BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

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28.

Von dem verlornen Sohn.

 

Ein Mann hatte zwei Söhne. Der Jüngere sprach: «Gieb mir, Vater, das Theil der Güter, das mir gehört.» Darauf theilte er ihnen das Gut. Nicht lange hernach nahm der jüngere Sohn sein Vermögen zusammen, zog damit in ein anderes Land, und verpraßte sein Vermögen. Als er nun alles verzehret hatte, kam eine Theurung in das Land. Er fieng an zu darben, und wendete sich an einen Bürger des Landes, der schickte ihn auf seinen Acker, daß er die Schweine hütete. Abends wenn er heim kam, wünschte er sich zu sättigen, mit der Nahrung, die man den Schweinen vorwarf, aber niemand gab sie ihm. Endlich gieng er in sich, und sprach: «Wie viele Taglöhner hat mein Vater, die Speise genug haben, und ich verderbe vor Hunger. Ich will zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: «Ich habe gesündiget in dem Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße, mache mich zu einem deiner Taglöhner.»

Er that, wie er sich vorgenommen hatte. Als ihn der Vater von ferne erblickte, wie er herzukam in seiner Armuth und in seinem Elend, jammerte ihn seiner. Er gieng ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Der Sohn sprach: «Vater, ich habe gesündiget im Himmel und vor dir. Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße,» Aber der Vater befahl seinen Knechten: «Bringet das beste Kleid her und leget es ihm an, und einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästetes Kalb her und schlachtet es. Lasset uns essen und fröhlich seyn, denn dieser mein Sohn war todt, und ist wieder lebendig worden. Er war verloren, und ist wieder gefunden worden.» Also fiengen sie an fröhlich zu seyn.

Der älteste Sohn war damals auf dem Felde. Als er nach Hause kam und die Gesänge und den Reigen hörte, fragte er einen von den Knechten, was das bedeute. Der Knecht sagte: "Dein Bruder ist wieder gekommen. Dein Vater hat ihm ein gemästetes Kalb geschlachtet in der Freude, daß er ihn wieder hat.» Darüber ward der Bruder zornig und wollte nicht hineingehen. Der Vater gieng zu ihm hinaus, und redete mit ihm. Der Sohn sprach: «Siehe so viele Jahre diene ich dir, und habe dein Gebot noch nie übertreten, aber mir hast du noch nie ein Böcklein gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. Jetzt da dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit leichtfertigen Leuten verschlungen hat, hast du ihm ein Kalb geschlachtet.» Darauf erwiederte ihm der Vater: «Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du sollst aber fröhlich und gutes Muthes seyn. Denn dieser dein Bruder war todt, und ist wieder lebendig worden. Er war verloren, und ist wieder gefunden.»

Was sagt die Geschichte von dem verlornen Sohn? «Leichtsinn führt zur Sünde, Sünde führt ins Unglück, Unglück weckt zur Erkenntniß und Reue. Die Reue rechter Art führt zu dem Vater. Kein Vater kann den Thränen seines unglücklichen und reumüthigen Kindes sein Herz verschließen. Er nimmt es mit Erbarmen wieder an, und mit Freude, wenn es gebessert ist.» – Gott ist der erbarmende Vater aller Menschen, welche sich mit Vertrauen zu ihm wenden. Seine Barmherzigkeit ist größer als der Menschen Barmherzigkeit.