es nicht Staub? was diese hohe Wand,

Aus hundert Fächern, mir verenget;

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,

In dieser Mottenwelt mich dränget?

Hier soll ich finden, was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Daß überall die Menschen sich gequält,

Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir hohler Schädel her?

Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,

Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.

Ihr Instrumente freilich, spottet mein,

Mit Rad und Kämmen, Walz' und Bügel.

Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnißvoll am lichten Tag

Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

Das zwingst du ih[r] nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräthe, das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

Weit besser hätt' ich doch mein weniges verpraßt,

Als mit dem wenigen belastet sein zu schwitzen! [138]

Was du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb es, um es zu besitzen.

Was man nicht nützt ist eine schwere Last,

Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle?

Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz umweht.

Ich grüße dich, du einzige Phiole!

Die ich mit Andacht nun herunterhole,

In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Fluthstern ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,

An mich heran! Ich fühle mich bereit

Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,

Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.

Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich die Pforten aufzureißen,

Vor denen jeder gern vorüber schleicht.

Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,

Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,

Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,

In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen

Und, wär' es mit Gefahr ins Nichts dahin zu fließen.

Nun komm herab, krystallne reine Schaale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht.

Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste [139]

Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

Auf einen Zug die Höhlung auszuleeren,

Erinnert mich an manche Jugend-Nacht.

Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen,

Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

Den ich bereitet, den ich wähle,

Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,

Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!

 

Mit diesen Worten setzt Faust die Schaale an den Mund, als in demselben Augenblick die Glocken das Osterfest verkünden, und sich Chöre hören lassen, die in der benachbarten Kirche das hohe Fest begrüßen.

 

Glockenklang und Chorgesang.

Chor der Engel.

Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden.

Faust.

Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,

Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

Des Osterfestes erste Feierstunde?

Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?

Der einst, um Grabes-Nacht, von Engelslippen klang,

Gewißheit einem neuen Bunde.

Chor der Weiber.

Mit Spezereien

Hatten wir ihn gepflegt,

Wir seine Treuen

Hatten ihn hingelegt;

Tücher und Binden

Reinlich umwanden wir,

Ach! und wir finden

Christ nicht mehr hier. [140]

Chor der Engel.

Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die betrübende,

Heilsam' und übende

Prüfung bestanden.

Faust.

Was sucht ihr, mächtig und gelind,

Ihr Himmelstöne mich am Staube?

FIiegt dort umher, wo weiche Menschen sind.

Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag' ich nicht zu streben,

Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß

Auf mich herab, in ernster Sabbathstille;

Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuß;

Ein unbegreiflich holdes Sehnen

Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn

Und unter tausend heißen Thränen,

Fühlt' ich mir eine Welt entstehn.

Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

Der Frühlingsfeyer Glück;

Erinnerung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,

Vom letzten, ernsten Schritt zurück.

O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!

Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!

 

Dieser Augenblick der Entzückung, der Wiederkehr, ist nicht von langer Dauer. Faust hat einen wankelmüthigen Charakter; die weltlichen Leidenschaften siegen. Er sucht sie zu befriedigen, er wünscht sich ihnen hinzugeben; und der Teufel, unter Mephistopheles Gestalt und Namen, kommt zu ihm, verspricht, ihn in Besitz aller sinnlichen und irdischen Genüsse zu setzen. Zu gleicher Zeit aber erweckt er teuflisch in ihm Eckel und Widerwillen vor allen; denn die wahre Bosheit trocknet [141] das Gemüth dergestalt aus, daß zuletzt eine eben so große Gleichgültigkeit gegen die Vergnügungen, als gegen die Tugenden entsteht.

Mephistopheles führt Faust zu einer Hexe, welcher Meerkatzen zu Gebote stehn. Man kann in gewisser Hinsicht diese Scene als eine Parodie der Hexen im Macbeth ansehen. Macbeths Hexen singen mystische Worte, deren seltsame Töne schon die Wirkung der Zauberei hervorbringen; die Hexen in Faust, sprechen ebenfalls ein Kauderwelsch, dessen Assonanzen künstlich in einander verwebt sind; die Worte und Redensarten, deren sie sich bedienen, regen durch Wahl, Bau und Anordnung, die Einbildungskraft zur Lustigkeit auf, und der Dialog dieses Auftritts, der in ungebundener Rede platt-lächerlich wäre, wird drollig, und durch die Poesie gehoben.

Indem man diesen Meerkatzen und ihren comischen Wendungen zuhört, glaubt man zu entdecken, was die Thiere für Ideen haben würden, wenn sie die Gabe hätten, sie in Worten auszudrücken, und was für ein grobes und lächerliches Bild sie sich von der Natur und dem Menschen entwerfen würden.

Es giebt in französischen Schauspielen beinahe kein Beispiel von Witz und munterer Laune, auf das Wunderbare, auf Zauberei, Hexen, Gespenster, Verwandlungen gegründet. Dieses heißt mit der Natur spielen, wie man in der Sittencomödie mit Menschen spielt. Um Gefallen an dieser Gattung von Comik zu finden, muß man sie nicht dem Urtheil der Vernunft unterwerfen; man muß das Vergnügen der Einbildungskraft als ein freies, zweckloses Spiel betrachten. Gleichwohl wird die Entwickelung dieses Spiels durch die gewonnene Zügellosigkeit nicht erleichtert; abgesteckte [142] Gränzen sind oft sichere Stützpunkte; und wer sich, im Fach der Literatur, von gränzenlosen Erfindungen hinreißen läßt, kann nur vom Uebermaaß oder vom Strom seines Talents verdienstliche Resultate und Werke erwarten; mit dem Seltsamen und Bizarren Mittelmäßigkeit verbinden, hieße etwas unausstehlich-verwerfliches liefern.

Mephistopheles führt Faust in Gesellschaften junger Leute von allen Ständen ein, und bemeistert sich, auf mannigfache Weise, der verschiedenen Gemüther, die ihm aufstoßen. Er gewinnt sie nie durch Bewunderung, sondern durch Ueberraschung. Er fesselt sie beständig durch etwas unerwartetes und schnödes in Worten und Handlungen; gemeine Menschen pflegen den höhern Geist um so mehr zu achten, je weniger er sich aus ihnen macht; eine geheime Stimme sagt ihnen, daß wer sie verachtet, sie richtig beurtheile. Ein Leipziger Schüler, der eben das Vaterhaus verlassen hat, und einfältig ist, wie man es in den unschuldigen Gegenden Deutschlands in seinem Alter wohl seyn kann, kommt zu Faust, und frägt ihn wegen seiner Studien um Rath; Faust ersucht Mephistopheles, statt seiner zu antworten. Mephistopheles hängt den Doktormantel um, und während er allein ist, und den Schüler erwartet, läßt er seinen Hohn über Faust aus:

 

Den schlepp' ich durch das wilde Leben,

Durch flache Unbedeutenheit,

Er soll mir zappeln, starren, kleben,

Und seiner Unersättlichkeit

Soll Speis' und Trank vor gier'gen Lippen schweben;

Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,

Und hätt' er sich auch nicht dem Teufel übergeben,

Er müßte doch zu Grunde gehn!

 

Er hat Recht. Ehrlichen Leuten, wenn sie von der natürlichen rechtschaffenen Bahn abgehen, [143] wirft sich beständig eine gewisse Unbeholfenheit in den Weg; eine Folge ihres Gewissens, das sie nie ersticken können, und eine Quelle unbesiegbarer Reue: der durchaus vollendete Bösewicht hingegen verspottet jene Lehrlinge des Lasters, die nur den guten Willen haben, das Böse zu thun, ohne die Gabe zu besitzen, es zu vollenden.

Endlich erscheint der Schüler, und nichts ist lustiger und naiver als das linkische und zugleich zuversichtliche, von sich eingenommene Wesen des jungen Deutschen, der zum erstenmal in eine große Stadt tritt; zu allem aufgelegt, in allem unerfahren ist; alles was seine Augen sehen, scheut und haben möchte; Lust hat etwas zu lernen; noch mehr, sich zu vergnügen. So nähert er sich mit lächelnder, freundlicher Miene dem Mephistopheles, der ihn kalt und spöttisch empfängt. Der Contrast zwischen der offenen Gutmüthigkeit des Schülers und dem verschlossenen Uebermuth des Lehrers ist mit Witz und Talent gezeichnet.

Es giebt keine Kenntniß, die der Schüler nicht besitzen möchte.

 

Ich wünschte, recht gelehrt zu werden,

Und möchte gern, was auf der Erden

Und in dem Himmel ist, erfassen,

Die Wissenschaft und die Natur.

 

Mephistopheles wünscht ihm Glück zu der Bestimmtheit und Ründung seines Studienplans, setzt ihm mit vieler Laune die vier Facultäten, Rechtsgelehrsamkeit, Arzneikunde, Weltweisheit, Gottesgelahrtheit auseinander, und verwirrt den Kopf des armen Schwächlings durchaus.

 

Schüler.

Kann euch nicht eben ganz verstehen.

Mephistopheles.

Das wird nächstens schon besser gehen. [144]

 

Er trägt ihm ein Argument nach dem andern vor. Der Schüler giebt sie alle zu, nur ist ihm der Schluß immer unerwartet, denn er nimmt die Sache von der ernsthaften, und Mephistopheles immer von der spöttischen Seite. Der gutmüthige Schüler hat den besten Willen ihn anzuhören und zu bewundern, und das Resultat des Lehrers ist stets: mache dich über alles lustig. Mephistopheles selbst gesteht ein, der Zweifel entspringe aus der Hölle, und definirt den Teufel einen Geist der verneint; aber er selbst drückt den Zweifel herrisch und gebieterisch, in einem Tone aus, der die Arroganz des Charakters mit der Ungewißheit der Vernunft verbindet, und nichts als den bösen Neigungen Realität und Consistenz giebt. Kein Glaube, keine Meinung bleibt fest in Kopf und Geist, sobald man ihn angehört hat; man untersucht und befühlt sich selbst, um zu erfahren, ob etwas reelles in der Welt ist, oder ob man blos Gedanken hat, um sich über die, welche sich für denkende Geschöpfe halten, lustig zu machen. Der Schüler fragt den verkappten Lehrer:

Doch ein Begriff muß bei dem Worte seyn.

Mephistopheles.

Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;

Denn eben, wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.

 

Der Schüler versteht nur selten den Meister:

 

Mir wird von alle dem so dumm,

Als ging' mir ein Mühlrad im Kopf' herum.

 

Doch das schadet nicht; desto mehr neigt er sich vor dem Genie des großen Mannes. Zuletzt sagt er:

 

Ich kann unmöglich wieder gehn,

Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen,

Gönn' eure Gunst mir dieses Zeichen! [145]

Mephistopheles.

Sehr wohl (schreibt und giebt.)

Schüler (liest.)

Eritis sicut Deos, scientes bonum et malum.

(Macht's ehrerbietig zu, und empfiehlt sich.)

Mephistopheles (ruft ihm höhnisch nach.)

Folg' nur dem alten Spruch und meiner Muhme der Schlange;

Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!

 

――――――――

 

Faust langweilt sich. Mephistopheles giebt ihm den Rath, sich zu verlieben. Er folgt dem Rathe und verliebt sich in ein junges Bürgermädchen, unschuldig und naiv, die mit ihrer Mutter in großer Dürftigkeit lebt. Sie heißt Margarethe. Die Bekanntschaft mit ihr zu erleichtern, macht er sich selbst mit einer ihrer Freundinnen und Nachbarinnen, Martha, bekannt. Martha's Gatte ist im Auslande und giebt keine Nachricht von sich. Sie ist untröstlicher über diese Ungewißheit, als sie es über die bestimmte Kunde von seinem Tode seyn würde. Mephistopheles kommt ihr zu Hülfe, benimmt ihr den Zweifel, verspricht ihr den Todtenschein ihres verstorbenen und begrabenen Mannes; und die gute Frau bricht in die Worte aus:

 

Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen;

Möcht' ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.

 

Jetzt wird auch Margarethe gefangen und verstrickt. Sie fällt in die Schlingen des Bösen; der höllische Geist setzt ihr aus allen Kräften zu, bringt sie zu Falle, ohne daß sie jene Geradheit des Herzens verliere, die mitten ins Laster gerathen, nur in der Tugend Ruhe finden kann. Ein gewandter [146] Bösewicht hütet sich, die Guten, die er zu seinen Zwecken benutzen will, ganz zu verkehren; er vermag nur so lange etwas über sie, als sie abwechselnd Lust zu sündigen und Reue fühlend, ihm durch ihre Schwäche zugehören.

Faust hat, mit Hülfe des Mephistopheles, die junge Margarethe verführt. Das Mädchen, frommen einfältigen Sinnes und Gemüths, und rein in der Verwahrlosung, in einem Auftritt mit Faust allein, unterhält sich mit ihm über die Religion.

 

Margarethe.

Versprich mir Heinrich.

Faust.

Was ich kann!

Margarethe.

Nun sag', wie hast du's mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,

Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon.

Faust.

Laß' das, mein Kind! du fühlst, ich bin dir gut;

Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Margarethe.

Das ist nicht recht, man muß dran glauben!

Faust.

Muß man?

Margarethe.

Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!

Du hast auch nicht die heil'gen Sacramente.

Faust.

Ich ehre sie. [147]

Margarethe.

Doch ohne Verlangen.

Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.

Glaubst du an Gott?

Faust.

Mein [L]iebchen, wer darf sagen,

Ich glaub' an Gott?

Magst Priester oder Weise fragen,

Und ihre Antwort scheint nur Spott

Ueber den Frager zu seyn.

Margarethe.

So glaubst du nicht?

Faust.

Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!

Wer darf ihn nennen?

Und wer bekennen:

Ich glaub' ihn.

Wer empfinden?

Und sich unterwinden

Zu sagen, ich glaub' ihn nicht.

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,

Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht da droben?

Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend

Ewige Sterne nicht herauf?

Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,

Und drängt nicht alles

Nach Haupt und Herzen dir,

Und webt in ewigem Geheimniß

Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist,

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,

Nenn' es dann wie du willst,

Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namen

Dafür! Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsgluth. [148]

 

Dieses Bruchstück, eine begeisterte Beredsamkeit athmend, würde nicht zu Faust und seinen Gesinnungen passen, wäre er nicht gerade in diesem Augenblick besser als sonst, weil er liebt, und wäre nicht des Verfassers Meinung ohne Zweifel gewesen, zu zeigen, wie nothwendig ein fester positiver Glaube ist, weil sogar diejenigen, die von der Natur gefühlvoll und gut erschaffen worden, sich von den strafbarsten Verirrungen hinreissen lassen können, sobald ihnen diese Stütze entzogen ist.

Faust findet bald Eckel und Ueberdruß an Margarethens Liebe, wie an allen Lebensgenüssen. Nichts ist schöner als die Verse, in welchen er zugleich den Enthusiasmus für die Wissenschaft, und die Sättigung im Glücke schildert.

 

Faust (allein.)

Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,

Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst

Dein Angesicht im Feuer zugewendet.

Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,

Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht

Kalt staunenden Besuch erlaubst du mir,

Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,

Wie in den Busen eines Freund's, zu schauen.

Du führst die Reihe der Lebendigen

Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder

Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,

Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste

Und Nachbarstämme, quetschend, niederstreift,

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;

Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst

Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust

Geheime tiefe Wunder öffnen sich.

Und steigt von meinem Blick der reine Mond

Besänftigend herüber; schweben mir

Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,

Der Vorwelt silberne Gestalten auf,

Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

O daß den Menschen nichts Vollkomm'nes wird, [149]

Empfind ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,

Die mich den Göttern nah' und näher bringt,

Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr

Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,

Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,

Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.

Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer

Nach jenem schönen Bild geschäftig an.

So tauml' ich von Begierde zu Genuß,

Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

 

――――――――

 

Margarethens Geschichte presst des Herz krampfhaft zusammen. Ihr niedriger Stand, ihr beschränkter Geist, alles, was sie ins Elend herabzieht, ohne daß sie widerstehen könne, vermehrt das Mitleid, das sie einflößt. In seinen Romanen und Schauspielen hat Göthe fast nie den Frauen, die er aufstellt, ausgezeichnete Eigenschaften beigelegt; desto meisterhafter malt er aber den Charakter der Schwäche, der ihnen den Schutz der Männer so unentbehrlich macht. Margarethe will ihrer Mutter die Zusammenkunft verheimlichen, die sie Fausten bestimmt hat, und giebt ihr auf Mephistopheles Rath einen Schlaftrunk, der aber zu stark ist, und die Schwache tödtet. Die strafbare Margarethe wird schwanger, ihre Schande wird offenbar; im Stadtviertel, wo sie wohnt, zeigt jeder mit dem Finger auf sie. Die Entehrung scheint für Personen von hohem Rang ein größeres Uebel zu seyn, und gleichwohl fürchtet sie, in der Regel, das Volk mehr als die Vornehmen. Für Menschen, die für nichts den Umweg und die feinen Wendungen der Worte haben, ist alles so schneidend, so durchfahrend, so unersetzlich. Göthe weiß diese Volkssitten, die uns so nahe und zugleich so weit von uns liegen, aufs bewundernswürdigste aufzufassen; er besitzt im höchsten Grade die seltne Kunst, in der [150] Darstellung von tausend verschiedenartigen Naturen immer vollkommen natürlich zu seyn.

Valentin, ein Soldat, Margarethens Bruder, kommt aus dem Kriege zurück, will seine Schwester besuchen, und erfährt ihre Schande. Den Schmerz, der ihn peinigt, die Schmach, die auf ihn zurückfällt und ihn schamroth macht, drückt er, zugleich rauh und rührend, in heftigen Reden aus.

Der im Aeußern harte, im Innern weichherzige Mann, erregt immer ein unerwartetes stechendes Mitgefühl. Göthe malt mit unnachahmlicher Wahrheit den Muth, den ein Krieger dem moralischen Schmerz entgegenstellen kann, dem neuen innern Feinde, der zum erstenmale ihm gegenübersteht, und gegen den er das Schwert nicht ziehen darf. Endlich ergreift ihn das Bedürfniß der Rache, und wiegelt alle Gefühle, die ihn innerlich verzehren, zur äußern Handlung auf. Er begegnet Mephistopheles und Fausten im Augenblick, wo beide seiner Schwester ein Abendständchen bringen. Valentin fordert Fausten, sie schlagen sich; der Bruder wird tödtlich verwundet. Die Beiden machen sich aus dem Staube, um der Wuth des dazukommenden Volks zu entgehen.

Margarethe eilt herbei, frägt nach dem, der blutend auf dem Boden liegt. Die Umstehenden antworten strafend: "deiner Mutter Sohn!" Ihr sterbender Bruder macht ihr die entsetzlichsten Vorwürfe, die, in einer Sprache ausgedrückt, vor welcher sich zarte Ohren verschließen, der Unglücklichen das Herz brechen. Die Würde der Tragödie verstattet nicht, die Dolche der Natur so tief einzubohren.

Mephistopheles zwingt Faust, die Stadt zu verlassen; des Elenden Verzweiflung, als er von Margarethen [151] scheidet, macht ihn wieder des Mitleids werth.

 

Faust.

Was ist die Himmelsfreud' in ihren Armen?

Laß mich an ihrer Brust erwarmen!

Fühl' ich nicht immer ihre Noth?

Bin ich der Flüchtling nicht? Der Unbehauste?

Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?

Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus'te

Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.

Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,

Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,

Und all ihr häusliches Beginnen

Umfangen in der kleinen Welt.

Und ich der Gottverhaßte, hatte nicht genug,

Daß ich die Felsen faßte

Und sie zu Trümmern schlug!

Sie, ihren Frieden mußt' ich untergraben!

Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!

Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,

Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!

Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen

Und sie mit mir zu Grunde gehn!

 

Wahrh[af]t teuflisch ist die Bitterkeit und Eiskälte, die in Mephistopheles Antwort liegt.

 

Mephistopheles.

Wie's wieder siedet, wieder glüht!

Geh' ein und tröste sie, du Thor!

Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,

Stellt er sich gleich das Ende vor.

Es lebe, wer sich tapfer hält!

Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.

Nichts abgeschmackters find' ich auf der Welt,

Als einen Teufel, der verzweifelt.

 

――――――――

 

Margarethe geht allein in die Kirche, ihren einzigen Zufluchtsort; eine unzählbare Menge füllt die Hallen an; es ist gerade das Todtenamt. Ihr Angesicht ist mit einem Schleier bedeckt; sie betet voll Inbrunst; aber im Augenblicke, da sie sich [152] schmeichelt, Erbarmen im Himmel zu finden, raunt ihr der böse Geist halblaut in die Ohren:

 

Böser Geist.

Wie anders Gretchen, war dirs

Als du noch voll Unschuld

Hier zum Altar trat'st,

Aus dem vergriffenen Büchelchen

Gebete lalltest,

Halb Kinderspiele,

Halb Gott im Herzen!

Gretchen!

Wo steht dein Kopf?

In deinem Herzen,

Welche Missethat?

Bet'st du für deiner Mutter Seele? Die

Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.

– Und unter deinem Herzen

Regt sich's nicht quillend schon,

Und ängstet dich und sich

Mit ahndungsvoller Gegenwart?

Gretchen.

Weh! Weh!

Wär' ich der Gedanken los,

Die mir herüber und hinüber gehen

Wider mich!

Chor.

Dies irae, dies illa

Solvet saeclum in favilla.

(Orgelton.)

Böser Geist.

Grimm fasst dich!

Die Posaune tönt!

Die Gräber beben!

Und dein Herz,

Aus Aschenruh'

Zu Flammenqualen

Wieder aufgeschaffen,

Bebt auf! [153]

Gretchen.

Wär' ich hier weg!

Mir ist als ob die Orgel mir

Den Athem versetzte,

Gesang mein Herz

Im Tiefsten löste.

Chor.

Judex ergo cum sedebit,

Quidquid latet adparebit,

Nil inultum remanebit.

Gretchen.

Mir wird so eng'!

Die Mauer-Pfeiler

Befangen mich!

Das Gewölbe

Drängt mich! – Luft!

Böser Geist.

Verbirg' dich! Sünd' und Schande

Bleibt nicht verborgen.

Luft? Licht?

Weh dir!

Chor.

Quis sum miser tunc dicturus?

Quem patronum rogaturus?

Cum vix justus sit securus.

Böser Geist.

Ihr Antlitz wenden

Verklärte von dir ab.

Die Hände dir zu reichen,

Schauert's den Reinen.

Weh!

Chor.

Quid sum miser tunc dicturus? [154]

Gretchen.

Nachbarin! Euer Fläschchen! –

(sie fällt in Ohnmacht)

 

Welcher Auftritt! Die Unglückliche findet die Verzweiflung an eben der Stätte, wo sie Hoffnung und Trost suchte; die ganze Schaar der Gläubigen betet mit Zuversicht zu Gott; sie allein, die Unglückselige, muß im Tempel der Gottheit die Stimme der Hölle hören. Die strengen Worte des heiligen Gesangs werden von der unversöhnlichen Bosheit des bösen Geistes gegen sie erklärt und erläutert. Welche Verwirrung in ihrem Herzen! welche Last von Qualen auf diesem schwachen armen Kopf? und wie groß ist das Talent des Dichters, welcher mit solchen Farben und Zügen dem Auge der Einbildungskraft die Augenblicke vormalen kann, wo das Leben eine so zu sagen düstre Flamme in uns anfacht, und über unsre flüchtigen Tage den gräßlichen Wiederschein der ewigen Höllenstrafen verbreitet!

――――――――

Mephistopheles fährt in der Walpurgisnacht mit Faust übers Harzgebirge nach dem Brocken auf den Hexentanz, um ihn von seinen Grillen zu zerstreuen. Hier entwickelt sich ein Auftritt, von dem es unmöglich ist, einen Begriff zu geben, obschon er eine Menge der Aufbewahrung werther Einfälle enthält; diese Hexennacht ist das wahre Saturnalienfest des Witzes. Der Gang des Stücks wird durch ein Intermezzo aufgehalten, und je greller die Situation ist, desto unmöglicher ist es, sich so ganz den Dichtungen des Genies zu unterwerfen, sobald sie das Interesse des Stücks so plötzlich unterbrechen. Aber mitten im Strudel von allem, was man nur denken und sagen kann, mitten unter den Bildern und Einfällen, die sich [155] überwälzen, sich verwirren, und in die Abgründe zurückzustürzen scheinen, aus welchen die Vernunft sie zog, entwächst ein Umstand, der sich auf eine schaudernde Weise an die Hauptsituation anschließt. Durch den Zauber der Hexen tritt eine Menge Bilder aus der Nacht hervor. Mit einemmal rückt Faust dem Mephistopheles näher, und spricht zu ihm:

 

Mephisto, siehst du dort

Ein blasses schönes Kind allein und ferne stehen?

Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,

Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.

Ich muß bekennen, daß mir däucht,

Daß sie dem guten Gretchen gleicht.

Mephistopheles.

Laß das nur stehn. Dabei wird niemand wohl.

Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.

Ihm zu begegnen, ist nicht gut,

Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,

Und er wird fast in Stein verkehrt;

Von der Meduse hast du ja gehört.

Faust.

Fürwahr es sind die Augen einer Todten,

Die eine liebende Hand nicht schloß.

Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,

Das ist der süße Leib, den ich genoß.

Mephistopheles.

Das ist die Zauberei, du leicht verführter Thor!

Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.

Faust.

Welch' eine Wonne! welch' ein Leiden!

Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.

Wie sonderbar muß diesen schönen Hals

Ein einfach rothes Schnürchen schmücken,

Nicht breiter als ein Messerrücken! [156]

Mephistopheles.

Ganz recht! Ich seh' es ebenfalls. –

Nur immer diese Lust zum Wahn!

Komm dort das Hügelchen heran,

Hier ist's so luftig wie im Prater etc.

 

――――――――

 

Faust erfährt, daß Margarethe ihr Kind ermordet hat, um der Schande zu entfliehen. Ihr Verbrechen ist an den Tag gekommen; sie sitzt im Gefängnisse, und soll morgen auf dem Blutgerüst büßen. Faust flucht wüthend dem Mephistopheles. Dieser bleibt kalt, wirft die Schuld auf Faust zurück, und erinnert ihn daran, daß er zuerst das Böse gewollt, ihn zu Hülfe gerufen, folglich alles auf seinen Wunsch und sein Geheiß geschehen sey. Ueber Faust als den Mörder von Margarethens Bruder war das Todesurtheil verhängt. Gleichwohl schleicht er sich heimlich in die Stadt, und erhält von. Mephistopheles, mit dem er sich wieder ausgesöhnt, die Mittel Margarethen zu befreien.

Er dringt des Nachts in ihr Gefängniß, nachdem er sich die Schlüssel zu verschaffen gewußt, hört sie von weitem ein Lied singen, daß ihre Geisteszerrüttung zu erkennen giebt. Die Worte des Liedes sind pöbelhaft, und Margarethe war immer so rein und zartsinnig von Natur gewesen. Man stellt gewöhnlich die Wahnsinnigen als solche dar, die mit der Narrheit das Schickliche beibehalten wollen und können, als solche, die sich bloß dadurch von den andern unterscheiden, daß sie die angefangenen Sätze nicht vollenden, und den Faden der Gedanken zur Unzeit abbrechen. Das ist aber falsch, und nicht nach dem Leben gezeichnet. Die wahre Geisteszerrüttung zeigt sich gewöhnlich unter Formen, die der Ursache dieser Zustande völlig [157] fremd sind; und die Lustigkeit der Unglücklichen zerreißt das Herz weit mehr als der Ausdruck ihrer Schmerzen.

Faust tritt in das Gefängniß. Margarethe glaubt, man hole sie ab zum Richtplatze.

 

Margarethe (sich auf dem Lager verbergend).

Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!

Faust (leise).

Still! Still! ich komme, dich zu befreien.

Margarethe (sich vor ihn hinwälzend).

Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.

Faust.

Du wirst die Wachten aus dem Schlafe schreyen!

(Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.)

Margarethe (auf den Knieen).

Wer hat dir Henker diese Macht

Ueber mich gegeben!

Du holst mich schon um Mitternacht.

Erbarme dich und laß mich leben!

Ist's morgen früh nicht zeitig genung?

(sie steht auf.)

Bin ich doch noch so jung, so jung!

Und soll schon sterben!

Schön war ich auch, und das war mein Verderben.

Nah war der Freund, nun ist er weit,

Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.

Fasse mich nicht so gewaltsam an!

Schone mich! Was hab' ich dir gethan?

Laß mich nicht vergebens flehen,

Hab' ich dich doch mein Tage nicht gesehen!

Faust.

Werd' ich den Jammer überstehen!

Margarethe.

Ich bin nun ganz in deiner Macht.

Laß mich nur erst das Kind noch tränken.

Ich herzt' es diese ganze Nacht; [158]

Sie nahmen mir's, um mich zu kränken

Und sagen nun, ich hätt' es umgebracht.

Und niemals werd' ich wieder froh.

Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!

Ein altes Mährchen endigt so,

Wer heißt sie's deuten?

Faust (wirft sich nieder).

Ein Liebender liegt dir zu Füßen,

Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.

Margarethe (wirft sich zu ihm).

O laß uns knieen, die Heilgen anzurufen!

Sieh! unter diesen Stufen,

Unter der Schwelle

Siedet die Hölle!

Der Böse,

Mit furchtbarem Grimme,

Macht ein Getöse!

Faust (laut).

Gretchen! Gretchen!

Margarethe (aufmerksam).

Das war des Freundes Stimme!

(Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.)

Wo ist er? ich hab' ihn rufen hören.

Ich bin frei! mir soll niemand wehren.

An seinen Hals will ich fliegen,

An seinem Busen liegen!

Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.

Mitten durchs Heulen und Klappern der Hölle.

Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,

Erkannt' ich den süßen, den liebenden Ton.

Faust.

Ich bin's!

Margarethe.

Du bist's! O sag' es noch einmal!

(ihn fassend.)

Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?

Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?

Du bist's! Kommst mich zu retten. [159]

Ich bin gerettet! –

Schon ist die Straße wieder da,

Auf der ich dich zum erstenmale sah

Und der heitere Garten,

Wo ich und Marthe deiner warten.

Faust (fortstrebend).

Komm mit! Komm mit!

Margarethe.

O weile!

Weil' ich doch so gern wo du weilest.

(liebkosend.)

Faust.

Eile!

Wenn du nicht eilest,

Werden wir's theuer büßen müssen.

Margarethe.

Wie? du kannst nicht mehr küssen?

Mein Freund, so kurz von mir entfernt,

Und hast's Küssen verlernt?

Warum wird mir an deinem Halse so bang?

Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken,

Ein ganzer Himmel mich überdrang,

Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken;

Küsse mich!

Sonst küss' ich dich!

(Sie umfaßt ihn.)

O weh! deine Lippen sind kalt,

Sind stumm.

Wo ist dein Lieben

Geblieben?

Wer brachte mich drum?

(sie wendet sich von ihm.)

Faust.

Komm! Folge mir! Liebchen fasse Muth!

Ich herze dich mit tausendfacher Glut,

Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß! [160]

Margarethe (zu ihm gewendet).

Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß.

Faust.

Ich bin's! Komm mit!

Margarethe.

Du machst die Fesseln los,

Nimmst wieder mich in deinen Schoos.

Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –

Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreyst?

Faust.

Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

Margarethe.

Meine Mutter hab' ich umgebracht,

Mein Kind hab' ich ertränkt.

War es nicht dir und mir geschenkt?

Dir auch – Du bist's! ich glaub' es kaum!

Gieb deine Hand! Es ist kein Traum!

Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!

Wische sie ab! Wie mich däucht

Ist Blut dran.

Ach Gott! was hast du gethan!

Stecke den Degen ein,

Ich bitte dich drum!

Faust.

Laß das Vergang'ne vergangen seyn,

Du bringst mich um.

Margarethe.

Nein, du mußt übrig bleiben!

Ich will dir die Gräber beschreiben,

Für die mußt du sorgen

Gleich morgen,

Der Mutter den besten Platz geben,

Meinen Bruder so gleich darneben,

Mich ein wenig bei Seit',

Nur nicht gar zu weit!

Und das Kleine mir an die rechte Brust.

Niemand wird sonst bei mir liegen! –

Mich an deine Seite zu schmiegen [161]

Das war ein süßes, ein holdes Glück!

Aber es will mir nicht mehr gelingen,

Mir ist's als müßt' ich mich zu dir zwingen,

Als stießest du mich von dir zurück.

Und doch bist du's und blickst so gut und fromm.

Faust.

Fühlst du, daß ich es bin, so komm!

Margarethe.

Dahinaus?

Faust.

In's Freye.

Margarethe.

Ist das Grab drauß',

Lauert der Tod; so komm!

Von hier in's ewige Ruhebett

Und weiter keinen Schritt

Du gehst nun fort? O Heinrich könnt' ich mit!

Faust.

Du kannst! So wolle nur! die Thür steht offen.

Margarethe.

Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.

Was hilft es fliehn? sie lauern doch mir auf.

Es ist so elend betteln müssen,

Und noch dazu mit bösem Gewissen!

Es ist so elend in der Fremde schweifen

Und sie werden mich doch ergreifen!

Faust.

Ich bleib' bei dir.

Margarethe.

Geschwind! Geschwind!

Rette dein armes Kind.

Fort! immer den Weg

Am Bach hinauf,

Ueber den Steg,

In den Wald hinein,

Links, wo die Planke steht, [162]

Faß' es nur gleich!

Es will sich heben,

Es zappelt noch,

Rette! rette!

Faust.

Besinne dich doch!

Nur einen Schritt, so bist du frey!

Margarethe.

Wären wir nur den Berg vorbey!

Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,

E[s] faßt mich kalt beym Schopfe!

Da sitzt meine Mutter auf einem Stein

Und wackelt mit dem Kopfe;

Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,

Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.

Sie schlief, damit wir uns freuten.

Es waren glückliche Zeiten!

Faust.

Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;

So wag' ich's dich hinweg zu tragen.

Margarethe.

Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!

Fasse mich nicht so mörderisch an!

Sonst hab' ich dir ja alles zu lieb gethan.

Faust.

Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!

Margarethe.

Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein!

Mein Hochzeittag sollt' es seyn!

Sag Niemand, daß du schon bei Gretchen warst.

Weh meinem Kranze!

Es ist eben geschehn!

Wir werden uns wiedersehn;

Aber nicht beim Tanze.

Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.

Der Platz, die Gassen

Können sie nicht fassen,

Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht. [163]

Wie sie mich binden und packen!

Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.

Schon zuckt nach jenem Nacken

Die Schärfe, die nach meinem zückt.

Stumm liegt die Welt wie das Grab!

Faust.

O wär' ich nie geboren!

Mephistopheles (erscheint draußen.)

Auf! oder ihr seyd verloren.

Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!

Meine Pferde schaudern,

Der Morgen dämmert auf.

Margarethe.

Was steigt aus dem Boden herauf?

Der! der! Schicke ihn fort!

Was will der an dem heiligen Ort?

Er will mich!

Faust.

Du sollst leben!

Margarethe.

Gericht Gottes! dir hab' ich mich übergeben!

Mephistopheles (zu Faust.)

Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

Margarethe.

Dein bin ich, Vater! rette mich!

Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren

Lagert euch umher, mich zu bewahren!

Heinrich! Mir grauts vor dir.

Mephistopheles.

Sie ist gerichtet!

Stimme (von oben.)

Ist gerettet!

Mephistopheles (zu Faust).

Her zu mir! (verschwindet mit Faust.) [164]

Stimme (von innen, verhallend).

Heinrich! Heinrich!

 

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Mit diesen Worten bricht das Stück ab. Die doppelte Absicht des Dichters ist unstreitig, daß Gretchen sterbe, und daß Gott ihr Verzeihung angedeihen lasse; daß Faust sein Leben rette, aber seiner Seele verlustig gehe.

Die Einbildungskraft muß in meiner Zergliederung von Faust den Reiz ergänzen, den die schöne Poesie über das ganze Stück verbreitet. In der Verskunst liegt immer ein allgemein anerkanntes, von dem Gegenstand, auf welchen man sie anwendet, ganz unabhängiges Verdienst. In Göthes Faust verändert sich der Rhythmus beständig nach der Lage, und die daraus entstehende glänzende Mannigfaltigkeit ist bewundernswürdig. Die deutsche Sprache ist der Zusammensetzungen weit mächtiger als die französische. Göthe scheint sie insgesamt benutzt zu haben, um mit Tönen, wie mit Bildern, die seltene Ueberspannung von Ironie und Schwärmerei, von Traurigkeit und guter Laune auszudrücken, die ihm in diesem Werke zur Seite standen. Es hieße in der That zu viel Naivheit verrathen, wenn man voraussetzen wollte, ein Mann wie Göthe, wisse und fühle nicht die Fehler wider den guten Geschmack, die man seinem Stücke vorwerfen kann; aber es verlohnt sich der Mühe, die Beweggründe aufzufinden, die ihn vermocht haben, diese Fehler, ich will nicht sagen, stehen zu lassen, sondern vorsätzlich hinein zu arbeiten.

Göthe hat sich in diesem Spiele keiner bisherigen Gattung unterworfen; es ist weder eine Tragödie, noch ein Roman. Er hat sich vorgenommen, in seinem Machwerke jeden nüchternen Gang [165] im Denken abzuschwören; man würde Ähnlichkeit mit dem Geiste des Aristophanes finden, wenn Shakespeares Pathos nicht Schönheiten ganz anderer Art hineinflöchte. Faust erregt Staunen, Rührung, sogar Thränen; läßt aber kein sanftes Gefühl in der Seele zurück. Zwar wird der Eigendünkel und das Laster schrecklich bestraft; gleichwohl fühlt man in dieser Strafe nicht die wohlthätige Hand des Zuchtmeisters. Man sollte vielmehr glauben, das böse Princip selbst richte die Rache wider das Verbrechen, das es begehen hieß; und die Gewissensqual, wie sie hier geschildert wird, scheint, eben so wie die Vergehung, auf die sie folgt, aus der Hölle zu entspringen.

Der Glaube an böse Geister findet sich in vielen Dichtungen der Deutschen; die Natur des Nordens stimmt ganz zu dieser ängstlichen Gemüthsart. Es ist in Deutschland bei weitem nicht so lächerlich, wie es in Frankreich seyn würde, sich des Teufels in Dichtungen zu bedienen. In so fern wir dergleichen Ideen aus dem literarischen Gesichtspunkt betrachten, bleibt es ausgemacht, daß unsre Einbildungskraft sich etwas bildlich darstellt, was dem Begriffe eines bösen Geistes, entweder im menschlichen Herzen, oder in der Natur, entspricht. Der Mensch thut oft das Böse auf eine so zu sagen uneigennützige Weise, ohne Zweck, ja selbst in zweckwidriger Hinsicht, bloß um eine gewisse innere Bitterkeit zu befriedigen, die das Bedürfniß zu schaden in ihm rege macht. Neben den Gottheiten des Heidenthums gab es andre Gottheiten aus dem Titanengeschlechte; diese stellten die empörten Kräfte der Natur vor. Eben so sollte man dafür halten, daß die bösen Neigungen des Gemüths in der Gestalt der bösen Geister personificirt werden. [166]

Es ist unmöglich, Faust zu lesen, ohne daß er das Denken auf tausenderlei Weise anrege; man streitet sich mit dem Verfasser herum; man klagt ihn an; man spricht ihn los; er giebt über alles zu denken, giebt, um mich des Ausdrucks eines naiven Gelehrten des Mittelalters zu bedienen – nachzudenken über alles, und über noch etwas mehr 1). Der Tadel, dem ein Werk dieser Art ausgesetzt seyn muß, ist vorher zu sehen; oder, besser zu sagen, die Gattung eines Werks dieser Art, ist es, die den Tadel noch mehr auffordert, als die Ausführung; denn eine solche Composition kann nur als ein Traum beurtheilt werden; und sollte der gute Geschmack beständig an der elfenbeinernen Thüre der Träume Wache halten, um jeden derselben in die verabredete Form zu zwängen, so würden sie selten die Einbildungskraft treffen.

Uebrigens ist Faust keinesweges ein gutes Muster. Man mag das Werk als das Resultat der Verirrung des Verstandes oder der Sättigung der Vernunft ansehen; so viel ist gewiß: es ist zu wünschen, daß sich dergleichen Erscheinungen nicht vervielfältigen; wenn aber ein Genie, wie Göthe's, alle Fesseln von sich wirft, drängen sich ihm die Gedanken in solcher Fülle entgegen, daß sie von allen Seiten die Gränzsteine der Kunst überschreiten und umstürzen.

 

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1) De omnibus rebus et quibusdam aliis.