Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
Erster Theil. I. Abtheilung.
|
|
___________________________________________________________
|
|
Fünfzehntes Capitel.
――――――
Weimar.
Von allen Fürstenthümern Deutschlands zeigt keins in solchem Maaße wie Weimar, die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Fürst ein Mann von vielem Geiste ist, und ohne etwas vom Gehorsam einzubüßen, seinen Unterthanen zu gefallen suchen kann. Ein solcher Staat bildet eine besondere Gesellschaft, in welcher man durch die innersten Beziehungen zu einander gehört. Die Herzogin Luise von Sachsen-Weimar ist das wahre Muster einer von der Natur zum höchsten Range bestimmten Frau. Ohne Anmaßung, ohne Schwachheit, erweckt sie zugleich und in gleichem Grade Vertrauen und Ehrfurcht; der Heldensinn der Ritterzeit ist in ihre Seele gedrungen, ohne ihr von der Sanftmuth ihres Geschlechts das Geringste zu benehmen. Die militärischen Talente des Herzogs werden allgemein geschätzt. Seine geistreiche, sinnige Unterhaltung erinnert mit jedem Augenblick daran, daß er des großen Friedrichs Zögling gewesen; sein Geist und der Geist seiner durchlauchtigen Mutter [115] hat Weimar zum Sammelplatz der vorzüglichsten Geister gemacht. Zum erstenmale erhielt Deutschland eine gelehrte Hauptstadt; doch konnte diese Hauptstadt, da sie übrigens sehr klein ist, nur durch ihr literärisches Licht Aufsehen erregen, ohne zugleich die Mode der Schöngeisterei, welche, wie alle übrigen, Einförmigkeit hervorbringt, aus ihrem zu engen Kreise allgemein verbreiten zu können.Herder war gestorben, als ich in Weimar ankam; aber Wieland, Schiller und Göthe lebten noch. Ich werde im nächsten Abschnitte dieses Werks, jeden dieser Männer besonders schildern; ich werde sie vor allem aus ihren Schriften schildern, denn ihre Schriften stimmen mit ihrem Gemüthe, mit ihrer Unterhaltung vollkommen überein. Dergleichen Uebereinstimmung ist selten, und ein untrügliches Zeichen der Offenheit; denn, sobald ein Schriftsteller es sich zum Hauptzwecke macht, Eindruck und Aufsehen zu erregen, wird er sich nie zeigen, wie er ist; schreibt er aber, um der inneren Begeisterung, die sein Gemüth ergriff, Luft zu machen, so legt er, selbst ohne es zu wollen, auch die kleinsten Nüanzen seiner Art zu seyn und zu denken, in seine Schriften.Der Aufenthalt in kleinen Städten ist mir von jeher über alle Maßen langweilig vorgekommen. Er engt den Geist der Männer ein und macht das Herz der Frauen zu Eis; man lebt einander so nahe, daß man von einander gedrängt und gedrückt wird. In großen Städten waltet eine öffentliche Meinung, die uns anreizt und von ferne in unsern Ohren erschallt, wie die Posaune des Ruhms; in kleinen Städten ist man einer kleinlichen Prüfung aller seiner Handlungen unterworfen; jeder einzelne Zug unsers Lebens wird beobachtet und macht das Auffassen des Characters [116] im Ganzen unmöglich; und je mehr man der Unabhängigkeit, der Größe zustrebt, desto schwerer wird einem das Luftathmen hinter den Stäbchen eines – Vogelbauers.Dieser peinliche Zwang fand nicht in Weimar statt. Weimar war keine kleine Stadt; es war ein großes Schloß, wo eine ausgesuchte Gesellschaft sich mit Theilnahme über jedes neue Kunstproduct unterhielt. Liebenswürdige Schülerinnen einiger höhern Köpfe beschäftigten sich mit literärischen Arbeiten, als wären es die wichtigsten Neuigkeiten der Zeit gewesen, zogen durch Lesen und Studieren die Welt zu sich heran und entrissen sich mit Hülfe des unermeßlichen Gedankenraums den Zwangsformen der Umstände. Im gemeinschaftlichen Nachdenken über die großen Fragen, welche das allgemeine Schicksal auswirft, vergaß jeder die Privatanecdoten im Leben seines Nachbars. Hier fand man keinen erbärmlichen Kleinstädter, der so gar leicht das Aufgeblasene für Grazie, und die Ziererei für Artigkeit hält.In demselben Herzogthum, in der Nähe dieses ersten und vorzüglichsten literärischen Vereins, liegt Jena, einer der wichtigsten Gelehrtenvereine Deutschlands. So fanden sich, im engsten Raume, bewundernswürdige Geistesstrahlen aller Art, wie in einem Brennpuncte, zusammen.In Weimar, wo die Einbildungskraft durch den Verkehr mit Dichtern beständig unterhalten wurde, fühlte sie das Bedürfniß der äußeren Zerstreuungen weniger; diese Zerstreuungen helfen zwar die Bürde des Lebens tragen, helfen aber auch zugleich oft die Lebenskräfte abnutzen. Man führte auf dem Landsitze, den man die Stadt Weimar nannte, ein regelmäßiges, geschäftvolles, ernsthaftes Leben; wohl konnte es bisweilen ermüden, aber [117] nie setzte es den Geist durch kleinliches gemeines Interesse herab: und wenn es hier und da am Reize eines Vergnügens mangelte, so fühlte man doch nicht, auf der andern Seite, seine Geisteskräfte abnehmen.Der einzige Prachtgeschmack des Fürsten bestand in einem entzückenden Garten. Man segnet ihn für diesen Volksgenuß, den er mit dem letzten Einwohner der Stadt theilte. Das Schauspiel, von welchem ich im zweiten Theile dieses Werks reden werde, wird von dem ersten Dichter Deutschlands, von Göthe geleitet. Es findet eine so allgemeine Theilnahme, daß es die gesellschaftlichen Vereinigungen, in denen so manche geheime Langeweile zur Sprache kommt, entbehrlich macht. Man nannte Weimar längst Deutschlands Athen, und in der That war es die einzige Stadt, in welcher das Interesse für die schönen Künste einheimisch, national und ein brüderliches Band für alle Stände ist. Ein liberaler Hof suchte, aus Bedürfniß der Gewohnheit, die Gesellschaft der Männer von Geist auf, und die Literatur gewann sichtbarlich unter dem Einfluß des guten Geschmacks, der an diesem Hofe vorherrschend war. Man konnte hier im Kleinen sich einen Begriff von der guten Wirkung machen, die eine solche wechselseitige Berührung, wenn sie allgemein würde, in Deutschland hervorbringen müßte. |