Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
Erster Theil. II. Abtheilung.
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Siebentes Capitel.
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Goethe.
Was Klopstock mangelte, war eine schöpferische Einbildungskraft; er verstand es, große Gedanken und edle Gefühle in schönen Versen auszusprechen, aber einen Künstler im eigentlichen Sinne kann man ihn nicht nennen. Seine Erfindungen sind schwach, und die Farben, die er ihnen leiht, haben fast nie die Fülle von Kraft, die man so gern in der Poesie und in allen den Künsten wiederfinden mag, deren Bestimmung es ist, der Dichtung die Energie und die Eigenthümlichkeit der Natur zu geben. Klopstock verliert sich im Ideal: Göthe behält immer festen Boden, wenn er sich auch zu den höchsten Schwüngen erhebt. Sein Geist hat eine Stärke, die durch sein Gefühl nie leidet. Göthe könnte für den Repräsentanten der ganzen deutschen Literatur gelten; nicht, als ob sie nicht in mancher Beziehung [198] Schriftsteller zählte, die noch über ihm stehen, sondern weil er in sich allein alles vereinigt, was den Geist der Deutschen von Andern unterscheidet, und weil keiner so ausgezeichnet ist durch eine Gattung der Einbildungskraft, von welcher weder die Italiener, noch die Engländer, noch die Franzosen, sich einen Theil aneignen dürfen.Da Göthe Schriftsteller in allen Gattungen ist, so wird die Beleuchtung seiner Werke den größten Theil der folgenden Capitel ausfüllen; doch dünkt mich, wird die persönliche Kenntniß des Mannes, der den größten Einfluß auf die Literatur seines Vaterlandes geäußert hat, dazu dienen, diese Literatur selbst besser zu verstehen.Göthe ist für die Unterhaltung ein Mann von verwundernswürdigem Geiste, und man mag sagen, was man will, wer Geist hat, muß sprechen können. Es giebt wohl einzelne Beispiele von schweigsamen hohen Naturen: Schüchternheit, Unglück, Verachtung, Langeweile, sind oft davon der Grund; im Allgemeinen aber kann man behaupten, daß Fülle der Ideen und Wärme des Gemüths das Bedürfniß erzeugen müssen, sich Andern mitzutheilen, und Menschen, die nicht nach dem beurtheilt seyn wollen, was sie sagen, dürften leicht kein größeres Interesse für das, was sie denken, verdienen. Wenn man die Kunst versteht, Göthe zum Sprechen zu bringen, ist er bewundernswerth; seine Beredtsamkeit wird von Gedanken erzeugt; sein Scherz ist zugleich voll Anmuth und voll Philosophie; seine Einbildungskraft durch äußre Gegenstände aufgeregt, wie etwa die der Künstler im Alterthum, und doch hat seine Vernunft nur zu sehr die Reife unsrer Zeit. Nichts stört die Kraft seines Kopfes, und selbst die Inconvenienzen seines Characters, Launen, Verlegenheit, Zwang, ziehn wie Wolken hin, am Fuß [199] des Berges, auf dessen Gipfel sein Genie erhaben ruht.Was man von Diderots Unterhaltung erzählt, dürfte vielleicht eine Idee von Göthe's geben; wenn man jene aber nach Diderots Schriften beurtheilt, so erscheint der Abstand zwischen diesen beiden Männern unendlich groß. Diderot stand unter dem Joch seines Witzes; Göthe herrscht selbst über sein Talent: Diderot wird geziert aus dem Bestreben Effect zu machen; in Göthe geht die Verachtung des Erfolgs seiner Schriften bis zu einem Grade, der immer gefällt, selbst, wenn man über seine Nachläßigkeit ungeduldig werden muß: Diderot sah sich genothigt, durch Philanthropismus die religiösen Gefühle zu ersetzen, die ihm mangelten; Göthe würde es vorziehn, bitter, als süßlich zu seyn; was er aber vor allen Dingen ist, er ist natürlich, und wahrlich, was ist ohne diese Eigenschaft wohl in einem Menschen, was einen Andern interessiren könnte?Göthe besitzt nicht mehr diese hinreißende Glut, die ihm den Werther eingab; aber die Wärme seiner Gedanken reicht noch vollkommen hin, um Alles zu beleben. Man möchte von ihm sagen, daß das Leben ihn selbst nicht berühre, und daß er es bloß darstelle, wie ein Maler; er setzt in die Gemälde, die er uns vor Augen bringt, einen höhern Werth, als in die Rührungen, die er empfindet; die Zeit hat ihn zum Zuschauer gebildet; als er noch eine thätige Rolle spielte auf der Bühne der Leidenschaften, als er selbst noch durch sein Herz litt, machten auch seine Schriften einen tieferen Eindruck.Da sich jeder Dichter eine Poetik nach seinem Talente bildet, so stellt Göthe jetzt die Behauptung auf, der Schriftsteller müsse ruhig seyn, auch wenn [200] er ein leidenschaftliches Werk erzeuge, und der Künstler sein kaltes Blut bewahren, um stärker auf die Einbildungskraft der Leser zu wirken. Vielleicht hätte er in seiner früheren Jugend gleiche Meinung nicht gehegt, vielleicht beherrschte ihn damals sein Genie, wie er jetzt dessen Meister ist, vielleicht endlich fühlte er damals, daß, da das Erhabene und Göttliche nur auf Augenblicke im Herzen des Menschen wohnen, der Dichter unter der Begeisterung stehe, die ihn belebt, und nicht über sie urtheilen könne, ohne sie einzubüßen.Im ersten Augenblicke staunt man, in dem Dichter Werthers Kälte, ja selbst eine Art von Steifheit, zu finden; aber kann man es über ihn gewinnen, daß er es sich bequem mache, so verscheucht die Beweglichkeit seiner Einbildungskraft bald gänzlich den früher empfundenen Zwang; er ist ein Mann von universellem Geiste, und unpartheiisch, eben weil er universell ist: denn in seiner Unpartheilichkeit liegt keine Gleichgültigkeit, es ist vielmehr ein doppeltes Daseyn, eine Doppelkraft, ein Doppellicht, welche bei allen Gegenständen zu gleicher Zeit beide Seiten einer Frage beleuchten. Sein Denken hält nichts in seinem Laufe auf, nicht sein Jahrhundert, nicht seine Gewohnheiten, nicht seine Verhältnisse; senkrecht trifft sein Adlerblick die Gegenstände, die er in's Auge faßt: hätte er eine politische Laufbahn gehabt, hätte sich seine Seele in Thaten entwickelt, so wäre sein Character entschiedner, fester, patriotischer geworden, aber sein Geist würde nicht so frei über allen Gattungen von Ansichten schweben; Leidenschaften oder Interesse zeichneten ihm dann einen positiven Weg vor.Göthe liebt es, in seinen Schriften, wie in seinen Gesprächen, Fäden zu zerreißen, die [201] er selbst gewebt hat, mit Rührungen zu spielen, die er selbst erregt, Statuen umzustürzen, die er zur Bewunderung aufgestellt. Kaum hat er in seinen Dichtungen Interesse für einen Character erzeugt, so zeigt er in ihm Inconsequenzen, die wieder von ihm abziehn. Er schaltet mit der poetischen, wie ein Eroberer mit der reellen Welt, und fühlt sich Kraft genug, wie die Natur, Zerstörung in sein eignes Werk zu bringen. Wäre er nicht ein achtungswerther Mann, man müßte vor dieser Art der Superiorität Furcht bekommen, die über alles sich erhebt, die niederdrückt und aufrichtet, erweicht und darüber spottet, wechselsweise in einem Glauben befestiget und wieder daran zweifeln macht, und alles immer mit gleichem Glück. –Ich habe gesagt, daß sich in Göthe alle Hauptzüge des deutschen Genius finden; ich setze hinzu, alle in einem ausgezeichneten Grade: eine große Tiefe der Ideen, eine Anmuth, die in der Einbildungskraft ihre Quelle hat, und viel eigenthümlicher ist, als die durch den Geist des Umgangs gebildete, endlich eine zuweilen an das Fantastische streifende Empfindung, die aber eben aus diesem Grunde geeigneter ist, Leser zu interessiren, die sich zu den Büchern wenden, um Wechsel in {in} ihr einförmiges Daseyn zu bringen, und von der Poesie fordern, daß sie ihnen die Stelle wahrer Ereignisse vertrete. Wäre Göthe ein Franzose, so ließe man ihn von Morgen bis Abend nur sprechen: alle schriftstellerische Zeitgenossen Diderots gingen zu ihm, um Ideen aus seiner Unterredung zu schöpfen, und bereiteten ihm einen dauernden Genuß in der Bewunderung, die er einflößte. In Deutschland versteht man die Kunst nicht, sein Talent in der Unterhaltung auszugeben, und so [202] wenige Menschen, selbst unter den Ausgezeichnetesten, haben die Fertigkeit zu fragen und zu antworten, daß die Gesellschaft dort fast für nichts gilt; Göthes Einfluß aber ist dessenungeachtet nicht minder außerordentlich. Es giebt unter den Deutscheu gewiß eine große Menge, die Genie in der Aufschrift eines Briefes finden würden, wenn er sie geschrieben hätte. Die Bewunderung Göthes bildet eine Art von Brüderschaft, deren Losungsworte die Eingeweihten einen dem andern kenntlich machen. Wenn Ausländer ihn auch bewundern wollen, aber einige Einschränkungen darauf hindeuten, daß sie sich erlaubt haben, seine Werke näher zu untersuchen, so werden sie mit Verachtung zurückgewiesen; und doch gewinnen diese Werke bei der Prüfung so sehr. Man kann einen solchen Fanatismus nicht erregen, ohne große Eigenschaften, im Guten oder Bösen, zu besitzen: denn nur die Macht wird, in welcher Gattung es sey, von den Menschen so gefürchtet, um sie auf diese Weise lieben zu können. |