BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karoline von Günderrode

1780 - 1806

 

Der Jüngling, der das Schönste sucht

 

1806

 

Text:

Karoline von Günderrode

Der Jüngling, der das Schönste sucht

in: Journal des Luxus und der Moden

August 1806, S. 472 - 475

Faksimile: Universität Jena

 

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Der Jüngling, der das Schönste sucht.

Eine Vision.

 

Ein räthselhaftes Wesen war der Weise

Vom Berge. Jetzt von weitem sah ihn Horst,

Der lang' umher ihn aufzufinden, irrte.

Ein langes, schwarz Gewand umhüllte ihn,

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Bis an die Brust vom weißen Bart bedeckt,

Und auf der Wange blühte noch der Lenz

Der Jugend, blühte um die frischen Lippen.

Versunken in Betrachtung stand er da,

Das Auge fest auf einer Quelle Spiegel

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Geheftet. Tiefe Ehrfurcht flößt' er ein,

Und Horst, um die Betrachtung nicht zu stören,

Hielt ehrerbietig in der Ferne sich.

Doch jetzt bewegte sich des Weisen Lippe,

Begierig lauschend horchte Horst dem Wort.

 

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Unter dem Schönen

Preiß' ich zuerst, dich,

Strömendes Leben!

 

Wallender Spiegel

Strahlst du zurück nicht

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Meine Gestalt mir?

 

Sieh', und es neiget

Meine Gestalt sich

Liebend dem Himmel!

 

In unendlicher Tiefe

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Ruht er da unten,

Meine Gestalt in ihm!

 

Heilige Schauer wehen,

Leise Geistersprache!

In die ahnende Seele.

 

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Entsprungen dem Schoos der Nacht,

Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,

Sprich, wohin gehst du?

 

[Entsprungen dem Schoos der Nacht,

Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,

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O, wohin geht meine Seele?]

 

Nicht länger hielt sich Horst, es stürzte ihm

Die Gluth sich feurig in die Wangen, ungestüm

Schlug seine Brust, und trunken rief er aus,

Wie ihm der Jugend kecker Muth gebot:

 

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«Das Schönste gehet sie zu suchen, sprich, o sprich

Du Unbegreiflicher, wo find' ich das?»

 

Es wandte sich das seltne Wesen um:

«Hast du verstanden, Jüngling, was ich sprach?»

 

Vor meiner Seele dämmert es, – rief Horst.

 

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«Vergebens ist's in Dämmerung zu suchen,

Doch sage mir, kennst du das Schöne wohl?»

 

Das zu erkunden eilt' ich her zu dir,

Deß seltne Weisheit jede Zunge preißt.

 

«Vergebens sucht, wer nicht das Schöne kennt,

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Er wird ein täuschend Schattenbild umfassen.

Tritt näher, Jüngling! Sprich, was blicket dich

Aus dieser Quelle reinem Spiegel an?»

 

Mir lächelt draus die eigene Gestalt.

 

«Die wirst, ein anderer Narciß, du stets

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Umfassen; sich in Andern liebt der Mensch

 

So soll ich nie das Schönste denn erblicken,

Das dieses glüh'nden Herzens heiße Sehnsucht,

In Nächten ohne Schlaf voll wacher Träume,

Stets ungestüm und ungestümer heischt?

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Ein tückisch Wesen necket mich mit Schatten,

Und leere Luft umfaßt der Arm, den ich

Voll Jugendgluth ausstrecke! Meine Seele,

Wonach du lechzest, ist der Traum des Traums!

Was in den hehren Stunden heil'ger Weihe

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Zu That dich rief, ist Gaukelbild des Wahns,

Und nimmer wird dein Auge es erblicken.

 

«Nicht Unsichtbares sieht das ird'sche Auge.

Verstehst du einst, was vorhin ich gesprochen,

Dann hast du, Jüngling, was du suchst, gefunden.»

 

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Verlaß mich nicht so, räthselhafter Greis!

Nimm nicht des Herzens Ruhe grausam weg,

Verlösche nicht der Hoffnung schönes Licht!

Gefährlich ist's, in Nacht und Dunkel wandeln,

Und dennoch treibt mich vorwärts kühner Muth,

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Mich läßt das Herz, mich läßt der Geist nicht rasten.

 

«Ein Wort; bewahr' es wohl im tiefsten Herzen! -

Der Wiederschein von Deinem Wesen ist's,

Was als das Schöne deinem Blick erscheint;

Das höchste Schöne wohnt bei Göttern nur.

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Verstehst du nun der Quelle Geistersprache,

Dann wirst du, Jüngling, was du suchest, finden!»

 

Und sieh, es schwebte aufwärts die Gestalt,

Von einer Silberwolke leicht getragen,

Und schöner Schein verklärte rings die Welt.

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Und als von oben Horst den Blick herab

Jetzt wieder kehrte, traut' er nicht dem Blick,

Er hatte sich, die Erde sich verschönert.