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zieht. Immer ist und bleibt dieser Baum mir ein Gegenstand der Bewunderung. Wie sanft und kühl sind nicht seine Schatten! Durch seine dichtesten Zweige schimmert doch noch das Blau des Himmels wie Trost und Freude, und seine lichten Blätter, zitternd im Hauch der Lüfte, fächeln Kühlung dem Wanderer zu. Der Weg zog sich über einen hohen Berg hin, mit überhangenden Felsen und sehr hohen Tannen. Auf der höchsten Spitze ist eine große dunkle Cypressen-Laube, zwei Pfeiler, ein Schwingbogen – dieß der Eingang zu dem Schlosse Chateauneuf. Die Aussicht hier oben bietet viel – dort die kleine Welt von Nizza, ein weites, weites, prächtiges Thal, die Festung, die Stadt, der Mont Alban, der Hafen, das Meer, Alles liegt ausgebreitet in stolzer Fülle da. Ein Verwandter der Familie Chateauneuf führte uns in das Innere des Schlosses, und machte mich auf sechs Bilder von Van Dyk aufmerksam. Dieser Verlebte nämlich als junger Künstler einen Sommer mit seinen Vorfahren, und in diesen Sälen hatte er alle die originellen Bettlerfiguren gemalt. Nach Tische verließ ich mit Madame E... die Gesellschaft, und wir schlugen einen Seitenweg ein. Bald standen wir vor Entzücken still, und verloren in dem Anblick der Kirche und des Klosters Salvadore, die zwischen Bergen und Wäldern gänzlich von der Welt abgetrennt waren. Ein tiefer Friede schien über die ganze Gegend zu ziehen und auch meine Seele durfte ihn begrüßen. Dicht neben mir stand der Veteran, ein sechshundertjähriger Olivenbaum, der größte und älteste der ganzen Gegend, und rings umher Ur-Ur-Enkel, ihm beinahe an
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Hoheit gleich. Eine Gruppe besonders machte mich nachdenklich. Es war ein schwarzer, mächtiger, zum Theil gespaltener Stamm, aus dessen drei großen Wurzeln drei andere Bäume sich schlank in die Luft erhoben; ihre Rinde war zart und jugendlich frisch, was gegenüber dem düstern Urstamme um so mehr abstach. Seine nervigen Arme umschlangen die zartern Zweige dieser, seiner drei geliebten Kinder, – es war mir doch nicht anders, als müsse auch in der Pflanzenwelt ein geheimnißvolles Familienleben stattfinden.
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Am 6. April..
So wie wir uns hüten sollen, einem Kranken den Arzt verdächtig zu machen, so wenig sollten wir uns erlauben, über ein Andachtsbuch voreilig zu urtheilen, und zwar in Gegenwart desjenigen, dem es einmal zum Troste geworden war. Man will mir Kempis Nachfolge Christi zergliedern und durchkritisiren, aber zu meinem Heile sind diese Bemühungen vergeblich.
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Neulich erhielt ich mehrere Briefe, theils waren es liebe Boten aus der Ferne, theils auch nur todte Buchstaben. Wenige sind gewissenhaft genug sich Andern wahr zu geben. Das Ich beschaut sich im Hintergrunde und schiebt ein anderes Wesen vor, eigentlich eine Nebelgestalt.
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