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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte 1838
 


 






 



 
G e d i c h t e 
u n d  B a l l a d e n


_________________



Der Säntis
(1835/36)

Frühling

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch
Durchzieht das thauige Revier,
Und nah' und ferne wiegt die Luft
Vielfarb'ger Blumen bunte Zier.

5
Wie's um mich gaukelt, wie es summt
Von Vogel, Bien' und Schmetterling,
Wie seine seidnen Wimpel regt
Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing.

Noch sucht man gern den Sonnenschein
10
Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;
Denn Nachts schleicht an die Gränze doch
Der landesflücht'ge Winter noch.

O du mein ernst gewalt'ger Greis,
Mein Säntis mit der Locke weiß!
15
In Felsenblöcke eingemauert,
Von Schneegestöber überschauert,
In Eisespanzer eingeschnürt:
Hu! wie dich schaudert, wie dich friert!

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!
20
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
25
Summt auf und nieder über'n Rain
Und läßt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und athmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
30
Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg' ich doch
Dort, - grad' an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
35
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!

Herbst

Wenn ich an einem schönen Tag
Der Mittagsstunde habe Acht,
Und lehne unter meinem Baum
40
So mitten in der Trauben Pracht:

Wenn die Zeitlose über's Thal
Den amethystnen Teppich webt,
Auf dem der letzte Schmetterling
So schillernd wie der frühste bebt:

45
Dann denk' ich wenig drüber nach,
Wie's nun verkümmert Tag für Tag,
Und kann mit halbverschlossnem Blick
Vom Lenze träumen und von Glück.

Du mit dem frischgefall'nen Schnee,
50
Du thust mir in den Augen weh!
Willst uns den Winter schon bereiten:
Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,
Und bald, bald wälzt er sich herab
Von dir, o Säntis! ödes Grab!

Winter

55
Aus Schneegestäub' und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein Jeder späht, was er vermag.

Ob jene Blöcke Häuser sind?
60
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenthurm erkennt man kaum;

Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
65
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend'ges Land.

Du starrer Wächter, lass' ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schooß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
70
Da muß er Quarantaine halten,
Der Fremdling aus der Lombardei;
O Säntis, gib den Thauwind frei!

 
Am Weiher
(1835)

Ein milder Wintertag

An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt:

5
Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:

Da weiß ich, schön zum Malen,
10
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all' die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;

Ein trocken, windstill Eckchen,
Und so an Grüne reich,
15
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.

Will ich den Mantel dichte
Nun legen über's Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
20
Und dann auf meinen Schooß

Gezweig' und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel' ich den Sommertag?

25
Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch das Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing' ich selbst ein Lied.

Und hat Natur zum Feste
30
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.

Ein harter Wintertag

Daß ich dich so verkümmert seh',
Mein lieb' lebend'ges Wasserreich,
35
Daß ganz versteckt in Eis und Schnee
Du siehst der plumpen Erde gleich;

Auch daß voll Reif und Schollen hängt
Dein überglas'ter Fichtengang:
Das ist es nicht, was mich beengt,
40
Geh ich an deinem Bord entlang.

Zwar in der immer grünen Zier
Erschienst, o freundlich Element,
Du ähnlich den Oasen mir,
Die des Arabers Sehnsucht kennt;

45
Wenn neben der verdorrten Flur
Erblühten deine Moose noch,
Wenn durch die schweigende Natur
Erklangen deine Wellen doch.

Allein auch heute wollt' ich gern
50
Mich des krystallnen Flimmers freun,
Belauschen jeden Farbenstern
Und keinen Sommertag bereun:

Wär' nicht dem Ufer längs, so breit,
Die glatte Schlittenbahn gefegt,
55
Worauf sich wohl zur Mittagszeit
Gar manche rüst'ge Ferse regt.

Bedenk' ich nun, wie manches Jahr
Ich nimmer eine Eisbahn sah:
Wohl wird mir's trüb' und wunderbar,
60
Und tausend Bilder treten nah.

Was blieb an Wünschen unerfüllt,
Das nähm' ich noch gelassen mit:
Doch ach, der Frost so manchen hüllt,
Der einst so fröhlich drüber glitt!


 
Der Graf von Thal
(1834/35)

I

Das war der Graf von Thal,
So ritt an der Felsenwand;
Das war sein ehlich Gemahl,
Die hinter dem Steine stand.

5
Sie schaut' im Sonnenstral
Hinunter den linden Hang,
«Wo bleibt der Graf von Thal?
Ich hört' ihn doch reiten entlang!»

«Ob das ein Hufschlag ist?
10
Vielleicht ein Hufschlag fern?
Ich weiß doch wohl ohne List,
Ich hab' gehört meinen Herrn!»

Sie bog zurück den Zweig.
«Bin blind ich oder auch taub?»
15
Sie blinzelt' in das Gesträuch,
Und horcht' auf das rauschende Laub.

Oed' war's, im Hohlweg leer,
Einsam im rispelnden Wald;
Doch über'm Weiher, am Wehr,
20
Da fand sie den Grafen bald.

In seinen Schatten sie trat.
Er und seine Gesellen,
Die flüstern und halten Rath,
Viel lauter rieseln die Wellen.

25
Sie starrten über das Land,
Genau sie spähten, genau,
Sahn jedes Zweiglein am Strand,
Doch nicht am Wehre die Frau.

Zur Erde blickte der Graf,
30
So sprach der Graf von Thal:
«Seit dreizehn Jahren den Schlaf
Rachlose Schmach mir stahl.»

«War das ein Seufzer lind?
Gesellen, wer hat's gehört?»
35
Sprach Kurt: «Es ist nur der Wind,
Der über das Schilfblatt fährt.» -

«So schwör' ich bei'm höchsten Gut,
Und wär's mein ehlich Weib,
Und wär's meines Bruders Blut,
40
Viel minder mein eigner Leib:»

«Nichts soll mir wenden den Sinn,
Daß ich die Rache ihm spar';
Der Freche soll werden inn',
Zins tragen auch dreizehn Jahr'.»

45
«Bei Gott! das war ein Gestöhn!»
Sie schossen die Blicke in Hast.
Sprach Kurt: «Es ist der Föhn,
Der macht seufzen den Tannenast.» -

«Und ist sein Aug' auch blind,
50
Und ist sein Haar auch grau,
Und mein Weib seiner Schwester Kind -»
Hier that einen Schrei die Frau.

Wie Wetterfahnen schnell
Die Dreie wendeten sich.
55
«Zurück, zurück, mein Gesell!
Dieses Weibes Richter bin ich.»

«Hast du gelauscht, Allgund?
Du schweigst, du blickst zur Erd'?
Das bringt dir bittre Stund'!
60
Allgund, was hast du gehört?» -

«Ich lausch' deines Rosses Klang,
Ich späh' deiner Augen Schein,
So kam ich hinab den Hang.
Nun thue was Noth mag seyn.» -

65
«O Frau!» sprach Jakob Port,
«Da habt Ihr schlimmes Spiel!
Grad' sprach der Herr ein Wort,
Das sich vermaß gar viel.»

Sprach Kurt: «Ich sag' es rund,
70
Viel lieber den Wolf im Stall,
Als eines Weibes Mund
Zum Hüter in solchem Fall.»

Da sah der Graf sie an,
Zu Einem und zu Zwei'n;
75
Drauf sprach zur Fraue der Mann:
«Wohl weiß ich, du bist mein.»

«Als du gefangen lagst
Um mich ein ganzes Jahr,
Und keine Sylbe sprachst:
80
Da ward deine Treu' mir klar.»

«So schwöre mir denn sogleich:
Sey's wenig oder auch viel,
Was du vernahmst am Teich,
Dir sey's wie Rauch und Spiel.»

85
«Als seye nichts gescheh'n,
So muß ich völlig meinen;
Darf dich nicht weinen seh'n,
Darfst mir nicht bleich erscheinen.»

«Denk' nach, denk' nach, Allgund!
90
Was zu verheißen Noth.
Die Wahrheit spricht dein Mund,
Ich weiß, und brächt' es Tod.»

Und konnte sie sich besinnen,
Verheißen hätte sie's nie;
95
So war sie halb von Sinnen,
Sie schwur, und wußte nicht wie.

II

Und als das Morgengrau
In die Kemnate sich stahl:
Da hatte die werthe Frau
100
Geseufzt schon manches Mal;

Manch Mal gerungen die Hand,
Ganz heimlich wie ein Dieb;
Roth war ihrer Augen Rand,
Todtblaß ihr Antlitz lieb.

105
Drei Tage kredenzt' sie den Wein,
Und saß bei'm Mahle drei Tag',
Drei Nächte in steter Pein
In der Waldkapelle sie lag.

Wenn er die Wacht besorgt,
110
Der Thorwart sieht sie gehn,
Im Walde steht und horcht
Der Wilddieb dem Gestöhn'.

Am vierten Abend sie saß
An ihres Herren Seit',
115
Sie dreht' die Spindel, er las,
Dann sahn sie auf, alle beid'.

«Allgund, bleich ist dein Mund!»
«Herr, 's macht der Lampe Schein.»
«Deine Augen sind roth, Allgund!»
120
«'S drang Rauch vom Heerde hinein.

«Auch macht mir's schlimmen Muth,
Daß heut vor fünfzehn Jahren
Ich sah meines Vaters Blut;
Gott mag die Seele wahren!»

125
«Lang ruht die Mutter im Dom,
Sind Wen'ge mir verwandt,
Ein' Muhm' noch und ein Ohm:
Sonst ist mir keins bekannt.»

Starr sah der Graf sie an:
130
«Es steht dem Weibe fest,
Daß um den ehlichen Mann
Sie Ohm und Vater läßt.»

«Ja, Herr! so muß es seyn.
Ich gäb' um Euch die zweie,
135
Und mich noch obendrein,
Wenn's seyn müßt', ohne Reue.»

«Doch daß nun dieser Tag
Nicht gleich den andern sey,
Les't, wenn ich bitten mag,
140
Ein Sprüchlein oder zwei.»

Und als die Fraue klar
Darauf das heil'ge Buch
Bot ihrem Gatten dar,
Es auf von selber schlug.

145
Mit Einem Blicke er maß
Der nächsten Sprüche einen;
«Mein ist die Rach'», er las;
Das will ihm seltsam scheinen.

Doch wie so fest der Mann
150
Auf Frau und Bibel blickt,
Die saß so still und spann,
Dort war kein Blatt geknickt.

Um ihren schönen Leib
Den Arm er düster schlang:
155
«So nimm die Laute, Weib,
Sing' mir einen lust'gen Sang!» -

«O Herr! mag's euch behagen,
Ich sing' ein Liedlein werth,
Das erst vor wenig Tagen
160
Mich ein Minstrel gelehrt.»

«Der kam so matt und bleich,
Wollt' nur ein wenig ruh'n,
Und sprach, im oberen Reich
Sing' man nichts Anderes nun.»

165
Drauf, wie ein Schrei verhallt,
Es durch die Kammer klingt,
Als ihre Finger kalt
Sie an die Saiten bringt.

«Johann! Johann! was dachtest du
170
An jenem Tag,
Als du erschlugst deine eigne Ruh'
Mit Einem Schlag?
Verderbtest auch mit dir zugleich
Deine drei Gesellen;
175
O, sieh nun ihre Glieder bleich
Am Monde schwellen!

Weh dir, was dachtest du Johann
Zu jener Stund'?
Nun läuft von dir verlornem Mann
180
Durchs Reich die Kund'!
Ob dich verbergen mag der Wald,
Dich wird's ereilen;
Horch nur, die Vögel singen's bald,
Die Wölf' es heulen!

185
O weh! das hast du nicht gedacht,
Johann! Johann!
Als du die Rache wahr gemacht
Am alten Mann.
Und wehe! nimmer wird der Fluch
190
Mit dir begraben,
Dir, der den Ohm und Herrn erschlug,
Johann von Schwaben!»

Aufrecht die Fraue bleich
Vor ihrem Gatten stand,
195
Der nimmt die Laute gleich,
Er schlägt sie an die Wand.
Und als der Schall verklang,
Da hört man noch zuletzt,
Wie er die Hall' entlang
200
Den zorn'gen Fußtritt setzt.

III

Von heut am siebenten Tag'
Das war eine schwere Stund',
Als am Balkone lag
Auf ihren Knien Allgund.

205
Laut waren des Herzens Schläge:
«O Herr! erbarme dich mein,
Und bracht' ich Böses zuwege,
Mein sey die Buß' allein.»

Dann beugt sie tief hinab,
210
Sie horcht und horcht und lauscht:
Vom Wehre tos't es herab,
Vom Forste drunten es rauscht.

War das ein Fußtritt? nein!
Der Hirsch setzt über die Kluft.
215
Sollt' ein Signal das seyn?
Doch nein, der Auerhahn ruft.

«O mein Erlöser, mein Hort!
Ich bin mit Sünde beschwert,
Sey gnädig und nimm mich fort,
220
Eh' heim mein Gatte gekehrt.»

«Ach, wen der Böse umgarnt,
Dem alle Kraft er bricht!
Doch hab' ich ja nur gewarnt,
Verrathen, verrathen ja nicht!»

225
«Weh! das sind Rossestritte.»
Sie sah sie fliegen durch's Thal
Mit wildem grimmigen Ritte,
Sie sah auch ihren Gemahl.

Sie sah ihn dräuen, genau,
230
Sie sah ihn ballen die Hand:
Da sanken die Knie der Frau,
Da rollte sie über den Rand.

Und als zum Schlimmen entschlossen
Der Graf sprengt' in das Thor,
235
Kam Blut entgegen geflossen,
Drang unter'm Gitter hervor.

Und als er die Hände sah falten
Sein Weib in letzter Noth,
Da konnt' er den Zorn nicht halten,
240
Bleich ward sein Gesicht so roth.

«Weib, das den Tod sich erkor!» -
«'S war nicht mein Wille» sie sprach,
Noch eben bracht' sie's hervor.
«Weib, das seine Schwüre brach!»

245
Wie Abendlüfte verwehen
Noch einmal haucht sie ihn an:
«Es mußt' eine Sünde geschehen -
Ich hab' sie für dich gethan!»


 
Fragment
[der Einleitung zum
später verworfenen dritten Gesang
des «St. Bernhard»]
(1834/35)


Savoyen, Land beschnei'ter Höhn,
Wer hat dein kräftig Bild geseh'n,
Wer trat in deiner Wälder Nacht,
Sah auf zu deiner Wipfel Pracht,
5
Wer stand an deinem Wasserfall,
Wer lauschte deiner Ströme Hall,
Und nannte dich nicht schön?
Du Land des Volks, dem Reiche weihen
Ruhmvoll den Namen des getreuen,
10
Bist herrlich, wenn der Frühlingssturm
Die Berggewässer schäumend führt,
Und deiner Fichte schlanker Thurm
Sich mit der jungen Nadel ziert;
Bist reizend, wenn die Sommerglut
15
Erzittert um den Mandelbaum;
Doch in des Herbstes goldner Flut
Du ruhst gleich dunkeln Auges Traum.
Dann treibt der Wind kein rasselnd Laub
Durch brauner Haiden Wirbelstaub;
20
Wie halb bezwungne Seufzer wallen,
Nur leis' die zarten Nadeln fallen,
Als wagten sie zu flüstern kaum.

Der Tag bricht an; noch einsam steht
Das Sonnenrund am Firmament;
25
Am Strahl, der auf und nieder streicht,
Gemach der Erdbeerbaum entbrennt;
Noch will das Genzian nicht wagen
Die dunkeln Wimpern aufzuschlagen;
Noch schläft die Luft im Nebel dicht.
30
Welch' greller Schrei die Stille bricht?
Der Auerhahn begrüßt das Licht;
Er schaukelt, wiegt sich, macht sich breit,
Er putzt sein stattlich Federkleid,
Und langsam streckt ihr stumpf Gesicht
35
Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:
Das Leben, Leben ist erwacht;
Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,
Schneehühner flattern aus der Kluft;
Die Fichten selbst, daß keiner säume,
40
Erzählen flüsternd sich die Träume.
Und durch Remi geht überall
Ein dumpf Gemurr von Stall zu Stall.


 
Fastnacht
Ev.: Vom Blinden am Wege.
[Luc. 18, 31-43]

(1820)

     Herr, gieb mir, daß ich sehe!
Ich weiß es, daß der Tag ist aufgegangen;
Im klaren Osten stehn fünf blutge Sonnen,
Und daß das Morgenroth mit stillem Prangen
5
Sich spiegelt in der Herzen hellen Bronnen;
Ich sehe nicht, ich fühle seine Nähe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

     Und wie ich einsam stehe:
Sich um mich regt ein mannigfaches Klingen;
10
Ein Jeder will ein lichtes Plätzchen finden,
Und alle von der Lust der Sonnen singen.
Ich nimmer kann die Herrlichkeit ergründen,
Und wird mir nur ein unergründlich Wehe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

15
     Wie ich die Augen drehe,
Verlangend, durch der Lüfte weite Reiche,
Und meine doch ein Schimmer müsse fallen
In ihrer armen Kreise öde Bleiche,
Weil deine Strahlen mächtig doch vor Allen:
20
Doch fester schließt die Rinde sich, die zähe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

     Gleich dem getroffnen Rehe
Möcht ich um Hülfe rennen durch die Erde;
Doch kann ich nimmer deine Wege finden.
25
Ich weiß, daß ich im Moor versinken werde,
Wenn nicht der Wolf zuvor verschlang den Blinden;
Auch droht des Stolzes Klippe mir, die jähe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

     So bleib' ich auf der Höhe,
30
Wo du zum Schutz. gezogen um die Deinen
Des frommen Glaubens zarte Aetherhalle
Worin so klar die rothen Sonnen scheinen,
Und harre, daß dein Thau vom Himmel falle,
Worin ich meine kranken Augen bähe.
35
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

Wie sich die Nacht auch blähe,
Als sey ich ihrer schwarzen Macht verbündet,
Weil mir verschlossen deine Strahlenfluthen:
Hat sich doch ihre Nähe mir verkündet,
40
Empfind ich doch, wie lieblich ihre Gluthen!
So weiß ich, daß ich nicht vergeblich flehe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

     Und wie mich Mancher schmähe,
Als soll' ich nie zu deinem Strahl gelangen,
45
Dieweil ich meine Blindheit selbst verschuldet,
Da ich in meiner Kräfte üppgem Prangen
Ein furchtbar blendend Feuerlicht geduldet,
Mir sey schon recht, und wer gesät der mähe:
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

50
     Herr, wie du willst, geschehe!
Doch nicht von deinem Antlitz will ich gehen;
ln diesen Tagen wo die Nacht regieret,
Will ich allein in deinem Tempel stehen
Von ihrem kalten Zepter unberühret,
55
Ob ich den Funken deiner Huld erspähe.
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!

     Daß mich dein Glanz umwehe.
Das fühl' ich wohl durch alle meine Glieder,
Die sich in schauderndem Verlangen regen.
60
O milder Herr, sieh mit Erbarmen nieder!
Kann ein unendlich Flehn dich nicht bewegen?
Ob auch der Hahn zum drittenmahle krähe,
     Herr, gieb mir, daß ich sehe!


 
Am vierten Sonntage
in der Fasten
Josephsfest

[Ev.: Matth. 1, 18-21]
(1820)

Gegrüßt in deinem Scheine,
Du Abendsonne reine,
Du alter Lilienzweig!
Der du noch hast getragen
5
In deinen grauen Tagen
So mildes Blüthenreich!

Je mehr es sich entfaltet,
Zum Ehrenkranz gestaltet,
Der deine Stirn umlaubt:
10
Jemehr hast du geneiget,
In Ehrfurcht ganz gebeuget
Dein gnadenschweres Haupt.

Wie ist zu meinem Fromme
Dein freundlich Fest gekommen
15
In diese ernste Zeit?
Ich war fast wie begraben:
Da kömmst du mich zu laben.
Mit seltner Freudigkeit.

Zu dir will ich mich flüchten,
20
Mein scheues Leben richten,
O Joseph, milder Hauch!
Du hast gekannt die Fehle
In deiner starken Seele,
Und die Vergebung auch!

25
Was hast du nicht geduldet,
Da in Geheim verschuldet
Maria dir erschien?
Und konntest ihr nicht trauen,
Worauf die Himmel bauen,
30
Und hast ihr doch verziehn!

Und da du mußtest scheiden
Mit deinen lieben Beyden:
Wie groß war deine Noth!
Die Wüste schien dir lange;
35
Doch war vom Untergange
Dein liebes Kind bedroht.

Und da er glanzumkrönet:
Wie bist du nicht gehöhnet
Um seine Gotteskraft!
40
Wie mag, den Groll zu laben,
Dich nicht gelästert haben
Die arge Priesterschaft!

Und gar, wenn gottdurchdrungen
Dich grüßten fromme Zungen
45
Und priesen laut und weit:
Wie hast du nicht in Zagen
An deine Brust geschlagen
In deiner Sündlichkeit!

So hast du viel getragen,
50
Unendlich viele Plagen,
Mit freundlicher Geduld,
Und ist in all den Jahren
Manch' Seufzer dir entfahren
Und manche kleine Schuld.

55
Du frommer Held! im Glauben,
Den schrecklich dir zu rauben
Sich alle Welt verband:
Hast können nicht erhalten
Ein unbeflecktes Walten
60
An deines Jesu Hand.

Was soll ich denn nicht hoffen,
Da noch der Himmel offen,
Und meine Seele still?
Will sich die Gnade nahen:
65
Ich kann sie wohl emphahen,
So Gott mir helfen will.

Zerrissen in den Gründen
Bin ich um meine Sünden,
Und meine Reu ist groß.
70
O hätt' ich nur Vertrauen,
Die Hütte mein zu bauen
In meines Jesu Schoos!


 
Am Charsamstage
(1820)

Tiefes, ödes Schweigen,
Die ganze Erd' wie todt!
Die Lerchen ohne Lieder steigen,
Die Sonne ohne Morgenroth.
5
Auf die Welt sich legt
Der Himmel matt und schwer,
Starr und unbewegt,
Wie ein gefrornes Meer.
O Herr, erhalt' uns!

10
Meereswogen brechen,
Sie toben sonder Schall;
Nur die Menschenkinder sprechen,
Doch schaurig schweigt der Widerhall.
Wie versteinet steht
15
Der Aether um uns her;
Dringt wohl kein Gebeth
Durch ihn zum Himmel mehr.
O Herr, erhalt' uns!

Sünden sind geschehen,
20
Für jedes Wort zu groß,
Daß die Erde müßt vergehen,
Trüg sie nicht Jesu Leib im Schooß.
Noch im Tod' voll Huld
Erhält sein Leib die Welt,
25
Daß in ihrer Schuld
Sie nicht zu Staub zerfällt.
O Herr, verschon' uns!

Jesus liegt im Grabe,
Im Grabe liegt mein Gott!
30
Was ich von Gcdanken habe,
Ist doch dagegen nur ein Spott.
Kennt in Ewigkeit
Kein Jesus mehr die Welt?
Keiner der verzeiht,
35
Und Keiner der erhält?
O Herr, errett' uns!

Ach, auf jene Frommen,
Die seines Heils geharrt,
Ist die Glorie gekommen
40
Mit seiner süßen Gegenwart.
Harrten seiner Huld:
Vergangenheit die Zeit,
Gegenwart Geduld,
Zukunft die Ewigkeit.
45
O Herr, erlös' uns!

Lange, lange Zeiten
In Glauben und Vertraun,
Durch die unbekannten Weiten
Nach unbekanntem Heil' sie schaun.
50
Dachten sich so viel,
Viel Seligkeit und Pracht.
Ach, es war wie Spiel,
Von Kindern ausgedacht.
O Herr, befrey uns!

55
Herr, ich kann nicht sprechen
Vor deinem Angesicht!
Laß die ganze Schöpfung brechen,
Diesen Tag erträgt sie nicht.
Ach, was naht so schwer,
60
Ist es die ewge Nacht,
Ist's ein Sonnenmeer,
In tausend Strahlenpracht?
O Herr, erhalt' uns!
 
 
 
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