Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
Erster Theil. I. Abtheilung.
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Zehntes Kapitel.
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Von der hochfahrenden Albernheit und dergutmüthigen Mittelmäßigkeit.
In jedem Lande ist die Ueberlegenheit des Geistes und Gemüths etwas Seltenes, und gerade dadurch bewahrt sie ihre Benennung. Will man also von dem Character einer Nation urtheilen, so muß man die große Masse einer Untersuchung würdigen. Leute von Genie sind immer Landsleute; aber will man den Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen genau empfinden, so muß man sich nicht verdrießen lassen, die Menge kennen zu lernen, aus welcher beide Nationen zusammengesetzt sind.Ein Franzose hat selbst dann noch was zu sagen, wenn er keine Ideen hat; ein Deutscher hat davon noch immer mehr, als er auszudrücken versteht. Mit einem Franzosen belustigt man sich auch dann noch, wenn er arm an Geist ist; er erzählt alles was er gethan, alles was er gesehen hat, wie gut er von sich selbst denkt, wie Andere ihn gelobt haben, welche große Herren er kennt, welches Glück [83] er noch erwartet. Der Deutsche hingegen hat nichts zu sagen, wenn er nichts denkt, und verwickelt sich leicht in Formen, die, seinen Wünschen nach, zwar artig seyn sollen, aber sowohl Anderen als ihm selbst beschwerlich fallen. In Frankreich ist die Albernheit belebt, aber hochfahrend; sobald man nur die mindeste Aufmerksamkeit von ihr fordert, prahlt sie mit dem Mangel an Fassungsvermögen, und glaubt dem, was sie nicht versteht, durch das Geständniß zu schaden, daß es dunkel sey; und da man in diesem Lande nicht meint, daß der glückliche Erfolg Alles entscheide, so wähnen selbst die Albernen, als Zuschauer, einen Einfluß auf den inneren Werth der Dinge zu haben, wenn sie ihnen ihren Beifall versagen, und sich dadurch ein wichtiges Ansehn geben. In Deutschland hingegen sind die mittelmäßigen Menschen voll guten Willens; es kostet sie keine Schamröthe, sich nicht zu dem Gedanken eines berühmten Schriftstellers erheben zu können, und weit entfernt, sich als Richter zu betrachten, wollen sie nur Schüler werden.In Frankreich giebt es über alle Gegenstände so viel fertige Phrasen, daß, mit Hülfe derselben, ein Alberner eine Zeit lang ganz gut spricht, und, augenblicklich wenigstens, wie ein Mann von Verstand aussieht: in Deutschland wird ein Unwissender nicht leicht wagen, seine Meinung mit Vertrauen abzugeben; denn da keine Meinung für unbestreitbar gilt, so kann man auch keine vorbringen, ohne im Vertheidigungsstande zu seyn; weshalb die Mittelmäßigen größtentheils schweigsam sind, und den gesellschaftlichen Verkehr nur mit ihrer liebenswürdigen Gutmüthigkeit unterstützen. Nur ausgezeichnete Menschen verstehen in Deutschland zu schwatzen, während in Frankreich jeder sich damit befaßt. In Frankreich sind die vorzüglichen [84] Geister nachsichtig, in Deutschland sind sie strenge; dafür aber sind die Albernen unter den Franzosen verläumderisch und eifersüchtig, und die Deutschen, wie begränzt sie auch seyn mögen, zeigen sich noch immer beifällig und verwundert. Die in Deutschland umlaufenden Ideen sind neu und oft neckisch; und daher kommt es, daß diejenigen, die sie wiederholen, eine Zeit lang eine Art von angemaßter Tiefe zu haben scheinen. In Frankreich täuscht man über seinen Werth nur durch Manieren. Diese sind angenehm, aber einförmig, und das unveränderliche Richtmaaß des guten Tones nimmt ihnen vollends alle Mannigfaltigkeit , die sie haben könnten.Ein Mann von Geist erzählte mir, daß, als er eines Abends auf einem Maskenball vor einem Spiegel vorbeiging, und darüber ungewiß war, wie er sich unter dem Haufen Derer, die denselben Domino trugen, wieder erkennen sollte, er zu diesem Zweck sich selbst zunickte. Dasselbe könnte man von dem Putze sagen, den der Geist in Umgang anlegt. Man vermengt sich beinahe mit den Uebrigen, so wenig offenbart sich der Character des Einzelnen. In dieser Vermengung befindet sich die Albernheit wohl; denn sie möchte sie benutzen, das wahre Verdienst streitig zu machen. Dummheit und Albernheit unterscheiden sich wesentlich dadurch, daß die Dummen sich der Natur willig unterwerfen, und daß die Albernen sich immer einbilden, die Gesellschaft zu beherrschen. |