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Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte 1844
 


 






 


 
Z e i t b i l d e r

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An die Schriftstellerinnen
in Deutschland und Frankreich

(1841)

I h r  steht so nüchtern da gleich Kräuterbeeten -
Und  i h r  gleich Fichten die zerspellt von Wettern -
Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten,
Laßt wie Dragoner die Trompeten schmettern;
5
D e r  kann ein Schattenbild die Wange röthen -
D i e  wirft den Handschuh Zeus und allen Göttern;
Ward denn der Führer euch nicht angeboren
In eigner Brust, daß ihr den Pfad verloren?

Schaut auf! zur Rechten nicht - durch Thränengründe,
10
Mondscheinalleen und blasse Nebeldecken,
Wo einsam die veraltete Selinde
Zur Luna mag die Lilienarme strecken;
Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,
Längst überfloß der Sehnsucht Thränenbecken;
15
An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,
Und seufzend drauf ein Gänseblümchen tragen.

Doch auch zur Linken nicht - durch Winkelgassen,
Wo tückisch nur die Diebslaternen blinken,
Mit wildem Druck euch rohe Hände fassen
20
Und Smollis Wüstling euch und Schwelger trinken,
Der Sinne Bachanale, wo die blassen
Betäubten Opfer in die Rosen sinken,
Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,
Man drüber legt die Kränze der Hetäre.

25
O dunkles Loos! o Preis mit Schmach gewonnen,
Wenn Ruhmes Staffel wird der Ehre Bahre!
Grad', grade geht der Pfad, wie Stral der Sonnen!
Grad', wie die Flamme lodert vom Altare!
Grad', wie Natur das Berberroß zum Bronnen
30
Treibt mitten durch die Wirbel der Sahare!
Ihr könnt nicht fehlen: er, so mild umlichtet,
Der Führer ward in euch nicht hingerichtet.

Treu schützte ihn der Länder fromme Sitte,
Die euch umgeben wie mit Heilgenscheine,
35
Sie hielt euch fern die freche Liebesbitte,
Und legte Anathem auf das Gemeine.
Euch nahte die Natur mit reinem Schritte,
Kein trunkner Schwelger über Stock und Steine,
Ihr mögt ihr willig jedes Opfer spenden,
40
Denn Alles nimmt sie, doch aus reinen Händen.

Die Zeit hat jede Schranke aufgeschlossen,
An allen Wegen hauchen Naphthablüthen,
Ein reizend scharfer Duft hat sich ergossen,
Und Jeder mag die eignen Sinne hüten.
45
Das Leben stürmt auf abgehetzten Rossen,
Die noch zusammenbrechend haun und wüthen.
Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben,
Singt, aber zitternd, wie vom Weih' die Tauben.

Ja, treibt der Geist euch, laßt Standarten ragen!
50
Ihr wart die Zeugen wild bewegter Zeiten,
Was ihr erlebt, das läßt sich nicht erschlagen,
Feldbind' und Helmzier mag ein Weib bereiten;
Doch seht euch vor wie hoch die Schwingen tragen,
Stellt nicht das Ziel in ungemessne Weiten,
55
Der kecke Falk ist überall zu finden,
Doch einsam steigt der Aar aus Alpengründen.

Vor Allem aber pflegt das anvertraute,
Das heilge Gut, gelegt in eure Hände,
Weckt der Natur geheimnißreichste Laute,
60
Kniet vor des Blutes gnadenvoller Spende;
Des Tempels pflegt, den Menschenhand nicht baute,
Und schmückt mit Sprüchen die entweihten Wände,
Daß dort, aus dieser Wirren Staub und Mühen,
Die Gattin mag, das Kind, die Mutter knieen.

65
Ihr hörtet sie, die unterdrückten Klagen
Der heiligen Natur, geprägt zur Dirne.
Wer hat sie nicht gehört in diesen Tagen,
Wo nur Ein Gott, der Gott im eignen Hirne?
Frischauf! - und will den Lorbeer man versagen.
70
O Glückliche mit unbekränzter Stirne!
O arm Gefühl, das sich nicht selbst kann lohnen!
Mehr ist ein Segen als zehntausend Kronen!

 
An die Weltverbesserer
(1841)

Pochest du an - poch nicht zu laut,
Eh' du geprüft des Nachhalls Dauer.
Drückst du die Hand - drück nicht zu traut!
Eh du gefragt des Herzens Schauer.
5
Wirfst du den Stein - bedenke wohl,
Wie weit ihn deine Hand wird treiben.
Oft schreckt ein Echo, dumpf und hohl,
Reicht goldne Hand dir den Obol,
Oft trifft ein Wurf des Nachbars Scheiben.

10
Höhlen giebt es am Meeresstrand,
Gewalt'ge Stalaktitendome,
Wo bläulich zuckt der Fackeln Brand,
Und Kähne gleiten wie Phantome.
Das Ruder schläft, der Schiffer legt
15
Die Hand dir angstvoll auf die Lippe,
Ein Räuspern nur, ein Fuß geregt,
Und donnernd überm Haupte schlägt
Zusammen dir die Riesenklippe.

Und Hände giebts im Orient,
20
Wie Schwäne weiß, mit blauen Malen,
In denen zwiefach Feuer brennt,
Als gelt' es Liebesglut zu zahlen;
Ein leichter Thau hat sie genäßt,
Ein leises Zittern sie umflogen,
25
Sie fassen krampfhaft, drücken fest -
Hinweg, hinweg! du hast die Pest
In deine Poren eingesogen!

Auch hat ein Dämon einst gesandt
Den gift'gen Pfeil zum Himmelsbogen;
30
Dort rührt' ihn eines Gottes Hand,
Nun starrt er in den Aetherwogen.
Und läßt der Zauber nach, dann wird
Er niederprallen mit Geschmetter,
Daß das Gebirg' in Scherben klirrt,
35
Und durch der Erde Adern irrt
Fortan das Gift der Höllengötter.

Drum poche sacht, du weißt es nicht
Was dir mag überm Haupte schwanken;
Drum drücke sacht, der Augen Licht
40
Wohl siehst du, doch nicht der Gedanken.
Wirf nicht den Stein zu jener Höh'
Wo dir gestaltlos Form und Wege,
Und schnelltest du ihn einmal je,
So fall auf deine Knie und fleh',
45
Daß ihn ein Gott berühren möge.
 
 
 
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