BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Georg Herwegh

1817 - 1875

 

Gedichte eines Lebendigen:

Mit einer Dedikation an den Verstorbenen

 

II. Teil 1843

 

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An die deutsche Jugend.

Bei Gelegenheit der Verbannung

von Robert Prutz.

Ihr spottet unser, stolze Würdenträger?

Baut nicht zu viel auf euer Ahnenschild!

Vielleicht noch einen Tag die wilden Jäger,

Vielleicht schon morgen das gejagte Wild!

5

Mit manchem Worte wollt er euch bedeuten,

Mit manchem Wort zu Frommen euch und Nutz:

Ihr aber zwangt den Dichter, Sturm zu läuten –

Nimm, deutsche Jugend, nimm sein Lied in Schutz!

 

Ich spielte freilich nur auf einer Saite,

10

Die Euch, erlauchte Herren, stets mißfällt;

Doch rief nicht ich, bei Gott! nicht ich zum Streite,

Zum Streite ruft der neue Geist der Welt!

Und jauchzt das Volk und schwingt es seine Mützen,

Wollt ihr den Leiermann drum ächten? Tut's!

15

Der Adler weiß die Nachtigall zu schützen –

Nimm, deutsche Jugend, unser Lied in Schutz!

 

Leicht können wir der Fürsten Gunst entbehren

Für enes Bettlers Herz, das wir gerührt!

Sie soll mich auch in Zukunft singen lehren,

20

Die mir die Hand zum ersten Lied geführt.

All meine Schätze leg ich ihr zu Füßen:

Die Freiheit ist ein Weib und liebt den Putz.

Ja wohl! ich werd' ihr Sklave bleiben müssen, –

Nimm, deutsche Jugend, nimm mein Lied in Schutz!

 

25

Sie, die kein Wetter aus dem Schlafe rüttelt,

Die Treibhauspflanzen, die ein Mädchen hegt,

Indes der Sturm die Brüder draußen schüttelt:

Die Dichter haben nie dein Herz bewegt;

Du lächelst ob der Demut unsrer Alten

30

Und willst nur Zorn und kühner Worte Trutz;

Zwar hinkt mein Vers, doch ist er ohne  F a l t e n , –

Nimm, deutsche Jugend, nimm mein Lied in Schutz!

 

Gleich wie die Lerche grüßt den ersten Funken,

Der aus dem Aug des jungen Tages bricht,

35

So macht ein Strahl von Hoffnung schon mich trunken,

Ich brauch die Sonne der Erfüllung nicht.

«Es muß gescheh'n, und darum wird's geschehen!»

Schriebst du nicht also, mein geliebter Prutz?

Kein Korn der Freiheit darf verlorengehen –

40

Nimm, deutsche Jugend, unser Lied in Schutz!

 

 

Morgenruf.

Die Lerche war's, nicht die Nachtigall,

Die eben am Himmel geschlagen:

Schon schwingt er sich auf, der Sonnenball,

Vom Winde des Morgens getragen.

5

Der Tag, der Tag ist erwacht!

Die Nacht,

Die Nacht soll blutig verenden. –

Heraus, wer ans ewige Licht noch glaubt!

Ihr Schläfer, die Rosen der Liebe vom Haupt

10

Und ein flammendes Schwert um die Lenden!

 

Die Lerche war's, nicht die Nachtigall:

Erhebt euch vom Schlummer der Sünden!

Schon wollen die Feuer sich überall,

Die heiligen Feuer entzünden.

15

Frisch auf und die Waffen gefeit!

Der Streit,

Der Gottesstreit soll beginnen.

Hinweg aus des Liebchens rosigem Arm

Und hinein in der Feinde gepanzerten Schwarm

20

Und auf fliegenden Rossen von hinnen!

 

 

Die Lerche war's, nicht dic Nachtigall:

Kein Küssen gilt es und Kosen,

Sie singt von nahendem Donnerhall,

Sie singt von des Schlachtfelds Rosen,

25

Den Rosen, damit in Todeslust

Die Brust,

Die Brust der Helden sich schmücket.

Drum auf und wohlan: bis frei die Welt,

Sei der Himmel ein einig Kriegergezelt

30

Und der Dolch der Rache gezücket!

 

Die Lerche war's, nicht die Nachtigall:

So laß, o Jugend, dein Träumen!

Und wie von den Bergen mit Jubelschall

Die mutigen Wasser entschäumen,

35

Und wie sie jagen ins tiefste Tal

Den Strahl,

Den silbernen Strahl durchs Gelände:

So gib ihr dein Blut, so gib ihr dein Wort,

Daß die Erde nicht ganz und gar verdorrt,

40

So gib ihr dein Herz und die Hände!

 

Die Lerche war's, nicht die Nachtigall:

Die kecke Gespielin der Wolke

Fliegt jauchzend hinter dem Sonnenball

Hoch über dem staunenden Volke:

45

Und unter dem Scheffel bleibt auch nicht

Das Licht,

Das Licht der Freiheit verborgen;

Viel tausend Herzen sind angefacht,

Und preiset die Liebe die Sterne der Nacht:

50

Die Völker, sie preisen den Morgen.

 

 

Im Frühjahr.

Lustig auf! die Erde glänzt,

Ein gefüllter Freudenbecher,

Und der trunkne Himmel kränzt

Sich sein Haupt, ein froher Zecher.

 

5

Üppig hat ein Blütenleib

Um die Bäume sich ergossen,

Gleich als hielt' ein junges Weib

Jeder in den Arm geschlossen.

 

Sternenauf und sternenab

10

Tausend leuchtende Gefieder,

Rosen trägt das finstre Grab,

Und die Kreuze sinken nieder.

 

Duft und Klang und Vogelflug,

Balsam, wo die Blicke weilen,

15

Und doch alles nicht genug,

Um – ein krankes Volk zu heilen.

 

 

Husarenlied.

Es flammt mein Herz, es schwillt mein Mut,

Ich schwinge meinen Stahl,

Und hätt ich einen Federhut,

So wär ich General!

 

5

Wie klingen die Trompeten hell

Des Morgens um die Vier!

Der Tambour schlägt sein Eselsfell,

Die Esel schlagen wir.

 

Zur Seite blitzt uns das Gewehr,

10

Der Tod aus unsrer Hand;

Wir reiten hin, wir reiten her,

Wir reiten ums Vaterland.

 

Und ob sich auch manch schönes Kind

Die Äuglein schier zerweint,

15

Husaren sausen wie der Wind

Vorüber in den Feind.

 

Das ist ein Leben auf der Wacht,

So lustig und so frei!

Das geht so leicht in heißer Schlacht

20

Vorüber und vorbei!

 

Der Himmel wird uns aufgetan

Wie ein Juwelenschrein;

Husarensäbel klopfen dran

Und drinnen ruft's: Herein!

 

 

Die Partei.

An Ferdinand Freiligrath.

(1842)

 

Die ihr gehört frei – hab ich sie verkündigt:

Ob jedem recht – schiert ein Poet sich drum?

Seit Priams' Tagen, weiß er, wird gesündigt

In Ilium und außer Ilium.

Er beugt sein Knie dem Helden Bonaparte,

Und hört mit Zürnen d'Enghiens Todesschrei:

Der Dichter steht auf einer höhern Warte

Als auf den Zinnen der Partei.

Ferdinand Freiligrath.

(Siehe dessen Gedicht auf den Tod von Diego Leon,

«Morgenblatt», Nr. 286, Jahrgang 1841)

 

Du drückst den Kranz auf eines Mannes Stirne,

Der wie ein Schächer jüngst sein Blut vergoß,

Indessen hier die königliche Dirne

Die Sündenhefe ihrer Lust genoß;

5

Ich will ihm den Zypressenkranz gewähren,

Düngt auch sein Blut die Saat der Tyrannei –

Für  i h n  den milden Regen deiner Zähren!

Doch gegen sie die Blitze der Partei!

 

P a r t e i !  P a r t e i !  Wer sollte sie nicht nehmen,

10

Die noch die Mutter aller Siege war!

Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfemen,

Ein Wort, das alles Herrliche gebar?

Nur offen wie ein Mann: Für oder wider?

Und die Parole: Sklave oder frei?

15

Selbst Götter stiegen vom Olymp hernieder

Und kämpften auf der Zinne der Partei!

 

Sieh hin! dein Volk will neue Bahnen wandeln!

Nur des Signales harrt ein stattlich Heer;

Die Fürsten träumen, laßt die Dichter handeln!

20

Spielt Saul die Harfe, werfen wir den Speer!

Den Panzer um – geöffnet sind die Schranken,

Brecht immer euer Saitenspiel entzwei

Und führt ein Fähnlein ewiger Gedanken

Zur starken, stolzen Fahne der  P a r t e i !

 

25

Das Gestern ist wie eine welke Blume –

Man legt sie wohl als Zeichen in ein Buch

Begrabt's mit seiner Schmach und seinem Ruhme

Und webt nicht länger an dem Leichentuch!

Dem Leben gilt's ein Lebehoch zu singen,

30

Und nicht ein Lied im Dienst der Schmeichelei;

Der Menschheit gilt's ein Opfer darzubringen,

Der Menschheit, auf dem Altar der  P a r t e i !

 

O stellt sie ein die ungerechte Klage

Wenn ihr die Angst so mancher Seele schaut;

35

Es ist das Bangen vor dem Hochzeitstage

Das hoffnungsvolle Bangen einer Braut.

Schon drängen allerorten sich die Erben

Ans Krankenlager unsrer Zeit herbei

Laßt, Dichter, laßt auch ihr den Kranken sterben.

40

Für eures Volkes Zukunft nehmt  P a r t e i !

 

Ihr müßt das Herz an  e i n e  Karte wagen,

Die Ruhe über Wolken ziemt euch nicht;

Ihr müßt euch mit in diesem Kampfe schlagen,

Ein Schwert in eurer Hand ist das Gedicht.

45

O wählt ein Banner, und ich bin zufrieden,

Ob's auch ein andres, denn das meine sei;

I c h  hab gewählt,  i c h  habe mich entschieden,

Und  m e i n e n  Lorbeer flechte die  P a r t e i !

 

 

1841. 1843.

Die Lust war groß, drum ist das Leid unsäglich;

Ganz Deutschland sprang begeistert auf vom Sitze

Und grüßte träumend seiner Schwerter Spitze:

Das Wort klang prächtig, doch die Tat blieb kläglich.

 

5

Was bargen jene Wolken, die sich täglich

Zu Wettern ballten bei der jähen Hitze?

Für Knaben windige Theaterblitze -

Pfui! die Komödie wird unerträglich.

 

Von alten Heiligen ein kleines Rudel –

10

Und darum die Berliner gar so kindisch?

Und darum so viel Wochenblattsgesudel?

 

Ein bißchen Griechisch und ein bißchen Indisc6h -

O schöner Kern von einem solchen Pudel! -

Ich dacht' es gleich; er wedelte so hündisch.

 

 

Parabel.

Erlaubt mir, daß ich 'mal berichte

Euch eine alberne Geschichte:

Sie kommt mir eben in den Sinn,

Geduld ist deutsch, drum nehmt sie hin.

 

5

War eine brave, brave Frau,

Die nahm's im Dienste wohl genau,

Und macht', so brav sie auch gewesen,

Doch niemals vieles Federlesen.

 

Die Frau hatt' einen muntern Hahn,

10

Der kräht' ihr stets den Morgen an,

Und war nach seiner Hahn-Natur

Für sie die allerbeste Uhr.

 

Sobald den Tag er angesagt,

Da weckt' die Frau die faule Magd,

15

Was unsre Magd gar baß verdroß,

Daß sie im Grimme einst beschloß,

 

Dem Vogel zu stutzen seine Schwingen,

Und, meld' ich's kurz, ihn umzubringen.

Es war gedacht, es war getan,

20

Die Götter bekamen einen Hahn.

 

Was aber hat die Magd gewonnen?

Die sonst geweckt ward mit der Sonnen,

Ward nun geweckt um Mitternacht,

Nachdem den Hahn sie umgebracht.

 

25

Ach! sprach die Magd, die schwer Betörte,

Wenn ich den Hahn doch krähen hörte!

Sein Krähen hat so schön geklungen,

Als hätt' eine Nachtigall gesungen.

 

«Und nun der Witz? wir bitten dich!»

30

Ihr kennt die Frau so gut, wie ich;

Sie ist die schönste weit und breit,

Ihr Anblick die volle Seligkeit.

 

Ihr kennt wohl auch des Nachbars Hahn,

Dem ihr so viel zu Leid getan;

35

Und wenn ihr mich nach dem Dritten fragt:

«Du, deutsches Volk, du bist die Magd!»

 

Doch wenn ihr den Hahn auch mordet, ihr Sklaven,

So denkt darum nicht länger zu schlafen,

Erst weckt' euch die Frau nach dem Hahnenschrei,

40

Nun ist's mit dem Schlummer auf ewig vorbei.

 

Die Freiheit kommt wie ein Dieb in der Nacht

Und ruft euch zu: «Erwacht! erwacht!»

 

 

Wiegenlied.

 

«Schlafe, was willst du mehr?»

(Goethe)

Deutschland – auf weichem Pfühle

Mach' dir den Kopf nicht schwer!

Im irdischen Gewühle

Schlafe, was willst du mehr?

 

5

Laß jede Freiheit dir rauben,

Setze dich nicht zur Wehr,

Du behältst ja den christlichen Glauben:

Schlafe, was willst du mehr?

 

Und ob man dir alles verböte,

10

Doch gräme dich nicht zu sehr,

Du hast ja Schiller und Goethe:

Schlafe, was willst du mehr?

 

Dein König beschützt die Kamele

Und macht sie pensionär,

15

Dreihundert Taler die Seele

Schlafe, was willst du mehr?

 

Es fechten dreihundert Blätter

Im Schatten ein Sparterheer;

Und täglich erfährst du das Wetter:

20

Schlafe, was willst du mehr?

 

Kein Kind läuft ohne Höschen

Am Rhein, dem freien, umher:

Mein Deutschland, mein Dornröschen,

Schlafe, was willst du mehr? –

 

 

Xenien.

 

I

Wem es gelingt, in seine Brust

Nur Eine stille Nacht zu schauen:

Der hat wohl fürder keine Lust,

Sein Haus auf euern Sand zu bauen.

 

5

Drum laßt mich meiner Wege gehen!

Nicht Sturm, nicht Klippe soll mich schrecken:

Die Welt, die ich im Traum gesehen,

Will ich, der Welt zum Trotz, entdecken. 

 

IX

Alles für das Volk,

nichts durch das Volk.

Volk! dein goldenes Vlies nur zieht in der Waage des Fürsten:

Und er veredelt das Schaf, wenn ihm die Wolle zu schlecht. 

 

 

XIV

Andre Zeiten, andre Sitten.

Wenn der Erlöser erscheint, wohl grüßen ihn wieder die Hirten:

Aber es bleiben gewiß diesmal die Könige aus! 

 

 

XLV

Panem, non circenses!

«Brot!» so rufet das Volk, und ihr? ihr gebet ihm Steine.

Sagt mir, Pfaffen, doch an: heißt ihr das christlich gedacht?

«Brot!» so rufet das Volk: da forschen und suchen die Weisen,

Suchen nur wieder den Stein, des uns so wenig gebricht.

5

«Brot!» so rufet das Volk, und die Herrschenden treten zusammen,

Und rings fliegen daher wiederum Steine – zum Dom. 

 

 

XLVI

Die Kommunisten.

Spottet des Völkleins nicht! es hat ja den römischen Adler

Eine geringere Zahl solcher Apostel gestürzt. 

 

 

XLVII

Neuchristliche Malerei.

Für dein heilig Gepinsel empfang die Palme des Jenseits!

   Doch diesseitigen Kranz hat dir die Muse versagt:

Denn du spucktest ins Antlitz der Göttlichen, setzest im Knechtssinn

   Ihr selbstleuchtend Gestirn frech zum Trabanten herab! 

 

 

XLVIII

Metternich.

Weinbau und Politik sind dir verwandte Geschäfte:

Denn du ziehest am Stock Völker und Reben herauf. 

 

 

LIII

Das Reskript an Willibald Alexis.

Unser gnädigster Herr, seht, welch ein Freund des Pikanten:

Mit Höchsteigener Hand salzt er die Häringe ein. 

 

 

LIV

Antigone in Spree-Athen.

«Tut desgleichen wie ich: lernt euere Toten begraben!

Einziger Rat, den ich euch, Deutsche, zu geben vermag.» 

 

 

LXII

Rot: I. II. III. IV. – Schwarz.

Adler! ihr klassischen Adler, ihr  o r d e n t l i c h  roten und schwarzen! –

Wo nur immer ein Aas, sammeln die Adler sich schnell. 

 

 

LXXI

Wind, Wind.

Gebt euren Sand für Felsen aus

Und baut papierne Mauern;

Im Wind zerstiebt das Kartenhaus

Von Königen und Bauern! 

 

 

LXXII

Kabinettsordre.

«An mein Volk» – – Lest's nicht! das ist ja die alte Geschichte:

Wenn sich die Völker geregt, haben die Fürsten geruht. 

 

 

LXXV

Christlich-Germanisch.

Im Anfang war das Wort, beim Worte wird es bleiben:

Der König, unser Herr, wird reden und wir – schreiben.

 

 

――――

 

 

Vom armen Jakob

und von der kranken Lise.

 

– – – Weh dem Geschlecht

Der Zwerglein, die sich brüsten und die thronen!

Im Finstern wimmelt's ohne Brot und Recht

Von Millionen.

Fr. Sallet

 

[Zwei Stehlchen aus einer großen Musterkarte.]

 

Der arme Jakob.

Der alte Jakob starb heut Nacht –

Da haben sie am frühen Morgen

Sechs Brettchen ihm zurechtgemacht

Und drin den Schatz geborgen.

 

5

Ein schmucklos Haus! Man gibt ins Grab

Dem Feldherrn doch den Feldherrndegen –

Warum nicht auch den Bettelstab

Auf diese Bahre legen?

 

Den Degen, den er treu geführt,

10

Der in die Scheide nie gekommen,

Bis ihn der letzte Schlag gerührt

Und von der Welt genommen.

 

Er war der Welt, sie seiner satt –

Zu zwölfen in der engen Stube! –

15

Weh ihm ein überflüssig Blatt,

O Lenz, in seine Grube!

 

Als hätt er Großes nie getan,

Ist rasch der Glückliche vergessen,

Kein Dichter stimmt ihm Psalmen an,

20

Kein Pfaffe liest ihm Messen.

 

Die Heller, die man in den Sand

Ihm warf aus schimmernden Karossen,

Sind alles, was vom Vaterland

Der arme Mann genossen.

 

25

Just die vom Himmel ihm geprahlt,

Sahn diese Erde zwiefach gerne:

So wird die Schuld ans Volk bezahlt

Mit Wechseln auf die Sterne.

 

Und kaum ist uns genug am Joch

30

Der Armut auf gekrümmten Rücken:

Man will der Knechtschaft Stempel noch

Ihr auf die Stirne drücken.

 

Schlaf wohl in deinem Sarkophag,

Drin sie dich ohne Hemd begraben:

35

Es wird kein Fürst am Jüngsten Tag

Noch reine Wäsche haben!

 

 

Die kranke Lise.

Weihnacht! die kranke Lise schreitet

Durchs Faubourg hin in banger Flucht,

Sie hat zu Haus kein Bett bereitet

Für ihres Leibes erste Frucht.

5

Wohl manches prunkt im Fürstensaale,

Den stolzer Kerzen Glanz erhellt –

Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!

Dort kommt das Volk zur Welt.

 

«Mein armer Weber mag nur zetteln,

10

Sein Fleiß und Schweiß – was helfen sie?

Das Volk muß Sarg und Wiege betteln;

Allons, enfant de la patrie!

Kind, dem sie unter meinem Herzen

Die Lust am Leben schon vergällt,

15

Geduld, bis wir im Haus der Schmerzen!

Dort kommt das Volk zur Welt.

 

Sie feiern heut dem Gott der Armen,

Die reichen Herrn, ein Freudenfest:

Doch glaubt nicht, daß sich das Erbarmen

20

An ihrem Tische sehen läßt,

Daß je in ihre Festpokale

Der Schimmer einer Träne fällt –

Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!

Dort kommt das Volk zur Welt.

 

25

Du machst mir wahrlich viel Beschwerden,

Der Liebe Kind, ich dacht es nie;

Das wird ein wilder Junge werden:

Allons, enfant de la patrie!

Für eurer Prinzen zarte Nerven

30

Ist Daun' auf Daune hoch geschwellt:

Ich muß in einer Grube werfen –

So kommt das Volk zur Welt.

 

Kläng noch die Trommel unserm Ohre

Und wär noch eine Fahne rein:

35

Der Lappen einer Trikolore,

Er sollte deine Windel sein;

Du wärst getauft, eh seine Schale

Ein Pfaffe dir zu Häupten hält –

Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!

40

Dort kommt das Volk zur Welt.

 

Wer wird so ungestüm sich melden?

Mein kleines Herz, was suchst du hie?

Nur noch zum Grabe jener Helden!

Allons, enfant de la patrie!

45

Dort seh ich in des Frührots Helle

Die Julisäule aufgestellt -»

Und niedersank sie auf der Schwelle, –

So kommt das Volk zur Welt!

 

 

Auch dies gehört dem König

Ich wußt, ein König ist ein irrer Stern,

Und nur der Zufall regelt ihm die Bahnen -

Doch warnt ich vor dem Schweif, nicht vor dem Kern,

 

Dem Schweif von Sklaven und von Scharlatanen.

5

Ich dachte mir: dein eigen Fürstenherz

Sei mehr als ein Register seiner Ahnen,

 

Und ich vergaß, daß stets ein dreifach Erz

Euch, selbst im Tod, von eurem Volk noch trenne -

Drum nahmt ihr meine Worte nur für Scherz!

 

10

Mir Toren war's, als ob ich dich schon kenne,

Als ob gesäugt uns  e i n e r  Mutter Brüste,

Der Mutter, die ich mein Jahrhundert nenne:

 

Mir war's, als ob ich in der deutschen Wüste

Von einem fernen Quell das Rieseln höre,

15

Und träumend lag ich an Atlantis' Küste,

 

Und ich vernahm so feierlich: «Ich schwöre!» –

Herüber klangen von der Ostsee Borden

In meine Republik die Jubelchöre.

 

Begeistert rief ich: «Hoher Fürst im Norden!

20

Das Mädchen, drum die Väter einst gefreit,

Ist für die Söhne schier zu alt geworden:

 

Du führ herauf die junge, große Zeit!

Laß unbesorgt den welken Reiz vermodern

Und um den Tod der Knechtschaft trag kein Leid,

 

25

Den Geistern gib die Sühne, die sie fodern.

Laß endlich das gelobte Land uns erben!

Der Freiheit Oriflamme, laß sie lodern!

 

Laß all den Spuk beim Hahnenruf ersterben

Getrosten Muts: Gevögel nur der Nacht

30

Wird elend an dem neuen Licht verderben,

 

Dem Lichte, das den Völkern Heil gebracht!

O sprich ein Wort, das ihre Angst vermindert!

O sprich ein Wort, vor dem der Schlaf erwacht!

 

Gib ein Gesetz, das heilet, nicht nur lindert:

35

Ja gib ein wahrhaft königlich Gesetz,

Das uns am Fallen, nicht am Gehn verhindert!

 

So sei ein Fürst! so wag es und verletz

Den alten heil'gen hergebrachten Plunder:

Zertritt das Pfaffen- und das Adelsnetz!

 

40

Wirf in die harrende Welt hinaus den Zunder

Und spreng den morschen Bau hoch in die Luft!

Bist du von Gott, wohlan so tue Wunder!

 

Die Toten nur laß in der Totengruft:

Es ist zu früh, wenn man am Jüngsten Tage

45

All diesem Volk zur Auferstehung ruft.»

 

Nicht ganz so lautet' es, wie jetzt ich sage,

Mein Stachel hat nicht ganz so scharf gestochen;

Doch war's der tiefe Sinn von unsrer Klage,

 

Wenn wir, wie Hamlet einst, zu dir gesprochen:

50

«Im Staate Dänemark ist etwas faul,

Und seine Kraft ist in sich selbst gebrochen.»

 

Du aber spielst den königlichen Saul;

(Nicht jenen andern, den du mich gescholten,

Wohl hoffend auf den Apostaten Paul –)

 

55

Du hast die freien Worte schlecht vergolten

Und warfst den Speer mit mörderischer Hand

Wenn wir nicht jedem Knechte Beifall zollten.

 

Du hast den eitlen Buhlen Freund genannt,

Der solchen Schergenruhm mit vollen Backen

60

Posaunt; hast unsre  r e i n e  Glut verkannt,

 

Die nur das Erz wollt läutern von den Schlacken:

Denn kommen muß er jetzt, der Tag auf Erden,

Der freie Männer scheidet von Kosaken.

 

Da stehst du nun, mit zornigen Gebärden,

65

Ratloser Fürst, inmitten deiner Larven,

Der Larven, die sich nie entpuppen werden,

 

Erschaudernd vor der Wahrheit, vor der scharfen,

Und wirst der Gaukler eifriger Mäzen,

Die zwischen Licht und Finsternis dich warfen.

 

70

Zu scheu, der neuen Zeit ins Aug zu sehn,

Zu beifallslüstern, um sie zu verachten,

Zu Hochgeboren, um sie zu verstehn;

 

Willst du durch bunte Gläser sie betrachten,

Durch Gläser, die dir deine Puppen schleifen,

75

Den letzten hellen Blick dir zu umnachten.

 

Was half's dir, ein paar Blätter abzustreifen?

Du wirst den Drang der Schöpfung nimmer stillen,

Und schneller werden nur die Früchte reifen.

 

Du armer Spielball armer Kamarillen!

80

Du konntest deiner Zeit die Fahne tragen

Und trägst nun ihre Schleppe wider Willen.

 

O lern' dem Traum des Heldentums entsagen!

Vertrocknet ist für dich der Born der Tat,

Aus deinen Steinen wirst du nicht ihn schlagen.

 

85

Nur feile Zungen dreschen deine Saat,

Als wär ein Wald von Ähren draus entsprossen:

Ich sehe nichts als Unkraut und Verrat!

 

Verrat, der dir die Herzen hat verschlossen,

Verrat an dir und deines Volkes Ehren,

90

Das töricht für dein Haus sein Blut vergossen;

 

Verrat in dem verpestenden Verkehre

Mit jenem Scheusal! Scheusal, mag's auch gleichen

Wie Nero dem Apoll von Belvedere:

 

Es herrscht kein zweites in des Abgrunds Reichen.

95

Und Freund und Bruder nennst du den Despoten

Und lauschest seines Munds geheimsten Zeichen!

 

Du willst, wie er, nur schweigende Heloten

Und Fürstenallmacht, die Ukasen schreibt

Dem Staube, dem Erniedrigung geboten.

 

100

Doch glaub nicht, daß der Staub am Boden bleibt!

Es kommt ein Tag, da wird euch Fürsten grauen!

Es kommt ein Sturm, der ihn nach oben treibt!

 

Man wird den Staub auf eurer Krone schauen,

Auf eurem Purpurkissen wird er liegen –

105

Dann wagt's, auf eure  S ö l d n e r  zu vertrauen;

 

Feig wie sie sind, sie werden flugs sich biegen

Und wedeln vor dem Volk, die Edelknaben,

Das Rohr, mit dem ihr wollt den Sturm bekriegen.

 

Du hast verschmäht, dem Strom sein Bett zu graben,

110

Und sinnest, ihn zurück zum Quell zu drängen:

Er aber schäumt und  w i r d  sein Bette haben.

 

Dein war das Amt, der Freiheit Ring, den engen,

Mit Meisterschlägen friedlich zu erweitern –

Du hast's verschmäht! nun gilt es, ihn zu sprengen.

 

115

Das Schiff mit seinen ungeschickten Leitern,

Mit dir und deinem unglücksel'gen Thron:

Ich seh's vor Abend an der Klippe scheitern.

 

Noch lebt die Sphinx der Revolution!

Dein war das Amt, die Opferzeit zu kürzen,

120

- Oh, tausend Kränze harrten deiner schon! -

 

Du konntest nur den Knoten  f e s t e r  schürzen,

Und in den Sternen – hatt ich falsch gelesen.

Die Sphinx wird  n i c h t  sich in den Abgrund stürzen,

Und Du – Du bist kein Ödipus gewesen.

 

Paris, 11. November 1843.

Georg Herwegh.