Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
Erster Theil. I. Abtheilung.
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Achtes Capitel.
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Geselliger Umgang in Wien.
Die Reichen und der Adel wohnen nur selten in den Vorstädten von Wien, und man ist darum in dieser Stadt so zusammengedrängt, daß sie mit den Vorzügen einer Residenz die Vortheile einer kleinen Stadt verbindet. Das leichte Zusammentreffen bei allen übrigen Reizen des Reichthums und des Luxus, macht den [71] Umgang sehr angenehm; der Rahmen des geselligen Lebens, wenn ich die Gewohnheiten, die Gebräuche, die Sitten des Umgangs so nennen darf, hat etwas überaus Gefälliges. Im Auslande wird von der strengen Etikette, vom Aristokratenstolz der östreichischen Großen, viel gesprochen; es geschieht ihnen unrecht; in der guten Gesellschaft von Wien herrscht ein einfacher, höflicher und vor allem ein biederer Ton; derselbe Geist der Geselligkeit und Ordnungsliebe, der die öffentlichen Geschäfte leitet, findet sich in den kleinsten Verhältnissen wieder. Man hält sich durch eine Einladung zur Tafel eben so gebunden, als durch höhere Verbindlichkeiten, und jener falsche leichte Ton, der sich über eingeführte Rücksichten hinwegsetzt, und dadurch zu glänzen glaubt, ist hier noch fremd. Gleichwohl ist in den Gesellschaften Wiens, die Absonderung der Großen und der Gelehrten ein Haupt-Uebelstand. Die Großen stoßen keinesweges die Gelehrten von sich; da es aber in Wien der letztern überhaupt nur wenige giebt, da in Wien nur wenig gelesen wird, so lebt jeder in dem Kreise, zu welchem er gehört. Diese Kreise sind in einem Lande, wo allgemeine Ideen und öffentliches Interesse so wenig Eingang finden, schärfer begränzt, als in andern Ländern; und die Absonderung der Classen hat zur Folge, daß es den Gelehrten an Umgangssitte, den Großen bisweilen an Kenntnissen fehlt.Die abgemessene Höflichkeit – einigermaßen eine Tugend, weil sie mit mancher Aufopferung verknüpft ist – hat in Wien die seltsamsten und langweiligsten Gebräuche eingeführt. Die schöne Welt begiebt sich wöchentlich drei- oder viermal in Masse von einem Gesellschaftssaal in den andern. Es geht Zeit an dem Putztisch verloren; Zeit auf der Straße, ehe man aussteigen, Zeit auf dem [72] Flure, ehe man einsteigen kann; bei Tische gehen drei gute Stunden verloren; und in so zahlreichen Zirkeln ist es geradezu unmöglich, etwas zu hören, was sich über gewöhnliche Unterhaltungsformeln erhöbe. Wer bemerkt nicht in diesem täglichen Zusammentreffen einer ganzen Menschenklasse, eine geschickte Erfindung der Mittelmäßigkeit, die Eigenschaften des Geistes niederzudrücken? Käme es so weit, daß man das Denken als eine Krankheit anzusehen hätte, deren Heilung man einer regelmäßigen Lebensart unterwerfen müßte, so könnte man kein besseres Mittel finden, als eine zugleich rauschende und unschmackhafte Zerstreuung; eine Zerstreuung, die keinen Ideengang, keine Ideenentwickelung gestattet, und die Sprache zu einem Wörterklang verwandelt, zu welchem Menschen, wie Vögel, abgerichtet werden können.Ich habe in Wien ein Stück aufführen sehen, in welchem Harlekin in einer stattlichen Perücke und einem großen Faltenrock auftrat, sich mit einemmale aus sich selbst herausstahl, Rock und Perücke stehen, sie statt seiner paradieren ließ, und seines Weges ging, um anderswo zu leben. Ich möchte beinahe allen denen, die in den Gesellschaften der großen Welt auftreten müssen, denselben Rath geben. Man besucht sie nicht, um den Gegenstand zu finden, dem man gefallen möchte. In Oestreich beschränken sich die Neigungen auf das Innere der Familien; so streng sind die Sitten, so ruhig das Gemüth. Man besucht diese Gesellschaften ferner nicht aus Ehrgeiz. In Oestreich hat alles einen so regelmäßigen Gang, daß der Intrigue wenig Raum gelassen wird; und überdieß würden sie in so großen Gesellschaften wenig Spielraum finden. Diese Besuche, diese Zirkel sind erfunden, damit Alle zu einer und derselben Stunde dasselbe thun mögen; [73] man zieht die Langeweile, die man mit seines gleichen theilt, der Unterhaltung vor, die man sich selbst würde schaffen müssen.Große Zusammenkünfte, große Mittagstafeln giebt es auch in andern Städten; allein, dort findet man alles vereinigt, was das Land an merkwürdigen Männern aufzuweisen hat, dort wird es leichter, den gewöhnlichen Unterhaltungsformeln zu entgehen, die, in solchen Zirkeln, die Stelle der Verbeugungen beim Eintritt und Abgehen ersetzen, oder vielmehr für eine Fortsetzung derselben in Worten gelten können. Der gesellschaftliche Umgang dient nicht in Oestreich, wie in Frankreich, zur Entwickelung oder Belebung des Geistes; er läßt bloß Geräusch und Lärm im Kopfe zurück. Auch halten sich die geistreichsten Köpfe der Monarchie größtentheils von solchen Gesellschaften fern; diese werden fast ausschließlich von Frauenzimmern besucht, und man muß wirklich über den Geist erstaunen, den sie bei einer so geistlosen Lebensweise entwickeln. Die Fremden wissen den Reiz ihrer Unterhaltung zu schätzen; was man aber am seltensten in den großen Conversationssälen der Hauptstadt von Deutschland antrifft, sind – Deutsche.Die Gesellschaft in Wien erhält viel Gefälliges durch die Sicherheit, die Eleganz und das Edle in der Art des Verkehrs, worauf von den Frauen gehalten wird; gleichwohl bleibt noch manches zu sagen, manches zu thun übrig; es fehlt am Interesse an einem Ziel. Man wünschte, daß der morgende Tag nicht wäre, wie der heutige, ohne daß durch diese Abwechselung die Kette der Gemüthsneigungen und Gewohnheiten unterbrochen würde. In dem [74] zurückgezogenen Leben wird die Seele durch Einförmigkeit ruhig; in der großen Welt ermüdet der Geist unter der Bürde der Einförmigkeit. |