Novalis
1772 - 1801
Hymnen an die Nacht
Handschrift 1799
Textgrundlage:Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs,hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel.Historisch-kritische Ausgabe. Band 1: Das dichterische Werk.Stuttgart: Kohlhammer 1976
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[Hymnen an die Nacht]
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[1.] | Welcher Lebendige,Sinnbegabte,Liebt nicht vor allenWundererscheinungen |
5 | Des verbreiteten Raums um ihnDas allerfreuliche Licht –Mit seinen Stralen und WogenSeinen Farben,Seiner milden Allgegenwart |
10 | Im Tage.Wie des LebensInnerste SeeleAthmet es die RiesenweltDer rastlosen Gestirne |
15 | Die in seinem blauen Meereschwimmen,Athmet es der funkelnde Stein,Die ruhige PflanzeUnd der ThiereVielgestaltete, |
20 | Immerbewegte Kraft –Athmen es vielfarbigeWolken u[nd] LüfteUnd vor allenDie herrlichen Fremdlinge |
25 | Mit den sinnvollen AugenDem schwebenden GangeUnd dem tönenden Munde.Wie ein KönigDer irrdischen Natur |
30 | Ruft es jede KraftZu zahllosen VerwandlungenUnd seine Gegenwart alleinOffenbart die WunderherrlichkeitDes irrdischen Reichs. |
35 | Abwärts wend ich michZu der heiligen, unaussprechlichenGeheimnißvollen Nacht –Fernab liegt die Welt,Wie versenkt in eine tiefe Gruft |
40 | Wie wüst und einsamIhre Stelle!Tiefe WehmuthWeht in den Sayten der BrustFernen der Errinnerung |
45 | Wünsche der JugendDer Kindheit TräumeDes ganzen, langen LebensKurze FreudenUnd vergebliche Hoffnungen |
50 | Kommen in grauen KleidernWie AbendnebelNach der Sonne,Untergang.Fernab liegt die Welt |
55 | Mit ihren bunten Genüssen.In andern RäumenSchlug das Licht aufDie lustigen Gezelte.Sollt es nie wiederkommen |
60 | Zu seinen treuen Kindern,Seinen GärtenIn sein herrliches Haus?Doch was quilltSo kühl u[nd] erquicklich |
65 | So ahndungsvollUnterm HerzenUnd verschlucktDer Wehmuth weiche Luft,Hast auch du |
70 | Ein menschliches HerzDunkle Macht?Was hältst duUnter deinem MantelDas mir unsichtbar kräftig |
75 | An die Seele geht?Du scheinst nur furchtbar –Köstlicher BalsamTräuft aus deiner HandAus dem Bündel Mohn |
80 | In süßer TrunkenheitEntfaltest du die schweren Flügeldes Gemüths.Und schenkst uns FreudenDunkel und unaussprechlichHeimlich, wie du selbst, bist |
85 | Freuden, die unsEinen Himmel ahnden lassen.Wie arm und kindischDünkt mir das Licht,Mit seinen bunten Dingen |
90 | Wie erfreulich und gesegnetDes Tages Abschied.Also nur darumWeil die Nacht dirAbwendig macht die Dienenden |
95 | Säetest duIn des Raums WeitenDie leuchtenden KugelnZu verkünden deine AllmachtDeine Widerkehr |
100 | In den Zeiten deiner Entfernung.Himmlischer als jene blitzenden SterneIn jenen WeitenDünken uns die unendlichen AugenDie die Nacht |
105 | In uns geöffnet.Weiter sehn sieAls die blässestenJener zahllosen HeereUnbedürftig des Lichts |
110 | Durchschaun sie die TiefenEines liebenden Gemüths,Was einen höhern RaumMit unsäglicher Wollust füllt.Preis der Weltköniginn, |
115 | Der hohen VerkündigerinnHeiliger Welt,Der PflegerinnSeliger LiebeDu kommst, Geliebte – |
120 | Die Nacht, ist da –Entzückt ist meine Seele –Vorüber ist der irrdische TagUnd du bist wieder Mein.Ich schaue dir ins tiefe dunkle Auge, |
125 | Sehe nichts als Lieb u[nd] Seligkeit.Wir sinken auf der Nacht AltarAufs weiche Lager –Die Hülle fälltUnd angezündet von dem warmenDruck |
130 | Entglüht des süßen OpfersReine Glut.
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[2.] | Muß immer der Morgenwiederkommen?Endet nie des Irrdischen Gewalt?Unselige Geschäftigkeit verzehrt |
135 | Den himmlischen Anflug der Nacht?Wird nie der Liebe geheimesOpferEwig brennen?Zugemessen wardDem Lichte Seine Zeit |
140 | Und dem Wachen –Aber zeitlos ist der NachtHerrschaft,Ewig ist die Dauer des Schlafs.Heiliger Schlaf!Beglücke zu selten nicht |
145 | Der Nacht Geweihte –In diesem irrdischen Tagwerck.Nur die Thoren verkennen dichUnd wissen von keinem SchlafeAls den Schatten |
150 | Den du mitleidig auf uns wirfstIn jener DämmrungDer wahrhaben Nacht.Sie fühlen dich nichtIn der goldnen Flut der Trauben |
155 | In des MandelbaumsWunderölUnd dem braunen Safte des Mohns.Sie wissen nichtDaß du es bist |
160 | Der des zarten MädchensBusen umschwebtUnd zum Himmel den Schoosmacht –Ahnden nichtDaß aus alten Geschichten |
165 | Du himmelöffnend entgegentrittstUnd den Schlüssel trägstZu den Wohnungen der Seligen,Unendlicher GeheimnisseSchweigender Bote.
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[3.] | Einst, da ich bittre Thränen vergoß –Da in Schmerz aufgelößt meine Hoffnung zerrannund ich einsam stand an dem dürren Hügel, der in engendunkeln Raum die Gestalt meines Lebens begrub, Einsam,wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst ge- |
175 | trieben, Kraftlos, nur ein Gedanken des Elends noch, –Wie ich da nach Hülfe umherschaute, Vorwärts nicht könnteund rückwärts nicht – und am fliehenden, verlöschten Lebenmit unendlicher Sehnsucht hing – da kam aus blauen Fernen,Von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmrungs Schauer – |
180 | Und mit einemmale riß das Band der Geburt, desLichtes Fessel – Hin floh die irrdische Herrlichkeit undmeine Trauer mit ihr. Zusammen floß die Wehmuthin eine neue unergründliche Welt – Du Nachtbegei-sterung, Schlummer des Himmels kamst über mich. |
185 | Die Gegend hob sich sacht empor – über der Gegendschwebte mein entbundner neugeborner Geist. Zur Staubwolkewurde der Hügel und durch die Wolke sah ich dieverklärten Züge der Geliebten – In Ihren Augenruhte die Ewigkeit – ich faßte ihre Hände und die |
190 | Thränen wurden ein funkelndes, unzerreißlichesBand. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne,wie Ungewitter – An ihrem Halse weint ich demneuen Leben entzückende Thränen. Das war derErste Traum in dir. Er zog vorüber aber sein Abglanz |
195 | blieb der ewige unerschütterliche Glauben an denNachthimmel und seine Sonne, die Geliebte.
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[4.] | 4. Sehnsucht nach dem Tode. Er saugt an mir. 5. Xstus. Er hebt denStein v[om] Grabe.
Nun weiß ich wenn der lezte Morgen seyn wird – wenn |
200 | das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht, wennder Schlummer ewig, und nur Ein unerschöpflicher Traum seynwird. Himmlische Müdigkeit verläßt mich nun nicht wieder.Weit und mühsam war der Weg zum heilgen Grabe und dasKreutz war schwer. Wessen Mund einmal die krystallene |
205 | Woge nezte, die gemeinen Sinnen unsichtbar, quilltin des Hügels dunkeln Schoos, an dessen Fuß die irrdischeFlut bricht, wer oben stand auf diesem Grenzgebürge der Welt undhinüber sah, in das neue Land, in der Nacht Wohnsitz,Warlich der kehrt nicht in das Treiben der Welt zurück, |
210 | in das Land, wo das Licht regiert undewige Unruh haußt. Oben baut er sich HüttenHütten des Friedens, sehnt sich und liebt, schaut hinüber,bis die willkommenste aller Stunden hinunter ihnin den Brunnen der Quelle zieht. Alles Irrdische |
215 | schwimmt oben auf und wird vonder Höhe hinabgespült, aber was Heilig ward durchder Liebe Berührung rinnt aufgelößt in verborg-nen Gängen auf das jenseitige Gebiet, wo es, wieWolken sich Mit entschlummerten Lieben mischt.
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220 | Noch weckst du,Muntres Licht,Den Müden zur Arbeit –Flößest fröliches Leben mir ein.Aber du lockst mich |
225 | Von der ErrinnerungMoosigen Denkmal nicht.Gern will ichDie fleißigen Hände rührenÜberall umschauen |
230 | Wo du mich brauchst,Rühmen deines GlanzesVolle PrachtUnverdroßen verfolgenDen schönen Zusammenhang |
235 | Deines künstlichen WercksGern betrachtenDen sinnvollen GangDeiner gewaltigenLeuchtenden Uhr, |
240 | Ergründen der KräfteEbenmaaßUnd die RegelnDes WunderspielsUnzähliger Räume |
245 | Und ihrer Zeiten.Aber getreu der NachtBleibt mein geheimes HerzUnd ihrer TochterDer schaffenden Liebe. |
250 | Kannst du mir zeigenEin ewigtreues Herz?Hat deine SonneFreundliche AugenDie mich erkennen? |
255 | Fassen deine SterneMeine verlangende Hand?Geben mir wiederDen zärtlichen Druck?Hast du mit Farben |
260 | Und leichten UmrißSie geschmückt?Oder war Sie esDie deinem SchmuckHöhere, liebere Bedeutung gab? |
265 | Welche Wollust,Welchen Genuß,Bietet dein LebenDie aufwögenDes Todes Entzückungen. |
270 | Trägt nicht allesWas uns begeistertDie Farbe der Nacht –Sie trägt dich mütterlichUnd ihr verdankst du |
275 | All deine Herrlichkeit.Du verflögstIn dir selbstIn endlosen RaumZergingst du, |
280 | Wenn sie dich nicht hielte –Dich nicht bändeDaß du warm würdestUnd flammendDie Welt zeugtest. |
285 | Warlich ich war eh du warst,Mit meinem GeschlechtSchickte die Mutter michZu bewohnen deine WeltUnd zu heiligen sie |
290 | Mit Liebe.Zu gebenMenschlichen SinnDeinen Schöpfungen.Noch reiften sie nicht |
295 | Diese göttlichen Gedanken.Noch sind der SpurenUnsrer GegenwartWenig.Einst zeigt deine Uhr |
300 | Das Ende der ZeitWenn du wirst,Wie unser EinerUnd voll SehnsuchtAuslöschest u[nd] stirbst. |
305 | In mir fühl ichDer Geschäftigkeit EndeHimmlische Freyheit,Selige Rückkehr.In wilden Schmerzen |
310 | Erkenn ich deine EntfernungVon unsrer HeymathDeinen WiderstandGegen den alten,Herrlichen Himmel. |
315 | Umsonst ist deine WuthDein Toben.UnverbrennlichSteht das Kreutz,Eine Siegesfahne |
320 | Unsres Geschlechts.
Hinüber wall ichUnd jede PeinWird einst ein StachelDer Wollust seyn. |
325 | Noch wenig ZeitenSo bin ich losUnd liege trunkenDer Lieb' im Schoos.Unendliches Leben |
330 | Kommt über michIch sehe von obenHerunter auf Dich.An jenem HügelVerlischt dein Glanz |
335 | Ein Schatten bringetDen kühlen KranzO! sauge GeliebterGewaltig mich anDaß ich bald ewig |
340 | Entschlummern kann.Ich fühle des TodesVerjüngende FlutUnd harr in den StürmenDes Lebens voll Muth.
<Von ihm will ich redenUnd liebend verkündenSo lang ichUnter Menschen noch bin.Denn ohne ihn |
350 | Was wär unser Geschlecht,Und was sprächen die Menschen,Wenn sie nicht sprächen von ihmIhrem Stifter,Ihrem Geiste.>
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[5.] | Über der MenschenWeitverbreitete StämmeHerrschte vor ZeitenEin eisernes SchicksalMit stummer Gewalt. |
360 | Eine dunkleschwere Bindelag um ihrebange Seele.Unendlich war die Erde. |
365 | Der Götter AufenthaltUnd ihre Heymath.Reich an KleinodenUnd herrlichen Wundern.Seit Ewigkeiten |
370 | Stand ihr geheimnißvoller Bau.Über des MorgensBlauen BergenIn des MeeresHeiligen Schoos |
375 | Wohnte die SonneDas allzündendeLebendige Licht.
Alte Welt. Der Tod. Xstus – {Sein Leiden – Jugend –}neue Welt, die Welt der Zukunft –
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380 | Auferstehung. Mit den Menschen ändert dieWelt sich. Schluß – Aufruf.
Ein alter RieseTrug die selige WeltFest unter Bergen |
385 | lagen die UrsöhneDer Mutter Erde –OhnmächtigIn ihrer zerstörenden WuthGegen das neue |
390 | Herrliche Göttergeschlecht,Und die befreundetenFrölichen Menschen.Des Meeres dunkleBlaue Tiefe |
395 | War einer Göttin Schoos.Himmlische SchaarenWohnten in frölicher LustIn den krystallenen Grotten –Flüsse und Bäume |
400 | Blumen und ThiereHatten menschlichen Sinn.Süßer schmeckte der WeinWeil ihn blühende GötterjugendDen Menschen gab – |
405 | Des goldnen KornsVolle GarbenWaren ein göttliches Geschenk.Der Liebe trunkne Freudenein heiliger Dienst |
410 | Der himmlischen Schönheit.So war das LebenEin ewiges FestDer Götter und Menschen.Und kindlich verehrten |
415 | Alle GeschlechterDie zarte, köstliche FlammeAls das Höchste der Welt.Nur Ein Gedanke wars
Der furchtbar zu den frohen Tischen trat |
420 | Und das Gemüth in wilde Schrecken hüllte.Hier wußten selbst die Götter keinen Rath,Der das Gemüth mit süßen Troste füllte,Geheimnißvoll war dieses Unholds PfadDes Wuth kein Flehn und keine Gabe stillte – |
425 | Es war der Tod, der dieses LustgelagMit Angst u[nd] Schmerz u[nd] Thränen unterbrach.
Auf ewig nun von allem abgeschiedenWas hier das Herz in süßer Wollust regt –Getrennt von den Geliebten, die hienieden |
430 | Vergebne Sehnsucht, langes Weh bewegt –Schien nur dem Todten matter Traum beschiedenOhnmächtges Ringen nur ihm auferlegt.Zerbrochen war die Woge des GenussesAm Felsen des unendlichen Verdrusses.
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435 | Mit kühnem Geist und hoher SinnenglutVerschönte sich der Mensch die grause Larve –Ein blasser Jüngling löscht das Licht u[nd] ruht –Sanft ist das Ende, wie ein Wehn der Harfe –Errinnrung schmilzt in kühler Schattenflut |
440 | Die Dichtung sangs dem traurigen BedarfeDoch unenträthselt blieb die ewge NachtDas ernste Zeichen einer fernen Macht.
Zu Ende neigteDie Alte Welt sich. |
445 | Der lustige GartenDes jungen GeschlechtsVerwelkteUnd hinausin den freyeren Raum |
450 | Strebten die erwachsenenUnkindlichen Menschen.Verschwunden waren die Götter.Einsam und leblosStand die Natur |
455 | Entseelt von der strengen ZahlUnd der eisernen KetteGesetze wurden.Und in BegriffeWie in Staub und Lüfte |
460 | Zerfiel die unermeßliche BlütheDes tausendfachen Lebens.Entflohn warDer allmächtige GlaubenUnd die allverwandelnde |
465 | AllverschwisterndeHimmelsgenossinnDie Fantasie.Unfreundlich bliesEin kalter Nordwind |
470 | Über die erstarrte FlurUnd die WunderheymathVerflog in den AetherUnd des HimmelsUnendliche Fernen |
475 | Füllten mit leuchtenden Weltensich.Ins tiefere HeiligthumIn des Gemüths höhern RaumZog die Seele der WeltMit ihren Mächten |
480 | Zu walten dortBis zum AnbruchDes neuen Tags,Der höhern Weltherrlichkeit.Nicht mehr war das Licht |
485 | Der Götter AufenthaltUnd himmlisches Zeichen –Den Schleyer der NachtWarfen Sie über sichDie Nacht ward |
490 | Der OffenbarungenFruchtbarer Schoos.Mitten unter den MenschenIm Volk, das vor allenVerachtet, |
495 | Zu früh reifUnd der seligen Unschuld derJugendTrotzig fremd geworden war,Erschien die neue WeltMit niegesehnen Angesicht – |
500 | In der ArmuthWunderbarer Hütte –Ein Sohn der ersten Jungfrau u[nd]Mutter –Geheimnißvoller UmarmungUnendliche Frucht. |
505 | Des MorgenlandsAhnende, blüthenreicheWeisheitErkannte zuerstDer neuen Zeit Beginn. |
510 | Ein Stern wies ihr den WegZu des KönigsDemüthiger Wiege.In der weiten Zukunft NamenHuldigte sie ihm |
515 | Mit Glanz u[nd] DuftDen höchsten Wundern der Natur.Einsam entfalteteDas himmlische Herz sichZu der Liebe |
520 | Glühenden SchoosDes Vaters hohen Antlitzzugewandt –Und ruhend an dem ahndungsselgen BusenDer lieblichernsten Mutter.Mit vergötternder Inbrunst |
525 | Schaute das weissagende AugeDes blühenden KindesAuf die Tage der Zukunft,Nach seinen Geliebten,Den Sprossen seines Götterstamms, |
530 | Unbekümmert über seiner TageIrrdisches Schicksal.Bald sammelten die kindlichstenGemütherVon allmächtiger LiebeWundersam ergriffen |
535 | Sich um ihn her.Wie Blumen keimteEin neues, fremdes LebenIn seiner Nähe –Unerschöpfliche Worte |
540 | Und der Botschaften FröhligsteFielen wie FunkenEines göttlichen GeistesVon seinen freundlichen Lippen.Von ferner Küste |
545 | Unter HellasHeitern Himmel geborenKam ein SängerNach Palaestina.Und ergab sein ganzes Herz |
550 | Dem Wunderkinde:
Der Jüngling bist du, der seit langer ZeitAuf unsren Gräbern steht in tiefen Sinnen –Ein tröstlich Zeichen in der DunkelheitDer höhern Menschheit freudiges Beginnen. |
555 | Was uns gesenkt in tiefe TraurigkeitZieht uns mit süßer Sehnsucht nun vonhinnen.Im Tode ward das ewge Leben kund –Du bist der Tod und machst uns erst gesund.
Der Sänger zog |
560 | Voll FreudigkeitNach IndostanUnd nahm ein HerzVoll ewger Liebe mit,Und schüttete |
565 | In feurigen GesängenEs unter jenem milden Himmel ausDer traulicherAn die Erde sich schmiegt,Daß tausend Herzen |
570 | Sich zu ihm neigtenUnd die fröliche BotschaftTausendzweigig emporwuchs.Bald nach des Sängers AbschiedWard das köstliche Leben |
575 | Ein Opfer des menschlichenTiefen Verfalls –Er starb in jungen JahrenWeggerissenVon der geliebten Welt |
580 | Von der weinenden MutterUnd seinen Freunden.Der unsäglichen LeidenDunkeln KelchLeerte der heilige Mund, |
585 | In entsezlicher AngstNaht't ihm die Stunde der GeburtDer neuen Welt.Hart rang er mit des altenTodes SchreckenSchwer lag der Druck der altenWelt auf ihm |
590 | Noch einmal sah er freundlichnach der Mutter –Da kam der ewigen LiebeLösende Hand –Und er entschlief.Nur wenig Tage |
595 | Hieng ein tiefer SchleyerÜber das brausende Meer – überdas finstre bebende LandUnzählige ThränenWeinten die Geliebten.Entsiegelt ward das Geheimniß |
600 | Himmlische Geister hobenDen uralten SteinVom dunklen Grabe –Engel saßen bey dem Schlum-mernden,Lieblicher Träume |
605 | Zartes Sinnbild.Er stieg in neuer GötterherrlichkeitErwacht auf die HöheDer verjüngten, neugebornen WeltBegrub mit eigner Hand |
610 | Die alte mit ihm gestorbne WeltIn die verlaßne HöhleUnd legte mit allmächtiger KraftDen Stein, den keine Macht erhebt,darauf.Noch weinen deine Lieben |
615 | Thränen der FreudeThränen der RührungUnd des unendlichen DanksAn deinem Grabe –Sehn dich noch immer |
620 | Freudig erschrecktAuferstehnUnd sich mit dir –Mit süßer InbrunstWeinen an der Mutter |
625 | Seligen BusenUnd an der FreundeTreuem Herzen –Eilen mit voller SehnsuchtIn des Vaters Arm |
630 | Bringend die jungeKindliche MenschheitUnd der goldnen ZukunftUnversieglichen Trank.Die Mutter eilte bald dir nach |
635 | In himmlischen Triumpf –Sie war die ErsteIn der neuen HeymathBey dir.Lange Zeiten |
640 | Entflossen seitdemUnd in immer höhern GlanzeRegte deine neue Schöpfung sichUnd Tausende zogenAus Schmerzen u[nd] Qualen |
645 | Voll Glauben und SehnsuchtUnd Treue dir nach.Und walten mit dirUnd der himmlischen JungfrauIm Reiche der Liebe; |
650 | Und dienen im TempelDes himmlischen Todes.
Gehoben ist der SteinDie Menschheit ist erstandenWir alle bleiben dein |
655 | Und fühlen keine BandenDer herbste Kummer fleucht2. Vor deiner goldnen Schaale1. Im lezten AbendmaleWenn Erd und Leben weicht.
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660 | Zur Hochzeit ruft der TodDie Lampen brennen helleDie Jungfraun sind zur StelleUm Oel ist keine Noth.Erklänge doch die Ferne |
665 | Von deinem Zuge schonUnd ruften uns die SterneMit Menschenzung und Ton.
Nach dir, Maria, hebenSchon tausend Herzen sich |
670 | In diesem SchattenlebenVerlangten sie nur dich.Sie hoffen zu genesenMit ahndungsvoller LustDrückst du sie, heiliges Wesen |
675 | An deine treue Brust.
So manche die sich glühendIn bittrer Qual verzehrtUnd dieser Welt entfliehendNur dir sich zugekehrt |
680 | Die hülfreich uns erschienenIn mancher Noth und Pein –Wir kommen nun zu ihnenUm ewig da zu seyn.
Nun weint an keinem Grabe |
685 | Für Schmerz, wer liebend glaubt.Der Liebe süße HabeWird keinem nicht geraubt.Von treuen HimmelskindernWird ihm sein Herz bewacht |
690 | Die Sehnsucht ihm zu lindernBegeistert ihn die Nacht.
Getrost das Leben schreitetZum ewgen Leben hinVon innrer Glut geweitet |
695 | Verklärt sich unser Sinn.Die Sternwelt wird zerfließenzum goldnen Lebens WeinWir werden sie genießenUnd lichte Sterne seyn.
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700 | Die Lieb' ist frey gegebenUnd keine Trennung mehrEs wogt das volle LebenWie ein unendlich Meer –Nur Eine Nacht der Wonne |
705 | Ein ewiges Gedicht –Und unser aller SonneIst Gottes Angesicht.
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[6.] | Hinunter in der Erde SchoosWeg aus des Lichtes Reichen |
710 | Der Schmerzen Wuth und wilder StoßIst froher Abfahrt Zeichen.Wir kommen in dem engen KahnGeschwind am Himmelsufer an.
Gelobt sey uns die ewge Nacht, |
715 | Gelobt der ewge Schlummer,Wohl hat der Tag uns warm gemachtUnd welk der lange Kummer.Die Lust der Fremde gieng uns aus.Zum Vater wollen wir nach Haus.
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720 | Was sollen wir auf dieser WeltMit unsrer Lieb' u[nd] Treue –Das Alte wird hintangestellt,Was kümmert uns das Neue.O! einsam steht und tiefbetrübt |
725 | Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.
3Die Vorzeit, wo in JugendglutGott selbst sich kundgegebenUnd frühem Tod in LiebesmuthGeweiht sein süßes Leben |
730 | Und Angst und Schmerz nicht von sich triebDamit er uns nur theuer blieb.
2Die Vorzeit wo an Blüthen reichUralte Stämme prangten,Und Kinder für das Himmelreich |
735 | Nach Tod u[nd] Qual verlangtenUnd wenn auch Lust u[nd] Leben sprachDoch manches Herz für Liebe brach.
1Die Vorzeit wo die Sinne lichtIn hohen Flammen brannten, |
740 | Des Vaters Hand und AngesichtDie Menschen noch erkannten,Und hohen Sinns, einfältiglichNoch mancher seinem Urbild glich.
Mit banger Sehnsucht sehn wir sie |
745 | In dunkle Nacht gehülletUnd hier auf dieser Welt wird nieDer heiße Durst gestillet.Wir müssen nach der Heymath gehnUm diese heilge Zeit zu sehn.
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750 | Was hält noch unsre Rückkehr auf –Die Liebsten ruhn schon langeIhr Grab schließt unsern LebenslaufNun wird uns weh und bange.Zu suchen haben wir nichts mehr – |
755 | Das Herz ist satt, die Welt ist leer.
Unendlich und geheimnißvollDurchströmt uns süßer SchauerMir däucht aus tiefen Fernen schollEin Echo unsrer Trauer |
760 | Die Lieben sehnen sich wol auchUnd sandten uns der Sehnsucht Hauch.
Hinunter zu der süßen Braut,Zu Jesus dem Geliebten,Getrost die Abenddämmrung graut |
765 | Den Liebenden Betrübten.Ein Traum bricht unsre Banden losUnd senkt uns in des Vaters Schoos. |