BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Viertes Capitel.

 

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Vom Einfluß des Rittergeistes auf Liebe und Ehre.

 

Das Ritterthum ist für die Neueren, was die Heldenzeit für die Alten war; alle edle Erinnerungen der europäischen Nationen knüpfen sich an die Ritterzeit an. In allen Hauptepochen der Geschichte war das allgemeine Princip des menschlichen Thuns immer Enthusiasmus irgend einer Gattung. Diejenigen, die man in den entferntesten Weltperioden Helden nannte, hatten die Ausbildung des Menschen zum Zweck; jene dunkele Sagen, die sie uns als Bändiger von Ungeheuern schildern, spielen auf die ersten Gefahren an, welche die werdende Gesellschaft bedrohten, und vor welchen die Stützen ihrer lockeren Verbindung sie beschützen sollten. Auf diesen ersten Enthusiasmus der Menschenausbildung folgte der des Vaterlandes; er schuf und gab, was bei Griechen und Römern Großes und Schönes hervorgebracht worden ist. Diese Vaterlandsflamme [46] erlosch, als es kein Vaterland mehr gab; und einige Jahrhunderte später entstand der Rittergeist. Der Rittergeist bestand in der Vertheidigung des Schwachen, in der Biederkeit des Kampfs, in der Verachtung der Ränke und Kunstgriffe, in dem christlichen Liebessinn, welcher Menschlichkeit und Menschenliebe selbst in den Krieg bringt, mit einem Worte in allen Gesinnungen und Gefühlen, die den heiligen Dienst der Ehre an die Stelle des wilden Geistes der Waffen setzen. Das Ritterthum, im Norden geboren, hat sich im mittäglichen Frankreich durch den doppelten Zauber der Dichtkunst und Liebe verschönert. Von jeher zollten die Germanen den Frauen Achtung und Ehre; die Franzosen suchten ihnen zu gefallen. Die Deutschen haben ihre Minnesänger ; nichts aber läßt sich mit unsern Trouvères und Troubadours vergleichen; und, vielleicht sind sie die Quelle, aus welcher wir unsere wahrhafte alte Nationalliteratur schöpfen sollten. Obschon der Geist der Nordbewohner mit dem Christenthum weit mehr Berührungspunkte hatte, als das Heidenthum der alten Gallier, so giebt es doch kein Land, wo die Christen edlere Ritter, und die Ritter bessere Christen gewesen wären, als Frankreich.

Die Kreuzzüge wurden für den Adel aller Länder ein Vereinigungspunkt, und erhoben den Rittergeist zu einer Art von europäischem Patriotismus, der alle Seelen mit demselben Gefühl erfüllte. Das Feudalsystem, diese ernste, traurige politische Schöpfung, welche aber einigermaßen den Rittergeist begründete, indem sie ihn zum Landesgesetz erhob, hat sich bis auf den heutigen Tag in Deutschland erhalten. In Frankreich machte Cardinal Richelieu demselben ein Ende, und seit dieser Epoche bis zur Revolution, hat es den Franzosen [47] an einer Quelle von Enthusiasmus gänzlich gemangelt. Man wird mir einwenden, die Liebe zu ihren Königen sey ihr Enthusiasmus gewesen: zugegeben aber, daß dieses Feuer eine ganze Nation habe entflammen können, so war doch ein solches Gefühl so ganz mit der Person des Souverains verbunden, daß es überaus schwer gehalten hätte, unter der Regentschaft oder unter Ludwig XV. einen Funken davon aufgefacht zu haben, der die Franzosen zu irgend etwas Großem vermocht hätte. Der Rittergeist, der noch hier und da zu den Zeiten Ludwigs XIV. flammte, erlosch nach dessen Tode, und wurde, wie ihn ein feiner geistreicher Geschichtschreiber 1) nennt, durch den ganz entgegenstehenden Geist der Fatuität ersetzt. Anstatt die Frauen in Schutz zu nehmen, sucht der eingebildete, eigenliebige Geck sie zu Grunde zu richten; statt Ränke und Kunstgriffe zu verschmähen, bedient, er sich ihrer gegen ein schwächeres Geschlecht, rühmt sich stolz seiner Erfolge, und entweiht den Tempel der Liebe, anstatt die Gottheit anzubeten.

Die Tapferkeit selbst, die ehedem der Biederkeit zum Bürgen diente, wurde zum glänzenden Mittel, sich davon loszusagen; denn es kam nun nicht mehr darauf an, wahrhaft zu seyn, sondern den im Zweikampf zu erlegen, der es wagte, uns der Lüge zu zeihen. Die eingeführte Herrschaft der Geselligkeit in der großen Welt unterdrückte den größten Theil der ritterlichen Tugenden. Frankreich befand sich damals ohne allen Enthusiasmus; und da es einer Nation nicht daran fehlen darf, wenn sie sich nicht verschlechtern und auflösen soll, so [48] war es unstreitig dieses natürliche Bedürfniß in Frankreich, welches, schon gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in allen Gemüthern die Liebe zur Freiheit erweckte.

Der philosophische Gang des menschlichen Geschlechts scheint also sich in vier verschiedene Zeiträume abtheilen zu lassen: in die Heldenzeiten, die der Welt die erste Ausbildung gaben; in die Zeiten des Patriotismus, die den Ruhm des Alterthums ausmachten; in die Ritterzeit, welche Europa's kriegerische Religionsepoche war, und in die Liebe zur Freiheit, deren Ursprung mit der Reformationsgeschichte zusammenfließt.

Deutschland, mit Ausnahme einiger an der Nachahmungssucht Frankreichs kränkelnder Höfe, ließ sich nicht von der Freigeisterei, der Immoralität, dem geckhaften Leichtsinn, der seit der Regentschaft den natürlichen Charakter der Franzosen umgewandelt hatte, anstecken. Noch hatte die Lehns-Verfassung in Deutschland die alten Grundsätze der Ritterzeit aufrecht erhalten. Noch schlug man sich im Zweikampf, seltener zwar als in Frankreich, weil die deutsche Nation nicht so lebhaft ist, als die französische, und alle Volksklassen nicht, wie in Frankreich, ihr Ehrgefühl in die Tapferkeit setzen; aber die öffentliche Meinung wachte im Allgemeinen strenger über alles, was mit der Rechtlichkeit zusammenhängt. Hatte jemand gegen die Gesetze der Moral verstoßen, so hätte er sich zehnmal des Tags schlagen können, ohne die öffentliche Achtung wieder zu gewinnen. Man hat mehr als einen Franzosen von guter Gesellschaft, auf den Vorwurf einer verdammlichen Handlung, antworten hören: „Es kann seyn, daß ich unrecht that, aber niemand wird es mir dreist ins Gesicht sagen dürfen.“ In einer Erklärung dieser Art liegt der [49] tiefste Grad moralischer Verderbtheit; denn wohin wäre es mit der bürgerlichen Gesellschaft gekommen, wenn es blos darauf ankäme, sich zu schlagen, um dadurch das Recht zu erlangen, einander alles mögliche Leid anzuthun? um sein Wort brechen, um lügen, verläumden zu dürfen, weil, ohne Duell, niemand uns ins Gesicht sagen darf: „Du bist ein Lügner!“ mit einem Worte, wenn man die Biederkeit von der Bravour trennen, und den Muth in ein Mittel verwandeln könnte, den Strafen der Gesellschaft zu entgehen?

Seitdem der Rittergeist in Frankreich verlöscht war; seitdem es in Frankreich keinen Gottfried von Bouillon, keinen Ludwig den Heiligen, keinen Bayard mehr gab, die der Schutz des Schwachen waren, und sich durch ihr Wort, wie durch unauflösliche Ketten gebunden glaubten, darf ich, gegen die allgemein eingeführte Meinung, behaupten, daß von allen Ländern der Erde Frankreich vielleicht dasjenige gewesen ist, wo die Frauen, von der Seite des Herzens, am wenigsten glücklich waren. Man nannte Frankreich das Paradies der Frauen, weil sie in Frankreich eine große Freiheit genossen; aber eben diese Freiheit war eine Folge der Leichtigkeit, mit welcher man sich von ihnen losmachte. Der Türke, der seine Weiber einschließt, beweiset ihnen wenigstens dadurch auf seine Weise, daß sie seinem Glücke unentbehrlich sind; der Liebesabenteurer, wie sie uns das vorige Jahrhundert in Menge aufstellt, sieht die Weiber als Opfer seiner Eitelkeit an; und diese Eitelkeit besteht nicht allein darin, sie zu verführen, sondern sie zu verlassen. Er setzt seine ganze Ehre darin, mit leicht hingeworfenen und keiner beleidigenden Auslegung fähigen Worten sagen zu können: Die und die Frau habe ihn geliebt, itzt mache er sich nichts mehr aus ihr. [50] Zum Baron von Bezenval sprach einst einer seiner Freunde: „Meine Eigenliebe ruft mir zu: Quäle sie zu Tode!“ Und diesen Freund beweinte Bezenval mit vielen Thränen, als er zu jung starb, um den schönen Vorsatz ausführen zu können. „Mein Engel“, läßt La Clos, in einem Roman, der durch die ausgesuchteste Immoralität, die er zur Schau trägt, Schaudern erregt, einen seiner Unschuldwürger sagen, „mein Engel, man wird alles in der Welt müde.“ Zu eben der Zeit, als behauptet wurde, die Liebe habe in Frankreich ihren Thron, möchte ich im Gegentheil sagen: die Galanterie habe das schöne Geschlecht in den Bann gethan; und sobald die Sanduhr ihrer Herrschaft abgelaufen, habe man für die Frauen weder Großmuth, noch Dankbarkeit, noch Mitleid gehabt. Man ahmte die Töne der Liebe nach, um sie in die Falle zu locken, wie das Crocodill die Kinderstimme nachmacht, um die Mütter herbeizurufen.

Zeigte sich Ludwig XlV., dessen Ritterweise und Artigkeit gegen das schöne Geschlecht bis in die Wolken erhoben wird, nicht hart und grausam gegen die, welche ihn über alles geliebt hatte, gegen die Herzogin von la Valière? Was man davon in den Memoires de Madame lieset, ist über alle Einbildung. Ludwig brach der Unglücklichen das Herz, das nur für ihn geschlagen hatte. Zwanzig Jahre, in Thränen zugebracht, waren kaum hinreichend, die Wunden zu verharschen, die das grausame Betragen Ludwigs der Liebenden, der Verflossenen, geschlagen hatte. Nichts ist so grausam, als die Eitelkeit, und da nichts so sehr, als die Gesellschaft, der gute Ton, die Mode und Glück bei Frauen dazu dienen, die Eitelkeit aufzuregen, so giebt es kein Land, wo das Glück der Frauen größere Gefahr läuft, als Frankreich, weil [51] dort alles von dem, was man die Meinung heißt, abhängt, weil dort jeder von Andern lernt, was man fühlen muß, um zu den Leuten von gutem Geschmack gerechnet zu werden.

Die Frauen haben endlich (leider muß ich's gestehen) den Entschluß gefaßt, Antheil an der Unmoralität zu nehmen, die ihren Thron umstieß. Seitdem sie am Werthe verloren, haben sie weniger gelitten. Gleichwohl hängt, bis auf wenige Ausnahmen, die Tugend der Frauen noch immer von dem Benehmen der Männer ab. Der Leichtsinn, den man ihnen Schuld giebt, entsteht aus ihrer Furcht, verlassen zu werden. Sie stürzen sich in die Schande, um der Beleidigung zu entgehen.

Die Liebe ist eine weit ernstere Leidenschaft in Deutschland als in Frankreich. Die Poesie, die schönen Künste, die Philosophie selbst und die Religion, haben aus dieser Empfindung eine Art von irdischem Gottesdienst gemacht, der einen edeln Reiz über das Leben verbreitet. Es hat in Deutschland nicht, wie in Frankreich, sittenlose Schriften gegeben, die von allen Volksklassen gelesen wurden, und die in der feineren Welt das Gefühl der Liebe, im Volke den Sinn für die Moralität zerstörten. Gleichwohl besitzen die Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Empfindsamkeit; ihre Rechtlichkeit allein bürgt für ihre Beständigkeit im Lieben. Die Franzosen haben im Allgemeinen Achtung für positive Pflichten; die Deutschen halten sich mehr durch ihre Herzensneigungen als durch ihre Pflichten gebunden. Was wir oben von der Leichtigkeit der Ehetrennungen gesagt haben, dienet zum Beweis; den Deutschen ist die Liebe heiliger als die Ehe. Ehrenvoll ist unstreitig für sie das Zartgefühl, welches sie Versprechungen treu erfüllen heißt, wozu das Gesetz sie nicht unverbrüchlich verpflichtet; [52] gleichwohl sind für die bürgerliche Ordnung Gesetze wichtiger, die die Unauflöslichkeit der Ehen verbürgen.

Noch waltet und herrscht, wenn ich es so nennen darf, im leidenden Sinn, der Rittergeist unter den Deutschen. Sie sind unfähig zu betrügen; ihre Biederkeit findet sich in allen engeren Verhältnissen wieder; aber jene Kraft, welche von den Männern so große Opfer, von den Weibern .so große Tugenden erheischte und erhielt, und das ganze Leben, so zu sagen, zu Einem heiligen Werke bildete, in welchem immer nur Ein Gedanke vorwaltete; jene Ritterkraft und Energie der alten Zeiten hat in Deutschland nur eine verwischte Spur zurückgelassen. Alles Große, was hinfort in diesem Lande vollbracht wird, kann nur eine Folge des liberalen Antriebes seyn, der in Europa auf die Ritterzeiten gefolgt ist.

 

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1) La Cretelle.