Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1797
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946
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An den Aether
Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und MenschenKeiner, o Vater Aether! mich auf; noch ehe die MutterIn die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten,Faßtest du zärtlich mich an und gossest himmlischen Trank mir,Mir den heiligen Othem zuerst in den keimenden Busen.
Nicht von irrdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,Aber du nährst sie all' mit deinem Nektar, o Vater!Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen FülleDie beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens.Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und strebenUnaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum.
Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,Strekt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Saame die Hülse,Daß er belebt von dir in deiner Welle sich bade,Schüttelt der Wald den Schnee, wie ein überlästig Gewand ab.Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangendÜber die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch dieseAus der Wiege zu dir; auch den edeln Thieren der ErdeWird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige SehnenDie geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht.
Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl strebtIn die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum.Wie zum Scherze, berührt der Fuß der Hirsche den Grashalm,Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der reißend hinabschäumt,Hin und wieder und schweift kaum sichtbar durch die Gebüsche.
Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glüklichen VögelWohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,Und es regen sich frei im Hauße die Großen und Kleinen.Über dem Haupte frolokken sie mir und es sehnt sich auch mein HerzWunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche HeimathWinkt es von oben herab und auf die Gipfel der AlpenMöcht' ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,Daß er, wie einst in die Arme des Zeus den seeligen Knaben,Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage.
Thöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe,Wenn ihr Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst,Breiten wir über dem Boden uns aus und suchen und wandernDurch die Zonen der Erd', o Vater Aether! vergebens,Denn es treibt uns die Lust in deinen Gärten zu wohnen.In die Meersfluth werfen wir uns, in den freieren EbnenUns zu sättigen, und es umspielt die unendliche WoogeUnsern Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften des Meergotts.Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns,Wo die leichtere Welle sich regt – o wer dort an jeneGoldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben vermöchte!
Aber indeß ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne,Wo du fremde Gestad' umfängst mit der bläulichen Wooge,Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühenden Wipfeln,Vater Aether! und sänftigest selbst das strebende Herz mir,Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde. |